Mittwoch, 9. Februar 2011

Fotografie, Druck und Zeichnung

Der Krimkrieg – Türkei, Großbritannien und Frankreich einerseits, Russland andererseits – war in vielerlei Hinsicht ein fortschrittlicher Krieg, wobei sich einmal mehr erweist, wie fragwürdig der Begriff Fortschritt ist. Er war der erste Krieg, der von der Stärke der Industrie der kriegführenden Parteien mitentschieden wurde; zum ersten Mal wurde die verwundeten Soldaten – dank Florence Nightingale – nicht schlecht versorgt ihrem Schicksal überlassen und erstmalig wurde die interessierte Öffentlichkeit durch Photographien unterrichtet. Dabei war eine weitere Premiere, dass der dort tätige Fotograf Roger Fenton offenkundig embedded war, kein Wunder bei dem Umfang seiner Kameraausrüstung.


Jedoch hat Fenton nicht nur vom Krieg berichtet, sondern auch bemerkenswerte Archtitektur- und Personenaufnahmen gemacht. Aber bleiben wir im Nahen Osten. In Skutari (Üskudar ist der asiatische Teil von Konstantinopel) war eine große Kaserne zum Lazarett umgewidmet worden, dort waren auch britische Truppen stationiert. Das Foto soll dort gemacht worden sein.


Es dient immer wieder als Musterbeispiel für die Tatsache, dass damals die Umsetzung von Fotoaufnahmen in den Druck schwierig waren, Graustufen sind eigentlich auch etwas seltenes, wir sehen sie in der realen, natürlichen Welt nur nachts bei Mondschein. Als Beweis für die Schwierigkeiten wird dann das gezeichnete Bild des gleichen Gegenstandes gezeigt. Allerdings stehe ich der Aufnahme skeptisch gegenüber, sie scheint mir ein frühes Exemplar der Montage zu sein. Die Körperschatten haben verschiedene Richtungen, es sind mehr Gewehre gestapelt als Soldaten vorhanden, die Personen sind in der Größe ungleich, wie vermochte es der Fotograf, die doch sehr unterschiedlichen Personen zusammenzutreiben?


Die Unterstützung der Türkei durch England war nicht Ausdruck einer Freundlichkeit, sondern sie entsprang dem politischen Willen, dem jahrhundertelangen Streben Russlands nach einem Hafen am „warmen Meer“ entgegenzutreten. Auch ist die Periode erfüllt von den Versuchen zahlreicher Engländer, in Kleinasien zu graben, was eben nur mit Erlaubnis der „Hohen Pforte“ geschehen konnte, die damals englandfreundlich war. In Smyrna ging zu dieser Zeit der Fotograf Alphonse Rubellin seinem Beruf nach. Seine ruhige Aufnahme der Bucht von Karatasch bei Smyrna gibt es zwei Versionen. Zum einen das Foto, aber eben auch eine gedruckte Wiedergabe, die von einem Zeichner stammt, der das Foto als Vorlage für den Stich benutzte, sie ist überdies noch schön buntisch.

Aber nicht nur für Gazetten mussten die Fotos übersetzt werden, auch Postkarten konnten nur dann kostengünstig hergestellt werden, wenn man die Fotos den Zeichnern (früher, als es noch keine Kommunikationsdesigner gab, nannte man sie Gebrauchsgrafiker) zur Vorbereitung überließ. Auf die schlichte Übersetzung mochten sich diese aber nicht immer beschränken, sie versuchten ihre schöpferische Potenz einzubringen.


Von den drei Kamelen fanden nur zwei Gnade bei dem Zeichner, die unklare Stelle des Fotos zwischen den Booten ist mit glattem Hafenwasser ausgefüllt. Die Schmuckgrafik – mit sich schon chinesisch gerierenden Buchstaben durchsetzt – verweist auf Asien. [Fraglich bleibt nur, ob das werte Fräulein dem schleimig die Verwandten grüßenden Herrn Peters das Jawort gab.]

Aber Herr Rubellin machte nicht nur Fotos in Smyrna und in seinem Studio, sondern auch von den Ausflugszielen, so in Ephesos. Dort sollte John Turtle Woods als Architekt den Bahnhof bauen, verfiel danach aber auf die fixe Idee, den Tempel der Artemis auszugraben, eines der Sieben Weltwunder der Antike, dessen Stand- oder Liegeort unbekannt war. Nachdem es ihm gelungen war, veröffentlichte er darüber 1877 einen Bericht: „Discoveries at Ephesus including the site and remains oft he great temple of Diana; with numerous illustrations from original drawings and photographs.“ Auf Seite 29 ist das Bild eines der Gymansien von Ephesos zu sehen, das offenkundig ein Foto von Rubellin zum Vor-bild hat, hinten ist das sog. Gefängnis des Paulus zu sehen, eine kleine Festung am westlichen Ende der lysimachischen Stadtmauer (eine Wanderung entlang der Mauer zählt zu den zwar anstrengenden, aber schönsten Unternehmungen an der Ägäis, man sieht immer die Stadtanlage, ist jedoch dem Gewimmel in ihr entzogen).


Nun könnte es angesichts der Aussicht auch ein eigenständiges Bild des Zeichners sein, was nicht unplausibel klingt. Als Pantalone 1963 mit dem damals üblichen Festobjektiv von 45 mm in Baalbek den Bakchostempel aufnehmen wollte, musste er immer weiter zurück, bis er schließlich auf einem Säulenstumpf des Jupitertempels landete, von dem aus das ganze Bauwerk aufzunehmen war. Nur, der Säulenstumpf war schon ganz abgetreten, weil eben alle mit ähnlichem Objektiv diese Aufnahme machen wollten – so viel zur Individualität unserer Zeit. Also nehmen wir bei Wood ein anderes Bild: Auf Seite 99 ist der angebliche Serapionaltar wiedergegeben, ein nicht sehr ansprechendes Bild. Es liegen im Vordergrund einige behauene Steine, hinten grüßt der südliche Rest des Stadions. Das Bild ist nur für denjenigen von Bedeutung, der sich für den Altar interessiert
.

Offenbar hat Rubellin für den Ausgräber gearbeitet, was sich mit weiteren Beispielen belegen ließe. Andere Ausgräber waren auf gewerbliche Fotografen nicht angewiesen, sie hatten eigene. Als Newton in den Jahren 1856 bis 1857 in Knidos, Halikarnassos, Lagina und Didyma wühlte und viele der ergrabenen antiken Reste in seine Heimat überführen ließ, da hatte er von den ihm zugeteilten britischen Matrosen die Korporäle Spackman und Mc Cartney ausgewählt, die brav alles ablichteten, was der Meister für wichtig erachtete. Veröffentlicht wurden Lithografien, die fotografischen Vorlagen aber blieben erhalten.


Lagina schien Newton jedoch nicht spektakulär genug, so wurde im Juli 1857 Lagina an Leutnant Smith delegiert, der Korporal Spackman mitnahm. Der Vorteil der Zeichnung gegenüber der Fotografie ist, dass sie klarer die wichtigen Teile des Bildes darstellt, die botanische Wirrnis wird vermieden. Der Leutnant hat aber seine Sache gut gemacht, sein Plan ermöglichte noch heute eine Orientierung trotz der durch die nachfolgenden Ausgrabungen stark veränderten Topografie. Smith bezeichnete nach den wenigen, aus der Erde ragenden Teile die Propyläen als gate. Heute wissen wir mehr. Auch kann man eine Aufnahme aus dem gleichen Winkel nicht mehr machen, das Erdreich ist eben abgegraben. An der unteren Säulentrommel kann man an dem unterschiedlichen Bewuchs der Flechte erkennen, die unglaublich langsam nur sich ausbreitet, wieweit sie lange in der Erde steckte, die obere Trommel ist anastelosiert (dazu später einmal mehr).


Knidos, also das an der Spitze der Halbinsel liegende hellenistische Knidos, hat offenbar kein Glück mit seinen Ausgräbern. Nach dem Schatzgräber Newton scheiterte dort die mit sehr viel Phantasie ausgestattete Ausgräberin Love, die ungekonnten Anastelosismen des ansonsten verdienstvollen Archäologen Ramazan Ozgün waren für die türkische Antikenverwaltung Vorwand, ihn als Grabungsleiter abzulösen. Auch Newtons Sein bestimmte sein Bewußtsein. Umgeben von Seeleuten agierte er gerne mit seemännischem Gerät, Seilzüge, Hebebäume, Flaschenzüge ermöglichten das Bergen und den Transport der Funde, so auch des Löwen in Knidos. Stolz steht er, der sich gerne als „keeper of he greek and roman antiquities. British Museum“ bezeichnet, hinter dem Löwen, so als hätte er ihn erlegt. Genauso neckisch liegt auch der Tiger auf einem Deckchen, ihn hatte der Vizekönig Curzon in Indien geschossen. Der Unterschied ist nur, dass Curzon von seiner Gattin begleitet wird. Die geringe Tiefenschärfe der Kamera bedingt, neben dem Wackler von Newton, dass nur der Löwe und ein Schubkarren auf der Aufnahme scharf sind, dagegen ist auf der Lithografie alles durchgezeichnet, sie sind aber auch von „the Lithrs to the Queen“ verfertigt.


Das andere der sieben Weltwunder, das in Kleinasien liegt, hatte schon früh – zum Leidwesen der heutigen Archäologen – Interessenten. Zuerst die Johanniter, die 1413 mit dem Bau der Burg begannen. Das Baumaterial lieferte das Mausoleum, das bis zu diesem Zeitraum nur durch Erdbeben beschädigt worden war. Als die Johanniter in die Grabkammer eindringen wollten, verlegten sie feierlich das Unternehmen auf den kommenden Tag. Da aber war das Grab schon nächtens geplündert worden. Was du heute kannst besorgen, das … . Der nächste Zugriff erfolgte durch Newton, der vorzeigbare Statuen suchte; war er doch der keeper!

Eine Überraschung hält die von den Johannitern gebaute Burg bereit: Es ist die Kirche, die im spätgotischen Stil errichtet wurde. Wer zuvor noch nicht im levantinischen L´Outre Mere gewesen ist, der verbindet Gotik mit kühler Landschaft und steht plötzlich leicht schwitzend vor der Kapelle, die auch noch ein Minarett hat, alte Sehgewohnheiten erscheinen unpassend. Die Zeichnung steht der Fotografie nicht nach.

Im Mäandertal liegt auf einem Hügel Priene, schon früh hatten Engländer von der Stätte berichtet. Dann kam Pullan und grub den Tempel aus, der gleichsam ein Muster für den ionischen Tempelbau ist; er hat nicht die ungeschlachte Größe der Bauten von Didyma und Ephesos. Der Ornamentreichtum der ionischen Ordnung ist zuückhaltend-schlicht. Die Aufnahme zeigt offenbar den Zustand nach dem Fund der goldenen Weihemünzen, die bewirkten, dass alles Volk zur Ruine strömte und „Chrysos“ bzw. „Altin“ suchte, als man es nicht fand, wurden die Steine zertrümmert, sonst würden sich doch die Europäer nicht so für die Reste interessieren. Die Fotografie ist so präzise, dass eine Vergrößerung auf 50x60 ohne Einbuße an Schärfe möglich ist, dagegen ist der seinerzeit nach der Fotografie erstellte Druck matschig und unklar.


In dem gleichen Band ist die nachfolgende Zeichnung abgedruckt. Es ist keine Frage, dass es keine fotografische Aufnahme geben kann, die einen derartigen Erläuterungsinhalt hätte. Nicht die Wirklichkeit wird versucht wiederzugeben, sondern die Steigerung in der Erkenntnis des Gegenstandes geschieht durch Reduktion. Graustufen gibt es eben am Tage nicht und nachts sind nicht nur alle Katzen, sondern auch alle Tempel grau, sepiabraun auf den damaligen Fotos tagsüber.


Seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ist Priene eine deutsche Heimstatt. Die Annäherung des osmanischen Reiches an das Kaiserreich ermöglichte Humann die Grabungserlaubnis für die Stätte, die familiären Beziehungen dem jungen Theodor Wiegand die nötige Unterstützung nach dem Ausscheiden des Retters des Pergamonaltars vor dem Kalkbrenner. Ceterum: Pantalone und Wiegand haben eine – im jeweiligen Lebensalter wichtige – Gemeinsamkeit, sie sind an der gleichen Schule gescheitert, allerdings mit der zeitlichen Distanz von 63 Jahren. Die Ausgrabung des “kleinasiatischen Pompei“ hinterließ eine geordnete Steinwüste, die die Natur sich langsam zurückeroberte, heute kann man durch eine Parklandschaft mit antiken Ruinen wandeln. Aber vor Wiegand und Humann gab es den Vater der deutschen Spatenarchäologie, Heinrich Schliemann. Er hatte als Kaufmann viel Geld verdient, zuerst im Krimkrieg (s.o.) dadurch, dass er mit Schiffen, gefüllt mit dringend benötigten Vorprodukten für die russische Kriegsführung, die Seeblockade der Briten umging; dann in Kalifornien im Goldrausch, wo er eine Bank eröffnete (wie schreibt doch Brecht im Dreigroschenroman: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“). Schon 1874 veröffentlichte er einen „Atlas trojanischer Alterthümer. Photographische Berichte über die Ausgrabungen in Troja“, der mit vielen Fotoaufnahmen versehen war. Angesichts der Gegnerschaft der etablierten Wissenschaft in Deutschland wollte er sicherlich durch authentische Belege, das schienen damals eben Fotos zu sein, seine Funde unbestreitbar präsentieren.


Diese Art der Darstellung setzte er auch dann fort, als die Anerkennung seiner Leistungen sich mehr und mehr auch in Deutschland breit machte. In dem Buch, dass seine Grabungen und deren Funde in der Argolis darstellt “Mykenae: Bericht über meine Forschungen und Ertdeckungen in Mykenae und Tiryns“ aus dem Jahre 1878 findet sich das obige Bild. Es ist nicht auszuschließen, dass Schliemann diese neue und kostenträchtige Art der Publikation durch Druckkostenbeiträge sponserte. Aber auch mit Geld konnte man damals schon nicht alles haben. Am Ende des Buches ist ein aufklappbares Panorama eingebunden, das wiederum gezeichnet ist. Auch von den Vor-bildern dazu haben sich einige erhalten, der Vergleich zeigt ungefähr das linke Drittel des ganzen Bildes.


Auf der rechten Variante ist die früh matronisierte Sophia Schliemann in Rot zu sehen, die rundliche Person ist 24 Jahre alt (und nicht schwanger). Mit blau ist eine Person angelegt, bei der es sich um den verzweifelten Kommissar der griechischen Regierung handeln soll, der angesichts der rüden Grabungsmethoden der Eheleute Schliemann (auch sie bestimmte auf der Grabung mit und war beispielsweise diejenige, die das sog. Grab der Klytaimnestra ausgrub) eigentlich immer wieder eingreifen müsste, aber wegen des Rufes von Schliemann und der Ergiebigkeit seiner Grabung ständig zurückhuft. Das grüne Dreieck ist die Rückseite des Steines über dem Tor mit den Löwen. Zur Strafe für seine Lästigkeit ist er auf der Zeichnung auch ganz winzig dargestellt. Aber, warum eine Zeichnung? Naturgesetze kann man im Gegensatz zu menschlichen nicht mit Geld überwinden. Alle Objektive verzerren zum Rand hin; wenn man früher ein Panorama machen wollte, konnte man eigentlich nur das innere Neuntel des Bildes verwenden, zum Rande hin weiteten sich die Winkel. Erst mit schönen Algorithmen kann man nun harmlos seine Panoramen knipsen.

„Na, Dottore, was meinst Du denn?“
„Das ist charakteristisch für diesen venezianischen Handelsmann, weitschweifig, gelehrt tuend und eitel, ist doch peinlich, wie der immer seine eigenen Fotos dem Betrachter unterjubelt!“
„Dir kann wohl Pantalone kaum etwas recht machen!“
„Niemandem, daher auch mir nicht. Schon der Titel ist anmaßend, darüber könnte man ein mehrbändiges Werk schreiben. Nichts von Duotoneverfahren, nichts von Lichtdruck, nur Bilder aus archäologischen Büchern, als gäbe es sonst nichts auf der Welt. Aber, wer selbst alt ist, schreibt über Altes. Bei mir ist das anders!“

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