Montag, 21. Dezember 2015

Die Konstanten der Dummheit

Der erste Text ist eine Pressemitteilung vom 21.12.2015, der zweite ein Auszug aus dem Stück "Die Letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus. 

Um es mit Wolfgang Deichsel zu sagen: Es hott sich nix verännert!

In Wiesbaden ist am Montag nach einer verdächtigen Beobachtung der Hauptbahnhof vorübergehend gesperrt worden. Eine Frau hatte in der S-Bahn-Linie 8 die Unterhaltung zweier Männer mitgehört und die Polizei alarmiert. Aufgrund des Gespräches, das auf arabisch geführt wurde, sei eine geplante Straftat nicht auszuschließen gewesen, teilt die Polizei mit.
„Der Hauptbahnhof wurde vorübergehend gesperrt“, sagte ein Sprecher der Polizei. Mittlerweile ist er wieder freigegeben. Die Fahndung nach den beiden Verdächtigen dauert jedoch an. „Wir nehmen die Gefahrenlage sehr ernst“, so der Sprecher.
Laut Polizei konnten aus der Unterhaltung keine konkreten Hinweise auf einen genauen Ort oder ein genaues Datum für eine Straftat entnommen werden.
Die Polizei teilt mit, dass sich die beiden Männer nahe Wiesbaden aufhalten könnten. „Wir hoffen nun auf Hinweise aus der Bevölkerung“, sagt der Polizei-Sprecher. Die Zeugin beschrieb den Ermittlern die beiden Männer wie folgt:
Einer der Männer ist 25 bis 35 Jahre alt, mit kurzen schwarzen Haaren und einem kurz rasierten Vollbart. Er war mit einer weißen, sportlichen Jacke, einer grauen Jogginghose und verdreckten Sportschuhen bekleidet. Der Mann trug eine blaue Armbanduhr und hatte einen weißen Rucksack mit schwarzer Aufschrift dabei.
Sein Begleiter ist der Zeugin zufolge ebenfalls 25 bis 35 Jahre alt und war mit einem dunkelblauen Mantel, braunen, spitzen Herrenschuhen und einer braunen Kappe bekleidet. Dieser Mann hatte eine schwarze Umhängetasche mit blauen Rändern dabei.
Der Weihnachtsmarkt in Wiesbaden und der Bahnhof werden derzeit von der Polizei besonders genau unter die Lupe genommen. Medienberichten zufolge nach denen der Weihnachtsmarkt aufgrund einer verdächtigen Tasche vorübergehend gesperrt war, bestätigte die Polizei nicht.

Der Fahrgast: Was bekommen Sie?
Der Fiaker: Euer Gnaden wissen eh.
Der Fahrgast: Ich weiß es nicht. Was bekommen Sie?
Der Fiaker: No was halt die Tax is.
Der Fahrgast – Was ist die Tax?
Der Fiaker: No was S' halt den andern gebn.
Der Fahrgast: Können Sie wechseln? (Reicht ihm ein Zehnkronenstück in Gold.)
Der Fiaker: Wechseln, wos? Dös nimm i net als a ganzer, dös könnt franzeisches Göld sein!
Ein Hausmeister (nähert sich): Wos? A Franzos? Ahdaschaurija. Am End gar ein Spion, dem wer mrs zagn! Von woher kummt er denn?
Der Fiaker: Von der Ostbahn!
Der Hausmeister: Aha, aus Petersburg!
Die Menge (die sich um den Wagen gesammelt bat): A Spion! A Spion! (Der Fahrgast ist im Durchhaus verschwunden.)
Der Fiaker (nachrufend): A so a notiger Beitel vardächtiga!
Die Menge: Loßts'n gehn! Mochts kane Reprassalien, dös ghört si nett! Mir san net aso!
Ein Amerikaner vom Roten Kreuz (zu einem andern): Look at the people how enthusiastic they are!
Die Menge: zwa Engländer! Reden S' deutsch! Gott strafe England! Hauts es! Mir san in Wean! (Die Amerikaner flüchten in ein Durchhaus.) Loßts es gehn! Mir san net aso!
Ein Türke (zu einem andern): Regardez l'enthousiasme de tout le monde!
Die Menge: Zwa Franzosen! Reden S' deutsch! Hauts es! Mir san in Wean! (Die Türken flüchten in   das Durchhaus.) Loßts es gehn! Mir san net aso! Dös war ja türkisch! Sechts denn net, die ham ja an Fez! Dös san Bundesgenossen! Holts es ein und singts den Prinz Eugen!

Freitag, 18. Dezember 2015

Metamorphosen vor 1945

Die Entchristlichung des Lebens verbunden mit der Kommerzialisierung des Daseins bedingen Veränderungen im Ablauf des Jahres, die zu immer stärkerer Leere führen. Zwischen Advent und Vorweihnachtszeit besteht ein riesiger Unterschied, selbst Katholiken wissen kaum noch, dass der Advent liturgisch gesehen eine Fastenzeit ist. Dicke Weihnachtsmänner belästigen seit Anfang November das Stadtbild, unselige Gesöffe werden auf rezent installierten Handelsplätzen vertrieben, wo es nur Überflüssigkeiten zu erstehen gilt. Eine Besinnung auf nicht wohlfeil vertreibbare Haltungen darf nicht stattfinden. Als Agnostiker ist man angeekelt von den Tänzen um immer neue, immer andere „Goldene Kälber“, aber selbst dieses Bild wird langsam unverständlich. Also erzählt Dottore zu Erbauung und zum Nachdenken im Advent 2015 etwas aus seinem Leben:
  
Dottore wuchs auf, als die zweite Hälfte des auf 1000 Jahre projektierten Reiches ablief. Nördlich von Stettin lag Pölitz, ein Hydrierwerk, dort wurde Kohle in Benzin verwandelt. Benzin wurde gebraucht, um Panzer zu fahren, Panzer waren für Dottore der Inbegriff von toll. Die Wohnung wurde mit einer Zentralheizung aus dem Keller beheizt, der dazu benutzte Brennstoff war Koks. Wie man aus dieser harten, brökeligen Materie das flüssige, eigenartig riechende Benzin herstellen konnte, war nur rätselhaft, musste aber tatsächlich funktionieren, ab und zu sah man doch Panzer.

Auf Häuserwänden stand: Kanonen statt Butter, auch wieder solch eine seltsame Umwandlung. Butter gab es auf Marken, war rationiert, Dottore durfte nach dem Befüllen der Butterdose das Papier ablecken. Daher wusste er, warme Butter ist ganz weich, wie man stattdessen Kanonen machen konnte, die doch hart und groß waren, ein weiteres Rätsel.

Irgendwann fand eine Straßenaufklärung statt, nicht in sexualibus, sondern über den Sachverhalt, dass man aus Juden Seife machte. Juden sah man nicht mehr, früher waren das solch traurig blickende Menschen gewesen. Möglich hielt das Dottore schon, aber er mochte nunmehr keine Seife. Also benutzte er beim Händewaschen vor dem Essen keine. Die Hände waren nicht sauber, die Seife nicht nass, also wurde das Händewaschen wiederholt, aber nicht mehr „leine, leine!“. Fortan schlich sich Dottore in die Küche und schüttete in einem unbemerkten Augenblick etwas ATA in die linke Hand, ging dann ins Bad, wusch sich damit die Hände, träufelte die auf einem widerlichen Gegenstand mit Gumminoppen nach oben und unten liegende Seife nass, und hatte nun schön gewaschene Hände. Nur Baden war ein Problem, es fand einmal pro Woche statt und war eigentlich herrlich. Die Schwierigkeiten wurden dadurch behoben, dass es plötzlich Schwimmseife gab, also eine Seife, die im Wasser nicht unterging, die konnte nicht so unangenehm hergestellt worden sein. Mit Badetablette und Schwimmseife war wieder unbeschwertes Baden möglich.

Nun wuchs Dottore nicht in einem antifaschistischen Haushalt auf, der Vater war in der Partei, zudem in der HJ Bannführer (Rechtswart für den Gau Pommern), jedoch hatte die Mutter ein rheinisch-folkloristisches Verhältnis zur Religion und mochte Kollwitz und Barlach, also entartete Kunst, was wohl bewirkte, dass es ein Korrektiv zur außen herrschenden Ideologie gab. Sie weigerte sich strikt, ein vermeintliches „Führerbild“ aufzuhängen, das dem Parteigenossen zur Geburt des „Stammhalters“ geschenkt worden war; später stellte sich heraus, es war ein Ölgemälde des Stettiner Hafens, das nun im dortigen Museum hängt, aber das ist eine andere Geschichte.


Die Konfrontation mit der Wirklichkeit dieser Erinnerungen fand stets statt: Der Bombenangriff auf Pölitz führte dazu, dass eines der Flugzeuge überflüssige Bomben beim Wegflug abwarf, das Nachbarhaus brannte aus. Dottore kann sich noch heute an seine widersprüchlichen Emotionen erinnern, zwischen Neugier und Schaudern schwankend musste er wieder hinsehen und weggucken. Der Drang nach Butter ist allem Altersgenossen eigen, als Dottore abnehmen wollte, da wurde er auf Margarine verwiesen, deren Scheußlichkeit es ihm ermöglicht, sie nur ganz dünn aufzustreichen. Als Degenhardt davon sang, man habe sich die Hände gewaschen „mit Sand, jawohl mit Sand“, da war Dottore klar, auch der kleine Franz-Josef hatte ATA benutzt. Wer den Holocaust leugnet, ist nicht in Deutschland aufgewachsen, gewusst haben das sogar wir Kinder. 

Mittwoch, 2. Dezember 2015

Das Land der Griechen mit den Sinnen suchend

Eine heiter-sinnliche Erinnerung:



Hera 1966 am Strand nahe Portocheli; wer möchte da nicht Zeus

gewesen sein!

Donnerstag, 26. November 2015

Strafbare Geldvermehrung

Manchen Berufen wird nachgesagt, sie hätten quasi „die Lizenz zum Gelddrucken“, früher waren das einmal die Apotheker, dann waren es die Bayrischen Notare, heute könnte man es den „Investmentbankern“ andichten.  Aber festzuhalten bleibt, Geld wird anders produziert. Das Nachmachen von Banknoten ist strafbar, denn selbst wenn es perfekt gelänge, würde doch jemand geschädigt, spätestens der Staat und die Gesellschaft, weil dann zu viel Geld im Umlauf ist, also eine Entwertung eintritt. Daher erscheint es angebracht, denjenigen, die zur Produktion von Banknoten, also zur Schaffung von Geld berechtigt sind, Grenzen zu setzen, deren Überschreitung sie der Gefahr der Strafe aussetzt. Draghi und Konsorten sollen nicht ohne persönliches Risiko einfach das weiter machen dürfen, was in ihren Heimatländern jahrzehntelang üblich war. Die nachfolgende Regelung ist § 146 StGB nachempfunden:

§ 146 a Geldherstellung

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer
1.      Geld in der Absicht herstellt, dass es als werthaltig in den Verkehr gebracht oder sonst wie verwendet wird oder dass ein solches Inverkehrbringen ermöglicht werde, oder Geld in dieser Absicht so herstellt, dass der Anschein eines Wertes hervorgerufen wird,
2.      derartig hergestelltes Geld in dieser Absicht sich verschafft oder feilhält oder
3.      derartig hergestelltes Geld, das er unter den Voraussetzungen der Nummern 1 oder 2 hergestellt oder sich verschafft hat, als werthaltig in den Verkehr bringt.
(2) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande oder sonstigen Gruppe, die sich zur fortgesetzten Begehung der Geldproduktion oder –vermehrung verbunden hat, so ist die Freiheitsstrafe nicht unter vier Jahren.
(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. Ein minder schwerer Fall liegt nicht vor, wenn der Täter auf Grund von Anstiftung beteiligter Wirtschaftsgruppen oder von Regierungsstellen gehandelt hat.


Sonntag, 22. November 2015

Seehofer und Konsorten

Es gibt sie in jeder Gruppe und in jeder Partei, mehr oder weniger brillante Köpfe, die immer nur eins im Sinne haben, das zu sagen oder zu tun, was ihnen selbst nützt. Dabei müssen je nach Richtung und Applaus bisweilen sogar Dinge gesagt und gemacht werden, die von allgemeinem Vorteil sind, aber das ist in deren Augen nur ein Kollateralnutzen, Hauptsache sie kommen weiter. Ihre Findigkeit führt dazu, dass sie lange als profiliert und sachkundig angesehen werden, jedoch das ist nur das notwenige Mimikry. Als Lafontaine auf dem Mannheimer Parteitag im Frontalangriff den bräsigen Scharping abservierte, der noch nicht einmal unverbeult das Pentagon aufsuchen kann, war das eine angenehme Personalie, aber um welchen Preis! Statt eines Langweilers war nun ein eitler Ehrgeizling am Steuerruder. (Denn eitel ist man, wenn man mit vierzig den Scheitel nahe ans Ohr verlegt, um keine Glatze zeigen zu müssen. Carlo Ponti war ein kleiner dicker Mann mit Glatze und er heiratete die schönste Frau der Welt und zeugte mit ihr wunderbare Kinder, gell Oskar, so sieht Souveränität aus!)

Nunmehr scheint es in der CSU zu dämmern, dass der Seehofer auch zu diesem Menschentypus zählt. Wenn nämlich bei der CSU keine Stimmenquote auf das Alphatier entfällt, wie sie im abgestorbenen Marxismus-Senilismus üblich war, dann werdens dortunten nachdenklich. Seehofer redet und handelt nur populistisch, weil er egomanisch ist. Stellte Bloch fest: "Bei Marx ist nicht deshalb ein Gedanke wahr, weil er nützlich ist, sondern weil er wahr ist, ist er auch nützlich“, so steht für Seehofer fest, ein Gedanke ist nur günstig, wenn er ihm selber nützt. Daher gilt für ihn: Die große Distanz zur Wahrheit und die durch den eigensüchtigen Scheuklappenblick verstellte Sicht auf ferne Vernunft bewirken Wirrnisse und Schäbigkeiten. Allerdings scheinen die personellen Alternativen auch wieder keine Lichtgestalten zu sein.

Da Ideenreichtum fast immer nur einen Mangel an Belesenheit offenbart,  ist das Nachfolgende vielleicht nur langweilig. Selb – selber – selbst, das sieht doch stark nach Steigerung eines Adjektivs aus. Die Ausgangsform kommt nur noch bei „Anna Selbdritt“ vor oder bei Porzellan, der Komparativ veranlasste Jandl:

sieben kinder

wieviele kinder haben sie eigentlich? - sieber
zwei van der ersten frau
zwei van der zweiten frau
zwei van der dritten frau
und eins
ein ganz kleins
van mir selber


Und wegen des Superlativs guckt man sich die beschriebenen Typen an, die daher keine Charaktere sind.

Dienstag, 10. November 2015

Schmidt und andere

Da ist dem Texter beim Stern doch ein kapitaler Fehler unterlaufen, aber Dottore sieht sich gehindert, darüber herzuziehen. Ihm ist Gleiches passiert. Da brachte vor vielen Jahren der Verlag 2001 eine Reihe von CDs heraus, auf denen Arno Schmidt zu hören war. Die Tondokumente waren bei verschiedenen Sendeanstalten aus den Archiven geklaubt worden, man hörte den Bargfelder reden, immer seiner Bedeutung bewusst.


Nun liebt es Dottore nicht, solche Tonträger in Pappschachtel aufzubewahren, also sollten sie fürderhin in sog. Jewel Cases wohnen. Dazu gab es vom Sohn eine Worddatei, mit deren Hilfe sich solch inneren Umschläge dafür herstellen ließen. Senkrecht war der Name einzugeben nebst einem Hinweis auf die CD. Als Dottore gerade dabei war, fiel ihm wegen des ähnlichen Namens Alfred Schmidt ein, er sann über die Frage nach, ob dieser nur Marxologe oder auch etwa Marxist gewesen sei, die nicht ganz leicht zu findende Antwort beschäftigte ihn. Als Dottore dann erfreut über seine Arbeit die sieben Jewel Cases ins Regal stellte, bemerkte er, dass nach ihrer Bezeichnung nicht der Bargfelder Polyhistor nach eigener Einschätzung, sondern offenbar der Frankfurter Denker der Autor der CDs geworden war. Und so stehen sie noch heute da, falsa demontratio non nocet. Ehrlichkeit hindert nun Dottore, dem offenbar jungen Menschen beim Stern mit Spott zu übergießen. Über Arno Schmidt gibt es die von Herrn Reemtsma erfundene Heiligenverehrung, wie angenehm ist dagegen die Novelle von Uwe Timm „Freitisch“, der sich auf eine ihm adäquate Weise anmetert,  genial und treffsicher ausgedacht, der Meister wäre mit Sicherheit darauf hereingefallen.

„Sag´ mal Dotttore, willst du nichts über den anderen Schmidt schreiben?“

„Du meinst den großen Raucher? Da lassen nun alle Journalisten  die seit Jahren gehorteten und bisweilen auf den neueren Stand gebrachten Nachrufe raus, das soll man nicht vermehren. Aber eine schöne Geschichte weiß ich, die man sich gerne in Hessen Süd so erzählte.“

Hilmar Hoffmann war als Kulturreferent in Frankfurt/Main tätig und hat dabei – meist in einer großen Koalition – die Ufer des Mains verändert. Die SPD fand, der Bundeskanzler solle einmal aus erster Hand etwas über die Möglichkeiten (und Grenzen) kommunaler Kulturpolitik erfahren. Es wurde ein Termin verabredet und Hilmar Hoffmann fuhr nach Bonn. Gleich zu Beginn erläuterte der Bundeskanzler seine Vorstellungen von kommunaler Kulturpolitik, eingebunden in die Weltsicht der Wirtschaft, nach dem Ende des auf 45 Minuten befristeten Gesprächs wusste Hilmar Hoffmann, was der damalige Bundeskanzler dachte, der selber ob seiner Suada nichts Neues erfahren hatte.

Weise kann man erst werden, wenn kein Amt mehr zu ununterbrochenem Handeln zu nötigen scheint. 

Freitag, 23. Oktober 2015

Sebah 19 Sein Ägypten

Nero, Wilhelm II.,  Commodus haben  die Institution des Kaisers bei Dottore in Verruf gebracht, Mark Aurel, Diokletian und Pedro II von Brasilien vermochten die antiimperialistische Einschätzung etwas zu mildern. Dem brasilianischen Herrscher verdanken wir nämlich u.a. die folgenden Bilder, da er gerne reiste und sich für moderne Techniken interessierte. Sein Album der Reise nach Ägypten wird von der Brasilianischen Zentralbibliothek würdig repräsentiert, natürlich mit Bildern von Sebah, der Mann war eben gebildet und hatte Geschmack.  


Dottore verspürt nicht den geringsten Reiz, die fraglos schönen Bilder mit irgendwelchen launischen Worten zu kommentieren. Ihm ist und bleibt Ägypten fremd, mindestens das antike. Pantalone mag oder kann das nicht, also folgen die Bilder fast ohne Wortgerassel dazwischen. 
















Dieses Bild wurde schon einmal gezeigt, allerdings als Teil eines Panoramas; da es aber auch selbst als Einzelbild viel zu erzählen weiß, sei es noch einmal dargeboten.





Diese Aufnahme zeigt den fast identischen Teil der Moschee, sie ist zur Ersttarnung auf Sepia getrimmt, das wird aber wieder aufgelöst.

                                     

Donnerstag, 22. Oktober 2015

Socials costs

Wer sich über diesen Begriff informieren will, in Wikipedia hineinschaut, der hat schon verloren, ist schon beschissen worden. Statt klüger zu werden, werden ihm Berechnungsarten vorgestellt, er wird allenfalls also etwas schlauer. Soziale Grenzkosten sollen sie im Deutschen heißen, Unverschämtheiten sind sie in allen Sprachen.

Wer eines der besagten Autos von VW gekauft hat, ist selbst kaum hereingelegt worden. Die wenigen Pferdestärken weniger sind sowieso überflüssig gewesen, beim Verbrauch wissen wir seit eh, dass uns zum einen immer schon Traumverbrauchszahlen vorgelogen wurden, ein Streicheln des Gaspedals macht andererseits vieles wett. Beschissen wurden durch die betrügerische Software wir alle. Mühsam bahnt sich die Einsicht, wir könnten unseren Enkeln nicht solch eine verdreckte Welt übergeben, durch das Dickicht der Augenblicksinteressen, so ein klein wenig wird nun auf die Verringerung der Stoffe geachtet, die wir alle beim Autofahren produzieren. Allzugleich wird von VW ein Betrug unternommen, nicht, weil man dort dieses Ziel für falsch hielte, nein, nur deswegen, weil das Ausstatten der Fahrzeuge mit gesetzeskonformen Motoren Geld gekostet hätte. Dieses Geld kann man sich doch sparen, kann hohe Dividende an die Eigner ausschütten, wobei einer der großen Eigentümer ein Bundesland ist. Also wird es nur gemacht, damit Winterpietsch etc. als großartige Wirtschaftsführer dastehen, um dann irgendwelche schäbigen Boni zu kassieren, schäbig klein nur im Verhältnis zu dem Schaden, den sie weltweit verursachen lassen. (Übrigens: Man muss schon ein gehöriges Maß an Blödheit oder Unbildung haben, um ein Fahrzeug nach einem Gottessohn zu benennen, der scheitert. Phaeton kann den väterlichen Sonnenwagen keinen einzigen Tag ohne Unfall steuern! Der Vorname allein machts nicht, Ferdinand!)  

Wer immer noch nicht genug hat von der vulgärmarxistischen Erklärung der Welt, der lese den heutigen Artikel in der FAZ:NET „Wenn der LKW auf der Autobahn steht“. Dass viele LKWs nächstens auf den Autobahnen stehen, weil die Parkplätze überbelegt sind, ist für den Autor des Frankfurter Weltblattes eine Folge der gesetzlich geregelten Lenkzeiten. Kein Wort wird darüber verloren, dass die Erfindung der „lean production“ es bedingte, verarbeitende Unternehmen unterhalten so etwas Altmodisches wie ein Materiallager nicht mehr.  Auf allen LKWs steht es drauf, deren Betreiber sind keine biederen Speditionen mehr, sondern betreiben „logistics“. Also sind die früheren Läger nun als rollende Vorratsbehältnisse unterwegs. Die Lagerkosten musste früher das Unternehmen tragen, also den Bau (nebst Grundstück) der Gebäude und die Unterhaltung der Infrastruktur. Dann wurde das auf die Speditionen überbürdet, die durch fast ruinösen Wettbewerb und scharfe Vertragsregeln genötigt sind, pünktlich das LKW=Lager vorzufahren. Und die Parkplätze und das ggf. einzurichtende Parkleitsystem, wer zahlt das? Natürlich die Allgemeinheit, denn es ist doch in unser allem Interesse, dass wir nachts nicht auf einen aus dem Parkplatz herausragenden Laster prallen. Und weil es so schön passt, da wird auch die schöpferische Intelligenz der Firmen Siemens und Benz zugleich noch gelobt. Da soll der Skribent doch gleich als public relations manager in den Unternehmen deren Werbesprüche formulieren und uns nicht als Journalist behelligen, denn erläutern kann er uns nichts, weil er nichts begriffen hat!

„Wieso ist das vulgärmarxistisch, Dottore?“

„Weil beides so ungebrochen nach dem uralten Lehrsatz funktioniert, nach dem Verluste vergesellschaftet werden!“ 


Für Karl Georg Zinn, 50 Jahre dazu das Richtige sagend.

Sonntag, 18. Oktober 2015

Schlittern (lassen) als Tätigkeit des Vorstandsvorsitzenden und ein anderes Erlebnis

In der FAZ:NET war am 15.6.2014 zu lesen:

„Arcandor war 2009 in die Pleite geschlittert. In der Folge laufen gegen Middelhoff auch eine Reihe von Ermittlungen [Hier zitiert Dottore nur, der Grammatikfehler stammt von dem unbekannten Verfasser des Weltblattes]. Die Staatsanwaltschaft Bochum untersucht etwa seit Jahren, ob er die Insolvenz des früheren Karstadt-Quelle-Konzerns verschleppt hat. Middelhoff weist alle Vorwürfe zurück.“

Schon vor vielen Jahrzehnten war es eine gängige Antwort auf den Behauptungssatz, „DIE ZEIT ist doch ein links-liberales Blatt“, entscheidend sei für eine solche Beurteilung nicht das Feuchtong, sondern der Wirtschaftsteil, in dem man kaum etwas Links-liberales entdecken könne. Bei der FAZ kam solch eine Wertung nie auf, sie in ihrer Haltung als „wirtschaftsnah“ zu bezeichnen, ist noch euphemistisch. Also kann man den zuständigen Redakteuren und sonstigen Mitarbeitern unterstellen, sie wüssten, wie ein Konzern geführt wird. Nun wissen auch wir es, durch Schlitternlassen! Was ist das nun?  Wie bewegt sich ein Konzern? Wann geht er auf das Eis? Kann er denn überhaupt SCHLITTERN?

Was Schlittern ist, will uns Deutschen der Duden nahebringen, der im Gegensatz zur Akademie unseres westlichen Nachbarlandes nicht um die Landessprache besorgt ist, sondern immer nur referiert, was die Zeitgenossen so vor sich hinplappern („Reiners am Arsch“, sagt Zazie dans le duden). Der Duden also definiert „Schlittern“ vieldeutig so:

„1.a) mit einem Anlauf über eine Schnee- oder Eisfläche rutschen
1.b) sich schlitternd über etwas hinwegbewegen
2. auf einer glatten Fläche, auf glattem Untergrund (aus)gleiten, ins Rutschen kommen
3. unversehens, ohne Absicht, ohne es zu wollen, in eine bestimmte (unangenehme) Situation hineingeraten“

Nehmen wir zugunsten von Middelhoff, der bei seinen Kumpeln sowieso die Arschkarte gezogen zu haben scheint, einmal Variante 3. an, also das „unversehens Hineingeraten“. Ist es nicht Aufgabe des Vorstandes, „sehenden Auges“ zu sein? Ist nicht die Bewegung eines Konzerns, der auf glattem Boden unkontrollierte Bewegungen macht, eine Feststellung über die Unfähigkeit der leitenden Organe?  Hätte nicht das doch etwas abrupte Ende bei Mohn allen signalisieren müssen, Thomas heißt in Wirklichkeit Peter, er hat die Stufe seiner Inkompetenz erreicht? Aber es ist auch höheren Orts so, wie Mäxchen Mohr sich das vorstellt, wer heute Käse verkauft hat, kann auch morgen Brücken konstruieren, denkste! Oder, um ein aktuelleres Beispiel zu nehmen, wer das satte Schließen von Autotüren überprüfen kann, der ist auch fähig, die ganze Welt mit einem Dieselmotor zudrecken zu lassen. Und, so schlittern sie denn, unsere Wirtschaftsführer, erst der jeweilige Konzern, dann sie selbst auch ein bisschen. Nur der Thomas, der hat ein wenig übertrieben, wahrscheinlich muss er irgendwann so leben wie die von ihm Unternommenen, jedoch, so schlimm ist das in der ersten Welt aber auch wieder nicht. Vielleicht schreibt er dann ein Buch, das aus alter Loyalität bei Bertelsmann gedruckt wird, Titel: Der Gefallene Engel. Dottore wird es nicht lesen.

Dottore hat zu „Schlittern“ keine metaphorische Beziehung, sondern handfeste Erinnerungen. Wenn es kurz über Null Grad war, der Boden noch gefroren, es zu schneien anfing, dann konnte man eine „Schleife“ machen. Zuerst musste der Schnee in Längsbahnen so fest getreten werden, dass er fast schmolz, dann verband er sich mit der kalten Erde und gefror.  Nun musste man vorsichtig, möglichst mit Ledersohlen, nach einem kräftigen Anlauf auf dieser Bahn entlanggleiten und sie dabei glätten, bis eben eine richtige Schleife entstanden war, auf der man schlittern konnte. Man sieht, um die Voraussetzungen zum Schlittern zu schaffen, bedarf es einer gewissen Kunstfertigkeit.

Dottore besuchte in Roulettenstadt ein Gymnasium, das in einem Gebäude betrieben wurde – für 1200 Schüler gebaut, aber von 2400 genutzt. Die geräumige und hohe Aula wurde in vier Klassen verwandelt. Die jeweiligen Wanderklassen wurden in den Räumen der Klassen unterrichtet, die gerade in der Turnhalle waren. Der größere Teil des Schulhofes war noch von den Amerikanern besetzt, die dort einen Fuhrpark unterhielten. Zwischen den Teilen des Hofes bestand ein Höhenunterschied, über einem kniehohen Mäuerchen erhob sich ein vielleicht fünf Meter breiter, leicht ansteigender Streifen, der als Grünanlage bezeichnet wurde. Drei Tätigkeiten waren nun neben vielen anderen verboten:
1. Das Betreten dieser Grünanlagen,
2. das Anlegen von Schlitterbahnen (i.e., richtigerweise e.s. Schleifen – es war nämlich ein humanistisches Gymnasium!) und
3. das Schneeballwerfen.

Nach Abzug der Amerikaner wurde nur eine Verbindungstreppe zwischen den Hofteilen angelegt, das erste Verbot wurde daher laufend übertreten, die Grünanlage verwandelte sich in eine lehmige Braunanlage. Eines Tages, es war im Winter 1953, fiel kräftig Schnee, da wurde gegen das 3. Verbot schon in der ersten Pause ununterbrochen verstoßen, die Luft des Schulhofes war geradezu gesättigt mit Schneebällen. Vor der zweiten Pause hatte Frau Holle Verständnis für uns Schüler gezeigt und nochmals kräftig für Nachschub gesorgt. Das muntere Schneeballwerfen ging weiter. Als ein Lehrer eingreifen wollte, wurde er mit Schneebällen so eingedeckt, dass ihm nur die Flucht ins Schulhaus blieb, das war 1953!, lange bevor wir unsere Aufmüpfigkeit artikulieren und in politisches Handeln umsetzen konnten.

Es versammelten sich die übrigen Lehrer an den Fenstern des Treppenhauses, der Direx (sprich der Herr Oberstudiendirektor Haas) trat aus einer der Türen zum Hof. Langsam und würdig schritt er durch ein sich bildendes Spalier seiner Schüler, das Schneeballwerfen hatte aufgehört. Doch ein unbekannter Schüler konnte nicht widerstehen, vom oberen Hof kam ein Schneeball geflogen. Nach guter Pädagogensitte wollte nun das Häaschen diesen Übertäter exemplarisch dingfest machen, er betrat die „Braunanlage“, um sie schräg auf dem kürzesten Wege zum Missetäter zu überqueren. Fast oben angelangt trat er auf eine der dort akkurat angelegten, nun unter dem Schnee verborgenen Schleifen, glitt aus, fiel auf den Bauch und rutschte zu unser aller Vergnügen bauchwärts talwärts. Mit jedem Zentimeter des Rutschens verlor er an Autorität. Er rappelte sich zwar auf, schüttelte sich den Schnee ab und ging nun gemessenen Schrittes über die Treppe auf den oberen Teil des Hofes, jedoch der Zugriff konnte nicht mehr erfolgen, zudem hub das Schneeballwerfen wieder an. Dottores Klassenkamerad Jendricke, heute ein weißhaariger Pensionär, war ein begnadeter Handballspieler, stand am Rande einer weiten Schülerrunde, in deren Mitte das Häaschen ernst und nachdrücklich den doch wahrlich vernünftigen Grund für das Verbot des Schneeballwerfens erläuterte. Da Dottore unmittelbar neben Jendricke stand, weiß er es genau, dieser nahm einen Schneeball, warf ihm abschätzend einfach hoch und … traf. Das Häaschen hatte ein Käppi wie der Papst, genauso weiß, aber kalt. Unwirsch wischte der Direx sich diese Kopfbedeckung weg, wir aber hatten es ihnen gezeigt. In der nächsten Pause durften wir nicht auf den Hof, in der letzten Schulstunde dieses Tages wurde über Lautsprecher verkündet, dass mehrere Schüler der Anstalt verwiesen worden seien. So, wie Dottore sich erinnert, sollen deren Eltern das aber erfolgreich angefochten haben.

Moral von der Geschicht:

Schlittern ist in seiner ursprünglichen Bedeutung eine vergnügliche Sache, nur im metaphorischen Sinne birgt sie Gefahren in sich.  

Dienstag, 6. Oktober 2015

Padova Freres 6

Pantalone hat es tatsächlich geschafft, doch noch Bilder zu fischen, die von diesen Brüdern stammen. Dabei weiß er selbst gar nicht mehr, warum er deren Produkten nachjagt. Weder sind die Bilder optische Delikatessen, noch bringen sie wesentlich Neues in die Geschichte der kurzen griechischen Epoche der Stadt Smyrna im 20. Jahrhundert. Es wird eine Mischung aus Jagdtrieb und Verbissenheit sein, fürderhin werden weitere Trophäen nicht in einem eigenen Post gezeigt, sondern hier nur angefügt. Denn man soll solch niedere Triebe nicht fördern.

Eingerahmt von uniformierten Menschen sitzen die Offiziere aus Großbritannien und Griechenland hoch zu Ross: die aus England mussten sich nach dem Desaster und dem darauf folgenden Regierungswechsel zurückziehen, die aus Griechenland haben einen Regierungswechsel benutzt, um eine noch falscheren Strategie zu verfolgen. Aber soweit war es zu dem Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht.

Die paradierenden Offiziere verführen dazu, sich an Göring zu erinnern, über den hinter verborgener Hand geraunt wurde:

                                 Links Lametta, rechts Lametta
                                 Und der Bauch wird immer fetter.

Das Laufen haben dann diese Herren auf dem Rückzug gelernt – schon deswegen gerecht, weil sie den Vormarsch im Hinblick auf den Nachschub nicht richtig geplant hatten.

Nun ist – gottlob! – die kriegerische Ausbeute erschöpft, es geht um friedlichere Bilder.


Smyrna galt über Jahrtausende als eine der lieblichsten Städte Kleinasiens. Heute ist davon nichts mehr zu bemerken, aber um 1900, gar noch 1920, da atmete das Tal des Meles und das dorthin verlegte Bad der Diana (das 19. Jahrhundert war stark rom-orientiert, weswegen zahlreiche Stätten mit dem lateinischen Namen der antiken Götterwelt benannt wurden) noch etwas von der Annehmlichkeit der Landschaft. Padova Freres zeigen diese Gegend aber etwas garstig, nämlich mit Schnee bedeckt, als wollten sie die Veränderung durch die Besetzung auch klimatisch darstellen.

Die Faszination aller Reisenden in der Vergangenheit, wozu leider auch Dottore mit seinen Reisen ab 1958 sich zählen muss, beruhte u.a. auf der Wirklichkeit der Kamelkarawanen in der Türkei; was in trauten Stunden der Lektüre von 1001 Nacht phantastisch durchlebt worden war, das geschah leibhaftig vor den Augen. Also bildeten die Reisephotographen diese Realität ab, damit durch deren Abbild die Empfänger der Postkarten die tatsächliche Wahrnehmung der Absender nachvollziehen konnten. Noch heute werden zum Zwecke der Einkreuzung beide Kamelarten von Züchtern in der Türkei  gehalten, wenngleich nur noch Kamele zu Ringkämpfen gebraucht werden; auch dies ist eine der Eigenfolklorisierungen der türkischen Gesellschaft.


Der Schreiber dieser und anderer Postkarten liebte es, deren Ansichtsseite mit seiner Tinte zu beschriften (die schäbigen Erben der Empfänger verhökern sie über das Internet). Dieses Bild aus Ephesos ist in verschiedenen Abzügen auf Postkarten der unterschiedlichsten Editeure wiederzuerkennen, Padova Freres haben sicherlich – das wird hier wiederholt – ein vor 1919 schon bestehendes Fotostudio übernommen. Das Interesse der Griechen während der Besetzung war auch archäologisch geprägt, so wurden in Mastaura Grabungen vorgenommen, einer ansonsten eher unberührten Stätte, als Ausgleich wurde nun das Bild dieser schon damals häufig aufgesuchte Ruinenlandschaft vertrieben.


Die vorstehende Postkarte ist in anderer Herkunft schon in „Padova Freres 3“ wiedergegeben worden, nun liegen ihre Schwestern vor. Leicht war es damals, sich einen Überblick über die „Mouvements du Port“ in Smyrna zu verschaffen, man musste nur einen im Obergeschoss residierenden Anlieger bitten, einem die Aufnahme von dort zu gestatten. Beide Aufnahmen sind von dem gleichen Ort aus gemacht worden, Dottore meint, die linke sei eher entstanden: Der Kai verläuft südlich der künstlichen Halbinsel, auf der das „Bureau des Passeports“ steht, in südsüdwestlicher Richtung. Die Länge der Schatten und ihre Richtung lassen den Schluss zu, nachmittags sei die Aufnahme gemacht worden. Auf dem rechten Bild hat sich offenbar eine Wolke vor die Sonne geschoben, die Schatten sind undeutlicher und etwas länger, der des Wartehäuschens geht nun über die Schienen hinaus. Weder die Zahl der Fässer auf dem Prahm hat sich geändert, noch ist die Rauchwolke des Schleppers verweht. In der kurzen Zeit sind die meisten Menschen verschwunden, ob sie nun alle in den Wagen der Pferdebahn sind?

Obwohl die linke Aufnahme die lebhaftere ist, also die „mouvements“ besser wiedergeben, gibt es von der schlechteren weitere Exemplare. Diese unterscheiden sich von allen anderen Postkarten aus Smyrna dadurch, dass sie neben dem üblichen französischen Text noch eine griechische Aufschrift enthalten. Offenbar machten sich die „Padova Freres“ selbst Konkurrenz,  die gute Aufnahme wurde in die Reihe „P.V.“ aufgenommen, die miserabel kolorierten ohne besondere Kennzeichnung verkauft. Man kann aber dadurch viele entsprechend eingefärbte Postkarten den Brüdern aus Padua zuordnen. Die aber werden nun nicht gezeigt!  


Nachtrag 1:


Kaum war der Post geschrieben, da kommt Pantalone und hat weitere Bilder! Jedoch ist das Bild dabei, nachdem er schon lange suchte, das in „Padova Freres 1“ als existent bezeichnete, aber nicht greifbare Photo der „Offiziers de Democratie“. Pantalone war regelrecht enttäuscht, als er das Langersehnte erstmals sah. Es zeigt die französischen Militärs, die sich – wie wohl damals üblich – mit religiösem Mimikry zu verstecken suchen. Die Schwestern sehen aus wie die Zwergnonne in Fellinis wunderbarem Film „Armacord“, der es gelingt, den Kieselstein werfenden Onkel Theo, der lauthals verständliche Wünsche äußert, aus dem Baum zu holen.


Das von einer Schweizer Dynastie betriebene Hotel Huck war offenbar zur Zentralpost mutiert, jedenfalls scheint die Beschriftung der Postkarte darauf hinzudeuten. Aber das Gebäude wurde ebenso wie das der Konkurrenz, nämlich das Hotel Kraemer, 1922 ein Opfer der Flammen.


Politische Unruhe war im Osmanischen Reich auch personell institutionalisiert. Am Rande einer jeden Volksgruppe existierte ein zugehöriger Haufen bewaffneter Männer, bei der türkischen Ethnie waren das die Zeybeks, aber auch die Albaner und die Griechen hatten ihre Brigantenscharen. Hier nun eine andere Gruppe. Waren die Ordnungskräfte durch den Einsatz des jeweiligen Vali durchsetzungsstark, nun da blieb noch die Möglichkeit für das einzelne Mitglied einer solchen Schar, Cavas, also Hauswächter, zu werden. Jeder etwas betuchtere Hausbesitzer hielt sich solch einen Wächter, was nicht nur praktisch, sondern bisweilen notwendig war. 


09.November 2015


Dottore rätselt darüber, ob er sich mehr über die zwischen hartnäckig und verbiestert zu nennende Haltung von Pantalone wundern soll oder über den Fakt (das ist DDR-Deutsch, das sollte an diesem Tag betont werden), dass es ihm gelungen ist, doch wieder solch ein doofes Photo der Brüder zu erhaschen. 


Die HMS BRYONY war ein sogenanntes Q-ship, ein schwimmendes Täuschungsmanöver. Es sah aus wie ein normales Handelsschiff, war aber gegen U-Boote schwer bewaffnet. Es begleitete Konvoys von Handelsschiffen, wobei gehofft wurde, U-Boote griffen dieses Schiff an, was dann zu der Überraschung des U-Bootkommandanten zum Gegenschlag ausholte. Ansonsten verklingt die Saga über dieses Schiff ruhmlos, es wurde 1938 abgewrackt, nur hatte es einmal einen später dann auf einem anderen Schiff berühmt gewordenen Kapitän. Auch sein Name war sehr unkriegerisch, es wurde nach der Zaunrübe, einem Gurkengewächs, benannt, dessen Früchte allerdings sehr giftig sind. Heute sollte man Q-Schiffe gegen die Piraten aus Somalia einsetzen, allerdings erst in drei Jahren, wenn solange zuvor die Schiffe der dort kreuzenden Seemächte dafür gesorgt haben, dass keinerlei ausländische Fischerboote die Nichtexistenz eines somalischen Staates ausnutzen konnten. Vom Meer leben muss man den Somalis ermöglichen.


28.12.2015

His Majesty Ship „Clematis“ war ein Minensucher der Blumenklasse, 12 Schiffe, die im WWI dafür gebaut wurden, Seeminen unschädlich zu machen. Das ist ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, dabei wird bisweilen hinter dem Boot, das damals aus Holz gefertigt war, um die Magneten der 


Minen nicht anzuregen, ein Gestell unter Wasser hergezogen, um die vermuteten Minen explodieren zu lassen. Als Alternative versuchte man, das Ganze von einem Ballon aus durchzuführen, an dem Drahtseile hingen. Dies hat im Golf von Smyrna der Photograph offenbar abgelichtet, dessen Spuren im Netz von Pantalone mit Eifer verfolgt werden. 

28.02.2016

Flüchtlinge gab es in der Weltgeschichte immer wieder. Am lästigsten werden sie empfunden, wenn zu den Ursachen ihres Ortswechsels diejenigen beigetragen haben, die sträubend Zuflucht gewähren. Ursache betont Dottore, nicht Schuld. Der Wohlstand im Römerreich war einer der Gründe, weswegen die Anrainer danach trachteten, dorthin zu gelangen - die Mediterraner dachten, sie wollten statt Kuhkäse und Met (ranziger Butter und Bier) lieber Olivenöl und Wein haben, so ganz falsch war das nicht. Überall gab es Limites, den gegen die Schotten, den gegen die Germanen, den gegen die Daker, den gegen die Parther, den gegen die Araber, den gegen die Garamanten. Nach Überwindung der Grenze verfielen die Eindringlinge damals nicht sofort in tiefste Dankbarkeit, sie wurden - soweit männlich - als Söldner benutzt. Aber dem akkumulierten Wohlstand des Römerreiches während des Prinzipates stand die Ausbeutung der gesamten, damals bekannnten Welt zugunsten Roms gegenüber. Was Wunder, wenn alle dorthin wollten.



Die Griechen wollten 1919 auch so ein wenig zu den Kriegsgewinnlern zählen, obwohl sie durch langes Lavieren sich die Last eines Krieges erspart hatten. Dann aber schlugen sie unfein zu, die seit der Ionischen Wanderung inzwischen dort indigen Gewordenen wurden nicht so behandelt als seien es zukünftige Landsleute, Es regte sich alsbald Widerstand, Zwischen den griechischen Besatzungstruppen und türkischen Freischärlern kam es im Sommer 1919 zu einer kriegerischen Auseinandersetzung um und in Aydin. Für die griechischen Flüchtlinge von dort wurde dann in Smyrna gesammelt. Diese Photographen haben das festgehalten, die Rolle der Pfadfinder damals ist okkult.

21.03.2016

Als widder was neuss:
Sammler sind schon eine eigenartige Spezies Mensch, einerseits kommt man um ein gewisses Maß an Bewunderung nicht herum, andererseits sind sie auch wieder öde. Pantalone wurde wieder fündig, die Ergebnisse folgen (fast) unkommentiert. Das Minensuchboot HMS Aberdare war namensgebend für eine Klasse gleicher Schiffe, die beiden anderen Bilder der Brüder Padova sind mit gleichen unter "anderer Flagge" konfrontiert. Wie lange wird das noch so weitergehen?  




  

Donnerstag, 3. September 2015

Requiem für einen kleinen Jungen

Ach wir Deutschen, was sind wir doch für kulturbeflissene Arschlöcher! Da ereignet sich Ungeheures und wir grämen uns um archäologische Reste. Ein Bild von Apameia am Orontes aus dem Juli 2011 zeigt offenbar Fußwege und am rechten Bildrand die Überbleibsel einer der Kleinasiatisch/syrischen Säulenstraßen.

  
Der gleiche Teil der Erdoberfläche sieht 9 Monate später völlig anders aus: Nach dem Zerfall des Syrischen Staates fallen Eroberer oder Anwohner über die Stätte her, gierig und voller Hoffnung hier etwas zu finden, was den Kauf von Waffen oder den von Lebensmitteln ermöglicht.


Unser Missverständnis von Demokratie und Freiheit hat mit dazu beigetragen, die politische Ordnung in Syrien nachhaltig zu beschädigen. Verstört ziehen daher die Menschenmassen durch ihre zerstörten Städte, ein Bild, das von A. Paul Weber stammen könnte.


In Kobane hatten die Eheleute Kurdi die Hoffnung auf eine erträgliche Zukunft nicht aufgegeben, Ailan war gerade geboren worden. Er würde am Ende des 21. Jahrhunderrts seinen Enkeln erzählen können, wie seine Eltern, Geschwister und er damals, er könne er kaum noch daran erinnern, der Gefahr entronnen seien, so dachten sie.

Die Dauerkrieger, die ihr mörderisches Handwerk religiös verbrämen, was wir blöderweise auch noch glauben, wurden zwar von Kobane vertrieben, dafür machten sie sich an der Wüstenstraße breit, die von Damaskus zum Euphrat führt. So konnten sie in Palmyra ihrer nichtsnutzigen Ideologie nachgehen.


Wenn man, wie Dottore, dort 1963 schon einmal war, so waren die Veränderungen der Stätte seit dem allenfalls Grund zu Überlegungen, wie weit Anastelosis gehen darf, befangen im Zwiespalt zwischen Bewahrung der vergangenen Kultur und Attraktion für die Gegenwart. Für die verblendeten Krieger, diese marodierenden Landsknechte, die sich sowieso nur gerne an den Wehrlosen vergreifen, ein Anlass, die Kulturvölker des Westens einmal mehr zu provozieren. Dabei stehen ihnen geschätzte Verbündete des Westens gar nicht so fern: Wer in Saudi Arabien die spärlichen Ruinen einer Kirche entdeckt, tut gut daran, darüber zu schweigen, denn ansonsten schickt die Religionsbehörde einen Bulldozer, der in dem allerislamischsten Land die Spuren frühen Christentums beseitigen wird.


Jedoch, was sind das alles für Unerheblichkeiten. Denn wir sind nur entrüstet über die Kulturlosigkeit, ersparen uns aber dadurch Mitleiden der durch die gleichen Krieger geschundenen Menschen. Die deutsche Trennung zwischen Kultur und Zivilisation hat schon einmal den völligen Verlust der Menschlichkeit ermöglicht. Das fortwährende Wirken der Kulturträger Furtwängler und Gründgens bewirkte beim Bürger die Fixierung auf die Illusion, alles werde nicht so schlimm. Jetzt ist es wieder schlimm, natürlich nicht so wie damals, denn – trotz Hegel und Marx – Geschichte wiederholt sich nicht. Die Gefahr für die Menschlichkeit in Deutschland kommt dieses Mal nicht von oben, sondern der Anlass drängt von außen.  

Warum beherzigen wir nicht das, was in anderem Zusammenhang Schiller in den Kranichen des Ibykos schrieb:

Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen?
....
Von Asiens entlegener Küste,
Von allen Inseln kamen sie.

Der kleine Ailan Kurdi hat es nicht geschafft. Seine Eltern konnten ihn vor dem Ertrinken auf dem schwierigen Weg nach Europa nicht schützen, wobei die Schwierigkeiten auch von uns allen aufgerichtet wurden. So liegt er denn am Strand vor Halikarnassos, dem Geburtsort von Herodot, und wird nie seinen Enkeln Geschichten und Geschichte erzählen können.


Man wird im Alter nicht abgebrühter, Dottore und Pantalone haben während des Abfassens dieses Posts ununterbrochen mit den Tränen zu kämpfen gehabt. Lieber Leser, trage mit dazu bei, dass nicht nur die alten Kerle nicht mehr weinen müssen!