Dienstag, 6. Oktober 2015

Padova Freres 6

Pantalone hat es tatsächlich geschafft, doch noch Bilder zu fischen, die von diesen Brüdern stammen. Dabei weiß er selbst gar nicht mehr, warum er deren Produkten nachjagt. Weder sind die Bilder optische Delikatessen, noch bringen sie wesentlich Neues in die Geschichte der kurzen griechischen Epoche der Stadt Smyrna im 20. Jahrhundert. Es wird eine Mischung aus Jagdtrieb und Verbissenheit sein, fürderhin werden weitere Trophäen nicht in einem eigenen Post gezeigt, sondern hier nur angefügt. Denn man soll solch niedere Triebe nicht fördern.

Eingerahmt von uniformierten Menschen sitzen die Offiziere aus Großbritannien und Griechenland hoch zu Ross: die aus England mussten sich nach dem Desaster und dem darauf folgenden Regierungswechsel zurückziehen, die aus Griechenland haben einen Regierungswechsel benutzt, um eine noch falscheren Strategie zu verfolgen. Aber soweit war es zu dem Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht.

Die paradierenden Offiziere verführen dazu, sich an Göring zu erinnern, über den hinter verborgener Hand geraunt wurde:

                                 Links Lametta, rechts Lametta
                                 Und der Bauch wird immer fetter.

Das Laufen haben dann diese Herren auf dem Rückzug gelernt – schon deswegen gerecht, weil sie den Vormarsch im Hinblick auf den Nachschub nicht richtig geplant hatten.

Nun ist – gottlob! – die kriegerische Ausbeute erschöpft, es geht um friedlichere Bilder.


Smyrna galt über Jahrtausende als eine der lieblichsten Städte Kleinasiens. Heute ist davon nichts mehr zu bemerken, aber um 1900, gar noch 1920, da atmete das Tal des Meles und das dorthin verlegte Bad der Diana (das 19. Jahrhundert war stark rom-orientiert, weswegen zahlreiche Stätten mit dem lateinischen Namen der antiken Götterwelt benannt wurden) noch etwas von der Annehmlichkeit der Landschaft. Padova Freres zeigen diese Gegend aber etwas garstig, nämlich mit Schnee bedeckt, als wollten sie die Veränderung durch die Besetzung auch klimatisch darstellen.

Die Faszination aller Reisenden in der Vergangenheit, wozu leider auch Dottore mit seinen Reisen ab 1958 sich zählen muss, beruhte u.a. auf der Wirklichkeit der Kamelkarawanen in der Türkei; was in trauten Stunden der Lektüre von 1001 Nacht phantastisch durchlebt worden war, das geschah leibhaftig vor den Augen. Also bildeten die Reisephotographen diese Realität ab, damit durch deren Abbild die Empfänger der Postkarten die tatsächliche Wahrnehmung der Absender nachvollziehen konnten. Noch heute werden zum Zwecke der Einkreuzung beide Kamelarten von Züchtern in der Türkei  gehalten, wenngleich nur noch Kamele zu Ringkämpfen gebraucht werden; auch dies ist eine der Eigenfolklorisierungen der türkischen Gesellschaft.


Der Schreiber dieser und anderer Postkarten liebte es, deren Ansichtsseite mit seiner Tinte zu beschriften (die schäbigen Erben der Empfänger verhökern sie über das Internet). Dieses Bild aus Ephesos ist in verschiedenen Abzügen auf Postkarten der unterschiedlichsten Editeure wiederzuerkennen, Padova Freres haben sicherlich – das wird hier wiederholt – ein vor 1919 schon bestehendes Fotostudio übernommen. Das Interesse der Griechen während der Besetzung war auch archäologisch geprägt, so wurden in Mastaura Grabungen vorgenommen, einer ansonsten eher unberührten Stätte, als Ausgleich wurde nun das Bild dieser schon damals häufig aufgesuchte Ruinenlandschaft vertrieben.


Die vorstehende Postkarte ist in anderer Herkunft schon in „Padova Freres 3“ wiedergegeben worden, nun liegen ihre Schwestern vor. Leicht war es damals, sich einen Überblick über die „Mouvements du Port“ in Smyrna zu verschaffen, man musste nur einen im Obergeschoss residierenden Anlieger bitten, einem die Aufnahme von dort zu gestatten. Beide Aufnahmen sind von dem gleichen Ort aus gemacht worden, Dottore meint, die linke sei eher entstanden: Der Kai verläuft südlich der künstlichen Halbinsel, auf der das „Bureau des Passeports“ steht, in südsüdwestlicher Richtung. Die Länge der Schatten und ihre Richtung lassen den Schluss zu, nachmittags sei die Aufnahme gemacht worden. Auf dem rechten Bild hat sich offenbar eine Wolke vor die Sonne geschoben, die Schatten sind undeutlicher und etwas länger, der des Wartehäuschens geht nun über die Schienen hinaus. Weder die Zahl der Fässer auf dem Prahm hat sich geändert, noch ist die Rauchwolke des Schleppers verweht. In der kurzen Zeit sind die meisten Menschen verschwunden, ob sie nun alle in den Wagen der Pferdebahn sind?

Obwohl die linke Aufnahme die lebhaftere ist, also die „mouvements“ besser wiedergeben, gibt es von der schlechteren weitere Exemplare. Diese unterscheiden sich von allen anderen Postkarten aus Smyrna dadurch, dass sie neben dem üblichen französischen Text noch eine griechische Aufschrift enthalten. Offenbar machten sich die „Padova Freres“ selbst Konkurrenz,  die gute Aufnahme wurde in die Reihe „P.V.“ aufgenommen, die miserabel kolorierten ohne besondere Kennzeichnung verkauft. Man kann aber dadurch viele entsprechend eingefärbte Postkarten den Brüdern aus Padua zuordnen. Die aber werden nun nicht gezeigt!  


Nachtrag 1:


Kaum war der Post geschrieben, da kommt Pantalone und hat weitere Bilder! Jedoch ist das Bild dabei, nachdem er schon lange suchte, das in „Padova Freres 1“ als existent bezeichnete, aber nicht greifbare Photo der „Offiziers de Democratie“. Pantalone war regelrecht enttäuscht, als er das Langersehnte erstmals sah. Es zeigt die französischen Militärs, die sich – wie wohl damals üblich – mit religiösem Mimikry zu verstecken suchen. Die Schwestern sehen aus wie die Zwergnonne in Fellinis wunderbarem Film „Armacord“, der es gelingt, den Kieselstein werfenden Onkel Theo, der lauthals verständliche Wünsche äußert, aus dem Baum zu holen.


Das von einer Schweizer Dynastie betriebene Hotel Huck war offenbar zur Zentralpost mutiert, jedenfalls scheint die Beschriftung der Postkarte darauf hinzudeuten. Aber das Gebäude wurde ebenso wie das der Konkurrenz, nämlich das Hotel Kraemer, 1922 ein Opfer der Flammen.


Politische Unruhe war im Osmanischen Reich auch personell institutionalisiert. Am Rande einer jeden Volksgruppe existierte ein zugehöriger Haufen bewaffneter Männer, bei der türkischen Ethnie waren das die Zeybeks, aber auch die Albaner und die Griechen hatten ihre Brigantenscharen. Hier nun eine andere Gruppe. Waren die Ordnungskräfte durch den Einsatz des jeweiligen Vali durchsetzungsstark, nun da blieb noch die Möglichkeit für das einzelne Mitglied einer solchen Schar, Cavas, also Hauswächter, zu werden. Jeder etwas betuchtere Hausbesitzer hielt sich solch einen Wächter, was nicht nur praktisch, sondern bisweilen notwendig war. 


09.November 2015


Dottore rätselt darüber, ob er sich mehr über die zwischen hartnäckig und verbiestert zu nennende Haltung von Pantalone wundern soll oder über den Fakt (das ist DDR-Deutsch, das sollte an diesem Tag betont werden), dass es ihm gelungen ist, doch wieder solch ein doofes Photo der Brüder zu erhaschen. 


Die HMS BRYONY war ein sogenanntes Q-ship, ein schwimmendes Täuschungsmanöver. Es sah aus wie ein normales Handelsschiff, war aber gegen U-Boote schwer bewaffnet. Es begleitete Konvoys von Handelsschiffen, wobei gehofft wurde, U-Boote griffen dieses Schiff an, was dann zu der Überraschung des U-Bootkommandanten zum Gegenschlag ausholte. Ansonsten verklingt die Saga über dieses Schiff ruhmlos, es wurde 1938 abgewrackt, nur hatte es einmal einen später dann auf einem anderen Schiff berühmt gewordenen Kapitän. Auch sein Name war sehr unkriegerisch, es wurde nach der Zaunrübe, einem Gurkengewächs, benannt, dessen Früchte allerdings sehr giftig sind. Heute sollte man Q-Schiffe gegen die Piraten aus Somalia einsetzen, allerdings erst in drei Jahren, wenn solange zuvor die Schiffe der dort kreuzenden Seemächte dafür gesorgt haben, dass keinerlei ausländische Fischerboote die Nichtexistenz eines somalischen Staates ausnutzen konnten. Vom Meer leben muss man den Somalis ermöglichen.


28.12.2015

His Majesty Ship „Clematis“ war ein Minensucher der Blumenklasse, 12 Schiffe, die im WWI dafür gebaut wurden, Seeminen unschädlich zu machen. Das ist ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, dabei wird bisweilen hinter dem Boot, das damals aus Holz gefertigt war, um die Magneten der 


Minen nicht anzuregen, ein Gestell unter Wasser hergezogen, um die vermuteten Minen explodieren zu lassen. Als Alternative versuchte man, das Ganze von einem Ballon aus durchzuführen, an dem Drahtseile hingen. Dies hat im Golf von Smyrna der Photograph offenbar abgelichtet, dessen Spuren im Netz von Pantalone mit Eifer verfolgt werden. 

28.02.2016

Flüchtlinge gab es in der Weltgeschichte immer wieder. Am lästigsten werden sie empfunden, wenn zu den Ursachen ihres Ortswechsels diejenigen beigetragen haben, die sträubend Zuflucht gewähren. Ursache betont Dottore, nicht Schuld. Der Wohlstand im Römerreich war einer der Gründe, weswegen die Anrainer danach trachteten, dorthin zu gelangen - die Mediterraner dachten, sie wollten statt Kuhkäse und Met (ranziger Butter und Bier) lieber Olivenöl und Wein haben, so ganz falsch war das nicht. Überall gab es Limites, den gegen die Schotten, den gegen die Germanen, den gegen die Daker, den gegen die Parther, den gegen die Araber, den gegen die Garamanten. Nach Überwindung der Grenze verfielen die Eindringlinge damals nicht sofort in tiefste Dankbarkeit, sie wurden - soweit männlich - als Söldner benutzt. Aber dem akkumulierten Wohlstand des Römerreiches während des Prinzipates stand die Ausbeutung der gesamten, damals bekannnten Welt zugunsten Roms gegenüber. Was Wunder, wenn alle dorthin wollten.



Die Griechen wollten 1919 auch so ein wenig zu den Kriegsgewinnlern zählen, obwohl sie durch langes Lavieren sich die Last eines Krieges erspart hatten. Dann aber schlugen sie unfein zu, die seit der Ionischen Wanderung inzwischen dort indigen Gewordenen wurden nicht so behandelt als seien es zukünftige Landsleute, Es regte sich alsbald Widerstand, Zwischen den griechischen Besatzungstruppen und türkischen Freischärlern kam es im Sommer 1919 zu einer kriegerischen Auseinandersetzung um und in Aydin. Für die griechischen Flüchtlinge von dort wurde dann in Smyrna gesammelt. Diese Photographen haben das festgehalten, die Rolle der Pfadfinder damals ist okkult.

21.03.2016

Als widder was neuss:
Sammler sind schon eine eigenartige Spezies Mensch, einerseits kommt man um ein gewisses Maß an Bewunderung nicht herum, andererseits sind sie auch wieder öde. Pantalone wurde wieder fündig, die Ergebnisse folgen (fast) unkommentiert. Das Minensuchboot HMS Aberdare war namensgebend für eine Klasse gleicher Schiffe, die beiden anderen Bilder der Brüder Padova sind mit gleichen unter "anderer Flagge" konfrontiert. Wie lange wird das noch so weitergehen?  




  

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