Freitag, 12. Januar 2018

Sebah (22) und Aydin/Tralleis

Immer, wenn Pantalone genug Bilder von Sebah einer bekannten Stätte gesammelt und bearbeitet hatte, dann drängte er Dottore, darüber einen Post zu verfassen. Nun ist er auf die Idee verfallen, auch des Meisters Bilder von Aydin - dem antiken Tralleis nahe gelegen - zu präsentieren, muss also über diese Stadt ein Post geschrieben werden? Der interne Frieden ist maßgeblich, Dottore verbindet mit Aydin keine hehren Erinnerungen. Einen Tag lang musste das gesamte Team jeweils auf der Innenbehörde rumlungern, nur um eine schon grundsätzlich erteilte Arbeitserlaubnis zu erlangen, keiner durfte fehlen, obwohl immer nur der Chef tätig war. Bürokratie osmanischer Tradition ist eben reine Herrschaftsausübung, die will und muss gepflegt werden. Der Begriff Schikane ist dafür viel zu oberflächlich.


Und dann fängt das Sammelsurium auch noch mit einem Bahnhofsbild an! Was allerdings Athen recht ist, muss auch Aydin billig sein. Dabei ist der Bahnhof damals nicht uninteressant gewesen. Herkömmlicherweise gibt es zwei Arten von Bahnhöfen, Kopfbahnhöfe und Durchfahrtsbahnhöfe, in Aydin stand eine dritte Art, eine Mischform: Die Strecke schien in einem Sackbahnhof zu enden, aber vorher schlängelte sich nach Norden ein Durchgangsgleis ab, es ist gleichsam ein Blinddarmbahnhof (hier sind präzisere anatomische Kenntnisse zum Verständnis nötig, man muss nämlich zwischen Blinddarm und Wurmfortsatz unterscheiden können). Heute, insbesondere nach der umfassenden Renovierung der Gesamtstrecke, ist er ein schlichter Durchgangsbahnhof geworden, das Gleis in Richtung Denizli verschwindet anschließend in einem tünel. Rechts auf dem Bild, also südlich, steht heute wie damals die Bey-Cami.


Was hat Pascal Sebah nur dazu getrieben, diese zerzausten Pappeln nebst Mauern und Ölbäumen abzubilden? Es gibt wenig unbedeutendere Bilder von ihm. Dabei war Aydin zu seiner Zeit berühmt für die dort reifenden Feigen, die er aber nicht abbildete. Nördlich von Izmir liegt das Tal des Hermos, in dem der Anbau von Weinstöcken überall anzutreffen ist, aber nicht zur Erschaffung eines Getränkes, das Allah nicht so gerne sieht, sondern um die länglichen Weintrauben zu Sultaninen trocknen zu lassen. Weiter südlich fließt der Mäander zur Ägäis hin, dort blühte der Feigenanbau. In beide Regionen wurden Eisenbahnlinien gebaut, die den Abtransport der levantinischen Waren ermöglichten.


Aydin liegt am Nordrand des Mäandertales zu Füßen eines Gebirges, das in der Antike Mesogis genannt wurde. Traut man den geologischen Karten, so bestehen der nördliche und der südliche Rand des Mäandergrabens aus dem gleichen Gestein, der Fluss hat das Tal nicht geschaffen, sondern den vorhandenen Graben nur nutzen können. Beide Gebirgsketten unterscheiden sich aber erheblich, während die südliche relativ stabil ist, kann sich das Mesogisgebirge der Verwitterung kaum widersetzen. Große Schuttfächer bauen die verschiedenen Wasserläufe in das Mäandertal auf. Diese bestehen aus Gesteinsbrocken des Gebirges, das dann auch noch kalkhaltige Oberflächenströme versendet. Dadurch verfestigen sich diese Schuttfächer, aber erneute Regenfälle reißen dann wieder tiefe Schluchten in die nicht allzu fest durchgesinterte Erde. Hier ist der Tschinar (Cinar) Dere tätig mit der Vertiefung der Schlucht in Richtung Aydin.



Sebah hat diese Bilder nicht mit A,B, C bezeichnet, aber bei der Gewinnung des Panoramas wurden alle drei Bilder verwendet.


Die geomorphologischen Ergebnisse sind erstaunlich, wenn man sie auch noch auf der Sohle durchschreitet, an den Flanken des Ravines, auf deutsch wohl am besten mit Tobel übersetzt, sieht man zuerst die bei jeder frühen Flut aus den Bergen abgelagerten Schichten, die dickeren Kiesel meist oben, das alles kann man aber nur erblicken, weil die neuzeitlichen Sturzbäche den Boden wieder mit scharfer Kante weggerissen haben. Auch Sebah widmete daher drei Bilder diesen Naturgeschehen bzw. deren Ergebnissen. Über die Brücke auf dem einen Bild führte wohl die Zuleitung für eine Wassermühle, mit denen die Griechen das westliche Kleinasien im 19. Jahrhundert überzogen.   


 


Als der Photograph aus Konstantinopel diese Bilder machte, da brodelte es allenfalls unter der Bevölkerung des osmanischen Reiches, der erstarkende Nationalismus fand seine Primitivnahrung in dem rasch anwachsenden Reichtum der dort ansässigen Mitbürger griechischer Herkunft und Sprache. Die Städte waren geteilt in Muslim- und Giaurviertel. Die Zypresse deutet mit ihrer Spitze fast auf den Kuppelbau einer orthodoxen Kirche, die vermutlich im Viertel der Griechen stand.


Die nächsten beiden Bilder zeigen viele Minaretts, da wohnten also die türkischstämmigen Bürger des Osmanischen Reiches.


Der türkische Nationalismus entlud sich zuerst an den armenischen Mitbürgern, verstärkt seit es die jungtürkische Bewegung gab. Dann übertrug sich diese Xenophobie auch auf andere Christen, der Krimkrieg hatte sich an der Forderung des Russischen Zarenreiches entzündet, die Schutzmacht für alle Christen im Osmanischen Reich zu werden, zwar ein vorgeschobenes Ziel für Machtpolitik, aber einen Anlass dazu gab es eben. Zu einem gegenseitigen Abschlachten im Ausmaße der Kämpfe und Kriege im ehemaligen Jugoslawien kam es allerdings in Aydin erst, nachdem die Griechen völkerrechtswidrig am 15. Mai 1919 in Smyrna gelandet waren. Die Gemeinschaft der Nationalitäten war endgültig zerrüttet, kein Politiker konnte danach den Schutz der jeweiligen Minderheit gewährleisten, zu oft und zu intensiv waren die Animositäten zuvor politisch ausgenutzt worden.


Politisch Lied – garstig Lied? ! Wenden wir uns lieber der weiter entfernt liegenden Vergangenheit zu, da sind dann weniger Identifikationen vorhanden, die das Feststellen von Geschichte und ihre Betrachtung so schwierig machen. Die Griechen und Römer waren schlauer als die Bewohner Aydins ab dem 17. Jahrhundert, sie bauten ihre Stadt Tralleis nicht in der fruchtbaren Ebene, sondern auf dem Schuttfächer. Davon zeugt – weithin sichtbar – die Ruine eines Gebäudes, das wohl ein Gymnasion oder eine Therme war; in solch langer Standzeit kann der Bau auch seine Funktion gewechselt haben. Der Ansatz zu einem hohen und vermutlich weiten Bogen ist nicht zu übersehen.


Schon Humann monierte den sorglos errichteten Bau, in den schon Spolien vergangener Bauten eingebracht wurden. Auch sieht die Talseite sehr viel uninteressanter aus, dafür stehen dort aber spektakulär anzuschauende Olivenbäume.


Unbedacht äußerte Dottore den etwas niedlichen Gedanken, der Olivenbaum auf dem Bild von Sebah könnte mit dem auf dem neuzeitlichen Foto identisch sein. Hätte er das bloß nicht gesagt! Pantalone zeigte ihm minutenlang empört seine Bilder und bewies eindeutig und langatmig, die abgebildeten Bäume können nicht die gleichen sein, es gibt dort eine relativ neuzeitliche Anpflanzung von Olivenbäumen.


Allerdings – das muss hier doch betont werden – beließ Pantalone Dottore nicht in der Trauer über den Verlust seiner angenehmen Vermutung, sondern heiterte ihn mit dem Bild eines nun wirklich alten Olivenbaumes auf der ehemaligen Stadtfläche von Tralleis auf, der daher hier auch gezeigt sein soll.


Der Abschied von der Antike geschieht durch ein Bild, das das Ausmaß der antiken Bauwerkes erahnen lässt, die Selbstdarstellung des Römischen Reiches erforderte solche Dimensionen.


Als Wulff 1903 die Koimesiskirche in Nicäa darstellte und analysierte, da kam er nicht umhin, zwei byzantinische Bauten zu erwähnen und deren Zeichnungen wiederzugeben (Seite 99), die schon Sebah 13 Jahre zuvor abgelichtet hatte. Das erste Bild zeigt offenbar die Apsis einer großen Kirche, deren Boden mehr als drei Meter unter dem zwischenzeitlichen Schutt verborgen war.


Das nächste und letzte Bild lässt einen Rundbau erkennen, dessen Außenwand durch Nischen gegliedert ist, Erinnerungen an den Nischenrundbau im Lausospalast zu Konstantinopel lassen sich nicht verscheuchen. Fraglich ist nur, was stand in den Nischen, etwa der Knabe aus Tralleis?  Seine scheinbare Lieblichkeit wird durch den doch recht brutalen Gesichtsausdruck im Zaume gehalten, ähnliches bewirken die groben Hände beim David von Michelangelo. Musste ein Liebling eben insoweit hart und männlich sein?



Der Knabe von Tralleis steht in Istanbul, die von Sebah aufgenommenen Landschaften und Gebäude sind in Aydin verblieben, allerdings wird die Statue nicht in dem Nischenrundbau gestanden haben, denn der Knabe ist erst 1902 gefunden worden, aber in Konstantinopel kann man sich die Nischen mit berühmten Bildwerken versehen vorstellen. Gleichwohl ist ein Besuch in Tralleis die Reise wert, es gibt noch ein aus opus caementitium errichtetes Theater, davor quer ein Stadion, einen eigenartigen Grabbau und weit nach Norden Wasserleitungen, die damals tief in der Erde steckten, heute bisweilen freigewaschen (und daher sichtbar) sind.