Sonntag, 27. März 2011

Sebah (5) und die schuftenden Kleingewerbetreibenden

Der arbeitende Mensch ist ein spätes Sujet der Kunst. Courbet schuf mit dem „Ursprung der Welt“ nicht nur den ersten, nun nicht mehr heimlichen, also offenen Blick auf die Erotik, sondern mit den „Steinklopfern“ im Jahre 1866 ein Bild, das nur die Arbeit und ihre Last für die Menschen zum Gegenstand hat. Ungefähr zur gleichen Zeit machte sich Sebah daran, Menschen aufzunehmen, die allein durch ihre Tätigkeit zum Objekt seines Blickes und seiner Kamera wurden. Über ihre soziale Stellung weiß Pantalone nichts, wahrscheinlich fallen sie in den Bereich, den wir heute euphemistisch einmal „Ich-AG“ nannten, besser ist das zutreffende Wort der Scheinselbständigkeit. Es wundert Pantalone immer wieder, wie viele verkappte Marxisten (ja, ich weiß, er hat geschrieben, „Tout ce que je sais, c'est que je ne suis pas Marxiste!“) es gibt, wollen sie doch alle seinen Satz durch die Praxis beweisen, dass Gewinne privatisiert, Verluste vergesellschaftet werden. Privatisierer sind bei den Scheinselbständigen die Bereitsteller der Arbeitsmittel (Gestellung eines Sprinters) und Kontrakte, Vergesellschafter die Fahrer, wenn sie krank werden, die Verträge ausbleiben, Unfälle geschehen. Im Osmanischen Reich war das soziale Netz noch anders gehäkelt, allein die Maschen werden eher weiter gewesen sein.
Im Türkischen heißt Lastträger „hamal“, „hamalik“ bedeutet nicht nur Trägerberuf oder Trägerlohn, sondern auch Schufterei oder Qual. In den 1960er Jahren konnte Pantalone in allen Häfen der Levante einschließlich Griechenlands noch zahllose Hamals sehen. Die Container haben doch was Gutes für sich und für die Menschen, diese Schufterei gibt es nun nicht mehr. Damals, als Sebah sie in sein Studio lockte, werden sie solange Taglöhner gewesen sein, bis ihr Alter es ihnen unmöglich machte.

Mittwoch, 23. März 2011

Panzerschlitzautos

Der gegenwärtige Chefdesigner bei Mercedes Benz ist ein feinfühliger und böser Mensch zugleich: feinfühlig, weil er die noch nie geäußerten Vorlieben und Hassobjekte von Pantalone erahnt hat, böse, weil er nur die Hassobjekte realisiert.
Modell 4001 und das Panzerschlitzwendeauto 1010

Nach dem Krieg gab es wenig Spielsachen, da die Menschen vorab anderes brauchten, also wurden alte Spielsachen von den Kindern gehegt und gepflegt. Brach beispielsweise die Antriebsfeder an einem der Aufziehautos, so konnte man gaaanz vorsichtig die Blechhalterungen aufbiegen, der Feder mit einer Schlüsselfeile neue Aussparungen verpassen und dann versuchen, die Feder nun wieder zu befestigen. Schuco-Autos waren heiß begehrt. Das allertollste war ein Rennwagenmodell nach einem Mercedesrennwagen. Die Räder waren mit Rudgezentralverschlüssen befestigt, die man abschrauben konnte. Aber dies Modellauto gab es nur selten. Häufiger war ein zweisitziges Cabriolet, das entweder hupen konnte oder aber eine Gangschaltung hatte (Modell 4001). Nie hat Pantalone solch ein Auto besessen.

Gegenüber wohnte eine Frau, die häufiger Besuche von Amerikanern hatte. Diese ließen des öfteren bei ihr das liegen, was wir Kinder Ammihäftcher nannten – Superman, Roy Rogers, Classics, so hießen diese Comicreihen. Die Dame mochte Pantalone und schenkte ihm bisweilen die Hinterlassenschaften ihrer Besucher. Nach Hause durfte Pantalone diese „Schundhefte“ nicht mitbringen, also hatte er im Keller ein Depot für diese Kostbarkeiten, für die man fast alles eintauschen konnte. Er selbst fand die Hefte langweilig, so tauschte er sie leichten Herzens ein. Einmal nun stand ein Handel von 4 Roy Rogers gegen ein Schucoauto an, aber es war das blöde Wendeauto 1010. Es hatte in der Mitte des Bodens ein zur Fahrtrichtung querlaufendes Gummirad, auf das es rutschte, wenn die Vorderräder über die Tischkante gerollt waren, dann drehte es sich zur Seite und fiel nicht vom Tisch. Das Auto hatte Fenster wie Panzerschlitze, hinten eine Rückenflosse wie ein Tatra. Es war scheußlich anzusehen, Pantalone mochte es noch nie und lehnte daher den Tausch ab.

Was das Ganze mit dem Chefdesigner zu tun hat? Nun schauen Sie sich doch einmal die neueren Modelle von DB an, alle versuchen so auszusehen wie das Wendeauto von Schuco, wahrhaft die Umkehrung: nicht das Spielzeugauto will dem wirklichen ähnlich werden, sondern die Realität versucht so zu werden, wie das Spielzeug vor 65 Jahren. Entwicklung hat eben nichts mit Fortschritt zu tun.

Mittwoch, 16. März 2011

Die Probe

Dottore ist entsetzt. Zwar ist er schon etwas älter (im Vertrauen: er hat schon sieben Dezennien hinter sich gebracht), aber bewegt sich aufgrund seiner Lernfreude noch munter im IT Bereich. Leider konnte er sich nicht dagegen wehren, mit diesem peinlichen Kerl aus Venedig in einem Atemzug genannt zu werden, nun ist es aber geschehen. Egal, in welches Ländergoogle man hineinschaut, wenn man „Bilder“ und „P. e Dottore“ eingibt, endet man in Unterhosen und sonstigen Klamotten. Vorher werden allerdings die Bilder von Sebah gezeigt. Dottore musste erkennen, dass das Netz mächtig ist, alles wird durchgekämmt. Da kam ihm eine Idee.
Pascal Sebah hat dieses Bild nicht gemacht, es stammt von Dottore. Er hat es im Pergamonmuseum aufgenommen, etwas vervollständigt, es dann gealtert und mit den Insignien des Meisters versehen (aus zwei verschiedenen Ägyptenbildern). Es ist also eine Fälschung, modern ausgesprochen ein Fake. Aber Dottore vertraut der Blödheit der Suchmaschine und hofft, dass Bild alsbald weltweit unter der Eingabe „Pascal Sebah“ zu finden. Das ist seine Rache dafür, mit Unterhosen verbunden worden zu sein. Nachträge werden über das Ergebnis berichten.

Nachtrag 1:
Hurra, es hat geklappt. Das Bild ist unter der Eingabe "Pascal Sebah" zu finden. Dottore ist zufrieden, Rache ist eben ein Getränk, das kühl genossen werden muss.

Freitag, 4. März 2011

Ich würde meinen, dass ....

Damit beginnen häufig Personen, die interviewt werden, ihre Sätze. Meinung ist nun schon eine subjektive Sicht der Dinge, die auch bei genügender Zustimmung nie zur Wahrheit werden kann, allenfalls zur „herrschenden Meinung“, als ob die sog. Intersubjektivität mehr wäre als ein gemeinsames Geheule. Aber selbst davon sind die Sprechenden noch entfernt, wenigstens tun sie so. Sie meinen nicht etwas, sondern verschieben ihre Äußerung in den Konjunktiv, so als wäre das Gesagte nicht endgültig, sondern nur unter (welchem?) Vorbehalt zart angedeutet. Diese Art, sich zu äußern, ist bei erster Betrachtung nur kokett und verlogen. Kokett deswegen, weil der Satz inhaltlich vorbehaltslos ausgesprochen wird, verlogen, weil das Gesagte doch real gemeint wird.

Richtig ist dabei die innere, jedoch nicht geäußerte Erkenntnis, dass es dem Sprecher an der Chuzpe mangelt, seine Ansicht als wahr und damit als These auszusprechen. Die Selbstkastration der denkenden und sprechenden Person zeigt, wie sehr sie sich von dem Bild des Bürgers als autonomes Mitglied der Gesellschaft entfernt hat. Auch ohne eine wirkliche Überwachung will der Sprecher, dass er sich konform verhält, als würde ansonsten alles in Akte über ihn aufgenommen, auch ohne eine Stasi. So sieht die installierte Selbstzensur eben aus.

Heinrich von Kleist

Seit langer Zeit ist es üblich, ein jeweiliges Jahr einer Person zu widmen; zuerst hatte dies Dottore 1949 erlebt, das damalige Goethe-Jahr. Nun ist wieder einmal ein solch jahrelanges Gedenken angekündigt. Preußen hat mit einem seiner größten Söhne nicht umgehen können.

Als angehender Jurist lernt man den Umgang mit Akten einschließlich der Beherrschung der üblichen Kürzel: so heißt z.d.A. zu den Akten, eine Verfügung, die meist eine Angelegenheit ohne Sachentscheidung abschließt. Nie ist Dottore dieses Kürzel peinlicher aufgestoßen als bei der Lektüre der Verfügung des preußischen Staatskanzlers von Hardenberg vom 22. November 1811. Da war es eben auch schon zu spät, Kleist, dem nach seinen Worten „auf Erden nicht zu helfen war“, war an der Welt oder seinem Bild von ihr verzweifelt. Man kann – frei nach Max Weber – immer zweierlei machen: entweder einen Sachverhalt wissenschaftlich klären oder eine Geschichte erzählen. Zu der Sprache von Kleist soll die zweite Variante gelten, aber eben seine Geschichte:

Dienstag, 1. März 2011

Sebah 2 Menschen und Bauten

Pascal Sebah wird von Pantalone als Überbegriff genommen, obwohl zwischen Vater, Bruder, Sohn (und dessen Partner Joallier sowie dem Techniker Laroche) zu unterscheiden wäre. Kunsthistoriker streiten bekanntlich oft darüber, ob ein Kunstwerk vom Meister selbst oder von einem oder gar mehreren seiner Schüler stammt. Da der Verkauf nicht ansteht, ist der Geldwert der Bilder nicht entscheidend, auch nicht der fragwürdige Begriff der Originalität, zumal die Reproduzierbarkeit dieser Kunstwerke Vorrausetzung ihrer Existenz ist; es geht nicht um Wandaktien, sondern um ästhetische Freuden.

Also die Sebahs (nur hier einmal im Plural) haben eine Fülle von Menschen fotografiert, den Bildern ist eigen, dass den Abgebildeten nie ihre Würde abhanden gekommen ist. Zu den eigentlichen Personenbildern ein andermal mehr. Heute widmet sich Pantalone den Menschen, die auf den Bildern aus Griechenland als Staffage auftreten, obwohl Sebah das nie so aufgefasst hat. Sie sind als Größenvergleich ins Bild genommen worden, aber zugleich hat Sebah auch versucht, ihre Person darzustellen. Das Wort vom Typ ist bei Menschen sowieso schlicht unangebracht, da es sich bei jedem Menschen um ein Original handelt und nicht um ein vervielfältigtes Modul, einen Typus. Den abgebildeten Menschen wurde durch das Festhalten auf den Bildern gleichsam eine Unsterblichkeit verliehen; sie mögen in ihrer Individualität nicht mehr fassbar sein, aber atmen noch immer ihre Persönlichkeit aus.
Zur Technik:
Die „großen“ Bilder von Sebah, die fast alle aus der gleichen Quelle stammen, sind klein geworden, damit der Blog nicht zu sehr anschwillt durch überflüssige, weil anderweitig zu erlangende Daten. Wer sich die Bilder in einer Größe einverleiben will, die die Betrachtung ihrer Lieblichkeit ermöglicht, der muss sich an: http://imagesvr.library.upenn.edu/i/image/all/ wenden, dort sind sie in fünf verschiedenen Dimensionen erreichbar. (Aus Gründen, die Pantalone nicht kennt und auch nicht kennen will, spielt sich jetzt BING beim Aufrufen dieser Seite auf.) Die Größe der Scans erlaubt die Sicht auf die Alterungsrisse der Fotografien. Die Ausschnitte haben die Maße der größten Dimension dieser gescannten Abzüge.