Samstag, 30. November 2013

Unverfrorenheit und Gier

Diese Pressemeldung war am 30. November 2013 zu lesen:
„Nach heftiger Kritik ist ein riesiger Koffer der Luxusmarke Louis Vuitton auf dem Roten Platz in Moskau am Freitag abgebaut worden. Auch ein Kran war bei der Demontage im Einsatz. Der neun Meter hohe und 30 Meter lange Reisekoffer mit dem Buchstaben-Logo LV birgt einen Pavillon. Dort sollten vom 2. Dezember bis zum 19. Januar Vuitton-Koffer ausgestellt werden, die im Laufe der Geschichte berühmten Persönlichkeiten gehörten.
Abgeordnete und Vertreter der Zivilgesellschaft hatten die Aufstellung des Koffers auf dem geschichtsträchtigen Platz in den vergangenen Tagen heftig kritisiert und seinen Abbau gefordert. Wo der Pavillon jetzt aufgestellt wird, war zunächst nicht klar. Im Gespräch sind unter anderen der Gorkipark am Ufer der Moskwa oder das Ausstellungsgelände VDNch im Norden der russischen Hauptstadt. Der Erlös aus dem Kartenverkauf für die Ausstellung soll komplett an die Stiftung Naked Hearts des russischen Models Natalja Wodjanowa gehen, die sich um benachteiligte Kinder kümmert.“

Diese Nachricht enthält fast alles, was unsere Zeit ausmacht, Gier, Unverfrorenheit, Verlogenheit und Beschwichtigungsbestreben.

Die Produkte des Unternehmens LV sind gediegen, jedoch maßlos überteuert. Die Differenz zwischen einem realen Marktwert und dem Verkaufspreis wird dafür erbracht, sich anschließend mit dem Produkt zu schmücken. Schon seit langem hat eine Umkehrung stattgefunden, nicht der Hersteller einer Ware kann froh sein, dass ein berühmter Kunde sein Produkt öffentlichkeitswirksam (was für ein scheußliches Wort!) benutzt, sondern der Kunde glaubt, sich über seine Mitmenschen dadurch erheben zu können, dass er eine sogenannte Markenware verwendet. Dottore hat dieses schäbige Streben erstmals wahrgenommen, als Autobesitzer begannen, ihr „heiligs Blechle“ mit Castrolaufklebern zu verändern, denn, wer solch teures Motoröl benutzte, hatte „Moos“. Dass man durch das Anschleimen an eine Markenware, die sich durch ihre Typik auszeichnet, selbst zum Typ wird, also gerade dadurch die Restbestände seiner Individualität verliert, „das fällt den Toren niemals ein.“ Ideale Kunden für solche, die Existenz erhebenden Produkte sind Neureiche, an denen es in der früheren Sowjetunion nicht mangelt. Daher ist es nur konsequent, dort die Gier nach solcher Ware anzuheizen.

Schon zu früheren Zeiten hatte ein anderer französischer (Klein)Unternehmer den Versuch unternommen, den Roten Platz in Moskau für sich zu privatisieren, Gilbert Becaud, der eine offenbar an Weihnachten geborene Dame besang. Da nun aber der Kapitalismus nicht mehr Kreide fressen muss, um sich Gehör zu verschaffen, ging das andere französische Unternehmen im Jahre 2013 impertinent vor, wobei es angesichts der Größe des Koffers noch verwunderlich ist, dass nicht gleich das Leninmausoleum mit eingepackt wurde.

Nun wäre eine reine Warenrepräsentation an dieser Stelle doch schon etwas zu aufdringlich, das Vorhaben musste kulturell abgesichert werden, was ist da besser als eine Ausstellung. Zu sehen wären wiederum nur Produkte des Unternehmens gewesen, die mit dem letztlich nicht sichtbaren Signum verknüpft sind, irgendjemand, dem man das Attribut prominent zuerteilt hat, habe dies Behältnis benutzt. Unter uns: Ob die Besichtigung einer Tasche, in der Hemingway seine Whiskyflaschen mal transportiert hat, ein kulturelles Ereignis ist, erscheint nicht naheliegend, trotz des Nobelpreises für den Konsumenten der geistigen Getränke.

Aber der kulturelle Schutzschirm reicht nicht ganz aus, es muss noch etwas Soziales dazu. Also wird der Erlös der eintrittspflichtigen Verkaufsausstellung an die „Nackten Herzen“ gespendet, wer wird nicht dafür sein, dass armen Kindern geholfen wird. Reizend und verkaufsfördernd ist auch das Verhalten des Models aus Russland, das solch eine Stiftung betreibt. Jegliches schlechte Gewissen über den eigenen Luxus wird dadurch getilgt.

Letztlich ist Dottore wieder einmal enttäuscht, weil all das Unterfangen so schäbig und offensichtlich ist. Er will, wenn schon, raffiniert und intelligent beschissen werden. Daher ist er fast mehr in seiner Eitelkeit („Für wie blöd halten die mich denn?“), denn in seiner politischen Haltung berührt. So erwarten denn alle froh die Renaissance des Koffers im Gorkipark, wobei eine Verwandlung des Unterfangens in einen „Gorky Park“ eine interessante Variante wäre.  


Auch Pantalone ist ausdrücklich damit einverstanden, dass diesmal kein Bild, etwa gar des Koffers, beigefügt wird.  

Samstag, 16. November 2013

Ägypten 11 Lieblingsbilder

„Sag mal, Dottore, warum kann man auf den Bildern aus Ägypten bisher nie irgendwelche Altertümer sehen, es gibt doch sehr viele solche Photographien, so die wunderbare Serie von der Reise des brasilianischen Kaisers in das Land?“
„Also, ich bin westeuropäisch orientiert, obwohl es korrekterweise okzidentiert heißen müsste. Wir reden hier vom Untergang des Römischen Reiches und meinen damit die Absetzung des Kaiserchen Romulus Augustus im Jahre 476. Im gesamten östlichen Mittelmeerraum versteht man das nicht, dort ist es endgültig erst 1453 untergegangen, wobei sich die osmanischen Sultane bisweilen noch als die Nachfolger dachten. Die Welt auf der anderen Seite des Meeres, das man früher das mittelländische nannte, ist mir, soweit sie nicht griechisch/römisch/germanisch geprägt war, fremd geblieben, bis heute kann ich zwischen Bauwerken aus der, sagen wir mal, 21. Dynastie und der Ptolemäerzeit nicht unterscheiden, sicherlich ein Mangel, aber er bedingt die Distanz, eben auch zu den Abbildungen.“
„Was sind denn Bilder aus dem Ägypten des 19. Jahrhunderts, die Dir besonders gefallen, abgesehen von den bisher gezeigten?“
„Am einfachsten ist es, ich greife in den Speicher, auf die Gefahr hin, dass die Photographien nicht durch Dich optimiert werden.“
„Sei´s drum!“


Das erste Bild ist auch fast das älteste. Maxime du Camp und Gustave Flaubert reisten 1850 nach Ägypten, der zweite machte dabei so richtig eine mitleidslose „Grand Tour“, der Bürgersohn infizierte sich prompt mit Syphilis. Aber die Aufnahme von du Camp ist fast zeitlos. Die weißen Bereiche auf dem Bild sind Gipsreste, die von einem ungekonnten Abdruck des Kopfes zeugen. Der Sand ist verweht, das Denkmal versetzt.


Das Studium des Korans ist ein langwieriges Unterfangen, die Studenten lernen so nebenbei auch noch Recht, das in vielen Religionen mit der Theologie verknüpft ist. Die Trennung dieser Sparten von Lebensrichtlinien ist eine Errungenschaft der Aufklärung, die im Islam noch nicht einmal begonnen hat, bei den strenggläubigen Juden ist sie verpönt. Weil also das Studium so lange dauert, leben die Studenten in der Ausbildungsstätte, die in oder nahe bei einer Moschee ist, hier der berühmten El Azar Moschee. Liegend, hockend, sitzend, stehend lesen und diskutieren sie, Leben und Ausbildung sind Eins. Das hat Bonfils treffend eingefangen.


Dies ist die älteste Pyramide Ägyptens. Zu der radikalen Form hat man sich noch nicht aufgeschwungen, eskalierend tastet sie sich gen Himmel. Noch ist das Umfeld des Bauwerks nicht durchsucht, noch sind die erhofften Geheimnisse bewahrt. Bei großer Pixelzahl sind die Steine sogar der obersten Stufe erkennbar. Die Attribute, mit der man die Schärfe einer Photographie bezeichnet, stammen aus einer vorhergehenden Wiedergabemöglichkeit der Wirklichkeit, dem Kupferstich. Nicht nur die Bilder von Callot sind gestochen scharf, auch diese Aufnahme von Sebah kann sich mit diesem epitheton schmücken.


Dieses Bild zeigt, dass bestimmte Probleme Ägyptens nicht erst als Folge des Nasser-Staudamms auftreten, sie waren schon früher da: Dottore meint die Gefahr der aufsteigenden Salze. Diese steigen in der Feuchtigkeit des Bodens auf und an der Oberfläche zersetzen sie den Stein oder machen die Erde unfruchtbar. Heute ist an den Altertümern diese Wunde überschminkt. Dottore kann sich nur auf simples „Gefallen“ bei der Betrachtung dieser hintereinander gesetzten Tore berufen. Das vordere Tor soll ptolemäisch sein, im oberen linken Bild in Höhe des Türsturzes sollen Ptolemäos III. und Berenike II. vor Chons und Hathor Weinkrüge opfern, Dottore muss es glauben. Jedoch der Sonnenvogel ganz oben, um dessen Erkennbarkeit das Bild so aufgehellt ist, den liebt er.


Die Lektüre des Korans ist auf Deutsch eher langweilig, auf Arabisch soll es auch ein ästhetisches Vergnügen sein. Das Verbot der Bilder hat mit dazu beigetragen, dass im moslemischen Bereich die Schrift so verherrlicht wurde. Auf den inneren Bögen der Moschee Ibn Toulun sind Schriftzeichen ornamental angebracht, wobei sie nicht nur schmücken, sondern auch verkünden, gegenüber der römischen Ornamentüberladung ein Fortschritt der Menschheit. Das Gespinst von Licht und Schatten ist heute nicht mehr zu bewundern, es gibt dem Bild Strenge in die Ruinenromantik hinein.


Das ist ein modernes Bild, es zeigt den Platz der Plätze in Kairo. Wenn man wie Dottore über die Grand Tour der Urgroßväter herzieht, darf man die eigene Gegenwart nicht genauso übergehen, wie dies die Ahnen machten. Möge Ägypten, in dem der Monotheismus geboren wurde samt seiner Kehrseite, der Intoleranz, seine Staatlichkeit bewahren, möge es zu einem Nebeneinander der Ethnien und Religionen finden, der für Arabien vorbildlich sein könnte, möge es die Kraft zum Aufbau einer eigener Wirtschaftsmacht entwickeln, wenn es dann noch bei diesen schon großen Anstrengungen den Weg zur Demokratie einschlagen kann, es wäre wunderbar. Gewünscht wird dies hier von Pantalone e Dottore. 

Freitag, 15. November 2013

Nördlich und südlich der Alpen

Eigentlich, mit diesem Wort sei trotz seiner Sündhaftigkeit seit dem „Jargon“ begonnen, war die Reise unvorbereitet, ganz im Gegensatz zu sonstigen, die von den Protagonisten dieses Blogs unternommen werden. Natürlich stachen die Rundkirchen, besser Zentralbauten, in Oberitalien schon lange in den Nasen, aber eine präzise Erkundung ist umfangreicher. Und so begann die Fahrt etwas ins Blaue hinein.


Die Viehgangln waren schon lange ein Gegenstand der Betrachtung. Diese am Furkapass veranlassten Dottore, sich damit näher zu beschäftigen, zumal die Zunahme des Rinderbestands in der Türkei dort zu schweren Schäden an der Erdoberfläche führt. Rindviehhaltung ist und bleibt ein Zeichen des Wohlstandes, des wirklichen oder vermeintlichen, Kuhmilch ist das Getränk der Aufsteiger – bevölkerungsmäßig betrachtet. Die Gangln der Rindviecher verlaufen deswegen so waagerecht, weil die Wiederkäuer nur in dieser Lage in der Lage sind, den Nahrungsbrei von einem Magen in den nächsten zu befördern. Die Attraktivität ergiebigerer Rindersorten, die jedoch zugleich mehr wiegen, bedroht auch die Viehgangln in den Alpen. Ach, es gibt eben keinen Fortschritt ohne Gegenbewegung.


Seit dem ersten Besuch 1954 in der Schweiz ist dieses Land für Dottore – hier kreischt Pantalone dazwischen: „Für mich auch.“ – ein Hort der Präzision und Solidität. Als etwas später das politische Bewusstsein erwachte, hieß es: „Wenn Kapitalismus, dann Schweiz!“ „Na, Pantalone, auch wieder?“ „Ja, ja.“  Diese Geleise der Zahnradbahn in der Nähe der Rhonequelle spiegeln das wieder. Die Zahnstangen könnten in einem riesigen Chronometer ihre Genauigkeit beweisen, die Holzschwellen sind betagt, aber werden nicht großspurig gegen neue, gar aus Beton ausgetauscht. Man sieht nur das, was man kennt, meinte Goethe; man sieht aber auch das, was man sehen will, vermutet Dottore.


Weiter im Lob des Vorzeigelandes der gegenwärtig herrschenden Wirtschaftsideologie: Dazu gehört in jeder Art des Denkens ein gehöriges Maß an Konservativismus, leiten doch auch Revolutionen ihre Berechtigung aus der wirklichen oder vermeintlichen Wiederherstellung früherer Verhältnisse her, die Phrygische Mütze der Jakobiner! Hier nun wird der Kornspeicher, der der Rattenplage trotzen konnte, sicherlich nicht mehr in seiner alten Funktion benutzt, aber ein neues Dach stellt sicher, dass er noch lange Jahre das Auge des Passanten, und sei es im Vorbeifahren, erfreut. Man sieht eben gern, was man wiedererkennt.


Die mangelhafte Vorbereitung war die Ursache für diese Überraschung. In Martingny, dessen Französischer Ortsbezeichnung den keltische Namen bewahrt, sah Dottore plötzlich ein Gebäude, in dem die etruskischen Spiele abgehalten wurden. Obwohl die Etrusker große Liebhaber der attischen Keramik waren, so sehr, dass man lange Zeit nach den Funden in ihren Gräbern sie für die Schöpfer der Vasen hielt, hat nichts von der Abscheu der Griechen für diese Art der Menschenvernichtung auf sie abgefärbt. Die etwas südlicheren Barbaren haben es dann zu ihrer Lieblingserholung gemacht. Die Kategorisierung des Germanen als „ferox“ und „furiosus“ erscheint so als ein Musterfall der Projektion.


Das Gegenteil von anheimelnd sind Alpenfestungen, sowohl die Franzensfeste im Eisacktal wie das  Sperrfort Bard im Aostatal lassen einen auch im Sommer frieren. Wenn man jedoch nicht die Autobahn entlang huscht, sondern brav die SS 26 herunter trödelt, kann man hinter Bard, am Ortsanfang von Donnas diese römische Straße begehen, allerdings sind zuvor Parkprobleme  bewältigen. Wer hofft, die gleichen Steine wie die Römer zu treten, wird bei genauem Hinsehen diese Illusion begraben müssen. Sowohl an dem Meilenstein links, als auch am Fußbereich des Tunnels ist ein unbehauener Abstand von ca. 0,40 m zur Oberfläche des Weges erkennbar; die Spur der Eisenreifen ist 1,60 m breit. Steter Verkehr schleift die Wegefläche, diese und die Spur in ihm sind mittelalterlich, die Anlage selbst selbstredend römisch.


Seit Dottore in Jahre 1959 zu Füßen des Ben Nevis das erste Mal die Vorzüge von B&B, bed and breakfast, genossen hat, hat er öfters auf Reisen diese Art des Übernachtens gewählt. Aber noch nie war es so elegant, behaglich und kultiviert wie im Castello di Strambinello, etwas abseits der Straßen aus dem Aostatal in die Poebene, nahe der SS 565. Alles, was man bis dahin mit B&B verbunden hat, kann man getrost vergessen, man ist in einem Schlosshotel untergekommen. Nicht nur das Zimmer und das Frühstück boten ungeahnte Genüsse, noch mit einem Klavierkonzert erfreute die Tochter des Hauses den Gast während dieser Mahlzeit. Wer also nach der Überwindung des Großen St. Bernhard langsam in die italienischen Gefilde eindringt, etwas erschreckt ist von den Motocyclisti, die mit 90 km/h fahrenden Autos als feststehende Slalomstangen behandeln, der sollte, der muss hier den Einstieg in die Behaglichkeit des Landes beginnen. Wäre das Bild eine Postkarte, es fehlte das „Hier habe ich gefrühstückt“  nebst Pfeil beim Tisch mit dem roten Blumenstrauß.


Etwas oberhalb von Ivrea steht der Dom der Stadt, am Abhang saß, nein nicht Abraham a Santa Clara, sondern das Römische Theater, nun überbaut. Diese, heute unnützen Treppenstufen aus Granit könnten aus dem Theater stammen, zu leichtfertig sind sie verbaut, offenbar eben auch leicht aus der Ruine des Theaters entnommen. Spolie wird nur, was leichter zu erringen ist als das gleiche im Steinbruch. Im Übrigen kann man noch sehen, dass bisweilen guter Mörtel längerlebig ist als Ziegelstein (der Duden meints anders, aber der schaut nur aufs Maul der Volkes, gibt also lediglich Üblichkeiten und Maulfaulheit wieder; die Steigerung von lang und lebig ist länger und lebiger, aber was ist denn „lebiger?“).


Ach ja, die Rundkirchen, der eigentliche Plan. Das Baptisterion in Biella gehört nicht zu ihnen, da die Funktion ein kleines Gebäude rund ums Taufbecken verlangte. Zudem war den Ungetauften der Zugang zu einer Kirche verwehrt, also können die Taufkapellen keine Kirche sein, so haben sie eben auch keinen Altar. Aber dies hier in Biella war zu niedlich, um das Bild zu unterschlagen. Munter erhebt es sich zwischen der Kirche und den frühklassizistischen Bauten, der Türstock mit einem antiken Relief verziert.


So sieht es aus, wenn man bei Maggie und Helmut morgens aus dem Fenster schaut. Die wohlgeordneten Weinberge sind Pflicht, Barolo liegt 7 km entfernt. Oben, wo jetzt der Dunst des Sommers den Himmel weiß erscheinen lässt, kann man im Frühjahr und Herbst die Alpen sehen, vor denen sich Piemont ausbreitet. Da muss Dottore wieder hin. Wenn der aufmerksame Leser eine Identität der Helmute hier und in dem Post „Lenin und die Reichspost“ vermutet, so gibt es dafür 100 Punkte.


Das ist nun endlich eine klassische Rundkirche. Über die Herkunft dieses Bautyps kann man streiten, aber bei vielen, wie bei dieser, ist das Vorbild eindeutig. Die Pilgerreise ins Heilige Land hatte auch die Grabeskirche in Jerusalem zum Ziel. Theologische Unterschiede werden an ihrem Namen erkennbar: Die orthodoxen Christen kennen nur die Auferstehungskirche, nicht der Opfertod ist das Bemerkenswerte für sie, sondern die Überwindung des Todes. Aus der Zeit der Kreuzzüge gibt es viele Nachbauten im westlichen Europa; Teilnehmer, die sich auf dieses Unternehmen eingelassen hatten und „in der Scheiße“ saßen, gelobten, „wenn ich hier heil rauskomme, dann werde ich …“ . Dann ist meistens ein Nachbau der Grabeskirche herausgekommen, hier das Exemplar in Asti.  


Keine Rundkirche, aber eine Anlage, an der man nicht vorbeifahren darf, ist die Certosa die Pavia. Die eigentümliche Bauform rührt von der Vermischung der Lebensformen der Kartäuser her, die sowohl eremitisch als auch koinobitisch leben. Die Klosterräume mit Kirche sind Ort des gemeinsamen Lebens, an einem sehr großen, zweiten Kreuzgang sind einzelne kleiner Häuser mit vier Zimmerchen und einem Kleingarten angebaut, dort lebt der Kartäusermönch die übrige Zeit. Hier nun der Blick aus einem dieser Häuser auf den großen Kreuzgang. Der Eintritt ist wegen des Wechsels des Klosters an die Zisterzienser möglich, auch ohne Entgelt, jedoch steht am Ausgang ein Konverse indischer Herkunft, der ostentativ Eurobanknoten in der Hand hält; wer wird da schon ohne Spende vorbeigehen. Ob die Karthäuser auch „en eremos“ am leckeren Likör genascht haben?


Der Andrang der Pilger zum Petrusgrab hat die Erfindung der Krypta bewirkt, einen meist unterirdischen Raum, der zwei  Zugänge hat, einen zum Kommen und einen zum Gehen. Diese hier in Lenno am Lago di Como später gebaut als die in Rom, allerdings wurde dafür offenbar eine in der Nähe liegende Ruine einer VILLA LIMNATIS (das Latein nähert sich hier dem Raum, in dem üblicherweise Speisen hergestellt werden), jedenfalls sind nicht nur Spolien vorhanden, sondern auch breite Dachziegel, die im frühen Mittelalter zur Ausstaffierung der Gräber gedient haben. Dem Küster sei für seine Freundlichkeit am frühen Morgen gedankt.


Was zeigt man von einer beeindruckenden Kirche, wie es San Abbondio in Como ist? Die gemauerten Säulen des Mittelschiffes, die im Grunde Rundpfeiler sind, ihre Fünfschiffigkeit, die Ausmalung der Apsis? Dottore verweist als „Liebhaber alter Steine“ auf eine Partie am rechten Seitenschiff außen, die die Zweitverwendung mächtiger Quader aufweist. Die liebenswürdig einander zugewandten Klammerlöcher lassen alte Verbundenheit ahnen. Aber auch alles andere alte Baumaterial ist der neuen Form unterworfen.


Der vorige Papst meinte, das Fegefeuer müsse man sich nicht wie ein KZ vorstellen; es sei vielmehr ein Ort der Läuterung. Wahrscheinlich wird man ununterbrochen mit Diskussion bestraft, so stellte sich jedenfalls Wolfgang nach seiner Zeit als Theaterleiter solche Einrichtungen vor. Im 19. Jahrhundert neigte man eher der vorbenediktinischen Meinung zu, wie hier eindrücklich zu sehen ist. In dem Fegefeuer von San Fedele in Como wird man solange gebraten, bis ein Engel einen erlöst; es sei denn, man habe rechtzeitig gespendet, dann wird die Seele schon früher aus dem Feuer gesprungen sein. Der Bau von St. Peter hat doch auch so viel Geld gekostet, da hätte der Martin nicht so kleinlich sein brauchen.


Einst öffnete das mächtige Tor die römische Stadt Comum für die Besucher aus dem Süden. Brauchbar, wie es nun war, verrichtete es die gleichen Dienste für das frühmittelalterliche Como. Heute nun schmückt sich die Stadt mit ihm. Die abgebildeten Menschen mögen Pantalone das Bild nachsehen, jedoch jeder von ihnen ist nicht nur in dem Moment der Aufnahme festgehalten, ihre Haltungen erzählen ganze Geschichten.


Abgelegen, weit außerhalb im Feld steht in Alemno eine Rundkirche. Als Teil eines ansonsten verschwundenen Klosters war sie errichtet worden. Im August 2013 war sie eingerüstet, keine Besichtigung möglich, dem Vergehen wurde entgegengearbeitet. So nur ein Blick auf das Zierwerk an der Apsis, wie denn viele Architekten oder Bauherrn der Rundkirchen die Wucht und Eindeutigkeit des Baukörpers mindern wollten und zart eine Apsis anklebten.


In Brescia gibt es die dickste Runde, den Duomo Vecchio. Zwar kann er mit dem neuen nicht an Bauvolumen mithalten, aber seine Ausgestaltung berechtigt zur Eingruppierung in die Reihe der fetten Kirchbauten. Die runde Form hatte schon die Kirche zu Beginn dort, sie könnte, was beliebt war, über einer Römischen Therme mit ihren runden Einzelräumen errichtet worden sein, obwohl die Zahl der Pfeiler (acht) an die Grabeskirchennachbauten denken lässt, aber dazu ist sie zu alt. Jedoch gab schon vor den Kreuzzügen das Bestreben, diese Kirche nachzubauen, wie St. Michael in Fulda und die Krukenburg bei Karlshafen zeigen.


Dies Bild ist eine Fälschung. Im Originaldatenbestand steht auf der Seite noch eine bewegliche Bushalttestelle, der vierte Schirm links kam nach langer interner Diskussion hinzu. Die Nachschau in alten Negativen ergab, dass auch 1994 links kein Schirm stand. (Einwurf: „Alter Rechthaber!“) Wer das Schaffen von Andrea Palladio schätzt, der rechnet ihm auch die Gestaltung des Daches zu, wer sonst erlaubt sich in den historistischen Baustilen solche Fröhlichkeit.


Inmitten des auch durch die zona pedonale kaum reduzierten Verkehrslärms eröffnet sich im Kreuzgang von San Francesco zu Brescia eine Oase der Ruhe und Besinnung. Die Abkehr von Welt durch bauliche Mittel zu ermöglichen, ist eine genuine Leistung der christlichen Klöster. Solange die Abkehr eine zeitlich beschränkte ist, bleibt das dialektische Verhältnis von Koinon und Eremia erhalten, ist keine Weltflucht. Je karger das Innenleben ist, desto fraglicher stehen die heute aktiven Menschen solchem Ansinnen gegenüber, also viele. Dies ahnend, wird dann die nächste Flucht angetreten, die in exotische Esoterik. Summen statt sinnen.


Luthers Hinwendung zum Wort der Bibel, statt im Ritual der Liturgie zu verharren, war Überwindung der antikischen Religion, aber wollen alle Menschen das? Rituale schaffen Gemeinschaft, die Auseinandersetzung mit den Wörtern macht einsam. Wie stark ist die Tröstung dadurch in der Zeit der Pluralität von Einflüsterungen heute? Das ahnten die Vordenker der Gegenreformation noch nicht, sie wollten der Auslieferung an das eigene Gewissen die Pracht und den Augenschmaus entgegensetzen, das ist zumindest äußerlich gelungen. Allerdings tummelten sich beim diesjährigen Besuch in der Wies auffällig viele angetrachtelten Menschen besserer Stände dort; fast vermiesten sie den Aufenthalt dort. Aber für ihre Anwesenheit sie hatten für Ausgleich gesorgt: Ein begnadeter Organist spielte acht Minuten lang Variationen über „Freude schöner Götterfunken“, was beweist, dass auch protestantisches Gedankengut mit Rokoko zurechtkommt.


Nach intensiverem Umhersehen war Dottore klar, wer das Vorbild der Angetrachtelten war. Von den vier lateinischen Kirchenvätern, deren Statuen in der Kirche stehen, ist der Papst Gregor I. der ernsthafteste, wird aber dargestellt, als sei sein Lebensmotto: Fesch samer! Der arme Gregor, Urenkel eines Papstes, selber Mönch, hätte wohl weniger lasziv dagestanden, seinen Hirtenstab fester in der Hand gehalten, den kleinen Finger von der Bibel nicht abgespreizt. Auch solch dämliches Grinsen wird ihm nicht eigen gewesen sein. Vor 260 Jahren lockte die Ausstattung der Wieskirche die strammen Rechtgläubigen in ihre Mauern, heute die Touristen. Der süddeutsche Barock und das folgende Rokoko sind trotzdem nach dem evangelischen Norddeutschland gedrungen, aber Friedrich II hielt nicht viel von Religion, so konnte Sanssouci entstehen.   


In kalter Pracht steht in St. Blasien diese runde Kirche da. Der klösterliche Bau ist zu sehr vom Willen beeinflusst, die mönchische Abgeschiedenheit darzustellen. Große Leere tut sich auf. Nicht einmal die Vorschriften des Zweiten Vaticanums haben dazu geführt, dass der Mittelpunkt der Liturgie im Mittelpunkt der Kirche steht. Wahrscheinlich steht dieses Monstrum mit dem Charme einer Bahnhofshalle ziemlich leer da, würden sich nicht die verbliebenen Gläubigen besser um einen Altar in der Mitte scharen?


Als Dottore auf der Terrasse oberhalb von Breisach saß und über das Rheintal in die Vogesen schaute, das dachte er an „Cleversulzbach“ und „Sesenheim“, beide liegen woanders. Wieder wurde die Bridgekamera bemüht, es entstand ein etwas monochrom-bläuliches Bild. Die hinzugedachte Literatur machte es dann wieder farbiger. Nur der Baumwipfel ist deutsch, alles andere ist „Fronkreisch, Fronkreisch“.


In Maulbronn kann man noch immer sehen, warum Hesse diesem Bauwerk und dem in ihm herrschenden Geist entfloh, entfliehen musste. Den evangelisch betriebenen Kirchen mangelt  es am Weihrauchgeruch, sie sind auch nur ernst, Fröhlichkeit scheint eine Sünde zu sein. (Allerdings hat Dottore einmal vor Jahrzehnten die Besichtigung einer katholischen Kirche in Hildesheim anbrechen müssen, weil er unklugerweise in ein dort ausliegendes Traktätchen schaute.) Hoch über den irdischen Niederungen scheint in Maulbronn dieses Gartenhäuschen zu schweben, dort würde man sich himmlisch fühlen.

„Mit solchem Gesülze wird Dir eines Tages der Papst noch den Orden vom goldenen Sporn verleihen, mein geschätzter Dottore.“

„Was soll ich machen, wenn Du mir derartige Bilder vorgibst, ich werde den Orden mit Dir teilen!“  

Donnerstag, 14. November 2013

Ägypten 12 Bechards Menschen

Dies ist ein wachsender Post, denn Pantalone kommt zu meiner Überraschung mit den Bildern zu ihm nicht nach. So hat er – wie er mir in einer schwachen Stunde gestand – an dem ersten Bild insgesamt weit über drei Stunden herum retuschiert, es ist es aber auch wert. Nun wir wollen ihn nicht überfordern, peu à peu wird er mit den Bildern nachkommen, ohne Anzeige eines „Nachtrages“ wird dann der Umfang zunehmen.

Erklärter Liebling der beiden Protagonisten ist Sebah sen., jedoch die Menschenaufnahmen von Henri Bechard sind nicht nur Zeitdokument, sie gehören zu den großen Zeugnissen dieses Mediums. Über den Photographen scheint nur bekannt zu sein, dass er 11 Jahre in Kairo ein Photoatelier hatte, das Vor- und Nachher hat die Zeit verwischt, jedoch seine Bilder sind auf uns überkommen. Hier nun das erste (und schönste):



Die Schöne von Luxor sitzt vor einer Wand aus Lehmziegeln, das Bild war ob der unsorgfältigen Herstellung des Positivs mit unzähligen weißen Punkten überzogen. Das Bild hat in der Ausgangsversion 3768 x 5096 Pixel, es wird – in dieser Größe ausnahmsweise – so von der Getty-Institution gezeigt. Diese Frau erheischt Aufmerksamkeit und kann das auch verlangen.

Mittwoch, 13. November 2013

Des Hofphotographen Burger Bilder aus Japan

Dottores Mutter hatte einen Großonkel, der aus einer zutiefst bürgerlichen Familie stammte. Demgemäß schwängerte er als Siebzehnjähriger das Hausmädchen, entfloh nach Paris. Später dann war er für ein großes deutsches Unternehmen in China und Japan tätig, er hieß in der Familie nur der China-Onkel. Zahlreiche Souvenirs aus Ostasien erinnern an ihn, der weißhaarig und gebrechlich dem Luftmarschall Harris zum Opfer fiel. Dottores Großmutter brachte er einen Kimono mit, der zweimaliges „Ausbomben“ in Köln nur schwer überstand, diese zwei Tauben blieben erhalten.


Das für Dottore schönste Mitbringsel stand in Rheydt im Garten anderer Verwandter, es war eine Miniaturlandschaft, deren Mittelpunkt das Modell eines japanischen Hauses aus Bronze war, Dottore musste damals richtiggehend fortgerissen werden, nicht sattsehen konnte er sich daran – für ihn: ein frühes „Haus über dem Wasserfall“. Die Erinnerung daran stieg wieder auf, als Dottore – durch die Bilder Burgers in Lykien angeregt – sich mit dem Hofphotographen Burger beschäftigte. In dem Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek sind dessen Bilder zu finden, hier vor allem diejenigen, die er auf seiner Japanreise machte. Neuerdings sind Zweifel an der Autorschaft Burgers an diesen Bildern aufgekommen, das ist Dottore aber gleichgültig. Diese Bilder unterscheiden sich grundlegend von den süßlichen oder respektlosen Bildern anderer Fotografen, die wie Beato und andere zu dieser Zeit Japan besuchten. Wenn Burger diese Bilder usurpierte, dann bewies er Geschmack und Einfühlungsvermögen. Zuerst die Bilder von Bauwerken oder Landschaften:







Aber auch die Menschen sind auf den Bildern so wiedergegeben, das man Burger für einen Vorläufer von Sander halten möchte.








Wenn nur die Nationalbibliothek sie größer zugänglich machte!

Die Doppelte Sophia

Alles, was mit Schliemann zu tun hat, ist großartig, aber zugleich auch ein wenig peinlich bis klebrig. Monomanisch ließ er in der Erde wühlen, un(unter)(ge)brochen im Wahn, Literatur als Historie bestätigt zu sehen, dabei hat Homer das gar nicht nötig. Seine Vermögenserwerbe in Russland stempeln ihn zum Kriegsgewinnler, seine Unterredung mit dem US-Präsidenten ist letztlich unbedeutend, wenn sie denn stattgefunden hat. Sowohl in St. Petersburg, wie später in Athen kaufte er sich jeweils eine Ehefrau, wahrscheinlich hätte er unter heutigen Verhältnissen nur durch seinen Reichtum die Chance, Frauen anzubaggern, so vergnatzt, wie der aussieht. Lieber Heinrich, glücklich ist anders.


Mit Sophia, seiner griechischen Gemahlin, war er – nunmehr erlaubt – 1876 in Mykene tätig. Während Schliemann wenigstens ein kurzes Studium der Altertumswissenschaften in Paris vorweisen konnte, war Sophia nur des Homers kundig, also grub sie auch. Hier ist sie am Rande der Runde der Schachtgräber zu sehen, ein Bild das schon in dem Post von Pantalone „Fotografie, Druck und Zeichnung“ gezeigt wurde, auch diesmal bearbeitete er die Bilder. Dieses Bild ist in früher Netzzeit aus dem Beazley-Archiv heruntergeladen worden, nunmehr wird dort alles mit Wasserzeichen versehen, das ist zu kurtz gedacht.


Um eine schöne, weil absurde, jedoch in der Sache nicht gänzlich abwegige These zu lancieren, sei verraten, Coco Chanel kannte dieses und das vorhergehende Bild. Der Entwurf der Jacke des berühmten Kostüms stammt von dem griechischen Schneider Dimitrios Papagianis, der damals weitläufiger Nachbar der Schliemanns in der Ermou-Straße war, nahe des Syntagma-Platzes. Er hat seine heimatliche ostthessalische Landestracht variiert. Coco verfeinerte es durch eine schmalere Bordüren, auch dies wäre Schöpfung genug. Beide Bilder sind entstanden, als in Vorbereitung kaiserlichen Besuchs der Photograph da war. Daher hat sie auch die neue Jacke an. Stolz zeigt sich Sophia am Tor des Schatzhauses, die Arbeiter (wer baute das siebentorige Theben?) stehen mit gehörigem Abstand im damals und bis in die 1960 Jahre noch oben offenen Schatzhaus der Klytemnästra.


Schliemann Leistung war die Hinwendung der Altertumswissenschaften zur Wirklichkeit außerhalb der Gelehrtenstuben. Daher schmückte sich die deutsche Archäologie mit ihm. Aber er zeigte auch, dass polyglotte Fähigkeiten nicht Weitläufigkeit bewirken müssen. Geradezu kümmerlich vermeint man ihn auf dem Panorama fast in der Mitte erkennen zu können. Dieses Bild ist neu, es ist aus den Teilen zweier Bilder zusammengesetzt, die – wo sonst auch – bei der HEIDI zu finden sind. Diese beiden Bilder sind wiederum jeweils aus zwei Bildern schon vor einem Jahrhundert zusammengefügt, es gibt ein linkes Drittel, ein rechtes Drittel und zwei unterschiedliche mittlere Drittel. Während bei den Aufnahmen sich keiner der anderen Menschen – schon wegen der längeren Belichtungszeit, aber auch wegen der kunstvollen Komposition der Darstellung – bewegen durfte, rauschte die Madame zwischen zwei Aufnahmen von der Mitte an die Seite vorn. Pantalone ist bekanntlich mein Antipode, seit dreihundert Jahre polemisiere ich vergebens über ihn und sein Handeln, von seinem Denken – schweigt man besser. Aber so eine gewisse Bosartigkeit schätze ich an ihm, so eben auch deren zwangsläufige Folge, dies Bild. Er hat die jugendliche Matrone zweimal auf dem Panorama, gleichsam als Belohnung für die Heirat mit dem Trockebrötche, wie man Heinrich in Südhessen bezeichnen würde. Sophia hatte die Fähigkeit zur Bilokalität.


„Und, Pantalone, was meinst Du?“

„Bosartige aller Länder vereinigt Euch!“   


Nachtrag:

Pantalone zwingt Dottore zu einer Korrektur, der er sich nicht widersetzen kann. Zudem hat er recht, man muss schon genauer hinsehen.

In dem Triptychon ist zum einen Madame Schliemann aus dem linken Bild gezeigt, es ist wohl die einzige reale Abbildung von ihr auf dem gesamten Panorama.

In der Mitte ist die Stelle zu sehen, die in dem Ausgangsbild gezeigt wird, aus dem der vorgehende Ausschnitt stammt. Dass man Menschen zwingt, einige Zeit still zu stehen wie die Ölgötzen, ist nachvollziehbar, aber Pferde tun dies nicht, es sei denn, sie sind für Hollywood-Western trainiert. Zu achten ist auch auf den Schatten, den der beim Schliemann´schen Umgraben verschonte Stein wirft.

Das rechte Bild versteht sich nun von selbst: Das Pferd hat seine Hinterbeine nicht bewegt, Madame Schliemann wirft keinen Schatten, nur wenn sie Schlemihl hieße, wäre es verständlich.

Ergo:

Die Annahme, die Gesamtbelegschaft habe sich zwischen den Aufnahmen nicht bewegen dürfen, ist falsch. Madame Schliemann stand während aller drei Bilder am gleichen Ort, ihre Bilokalität ist durch die Höflichkeit und Fähigkeit des Photographen bedingt; höflich, weil es das „schwere Fahrgestell“ der Madame diskret hinter dem Stein verbergen wollte, fähig, weil er die Folgen des Sonnenscheins, auch im Spätjahr, nicht bedachte.

Trotz der scheints naturgegebenen Abneigung zwischen Pantalone und Dottore sind sich beide einig, dass es zwischen ihnen zu genaueren Absprachen und gegenseitiger Information kommen muss. Wären sie „politisch korrekt“, so gäben sie vor, betroffen zu sein, aber es geht ihnen lauwarm am Arsch vorbei, insoweit also auch einig.   

Freitag, 8. November 2013

Wieder einmal in Hellas

„Warum beginnst Du nach der langen Pause mit dem letzten zuerst, es gibt doch so viele andere von mir vorbereitete Bilderthemen?“
„Sagen wir mal, es ist ein Rückfall in das Buch der Bücher; was von drei Evangelisten zitiert wird, hat eine gewisse Plausibilität. Außerdem reizt es mich mehr.“
„Das Wesen der Kommunikation ist der Versuch, Subjektivität zu überschreiten, Du suhlst Dich in ihr.“
„Was für die Sau der Schlamm, ist für mich die Provokation; sieh´ es mir nach!“
„Also ran an die Wallfahrt zu einem der drei Hügeln des Abendlandes, werter Dottore!“
  


In der Nacht von 30. September zum 1. Oktober hatte es angeblich erstmals seit fünf Monaten geregnet. Auf dem Weg von Akrokorinth nach Penteskoupi saß eine Schildkröte saufend in einer Pfütze und war durch nichts zu stören. Der Gipfel des Burgberges von Korinth war bis fast zum Mittag in Wolken gehüllt. Übrigens hält Dottore die Behauptung, die kleine Festung sei von den Osmanen als Gegenburg errichtet worden, nach intensiver Autopsie nicht mehr aufrecht. Zu klein und zu byzantinisch ist die Anlage.


Dieser Brunnen, auf halber Höhe zwischen dem ausgegrabenen Teil der römischen Stadt und dem Burgberg, besteht aus Steinen aller Epochen der Geschichte des Landes, teilweise sind sie „Doppel“spolien.  Das breite Schuppenornament des breiten Steines und der Zahnschnitt des rechten Steines unter dem Bogen sind antik. Die Innenseite beider Steine sind mit christlichen Symbolen verziert, also der byzantinischen Epoche zuzurechnen. Der Bogen und der Inschriftenstein sind osmanisch. Jüngst hat ein Sprayer geglaubt, den Brunnen mit seiner Botschaft versehen zu müssen, das wiederum ist grau überstrichen. Der Absetzstein unter den Wasserhähnen ist vom anhaftenden Staub der Gefäße abgeschliffen, fast eine Sekunde der Ewigkeit ist also vergangen. Entgegen der sonstigen Übung, alles umzubenennen, was auch nur entfernt an die Turkokratie erinnern könnte, hat dieser Brunnen seinen Namen behalten, er lässt das Gedenken an Hadschi Mustafa zu.


Runde Türme haben eine große Widerstandskraft gegen Erdbeben, bei den Vertikalstößen kann keine längere gerade Seite in Eigenschwingungen geraten. Daher steht der Turm von Vathychori seit ungefähr 2500 Jahren bis zu seinen Zinnen und dem Wasserspeier. Die Zeiten mit kriegerischem Denken haben auch bei den Archäologen ihre Spuren hinterlassen, fast immer wurde jeder Turm einem militärischen Zweck zugeordnet. Von diesem aus sieht man außer der nahen Umgebung nichts. Dann soll er wenigstens den Schutz der Straße von Megaris garantiert haben, meint nach wie vor die Ephorie. Ach, ihr wisst doch selbst, dass es auch Bauern gegeben haben muss, es war viel irenischer damals als ihr ahnt, denn über fünf Jahre Frieden wird weniger berichtet als über zwei Monate Krieg. (Ob der einschalige Turm durch das Zuschmieren der Fugen an Stabilität gewonnen hat, ist ebenso zu bezweifeln, aber den Anastelosisten kommender Zeiten muss man auch etwas zu tun geben.)


Keine der attischen Festungen kann sich hinsichtlich des Erhaltungszustandes (und der Präzision des Mauerwerks) mit Eleutherai in der Nähe des Passes nach Theben messen. Panakton hat die besten Aussichten, nach Euböa, Salamis und der Peloponnes. Die Festung oberhalb Phyle thront über Schluchten mit steilen Wänden. In zwei archäologischen Führern (je einer in Englisch <p. 128> und in Deutsch <S. 220>) werden die „Fleischtavernen“ im Ort unten einhellig gelobt; das Anfertigen solcher Bücher ist also eine ehrenvolle, jedoch brotlose, allerdings nicht fleischlose Tätigkeit. Die heutige Schiefe des Türsturzes hätte den Erbauern der Festung sehr missfallen, sie würden sich aber wundern, dass ihre Ummantelung des Felsens zur Festung fast 2300 Jahre überdauert hat, der runde Turm im Norden war wohl mehr eine Bastion denn ein solcher.


Die Grenzen der Erkennbarkeit überschreitet oder überwindet die nächste Aufnahme aus Phyle, nun ist die Linse zur Akropolis gerichtet, die in ungefähr 20 km Entfernung den Zeiten trotzt. Die Fähigkeiten der Bridgekamera endeten hier. Der Abbau des Kalksteins des Aigaleos wird diskret auf der stadtfernen Seite betrieben, die Wunden der Landschaft sind aber unübersehbar. Der leichte graue Streifen, schwach unter den Bäumen auf der linken Seite des Mittelgrundes erahnbar, möchte Dottore der Dema Mauer zuordnen, die zwischen Aigaleios und Parnes, 4360 m lang, kurz nach 404 v. Chr. errichtet worden sein muss. Sie heutzutage aufzusuchen, führt in ein Areal von unüberschreitbaren Fernstraßen und Müllabladeplätzen, in die dort nun offenkundig daliegende Missgestalt attischer Stadtplanung.


Ohne Hilfe der Sonne die Zeit zu messen, war Jahrtausende lang der Wunsch der Menschen. Die Griechen versuchten es mit auslaufendem Wasser, nannten das Gerät Klepsydra, Wasserdiebin. Neben tassengroßen Tongefäßen gab es auch Großanlagen, eine hat sich im wasserreichen Amphiaraion bei Oropos erhalten. Sie besteht aus einem hohen rechteckigen Hohlkörper, auf dessen Wasseroberfläche ein Zeiger schwamm, gestützt durch einen Schwimmer. Unten war der sorgsam dimensionierte Auslauf, ein Bronzestück im Steinmantel. In dem Bronzezylinder war eine kleine Bohrung, die so viel des Wassers durchließ, dass am 21. März und am 21. September der Körper innerhalb von 12 Stunden leer lief. Dann war der Tag um, für die Griechen. Die Schwierigkeiten an den anderen Tagen des Jahres hatten sie sich selbst eingebrockt, denn jeder Tag hatte 12 Stunden zu haben, egal wie viel Zeit zwischen Sonnenaufgang und -untergang verging. Ils sont fous, ces Grecs.


„Aus einem Stein“ sind der Arm und der Körper des Kouros vom Kerameikos. Der Arm könnte in seiner vollen Plastizität von einer klassischen Statue stammen, der Körper verharrt mit seinen angedeuteten Abgrenzungslinien von Brust und Leiste in der Archaik. Jedoch zusammen sind sie eine Freude an Linien und Formen.

Solche Gefühle kamen seinerzeit nicht auf, als der Fund zur Chefsache gemacht wurde. Wirkliche Größe zeigt man durch Zurückhaltung, die kann man sich aber nur leisten, wenn man sich gegen Barbaroi behaupten kann.


Die feinsten frühionischen Architekturreste findet man auf Naxos. Ach, hätte das Dussel Dottore die Einladung von Gottfried Gruben, ihn dort einmal aufzusuchen, doch angenommen! So kann er bei jedem Besuch auf der Insel heute nur noch trauern über das, was ihm unwiderruflich entgangen ist. Die tastende Zierlichkeit der inselionischen Architektur hält auch der relativ späte Tempel der Demeter unterhalb von Sangri fest, diesmal freut sich Dottore über die Wiederaufrichtung der ansonsten „wandernden Säulen auf Naxos“. 


Eine Botschaft der Kykladenarchitektur auf dem Festland ist das Schatzhaus der Siphnier in Delphi. Zu dessen Bauzeit prosperierte das Eiland durch die Silberfunde auf ihm. Später konnte die Insel nur noch durch Landwirtschaft das Überleben ihrer Bewohner ermöglichen. Aber verschenkt wurden deren Erzeugnisse nicht, über Jahrhunderte bauten die Siphnier an den Ackerterrassen, die heute nur noch optisch wirken, wie auf dem Bild. Der Bestand dieser Bauwerke ist im gesamten Mittelmeer gefährdet, die ökologischen Folgen ihres gänzlichen Verschwindens wären katastrophal. Statt das Halten einer Ziege auf dem kahlen Felseiland Fuerteventura mit jährlich € 200,00 zu subventionieren, sollte die EU den Erhalt dieser Errungenschaften fördern, ob aus dem Kulturfond oder für die dann tätigen Landschaftspfleger, die dann auch Olivenöl erwirtschafteten, ist gleichgültig.


Wenn man die Säulen der Griechen mit Distanz betrachtet, also die Kapitelle der dorischen und ionischen Ordnung nicht als „Gelenke“ zwischen Säulenebene und Dachebene sieht, dann gewinnt die korinthische Ordnung, die dann nur zu einem Stil schmilzt, an Ansehen. Das Kapitell ist in der Proportion zur Säule von ansehnlicher Größe, die immer neue Ausformung der einzelnen Teile des Korbes mit den durchwachsenden Akanthusblättern abwechslungsreich. Dass die Römer ihre Bauwerke im dann korinthischen Stil mit der Schmuckbändern aus der ionischen Ordnung überladen haben, nun das liegt an deren Einfallslosigkeit, nach der ruhmreichen Erfindung des Raumes waren sie erschöpft. Der Kenner hat´s gesehen: Dies Kapitell ist Teil des Torso, das dem Olympischen Zeus geweiht war.


Ein erklärungsbedüftiges Foto. Der Zaun (der Stätte am Kap Suonion) umschließt nicht eine am Meer gelegene Grube. Links oberhalb der Erdwunde zieht sich die „Stadt“mauer hin, die Außenschalen aus Kalkstein errichtet, das Emplekton aus anstehendem Gestein. Weiter oben ist die gesamte Mauer aus diesem Material, es hat fast Tarnfunktion. Zurück zur Grube: Hier war das berühmte Schiffshaus, es konnte zwei Schiffe aufnehmen, die Felsaussparungen dafür sind zwar teilweise mit Mauersteinen verschüttet, aber noch sichtbar. Nicht zu sehen sind die spärlichen Mauerreste an den seitlichen Rändern der Grube, wie denn überhaupt mit diesem Denkmal der attischen Thalassokratie stiefmütterlich umgegangen wird. – Die Ansiedlung in der Senke unterhalb des Tempels sieht Dottore als „Kaserne“ für die mindestens 156 Ruderer der beiden Schiffe.


Salz und Kalkstein mögen sich nicht. So nagt denn die von der Gischt der Ägäis geschwängerte Luft seit zwei Jahrtausenden am Marmor des Poseidontempels. Die dorische Ordnung in der Zeit der Klassik versuchte, mit möglichst sparsamer Verwendung von Ornamenten auszukommen, dafür sei ihr gedankt. Den Rest erledigte die erwähnte Luft am Kap, für einige Jahrzehnte wird man die Spuren beider Ornamentbänder noch erahnen können, dann sind auch sie vergangen.


Die Griechen mochten den Rundbogen nicht, und sei er noch so praktisch. Jedoch nicht nur in mykenischen Zeiten, auch später haben sie ihrer diesbezüglichen Unlust gefrönt, die auch zugleich Unvernunft war. Es gab also nicht nur im 20. Jahrhundert „doitsches“ Wesen, auch die Griechen hatten ihre Schwächen. So wurde dann fröhlich so gebaut, wie das schon die Altvorderen getan hatten, an den Theater von Messene und hier in Thorikos kann man die Folgen des Eigensinns betrachten. Von wann stammen dann die Brücken bei Kasarma?


Was seit Jahrzehnten eine riesige Baustelle ist, sind die angesammelten Steine, die zu irgendeinem Zeitpunkt Teil des Parthenontempels waren oder die Chance dazu verpassten. Diesen letzteren Steinen aus dem Penteli – frisch gebrochen – werden nun seit längerem die Chancen eingeräumt, doch noch klassisch zu werden. Dass der Betonsturz über dem Tor zum Hinterhaus ausgeräumt werden muss, zumal die Moniereisen durchrosten, ist fraglos richtig, aber dann macht das auch. Statt dessen werden immer andere Säulen demontiert und wieder zusammengepuzzelt. Gespräch des Urenkels von Dottore mit seinem Enkel: „Also der Parthenontempel war einmal eine Ruine, mein Urgrossvater ist dort 1958 noch durchmarschiert, das jedenfalls hat er meinem Großvater erzählt, du kennst seine Bilder!“ „Das kann ich nicht glauben, der sieht doch wie neu aus. Die Bilder sind anderswo gemacht.“


Dottore kann die Zweifel seiner Nachkommen verstehen, schon heute ist vieles nicht mehr nachvollziehbar. Der „gesunde Menschenverstand“ kann poujadistisch verseucht sein, meinte schon Roland Barthes. Genauso ist es mit dem Denken über Anastelosis geschehen. Als nach einer internationalen Konferenz den Griechen die Rechtfertigung für den sorgsamen Schutz der Akropolis gegeben ward, haben sie das Wort „Anastelosis“ behalten, seinen Begriffsinhalt aber so ausgeweitet wie ein Pizzabäcker seinen Teich. Der feinste Eisenpartikel enthaltende Marmor des Pentelikon färben nach längerer Dauer den Stein. So kann man unschwer erkennen, dass die Griechen die Akropolis, hier die Propyläen, in ein Disneyland mit attischem Dekor verwandeln, ununterbrochen und unverfroren. Enteignet die Griechen!; aber die Banken des Nordens werden antworten, das haben wir doch schon getan.


Die Heiligkeit der Stätte verhindert immer mehr die alten Bräuche. Vor 50 Jahren haben die griechischen Fremdenführer ihren Hut auf die eine Ecke des Stufenunterbaus gelegt und dann die staunenden Touristen die Kante entlang peilen lassen, der Hur war nicht sichtbar. Dafür holt heute nun das Teleobjektiv die Krümmung der Stufen aus dem Gewirr der Baustelle. Die Faszination über Architekt und Handwerker hält an.


Das große Aufräumen hat auch Vorteile, es musste erst 2013 werden, bis Dottore dieses Kapitell auf der Akropolis sah. Fast könnte es von der „Basilika“ stammen, so herrlich flach ist es. Aber die Griechen der Antike können nichts für den eifrigen Wahn der Menschen, die heute in dem gleichen Land leben und gar glauben, deren Nachfahren zu sein. Auch Dottore weiß nicht, welche germanischen, keltischen, slawischen, jüdischen, romanischen Wurzeln er hat, er möchte jedenfalls beweglich bleiben.

„Von mir schreibst Du nichts, wie?“
„Doch, von Dir, werter Pantalone, sind die Bilder, auch für Blog 100, den übrigen Schmäh haben sich bislang 20 000 Viewer – so sagt man wohl – angesehen. Na, das ist doch was!“