Freitag, 8. November 2013

Wieder einmal in Hellas

„Warum beginnst Du nach der langen Pause mit dem letzten zuerst, es gibt doch so viele andere von mir vorbereitete Bilderthemen?“
„Sagen wir mal, es ist ein Rückfall in das Buch der Bücher; was von drei Evangelisten zitiert wird, hat eine gewisse Plausibilität. Außerdem reizt es mich mehr.“
„Das Wesen der Kommunikation ist der Versuch, Subjektivität zu überschreiten, Du suhlst Dich in ihr.“
„Was für die Sau der Schlamm, ist für mich die Provokation; sieh´ es mir nach!“
„Also ran an die Wallfahrt zu einem der drei Hügeln des Abendlandes, werter Dottore!“
  


In der Nacht von 30. September zum 1. Oktober hatte es angeblich erstmals seit fünf Monaten geregnet. Auf dem Weg von Akrokorinth nach Penteskoupi saß eine Schildkröte saufend in einer Pfütze und war durch nichts zu stören. Der Gipfel des Burgberges von Korinth war bis fast zum Mittag in Wolken gehüllt. Übrigens hält Dottore die Behauptung, die kleine Festung sei von den Osmanen als Gegenburg errichtet worden, nach intensiver Autopsie nicht mehr aufrecht. Zu klein und zu byzantinisch ist die Anlage.


Dieser Brunnen, auf halber Höhe zwischen dem ausgegrabenen Teil der römischen Stadt und dem Burgberg, besteht aus Steinen aller Epochen der Geschichte des Landes, teilweise sind sie „Doppel“spolien.  Das breite Schuppenornament des breiten Steines und der Zahnschnitt des rechten Steines unter dem Bogen sind antik. Die Innenseite beider Steine sind mit christlichen Symbolen verziert, also der byzantinischen Epoche zuzurechnen. Der Bogen und der Inschriftenstein sind osmanisch. Jüngst hat ein Sprayer geglaubt, den Brunnen mit seiner Botschaft versehen zu müssen, das wiederum ist grau überstrichen. Der Absetzstein unter den Wasserhähnen ist vom anhaftenden Staub der Gefäße abgeschliffen, fast eine Sekunde der Ewigkeit ist also vergangen. Entgegen der sonstigen Übung, alles umzubenennen, was auch nur entfernt an die Turkokratie erinnern könnte, hat dieser Brunnen seinen Namen behalten, er lässt das Gedenken an Hadschi Mustafa zu.


Runde Türme haben eine große Widerstandskraft gegen Erdbeben, bei den Vertikalstößen kann keine längere gerade Seite in Eigenschwingungen geraten. Daher steht der Turm von Vathychori seit ungefähr 2500 Jahren bis zu seinen Zinnen und dem Wasserspeier. Die Zeiten mit kriegerischem Denken haben auch bei den Archäologen ihre Spuren hinterlassen, fast immer wurde jeder Turm einem militärischen Zweck zugeordnet. Von diesem aus sieht man außer der nahen Umgebung nichts. Dann soll er wenigstens den Schutz der Straße von Megaris garantiert haben, meint nach wie vor die Ephorie. Ach, ihr wisst doch selbst, dass es auch Bauern gegeben haben muss, es war viel irenischer damals als ihr ahnt, denn über fünf Jahre Frieden wird weniger berichtet als über zwei Monate Krieg. (Ob der einschalige Turm durch das Zuschmieren der Fugen an Stabilität gewonnen hat, ist ebenso zu bezweifeln, aber den Anastelosisten kommender Zeiten muss man auch etwas zu tun geben.)


Keine der attischen Festungen kann sich hinsichtlich des Erhaltungszustandes (und der Präzision des Mauerwerks) mit Eleutherai in der Nähe des Passes nach Theben messen. Panakton hat die besten Aussichten, nach Euböa, Salamis und der Peloponnes. Die Festung oberhalb Phyle thront über Schluchten mit steilen Wänden. In zwei archäologischen Führern (je einer in Englisch <p. 128> und in Deutsch <S. 220>) werden die „Fleischtavernen“ im Ort unten einhellig gelobt; das Anfertigen solcher Bücher ist also eine ehrenvolle, jedoch brotlose, allerdings nicht fleischlose Tätigkeit. Die heutige Schiefe des Türsturzes hätte den Erbauern der Festung sehr missfallen, sie würden sich aber wundern, dass ihre Ummantelung des Felsens zur Festung fast 2300 Jahre überdauert hat, der runde Turm im Norden war wohl mehr eine Bastion denn ein solcher.


Die Grenzen der Erkennbarkeit überschreitet oder überwindet die nächste Aufnahme aus Phyle, nun ist die Linse zur Akropolis gerichtet, die in ungefähr 20 km Entfernung den Zeiten trotzt. Die Fähigkeiten der Bridgekamera endeten hier. Der Abbau des Kalksteins des Aigaleos wird diskret auf der stadtfernen Seite betrieben, die Wunden der Landschaft sind aber unübersehbar. Der leichte graue Streifen, schwach unter den Bäumen auf der linken Seite des Mittelgrundes erahnbar, möchte Dottore der Dema Mauer zuordnen, die zwischen Aigaleios und Parnes, 4360 m lang, kurz nach 404 v. Chr. errichtet worden sein muss. Sie heutzutage aufzusuchen, führt in ein Areal von unüberschreitbaren Fernstraßen und Müllabladeplätzen, in die dort nun offenkundig daliegende Missgestalt attischer Stadtplanung.


Ohne Hilfe der Sonne die Zeit zu messen, war Jahrtausende lang der Wunsch der Menschen. Die Griechen versuchten es mit auslaufendem Wasser, nannten das Gerät Klepsydra, Wasserdiebin. Neben tassengroßen Tongefäßen gab es auch Großanlagen, eine hat sich im wasserreichen Amphiaraion bei Oropos erhalten. Sie besteht aus einem hohen rechteckigen Hohlkörper, auf dessen Wasseroberfläche ein Zeiger schwamm, gestützt durch einen Schwimmer. Unten war der sorgsam dimensionierte Auslauf, ein Bronzestück im Steinmantel. In dem Bronzezylinder war eine kleine Bohrung, die so viel des Wassers durchließ, dass am 21. März und am 21. September der Körper innerhalb von 12 Stunden leer lief. Dann war der Tag um, für die Griechen. Die Schwierigkeiten an den anderen Tagen des Jahres hatten sie sich selbst eingebrockt, denn jeder Tag hatte 12 Stunden zu haben, egal wie viel Zeit zwischen Sonnenaufgang und -untergang verging. Ils sont fous, ces Grecs.


„Aus einem Stein“ sind der Arm und der Körper des Kouros vom Kerameikos. Der Arm könnte in seiner vollen Plastizität von einer klassischen Statue stammen, der Körper verharrt mit seinen angedeuteten Abgrenzungslinien von Brust und Leiste in der Archaik. Jedoch zusammen sind sie eine Freude an Linien und Formen.

Solche Gefühle kamen seinerzeit nicht auf, als der Fund zur Chefsache gemacht wurde. Wirkliche Größe zeigt man durch Zurückhaltung, die kann man sich aber nur leisten, wenn man sich gegen Barbaroi behaupten kann.


Die feinsten frühionischen Architekturreste findet man auf Naxos. Ach, hätte das Dussel Dottore die Einladung von Gottfried Gruben, ihn dort einmal aufzusuchen, doch angenommen! So kann er bei jedem Besuch auf der Insel heute nur noch trauern über das, was ihm unwiderruflich entgangen ist. Die tastende Zierlichkeit der inselionischen Architektur hält auch der relativ späte Tempel der Demeter unterhalb von Sangri fest, diesmal freut sich Dottore über die Wiederaufrichtung der ansonsten „wandernden Säulen auf Naxos“. 


Eine Botschaft der Kykladenarchitektur auf dem Festland ist das Schatzhaus der Siphnier in Delphi. Zu dessen Bauzeit prosperierte das Eiland durch die Silberfunde auf ihm. Später konnte die Insel nur noch durch Landwirtschaft das Überleben ihrer Bewohner ermöglichen. Aber verschenkt wurden deren Erzeugnisse nicht, über Jahrhunderte bauten die Siphnier an den Ackerterrassen, die heute nur noch optisch wirken, wie auf dem Bild. Der Bestand dieser Bauwerke ist im gesamten Mittelmeer gefährdet, die ökologischen Folgen ihres gänzlichen Verschwindens wären katastrophal. Statt das Halten einer Ziege auf dem kahlen Felseiland Fuerteventura mit jährlich € 200,00 zu subventionieren, sollte die EU den Erhalt dieser Errungenschaften fördern, ob aus dem Kulturfond oder für die dann tätigen Landschaftspfleger, die dann auch Olivenöl erwirtschafteten, ist gleichgültig.


Wenn man die Säulen der Griechen mit Distanz betrachtet, also die Kapitelle der dorischen und ionischen Ordnung nicht als „Gelenke“ zwischen Säulenebene und Dachebene sieht, dann gewinnt die korinthische Ordnung, die dann nur zu einem Stil schmilzt, an Ansehen. Das Kapitell ist in der Proportion zur Säule von ansehnlicher Größe, die immer neue Ausformung der einzelnen Teile des Korbes mit den durchwachsenden Akanthusblättern abwechslungsreich. Dass die Römer ihre Bauwerke im dann korinthischen Stil mit der Schmuckbändern aus der ionischen Ordnung überladen haben, nun das liegt an deren Einfallslosigkeit, nach der ruhmreichen Erfindung des Raumes waren sie erschöpft. Der Kenner hat´s gesehen: Dies Kapitell ist Teil des Torso, das dem Olympischen Zeus geweiht war.


Ein erklärungsbedüftiges Foto. Der Zaun (der Stätte am Kap Suonion) umschließt nicht eine am Meer gelegene Grube. Links oberhalb der Erdwunde zieht sich die „Stadt“mauer hin, die Außenschalen aus Kalkstein errichtet, das Emplekton aus anstehendem Gestein. Weiter oben ist die gesamte Mauer aus diesem Material, es hat fast Tarnfunktion. Zurück zur Grube: Hier war das berühmte Schiffshaus, es konnte zwei Schiffe aufnehmen, die Felsaussparungen dafür sind zwar teilweise mit Mauersteinen verschüttet, aber noch sichtbar. Nicht zu sehen sind die spärlichen Mauerreste an den seitlichen Rändern der Grube, wie denn überhaupt mit diesem Denkmal der attischen Thalassokratie stiefmütterlich umgegangen wird. – Die Ansiedlung in der Senke unterhalb des Tempels sieht Dottore als „Kaserne“ für die mindestens 156 Ruderer der beiden Schiffe.


Salz und Kalkstein mögen sich nicht. So nagt denn die von der Gischt der Ägäis geschwängerte Luft seit zwei Jahrtausenden am Marmor des Poseidontempels. Die dorische Ordnung in der Zeit der Klassik versuchte, mit möglichst sparsamer Verwendung von Ornamenten auszukommen, dafür sei ihr gedankt. Den Rest erledigte die erwähnte Luft am Kap, für einige Jahrzehnte wird man die Spuren beider Ornamentbänder noch erahnen können, dann sind auch sie vergangen.


Die Griechen mochten den Rundbogen nicht, und sei er noch so praktisch. Jedoch nicht nur in mykenischen Zeiten, auch später haben sie ihrer diesbezüglichen Unlust gefrönt, die auch zugleich Unvernunft war. Es gab also nicht nur im 20. Jahrhundert „doitsches“ Wesen, auch die Griechen hatten ihre Schwächen. So wurde dann fröhlich so gebaut, wie das schon die Altvorderen getan hatten, an den Theater von Messene und hier in Thorikos kann man die Folgen des Eigensinns betrachten. Von wann stammen dann die Brücken bei Kasarma?


Was seit Jahrzehnten eine riesige Baustelle ist, sind die angesammelten Steine, die zu irgendeinem Zeitpunkt Teil des Parthenontempels waren oder die Chance dazu verpassten. Diesen letzteren Steinen aus dem Penteli – frisch gebrochen – werden nun seit längerem die Chancen eingeräumt, doch noch klassisch zu werden. Dass der Betonsturz über dem Tor zum Hinterhaus ausgeräumt werden muss, zumal die Moniereisen durchrosten, ist fraglos richtig, aber dann macht das auch. Statt dessen werden immer andere Säulen demontiert und wieder zusammengepuzzelt. Gespräch des Urenkels von Dottore mit seinem Enkel: „Also der Parthenontempel war einmal eine Ruine, mein Urgrossvater ist dort 1958 noch durchmarschiert, das jedenfalls hat er meinem Großvater erzählt, du kennst seine Bilder!“ „Das kann ich nicht glauben, der sieht doch wie neu aus. Die Bilder sind anderswo gemacht.“


Dottore kann die Zweifel seiner Nachkommen verstehen, schon heute ist vieles nicht mehr nachvollziehbar. Der „gesunde Menschenverstand“ kann poujadistisch verseucht sein, meinte schon Roland Barthes. Genauso ist es mit dem Denken über Anastelosis geschehen. Als nach einer internationalen Konferenz den Griechen die Rechtfertigung für den sorgsamen Schutz der Akropolis gegeben ward, haben sie das Wort „Anastelosis“ behalten, seinen Begriffsinhalt aber so ausgeweitet wie ein Pizzabäcker seinen Teich. Der feinste Eisenpartikel enthaltende Marmor des Pentelikon färben nach längerer Dauer den Stein. So kann man unschwer erkennen, dass die Griechen die Akropolis, hier die Propyläen, in ein Disneyland mit attischem Dekor verwandeln, ununterbrochen und unverfroren. Enteignet die Griechen!; aber die Banken des Nordens werden antworten, das haben wir doch schon getan.


Die Heiligkeit der Stätte verhindert immer mehr die alten Bräuche. Vor 50 Jahren haben die griechischen Fremdenführer ihren Hut auf die eine Ecke des Stufenunterbaus gelegt und dann die staunenden Touristen die Kante entlang peilen lassen, der Hur war nicht sichtbar. Dafür holt heute nun das Teleobjektiv die Krümmung der Stufen aus dem Gewirr der Baustelle. Die Faszination über Architekt und Handwerker hält an.


Das große Aufräumen hat auch Vorteile, es musste erst 2013 werden, bis Dottore dieses Kapitell auf der Akropolis sah. Fast könnte es von der „Basilika“ stammen, so herrlich flach ist es. Aber die Griechen der Antike können nichts für den eifrigen Wahn der Menschen, die heute in dem gleichen Land leben und gar glauben, deren Nachfahren zu sein. Auch Dottore weiß nicht, welche germanischen, keltischen, slawischen, jüdischen, romanischen Wurzeln er hat, er möchte jedenfalls beweglich bleiben.

„Von mir schreibst Du nichts, wie?“
„Doch, von Dir, werter Pantalone, sind die Bilder, auch für Blog 100, den übrigen Schmäh haben sich bislang 20 000 Viewer – so sagt man wohl – angesehen. Na, das ist doch was!“

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