Mittwoch, 28. Dezember 2011

Darum war die DDR ein Unrechtsstaat!

Nach Max Weber (freies Zitat) kann man zur Erläuterung einer Ansicht entweder das Thema abhandeln oder aber ein Beispiel erzählen. Die erste Variante wäre langatmig, also wählt Dottore die zweite.

Erfurt ist seit jeher die Stadt des Gartenbaus und der Pflanzkultur gewesen, so auch in der Zeit zwischen 1949 und 1989. In ihr lebte ein Mann, der in seiner Diplomarbeit sich mit Bodenverbesserung beschäftigt hatte. Nun strebte er offenbar trotz seiner Berufstätigkeit zu höheren Ehren und wollte über das Thema seiner Arbeit auch promovieren, was ihm erlaubt wurde. Als die Arbeit über die Bodenmelioration fertig war, fiel einem wachen Geist auf, dass die Arbeit solch tiefe Erkenntnisse enthielt, die auf keinem Fall dem Klassenfeind in der Bundesrepublik in die Hände fallen dürften; also wurde die Doktorarbeit zum Staatsgeheimnis erklärt. Dies bedingte, dass man dem frisch gebackenen Doktor auferlegte, alle Exemplare der Arbeit abzuliefern. Dies tat er auch, nur, von seinem Baby trennt man sich ungern, also behielt er den 7. Durchschlag und versteckte ihn auf dem Speicher seines Hauses.

Nach den üblichen zwei Jahren kamen Mitarbeiter des Stasi, durchsuchten das Haus und fanden das unterschlagene Exemplar. Klar, das musste geahndet werden. Dass man aber den armen Doktor der Agrarwissenschaft zu 13 (in Worten: dreizehn) Jahren Gefängnis verurteilte, das eben macht die DDR zum Unrechtsstaat.

Pantalone kontert, auch in den USA könne es solche Urteile geben.

Dottore antwortet, ich will hier den Natopartner der Bundesrepublik nicht beurteilen, aber meine Haltung zu ihm kannst du daraus ersehen, dass ich nie dorthin wollte.

Aber du kannst doch nicht, die DDR zum Unrechtsstatt erklären und gleichzeitiges Unrecht in einem westlichen Land unkritisiert lassen.

Die Welt ist bei schon etwas genauerer Betrachtung äußerst widersprüchlich, aber weil wir dabei sind, will ich dir mal etwas Widersprüchliches von mir selbst erzählen: Im Wintersemester 1963 wetterte Bettermann, so ein erzkonservativer Staatsrechtslehrer an der FU, in seinen Vorlesungen gegen die Gespräche der Postbeamten aus West- und Ostberlin, die dann zum Passierscheinabkommen führten. Dabei war seine unbeirrbare Haltung damit verknüpft, dass die DDR kein Staat sei, wogegen neben anderen auch ich argumentierte. Kam ich dann an die „Staatsgrenze der DDR“ und musste an einem Schalter, der im Inneren verhängt war, meinen Personalausweis unter diesem grauen Vorhang einschieben, der dann von einer der unsichtbar bleibenden Hand ergriffen wurde, dann dachte ich angesichts der kafkaesk zu nennenden Situation: SBZ, ganz so wie die Springerzeitungen. Denn im Prinzip war die DDR kein Land, in dem eine sozialistische Revolution neues Denken entfacht(Iskra!) hatte, sondern ein Staat, der durch die Übernahme zaristischer Despotie verquickt mit bürokratischem Sozialismus geprägt war. Dies umfasst auch nicht einen parteiischen, sondern eben willkürlichen Umgang mit der kulturellen Errungenschaft, die man Recht nennt.

Pantalone mault weiter, aber dieser Post hat keine Bilder.

Samstag, 26. November 2011

Gottesgeschenk oder Sebah 7

Seit Menschengedenken ist es üblich, dass der Mantel, der den Stein in Mekka umhüllt, alljährlich erneuert wird. Im 19. Jahrhundert war das Öl unter dem Sand der arabischen Wüste noch nicht so begehrt mit der Folge, die Saudis hattens nicht drauf. Aber es war dem ägyptischen Herrscher eine Ehre, dieses Tuch alle Jahre zu stiften. Mit großem Aufwand wurde der heilige Teppich in Kairo verabschiedet, um mit den ägyptischen Pilgern nach Mekka zu reisen.
Pascal Sebah hatte sich für dieses Mal einen erhöhten Platz reserviert, von dem er aus das Spektakel aufnahm. Pantalone fotografierte das Positiv in einer Ausstellung im Hamburger Völkerkundemuseum, deshalb die grobe, teilweise sogar unscharfe Abbildung. Aber Sebah war fleißig, wenige Minuten später, als sich der „tapis sacre“ schon näherte, betätigte er nochmals den Auslöser.
Nun könnte wir uns zurücklehnen und die Pilger nach Mekka wallfahren lassen, auf dass sie alle Hadschis werden. Nun taucht aber noch ein Bild auf:
Es ist auch wieder ungenauer, trägt also den gleichen Mangel vor sich her wie das erste Bild. Zwar sind die Flächen klar gegliedert, aber letzte Feinheiten sind wie weggeblasen. Das hier erstmals präsentierte Bild stammt nach seiner Beschriftung von „Lichtenstern und Hariri“, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Ägypten auch Bilder verhökerten, die alle so schön buntisch waren, das südhessische Wort meint: schreiend farbig. Davon hat Pantalone diese Sepiakopie angefertigt, das „Original“ folgt:
Nach dem Tod von Sebah sen. wurde das Atelier in Kairo aufgegeben, die Nachfolger konnten sich schon in Konstantinopel kaum der Imitatoren und Kopisten erwehren, also lag es nahe, auch in Ägypten auf den Bilderschatz des Pascal Sebah zuzugreifen. Die Versuche, die Farbenvielfalt der Wirklichkeit einzufangen, waren noch nicht zu größeren Erfolgen gediehen, was also lag näher, als die vorhandenen Bilder zu kolorieren. Lichtenstern und Hariri sei zugestanden, dass sie äußerst geschickt, wenngleich etwas einfallslos gearbeitet haben, rotgewandete Ägypter wird es wohl seltener gegeben haben. Die Farbabstufungen im Bereich des Himmels sind allerdings gekonnt. Bei näherer Betrachtung ergibt sich, dass rundum das Original von Sebah verkleinert wurde, die Beschriftung ist nicht gänzlich getilgt, die blauen Umkreisungen zeigen die rudimentäre 2.

Falsch an dem Buntbild ist einzig die Angabe der präsentierenden Institution in den USA, die von einem Foto spricht, es war und ist nur ein Druck.

Dottore meint dazu lakonisch: „Lichtenberg und Hariri handelten eben nach dem Motto: Das Gut(t)e bergen!“

Sonntag, 20. November 2011

Blindheit

Seit 1974 werden die Bürgerrechte in der Bundesrepublik in kleinen, aber merkbaren Schritten eingeschränkt. Die Begründung ist immer die gleiche: Terrorismus und seine Bekämpfung erforderten dies. Manchmal treibt es der Gesetzgeber zu arg, dann unterbindet das Bundesverfassungsgericht die gesetzlichen Auswüchse. Nun scheint eine Mordserie dem Rechtsextremismus zuzuordnen sein, aber niemand hat das aktiv aufgeklärt, der Übermut der Täter bei der Beschaffung von Geld bei gleichem OPUS MODERANDI ermöglichte es Kommissar Zufall, eine Ahnung von dem Ausmaß der kriminellen Tätigkeit zu erlangen.

Wenn wenigstens der jeweilige Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind gewesen wäre, aber er war auf beiden Augen mit Blindheit geschlagen. Da werden uns Bürgern sukzessive Rechte abgeknapst, sie sollen die Staatsorgane hellsichtiger und –höriger machen. Aber was geschieht? Nichts.

Ergo: Gebt uns die abgeluchsten Bürgerrechte wieder, Ihr seid zu blöd, etwas damit an notwendiger Stelle anzufangen.

Dabei gibt es eine uralte connection zwischen Geheimdient und Staatsfeinden: Jeder fähige Geheimdienstmitarbeiter muss darauf aus sein, viele Personen als Terroristen oder ähnliches zu entdecken, traumhaft ist es, wenn sich gar ein Netzwerk solcher Personen auftun oder wenigstens darstellen lässt. Weiß er doch als Bürokrat, je mehr Feinde man erkundet, desto mehr Gegenmittel müssen herbeigeschafft werden. Beförderung, Untergebene und vermehrte Sachmittel sind die Folge. Welch einen personellen Aufschwung haben nicht doch die amerikanischen Geheimdienste genommen, in jedem Kaff auf der Welt sind heute sie anzutreffen, jeder Scheiss wird per Computer analysiert (contradictio per se). Da die fleißigen Mitarbeiter aus einem Behördenaufbau stammen, stellen sie sich auch den Gegner so vor, Al Qaida ist wohl letztlich nichts als eine Projektion der eigenen Struktur auf die Gegenseite.

Nun werden auch in Deutschland wieder mehr Mitarbeiter für die diversen Verfassungsschutzämter angefordert werden, die Etats müssen trotz allgemeiner Sparsamkeit aufgestockt werden. Ach, das alles hilft nichts. Ihr müsst mehr denken, findiger und geistig beweglicher sein, aber, wer geht denn schon freiwillig zum Dienst! Dort ist es übrigens wie in jeder Behörde, 80 % der Aktivitäten werden durch interne Reibungsverluste vertan.

Dottore ergänzt: Partielle Blindheit hat Konjunktur. Beim ZDF halten sie sich immer das eine Auge zu, was zur Folge hat, dass die Perspektive verloren geht. Aber das brauchen die dort auch nicht, der nächstbeste CDU-Vorsitzende sagt sowieso, wo es lang zu gehen hat.

Dienstag, 8. November 2011

Menschen und Marken

Marken sind im Tierreich wichtig, jeder Hund setzt die seinen, jede am Bein entlang schnurrende Katze markiert. Auch für das Steppentier Mensch waren sie wichtig, er musste sich in seiner Umgebung auskennen, da seine Fluchtreichweite nur ca. 220 m beträgt. Also merkte er sich „markante“ Stellen dort, wo er sammelte und jagte. Aber auch für längere Streifzüge waren geknickte Äste und Steinhaufen notwendig, zumal wenn sich die Landschaft saisonal ändern kann. Diese aus der Frühzeit stammende Errungenschaft wird seit knapp zwei Jahrhunderten ausgenutzt, um ein kritisches Verhalten beim Erwerb von Sachen auszuschalten. Das Sicherheitsgefühl beim Auftauchen bekannter Zeichen wird dazu verwertet, den möglichen Käufer zu überlisten, er kauft nun keinen von ihm geprüften Gegenstand, sondern folgt seinem Atavismus, der ihm Vertrautheit, Geborgenheit vorgaukelt.

Ist aber erst einmal bei dem hochlöblichen Publico die entsprechende Marke gesetzt, kann man das noch lange ausbeuten. Unternehmen wie AEG, Olympia oder Grundig haben vor geraumer Zeit aufgehört, zu produzieren. Gleichwohl trifft man immer wieder auf Ware, die mit dem jeweiligen Signé versehen ist. Der Unternehmensrest verhökert die Benutzung der „Marke“, achtet allenfalls noch darauf, dass die Ware nicht allzu sehr abfällt.

Dann gibt es noch die immerwährenden Klagen der Markeninhaber, die darüber jammern, dass durch „Markenpiraten“ weltweit Milliardenschäden entständen. Dabei rechnen sie falsch, denn es wird der Preis angesetzt, den ihr Produkt bei regulärem Verkauf erzielen würde, den aber der/die Erwerber/in nie zahlen würde. Aber die Staaten sind auf das Lamentieren hereingefallen, Marken werden geschützt, die grundsätzliche Täuschung des Konsumenten ist etabliert.

Ein Fall aus der Erinnerung:

Vor 4 Jahrzehnten betrieb ein Unternehmen, das seine Produkte dadurch kennzeichnet, dass auf das Plastikmaterial zwei Buchstaben und rundliche Sternchen aufgedruckt werden, in der Bundesrepublik nur zwei Verkaufsstellen, andere Händler wurden nicht beliefert. Wenn also außerhalb dieser zwei Läden Produkte mit dieser Marke angeboten wurden, so war man sicher, dass es sich um nachgemachte Gegenstände handeln musste. Dottore lernte auf einem Lehrgang den damaligen Anwalt des Unternehmens in Deutschland kennen, der ihm das vorstehende vermittelte. Dottore könne jeder Zeit Testkäufe machen, man würde dann gegen die „illegalen Händler“ wettbewerbsrechtlich vorgehen. Dottore stimmte zu, bat sich aber als Äquivalent für seine Mühe aus, den indiskriminierten Gegenstand nach Abschluss des Verfahrens zu erhalten, was zugesagt wurde. Nach einem Testkauf dauerte es über zwei Jahre, bis die Tasche eintraf mit folgendem Bericht: Es war sehr schwierig festzustellen, dass die Tasche nachgemacht war (im Sinne des Markenrechtes), da der äußere Bezug von dem Markeninhaber stammte. In Deutschland konnte man daher eine Nachahmung nicht erkennen. In Paris wurde dann festgestellt, dass die eigentlichen Produzenten irgendwo in Südostasien zwar mit genau abgemessenen Material versorgt wurden, dass es ihnen aber doch gelang, soviel abzuzwacken, dass ein kleiner Materialrest entstand, aus dem dann unter der Hand weitere Taschen angefertigt wurden. Der äußere Bezug war original, das Lederfutter war original, die Abmessungen waren original, nur die Verschlussschnalle, die musste nachgemacht werden, daran erkannte man es dann in Paris.

Wir alle aber, längst der Steinzeit entronnen, fallen immer noch auf die Marken herein, die uns zwar nicht in die Irre, aber doch von unserer mühselig erworbenen Ratio wegführen.

Pantalone meint dazu, du hast doch immer gesagt, dass die Produkte von der Firma gut wären. Ja, das stimmt, aber das ist doch nur ein Beispiel!

Freitag, 4. November 2011

Ankündigungen der Bundesnetzagentur

Die Bundesbehörde "Bundesnetzagentur" plant zweierlei:

Zum einen will sie in Zukunft sich bemühen, ihre Sprache verständlicher zu gestalten, Ungetüme wie "Konsultation eines Szenariorahmens zur Erstellung von Netzentwicklungsplänen", die jeden davon abhalten, sich mit dieser im Beamtendeutsch gehaltenen Materie zu beschäftigen, sollen abgeschafft werden. Es wird ein eigener Sprachbeauftragter nach § 5 Abs. II Satz 1. DSprachG beschäftigt.

Zum anderen will die Agentur die seinerzeitigen Bestrebungen der Deutschen Reichspost wieder aufgreifen, nun allerdings, um die Gesprächskultur an Mobilfernsprechern zu heben. In Zukunft sollen an öffentlichen Orten, die in der Vergangenheit zu sog. Handygesprächen missbraucht wurden, neuartige Schilder angebracht werden.


Eine gesetzliche Regelung einschließlich eines Ordnungswidrigkeitenkataloges scheiterte bislang am Widerspruch des Bundeswirtschaftsministers, bleibt aber vorbehalten.

Lübke-Effekte in der Literatur

Politisch war gegen das Staatsoberhaupt gar nicht so viel einzuwenden, aber seine Harmlosigkeit verbunden mit Altersdefiziten war unerträglich. Die kabarettistische Sammlung seiner Lapsus, die nicht einmal den Charme Freudscher Fehler hatten, milderte diese Peinlichkeit nicht. Nie hat Pantalone die Partei gewählt, aus der er stammte, gleichwohl war es eben auch sein Präsident, die Fehlleistungen waren ihm unmittelbar peinsam.

Noch schlimmer ist es, wenn man sich das Objekt seiner Identifikation selbst ausgewählt hat und dann erleben muss, dass es sich peinlich verhält oder verhalten hat. Das ist Pantalone bei zwei deutschsprachigen Dichtern geschehen.

Zusammen mit Achim von Arnim hatte Clemens von Brentano viele „Alte deutsche Lieder“ gesammelt, dies machte die Beiden für Pantalone sympathisch; wenn sie nur allein das „Bucklicht Männlein“ vor dem Vergessen bewahrt hätten, es wäre genug gewesen. Dann hat sich immer wieder Enzensberger Brentano gewidmet, also erwarb Pantalone ahnungslos das in der Friedenauer Presse erschienene Buch „Requiem für eine romantische Frau“, das hätte er besser unterlassen. Denn seit der Lektüre, insbesondere des Gedichtes „Wohlan! So bin ich deiner los“, hat es Brentano bei Pantalone verschissen.

Frisch verwitwet fand Clemens Gefallen an Fräulein Auguste Bußmann, die zu den Frauen gehört, die ihre psychische Situation in Zeiten der Krise durch unbändige Anschmiegsamkeit zu kompensieren trachten, also letztlich mit ihrer weiblichen Attraktivität das Defizit an seelischer Ausgeglichenheit wettmachen wollen, bösartig ausgedrückt, sie war bisweilen nymphoman. [Hier fällt auf, dass es sicherlich bei Männern genauso ist, aber die Normen für männliches Sexualverhalten sind eben weiter gefasst.] Die kurzerhand abgeschlossene Ehe war eine klassische Messaliance, die alsbald betriebene Scheidung war mühselig und langwierig.

Nun ist Clemens von Brentano Dichter, also glaubt er, es sei sinnvoll, dieses Lebensabenteuer auch lyrisch zu verarbeiten. Das Ergebnis ist nur peinlich zu nennen:

Wohlan! so bin ich deiner los
Du freches lüderliches Weib!
Fluch über deinen sündenvollen Schoß
Fluch über deine lüderlichen Brüste
Von Zucht und Wahrheit leer,
Von Schand´ und Lügen schwer,
Ein schmutzig Kissen aller eklen Lüste. ….

Pantalone kann sich nicht daran erinnern, je weibliche Brüste voll von Zucht und Wahrheit gestreichelt oder liebkost zu haben, wiegen sie lieblicher in der Hand? Brentano ist blind seiner eigenen Vergangenheit gegenüber nur zu gern Opfer von Verdrängung und Projektion. Nicht war er begierig auf Auguste, sondern sie hat ihn von seinem geordneten Weg weggelockt. So einfach macht er sich es. Statt seiner Geilheit eingedenk zu sein und zu ihr zu stehen, muss er sie mit all seinen eigenen, nun nicht mehr geliebten Eigenschaften belasten.

Später – sowohl im Gedicht, wie im Leben – wendet es sich seinem „Herrn“ zu, so dass Pantalone bei sich Brentano in die „katholische Kiste“ steckte und sich damit das Ganze erklärte. Irrtum!

Ungefähr 1905/6 büffelt Franz Kafka für das juristische Staatsexamen, ihm ist jede Ablenkung recht. Im Haus gegenüber arbeitet ein „Ladenmädchen“, das ihm Avancen macht. Ohne größere Präliminarien vereinigt sie sich mit ihm in einem Hotel, das wiederholt sich einmal. 14 Jahre später erzählt er dies Milena in einem Brief, wobei eine winzige Geste des Mädchens ausgereicht habe, in ihm „dieses Abscheuliche und Schmutzige“ vor Augen zu führen, zu dem er sich hingezogen fühlt, es aber verabscheut. Warum aber macht er es an dem armen Mädchen fest, das auch einmal um den Preis der Hingabe in die bessere Welt eintauchen wollte? Kafka verdammt in dem Verhalten des Mädchens ein klassenmäßiges Sexualverhalten, wobei seine eigene Handlung doch auch nur Sex a` la Gutsherrenart ist. Was glaubt er erwarten zu können angesichts der Unmittelbarkeit, mit der er intim wird? Mit Denken des 19. Jahrhunderts will Pantalone solch eine Distanzlosigkeit nicht erklären. Einen solchen Brief mag man nicht empfangen haben, Milena hat ihn bekanntlich auch nicht geheiratet.

So rückt denn auch Kafka etwas in die nun mit „peinlich“ bezeichnete Kiste; jedoch ist es sicherlich ein Fehler, neben dem Werk auch dessen Hersteller zu betrachten. Auch ist eine Identifikation mit Kunstproduzenten untunlich. Wenigstens wollte Kafka das alles nicht veröffentlicht wissen.

Dottore stimmt ausnahmsweise zu: „Man soll nur mit einer Frau ins Bett gehen, neben der man nächsten hellen Morgen frohgemut und auch noch voller Selbstachtung aufwachen kann.“

Mittwoch, 2. November 2011

VESTIGIA LINGUAE TERRENT

Manchmal hat man unrecht, dann muss man das auch zugeben können. Als Dottore im Februar das unterdrückte Passiv als Zeichen der Unterdrückung ansah, hat er nicht gänzlich recht gehabt. Das unterdrückte Passiv kann auch Ausdruck von Herrschaft sein, die sich allerdings nicht offen zeigen will.

Bei Dottore herrscht der Kinderglaube vor, Sprache offenbare das Bewusstsein. Jedoch, was veranlasst ihn, an den Satz zu denken? Seit geraumer Zeit wird das Vorgehen der DFG aus grundsätzlichen Erwägungen heraus kritisiert. So veröffentlichten der Germanist Reuß und der Jurist Rieble in der FAZ einen Aufsatz, der sie in den Augen eines BEATUS POSSIDENS zu Wutwissenschaftlern machte, die zu einem Rundumschlag ausgeholt hätten, so wenigstens meint dies der Indologe Michaels.

Bevor er sein Verdikt begründet, stellt er sich vor: „Aber bevor ich zu meiner Kritik an der Kritik komme, will ich mich als jemand „outen“, der von der DFG insgesamt dreizehn Projekte bewilligt bekommen hat.“ (So in der FAZ vom 2.11.2011 Seite N5).

Eigentlich erwarte ich von einem in Deutschland tätigen Professor, zumal im philologischen Bereich, dass er Deutsch in Sprache und Schrift beherrscht. Nun hätte nichts näher gelegen, den zweiten Nebensatz so zu formulieren: „dem von der DFG insgesamt dreizehn Projekte bewilligt wurden.“ Das wäre sprachlich korrekt gewesen, hätte aber offenbar nicht der Wahrheit entsprochen. Der „Bewilligte“ war nicht der im Passiv Verharrende, sondern muss als Aktiver sich bezeichnen, weil er es eben auch war.

Vor die Wahl gestellt, sich entweder schlecht oder verräterisch ausgedrückt zu haben, wird der Indologe diese Petitesse als unerheblich vom Tisch wischen wollen. Wir aber wissen es besser. Übrigens mit „Peanuts“ (kleinen Nüssen) sollte man nicht mehr argumentieren.

Pantalone meint, ein bisschen viel Kinderglauben, zuerst das mit dem Bewusstsein und Sprache und dann die Hoffnung auf die Sprachgewalt der Professoren. Ich bin kein Akademiker.

Man merkt´s, entgegnet Dottore und ergänzt, manche Fehler entstehen nicht durch Dialog, sondern durch Dialekt.

Freitag, 28. Oktober 2011

Kollektives Verleugnen

Der sechsjährige Bub war mit Oma und Opa im Zoo gewesen. Einige Tage später saß er an Opas Geburtstag ihm gegenüber und betrachtete ihn, dessen Gesicht mit mehreren Kinnwülsten zum Hals überging. In einer Gesprächspause stellte der Bub laut und klar fest: “Der Opa sieht aus wie ein Orang-Utan.“ Peinliches Schweigen überall, der Waldmensch warf den Löffel in die Suppe und war aufgebracht, der Bub müsse sich für den Übergriff entschuldigen. Auszeit im Nebenzimmer, die aus Köln stammende Tante tröstete den Bub und erklärte ihm soziales Handeln mit der Bemerkung: „Jung, mir denken et alle, ävver mer saren et nich!“ So gestärkt konnte sich der Bub für die Wahrheit entschuldigen.

H.W. Henze hatte wohl keine Tante, die ihm seinerzeit einen solch guten Rat hätte erteilen können, als er sinngemäß sagte, man könne 9/11 unter ästhetischen Kategorien betrachten. Die Sache ist noch zu wenig alt, wenden wir uns einem Ereignis zu, das 95 Jahre älter ist. Im Jahre 1906 brannte zuerst der Turm einer der Hauptkirchen Hamburgs, Sankt Michaelis, dann stürzte sein brennender Rest auf das Dach der Kirche, die auch ausbrannte.


In der damaligen Zeit wurden solche Ereignisse mit einem Extrablatt verbreitet, solchen Sonderausgaben hat Karl Kraus zu Beginn der „Letzten Tage der Menschheit“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Also so auch in Hamburg:


Eines muss man dem damaligen Journalisten zu Gute halten, er war ehrlich, spricht er doch nicht verlogen von der Erschütterung der Hamburger Bürger, sondern nennt den Anblick „schaurig-schön“, so ein Abfackeln sieht man eben nicht alle Tage. Geschieht so etwas heute, dann müssen alle in Betroffenheit erstarren, ein Rückfall in normales Denken und Empfinden kann sich noch nicht einmal Henze erlauben. Dabei „denken et alle“, wie sonst würde nicht am Jahrestag jeweils die Sequenzen gezeigt, in denen das (zweite) Flugzeug in das Gebäude eintaucht, „mer kennen et alle, ävver mer wollen et nochens sinn.“

Kunst für den Weltraum

Wer nicht mehr an die alten Dogmen glaubt, aber immer noch eine Instanz über sich haben muss, der wendet sich dem Irrationalem zu, sei es Esoterik, sei es der Glaube an Wiedergeburt, sei es die Hoffnung an Außerirdische, und wie die für modern gehaltenen Irrglauben alle heißen mögen. Die Römer waren da schon weiter, abgesehen von der Ritenorientiertheit ihrer Handlungen zur Befriedigung des Götterglaubens, was sie übrigens nicht RELIGIO nannten, haben sie auch schon an Aliens gedacht, sollte man denken.

Betrachtet man sich mittels Google Earth in Ostia, also an der Mündung des Tibers, die Terme di Nettuno so erkennt man im Eingangsbereich (rot umrandet) der Thermen irgendeine nicht ganz klare Struktur.


Verändert man das Bild in diesem Bereich oder setzt der Alien seine Fernbrille auf, dann erkennt man/er mehr, vielleicht sogar ein Bild. Denn es ist nur die angeblich unsichtbare Luft, die uns daran hindert, in der Ferne schärfer zu sehen, und uns alles bläulich eingefärbt erscheinen lässt. Aber aus dem Weltraum muss man höchstens 5 Kilometer dichte Luft durchdringen.


Was aber erfreut den fernen Betrachter?


Es ist der Erderschütterer Poseidon (die Graecophilie ist nicht zu leugnen), der mit vollem Gespann durch sein Reich fliegt. Den großen Beitrag zur Kunst leistete Nordafrika dadurch, dass es die vorzüglichsten Mosaizisten stellte. Erfreuen wir uns also an der Darstellung, der weit in den Weltraum dringt, so, wie die Römer es wollten.

Pantalone meint: „Mein lieber Dottore, Dir sind da aber die Gäule durchgegangen, das Apodyterium war doch damals mit einer Decke versehen, die Römer wollten sich doch nicht im Regen auskleiden!“ „Dass Du auch immer was zu meckern hast, jedenfalls heute kann man es von der Umlaufbahn der ISS aus betrachten.“ Beiseite: „Schrecklich, dieser Kerl!“

Nachtrag:
Die graecophile Haltung der Deutschen war den Engländern immer eine Quelle des Amüsements. Trotzdem wollen wir ihr hier noch Tribut zollen, ein Ausschnitt vom Bild auf einem Lekythos, der im Metropolitan Museum verwahrt (und großartig nebst vielen anderen Gegenständen im Netz präsentiert wird) zeigt in klein und klassisch, wie man sich einen Gespannfahrer vorstellen muss.


Ach, sie sind schon echt gut, die Griechen.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Über das Wirken der Kleinbürger

Wäre Pantalone Vulgärmarxist, so stellte er zum Königlichen Schloss in Berlin fest: Sich kommunistisch wähnende Kleinbürger haben es seinerzeit abgerissen, sich aufgeklärt dünkende Kleinbürger wollen es wieder aufbauen. Leider ist dieses Verdikt nicht so leicht von der Hand zu weisen.

Während die Genossen in Polen mit viel Mühe und unter Verachtung der Kosten sich der Geschichte ihres Volkes dadurch bewusst wurden, dass sie die im Krieg zerstörten Gebäude zuerst in Warschau, dann in Danzig wieder aufbauten, hatten die Kumpanen des Tischlers aus Sachsen nichts anderes im Kopf, als die Geschichte des ihren zu zerstören. Dabei war die Ironie der Angelegenheit, dass sie den Teil des Schlosses in die Fassade einfügten, von dem aus der Genosse Liebknecht jun. zu spät die Republik ausrufen wollte, Scheidemann war ihm zuvorgekommen. Das Zuspätkommen hat also bei diesen Genossen Tradition, sicherlich eine ungewollte.

Jetzt gilt folgendes: Nicht: form follows function, sondern: form seeks function. Also baut man nicht im Zentrum der Hauptstadt Preußens das damalige königliche Schloss wieder auf, sondern bemäntelnd schmückt man sich mit einem „Humboldtforum“. Nicht die Einsicht, im Mittelpunkt der Kapitale können unsere heutigen Architekten keinen Bau gestalten, der auch noch in 50 Jahren ansehenswert ist, bestimmt das Handeln der Aufbauwilligen, sondern man will einen Wechselbalg errichten, so ein bisschen alt, aber auch ein bisschen neu, so kleinlich und schäbig, wie die Bestimmenden eben selbst sind. Sie dünken sich aufgeklärt, weil sie die Geschichte des Bauwerks eliminieren wollen, das den wechselvollen Ablauf Preußens darstellt.

Schinkel hatte die gotischen Teile umgebaut, die gesamte Rückfront war der Renaissance verpflichtet, war aber nicht so pompös wie der sonstige Barockbau mit seiner wilhelminischen Kuppel, deren Höhe von der des Reichstages nicht überschritten werden durfte. Die Vorliebe des Kleinbürgers zum Barock hat schon Adorno im musikalischen Bereich belegt. Hier gilt ähnliches. Dazu kommt die Gleichsetzung Preußens mit seiner späten, wilhelminischen Ausstrahlung. Neben den berüchtigten sozialökonomischen Gründen hat auch Bismarck zum Verlust des alten Preußentums beigetragen: Aus provinziellem Mief des Pietismus stammend hat er nicht den Staat, in dem er lebte, unterstützt, sondern er betrachtete sich als der Schützer und Vollstrecker des Königshauses, das aber nicht mehr aus einem Friedrich II oder gar dem Louis Ferdinand bestand, sondern aus Figuren, die privat harmlos, aber politisch gefährlich waren (Beim „greisen Heldenkaiser“ Wilhelm I wird viel zu oft vergessen, dass er der Kartätschenprinz war).

So also wird ein Mischmasch entstehen, die Kahlheit der Innenhöfe wird teilweise abgedeckelt, die Rückfront fällt ganz weg, statt dessen entsteht ein Bauteil, der von dem verhinderten Archtitekten A.H. stammen könnte, wenn er sich erneut in das Mimikry des „Tages von Potsdam“ begeben hätte.


Dass dieser Bauteil klar faschistische Architektur ist, erkennt man an einem Vergleich mit Bauten in Rom. Dort war in der Ära des Faschismus das heute „Palazzo della Civilita“ genannte Bauwerk errichtet worden, von anderen spöttisch „Colosseo quadrato“ genannt.


Nur das Obergeschoss stimmt nicht mit der Quelle der Inspiration überein. Dort musste der über ein zu kleines Büro verfügende Architekt anderwärtig kopieren. Er fand, dass das Hochgeschoss des Außenministeriums in Rom doch abgekupfert werden könne, eines Bauwerkes, das jüngst Tom Koenigs bei aller ansonsten anzutreffenden Höflichkeit „mit einer Tendenz zum Wahn“ (Seite 104 des auch ansonsten lesenswerten Buches) beschrieben hat.


Das Schlimme an dem Ganzen ist aber die Tatsache, dass die Bestimmer über das Bauwerk sich gar nicht bewusst sind, eine Auferstehung vergangen gewähnter Architektur begründet zu haben. So blöd sind die. (Zur Erinnerung: Auf dem Schild, dass Teufel über den Kopf des Regierenden Bürgermeisters hielt, stand: „Solche Idioten regieren uns!“)

Oder aber, Pantalone irrt sich: Die bewusste Entscheidung für den faschistischen Baustil ist ein Affront gegenüber den am anderen Ufer Sitzenden/Stehenden (Beim nächsten Mal wird alles besser!)?

Fragender Hinweis von Dottore: Ist nicht auch der Hass auf die Niedertracht kleinbürgerlich?

Mittwoch, 19. Oktober 2011

NS-Kunst

Dottores Milchbruder und Wesensverwandter hatte Mitte der 70 Jahre einen nicht ganz erfolglosen Kampf „gegen die Verbreitung der NS-Kunst“ geführt. Damals wollte sich ein Kunstvereinsleiter (Bussmann) profilieren, um Professor zu werden (was klappte), ein Professor wollte noch mehr Profil erhaschen (Kühnl), um endlich einen Ruf von außerhalb zu erlangen (was nicht gelang). Diesmal ist es anders:

Werke der Bildenden Kunst haben wie jeder Gegenstand aus der Vergangenheit den Nachteil, nicht beliebig vermehrbar zu sein. Die zunehmende Prosperität und der weltweite Prestigedrang haben das Bedürfnis nach repräsentablen Werken gesteigert. Die Kunst vor 1800 ist meist in festen Händen, selten genug taucht etwas aus irgendwelchen Magazinen oder Lagern auf, jedenfalls viel zu wenig, um die Bedürfnisse des „Marktes“ zu befriedigen und die Umsätze der Kunsthändler zu stabilisieren. Also sann man nach und seit gut 20 Jahren floriert zuerst die Literatur über, dann der Handel mit den Erzeugnissen des 19. Jahrhunderts, also mit der ganzen Masse der akademischen Scheiße.

Wenn auch die damals tätigen Maler fleißig waren, ein weitschauender Kunstkaufmann blickt in die Zukunft und er wird wiederum vom HORROR VACUI überfallen, was verscherbeln wir denn dann? Zwar waren auch die Künstler zwischen 1933 und 1945 fleißig, aber ist das durchsetzbar auf einem Markt, der der Verlogenheit der political correctness folgt? Diesmal also wurde es schlauer angefangen, nicht zwei einzelne Hanseln werden vorgeschickt, sondern nun sind es Bataillone von ernsthaften Wissenschaftlern. Es geht um „Aufarbeitung“, die auf „Fachtagungen“ zelebriert wird. Basis der Beschäftigung mit dem läppischen Mist sind sechs Fotoalben, die „professionell“ von den Ausstellungen 1937 bis 1944 erstellt wurden. Aber alle Gespräche und Erkenntnisse sind und bleiben unwirksam; wichtig ist der Bruch der Staumauer, schon bald werden die Errungenschaften der faschistischen Kunst über uns herrollen, natürlich mit ernstem und verständnisheischenden Gebaren der Verkäufer versoßt. Die sechs Fotoalben werden – in kleinster Auflage versteht sich – nachgedruckt werden, darin abgebildet zu sein, ist der zukünftigen Ariernachweis für den Kunsthandel. Die Scham ist nach 65 Jahren verflogen, hoch lebe der Umsatz. Jedes andere Wort darüber ist verlogen.

Denn betrachtet man sich diese Bilder, so atmen sie die gleiche läppische Harmlosigkeit der Kunstwerke ihrer Großväter. Merckers Bild der „Granitbrüche Flossenbürg“ muss mit dem verbalen Zusatz versehen werden, ein Teil der abgebildeten Figuren seien KZ-Häftlinge, um das erstrebte Schauern hervorzurufen. Herr Gerling war da direkter, er hat ungebrochen durch 1945 die faschistische Kunst verehrt. Er ist also das Vorbild unserer Kunsthändler und ihrer Entourage, den Wissenschaftlern.      

Dienstag, 31. Mai 2011

Mode, Medien, Wirklichkeit

Wie der Name schon berichtet, sind Medien nicht die Wirklichkeit, sie geben sie allenfalls subjektiv wieder, hinzu kommt die Subjektivität des Betrachters; alles dies ist angetan zu schließen, Medien sind keine zuverlässigen Vermittler der Wirklichkeit. Danny Kringiel, der den göttlichen Anteil an seinem Vornamen unterschlägt, gibt als seine Interessen Filme und digitale Medien an. So weit, so gut. Wenn er dann im Spiegel meint, aus Filmen auf die Wirklichkeit in der Vergangenheit schließen zu können, dann irrt er, die Un“gnade seiner späten Geburt“ verbunden mit Medienverliebtheit führt ihn zum Irrtum. Schon der Name seines Arbeitgebers hätte ihn misstrauisch machen müssen, denn welche Wirklichkeit gibt diese Zeitschrift wieder? Jeder Spiegel wechselt rechts zu links.

Weder hat Marlon Brando das T-Shirt kreiert, noch James Dean das Modebewusstsein für Jeans geweckt. Wäre Kringiel genauso alt wie Pantalone und zusätzlich in der „amerikanischen Zone“ aufgewachsen, dann wüsste er es besser.

1945 zogen geschlagen und deprimiert deutsche Soldaten durch die Lande, gekleidet in Uniformen aus kratzigem Stoff, die kein Hemd erkennen ließen. Wie anders dagegen die siegreichen Gis: Sie trugen nach Ende des Krieges leichte Kampfanzüge, die ihre Verwendbarkeit mehr als ahnen ließen, vorne war die Bluse geöffnet und ließ den Blick auf blütenweiße Unterhemden zu, die etwas über den Halsansatz reichten. Zogen die GIs die Bluse aus, so sah man das, was heute alle Welt als T-Shirt kennt. Besonders toll waren die Mitglieder der MP (Military Police) gekleidet, bei ihnen ragte das T-Shirt bis an den Kehlkopf. So wollten wir auch aussehen, wie aber kam man zu solchen Hemden?

Deutsche Unterhemden hatten zwei Träger und waren aus Doppelripp, also völlig ungeeignet. Aber die Winterunterhemden waren verwendbar. Zuerst musste mühselig das Etikett herausgetrennt werden, damals wurden sie noch nicht eingeklebt. Dann wurden die Ärmel in Höhe des Oberarms abgeschnitten und neu gesäumt. Nach der ersten Wäsche, die notwendig war, um die Spuren der Nahtlöcher des Etiketts zu verbergen, wurde nun die Neuerwerbung umgedreht angezogen, also mit dem Rückenteil nach vorne, nun leuchtete das Dreieck der Hemdöffnung weiß. Schwierig war allerdings, der Mutter beizubringen, warum man im Sommer ein Winterunterhemd tragen wolle, dessen Ärmel man weitgehend abschnitt, das Ganze dann noch verkehrt herum. Das war die Geburt des T-Shirts in den Köpfen der Jugend.

Nach und nach veränderte sich mehreres: Zum einen zogen die Familien der amerikanischen Soldaten nach, zuerst die der Offiziere, dann auch anderer Dienstgrade. Dies bedingte zum anderen, dass die Einkaufsmöglichkeiten für diese Menschen geschaffen bzw. vergrößert werden mussten. In jedem größeren Standort amerikanischer Truppen gab es solche „Supermärkte“, AFEX- bzw. PX-Läden genannt. Dort durften nur Amerikaner einkaufen. Schließlich trugen nun die Besatzungssoldaten nicht mehr ausschließlich Uniform, sondern kleideten sich zivil, hatten also Jeans an, sie sagten Liehweiß oder Lie dazu, je nach Marke des Herstellers. Wir hatten Lederhosen an, man bekam im Leben zwei, die erste mit 9 Jahren, die zweite mit 14, die zweite hielt bis fast zur Unterprima. Wie konnte man nur an Jeans gelangen?

C&A beispielsweise verkaufte, um dem Bedarf nachzukommen, inakzeptable „Black Jeans“ aus einem windigen Baumwollstoff, die umgeschlagenen Hosenbeine waren gar mit Schottenmuster gefüttert. Man musste einen Ami kennen, aber das war eine diffizile Sache. Bürgerliche Kreise pflegten keinen Kontakt zu ihnen adäquaten amerikanischen Offizieren und umgekehrt, mit den meist in der Unterschicht beheimateten Frauen, die Umgang mit Amerikanern hatten, mochte man auch nicht nun plötzlich in gesellschaftlichen Verkehr eintreten. Aber irgendwie schaffte man es: zuerst musste eine Maßband her, mit dessen Hilfe man feststellen konnte, ob man 26er oder 28er Weite hatte, die Länge der Jeans spielte eine geringere Rolle, die Hosenbeine wurden umgeschlagen. Nun konnte man die Dame seines Herzens am Lyzeum nicht mehr in Lederhosen, sondern in richtigen Jeans abholen, wenngleich die Latein- und Griechischlehrer ununterbrochen über die Kleidung „amerikanischer Kuhhirten“ lästerten. Wir gaben es ihnen heim, wir fuhren in den Sommerferien nach Griechenland und Türkei, wo sie noch nie gewesen waren, aber darüber erzählten.

Σ: Nicht die Herren Brando und Dean haben zwei Kleidungsstücke in Europa populär gemacht, sondern die siegreichen Amerikaner brachten nicht nur Demokratie und eine höhere Form des Kapitalismus mit, sie lebten uns Offenheit und Lässigkeit in Jeans und T-Shirts vor, ab 1945!

Nachtrag 1:

Wäre die Aussage von Herrn Kringiel richtig, so handelte es sich bei dem amerikanischen Soldaten ganz links um Marlon Brando, denn ein T-Shirt lugt weiß aus dem Kampfanzug. Da es aber Marlon  am Knie hatte, brauchte er nicht GI zu werden. Das Bild - ein bisschen kleiner und düsterer - war über Spiegel-Online zu sehen. Warum die deutschen Kriegsgefangenen so betrübt dreinblicken, ist objektiv nicht nachvollziehbar, war doch für sie der Krieg vorbei; allerdings der späte Kommentator kann leicht reden.



Noch eine andere Veränderung kam mit den Amerikanern nach Deutschland: das durchgeknöpfte Herrenhemd. Bis 1950 waren alle Oberhemden so geschnitten, wie Wilhelm Busch es in der "Frommen Helene" darstellt, als der Onkel "mit Bedacht vertauscht das Hemd des Tages mit dem der Nacht." Alle Hemden waren vorne wie hinten rund geschnitten, hatten seitlich je einen Schlitz und die Knopfleiste endete etwa in Nabelhöhe. Der Abschied von diesem Zuschnitt fiel den Textilfabriken offenbar schwer, für eine kürzere Zeit Ende der 1950er Jahre wurden Hemden als modern kreiert, die vorne gar keine senkrechte Knopfleisten hatten, sondern oben vor dem Kragen einen waagerechten Saum mit zwei Knöpfen. Heute kann Pantalone sich an den Unsinn der alten Hemden noch erinnern, es erscheint ihm aber wie eine Reminiszenz aus dem 19. Jahrhundert, die so fraglich ist, dass er an seinem Gedächtnis zweifeln mag.  

Donnerstag, 5. Mai 2011

All, but one

E.T.A. Hoffmann ist wie alle berühmten Juristen nicht wegen seiner Berufstätigkeit bekannt, sondern weil er in der Literatur und der Musik Werke schuf. Seine Einsichtsfähigkeit machte jedoch nicht vor seinem Broterwerb halt, so verdanken wir ihm die schönen Worte: „Den Täter haben wir, die Tat werden wir schon finden!“ Wenn es denn an der Tat mangelt, so ist die Sicherungsverwahrung bislang eine Möglichkeit gewesen, unliebsame bis gefährliche Menschen zu bestrafen. Denn schon eine kurze Lektüre des Strafvollzugsgesetzes zeigt, dass die Sicherungsverwahrung lediglich ein kleines Unterkapitel des Strafvollzuges war. 6 Paragraphen regelten, dass „Weihnachtsmänner im Sinne dieser Regelung auch Osterhasen [nicht] waren“, also der Sicherungsverwahrte beispielsweise eigene Kleidung tragen durfte, wenn er dafür sorgte, dass diese in regelmäßigen Abständen gereinigt wurde; welcher Sicherungsverwahrte konnte dies nach langjähriger Strafhaft? Die Freiheit des Grundgesetzes gilt aber auch für missliebige, unsympathische, unangenehme, gar widerliche oder gefährliche Bürger der Bundesrepublik. Nicht alle Sicherungsverwahrte fallen ununterbrochen über weibliche Menschen her, hier ein Beispiel:

Anna S., nicht die gleichnamige Person von Alexander Kluge, war eine Mandantin von Dottore. Eine feministische Initiative bezahlte ein wenig der Kosten und Gebühren. Anna S. war als Tochter eines Strafvollzugsbeamten 1925 geboren worden und fiel schon in jungen Jahren durch Diebstähle auf. Nun sind deutsche Strafakten nicht ein Ausbund an Einfühlsamkeit oder psychologischen Erkenntnissen, aber es fiel schon auf, dass die damaligen Ermittlungsbeamten (wir bewegen uns zeitlich im 3. Reich) durchgängig die Erklärung von Anna S. festhielten, sie wolle nur „mausen“, also die kryptosexuelle Komponente ihres Handelns für mitteilenswert hielten. Gleichwohl wurde sie immer wieder zu immer länger werdenden Gefängnisstrafen verurteilt, schließlich wurde Sicherungsverwahrung angeordnet, in der sie verwahrt wurde, als Dottore 1975 mandatiert wurde. Das dicke Bündel der Strafakten enthielt 22 Einzelakten, dies waren alle abgeurteilten Straftaten von Anna S.. Dottore fing an zu rechnen, wobei er Reichsmark der Deutschen Mark gleichsetzte und dann zum Ergebnis kam, alle abgeurteilten Diebstähle hatten Anna S. insgesamt Mark 1800 eingebracht, wobei eine Tat in der Nachkriegszeit mit über DM 600 den höchsten Betrag darstellte. Die Gesellschaft war durch Anna S. geschädigt worden, aber nicht erheblich. Anna S. hatte zwei Kinder geboren, die bei Pflegeeltern groß geworden waren und keinerlei Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter hielten.

Die Berichte aus dem Sicherungsvollzug verbunden mit dem Hinweis auf die nun nicht umwerfende Gesamtbeute bewirkten schließlich, dass die Kammer des zuständigen Landgerichtes in Niedersachsen die Sicherungsverwahrung aufhob. Aber wohin sollte Anna S. denn nun gehen? Von der Gefängniskost aufgedunsen war ihre weibliche Attraktivität gering. Ihre Geschwister kannten sie kaum und wollten auch mit ihr nichts zu tun haben. Sie selbst war feinfühlig genug, ihre Kinder nicht zu behelligen. Einige Zeit war sie nahe des Kreises der (letztlich bürgerlichen) Frauen angesiedelt, die Dottore bezahlt hatten, aber beide Seiten stellten fest, dass man doch sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Leben hatte. Also wohnte sie in einer beschützenden Einrichtung, was ihren wachsenden Zorn über die Gesellschaft nicht milderte, die sie für ihr verpfuschtes Leben nicht ganz zu Unrecht verantwortlich machte. Ab und zu besuchte sie Dottore, dem diese Veränderung zwar auffiel, sie aber nicht zu bremsen vermochte.

So wuchs die Neigung, wieder in Verhaltensweisen zu verfallen, die sie kannte. Ihr modus operandi bedingte, dass sie wieder auffiel, die neue Ermittlungsakte wuchs. Als bei der Akteneinsicht durch Dottore klar wurde, dass ihr Hass sie dazu gebracht hatte, Feuer (im Versammlungsraum der FDP-Fraktion) zu legen, kam es zu einem letzten Gespräch in Freiheit zwischen Anna S. und Dottore. Sie sah selbst ein, für die Freiheit nun untauglich gemacht worden zu sein, sie wollte ihre „Ruhe“. Eine feinfühlige Strafkammer in Südhessen kam mit Anna S. und der Verteidigung zu dem Ergebnis, dass nur ein Leben in einer weitgehend geschlossenen Institution sowohl der Gesellschaft als auch Anna S. nützen würde.

Die Sicherungsverwahrung alten Stils verwahrt nicht nur Ungeheuer, sie gebiert sie auch. Unser aller Schutz erheischt, dass bestimmte Menschen nicht in Freiheit sein können, weil sie aus Gründen gleich welcher Art zu einem normalen Sozialkontakt nicht dauerhaft fähig sind. Der Schutz vor diesen Menschen erfordert, sie der Freiheit zu berauben, aber nur der. Diese Einschränkung korrespondiert mit der kostenträchtigen Gestaltung des Lebens dieser Individuen. Wobei die Kosten bei wirklicher volkswirtschaftlicher Berechnung nicht hoch sind. Die verhinderten Schäden sind viel teurer und für die Betroffenen bitter. Wenn die Bundesrepublik für das Auslösen von Geiseln Millionenbeträge – mit Dottores Billigung inklusive der Leugnung der Tatsache – übrig hat, dann sind die ersparten fünf Morde und zehn Vergewaltigungen eben auch Millionen wert. Also muss eine Regelung geschaffen werden, die den Menschen mit dem sozialen Defizit ein Leben ermöglicht, in dem sie alles haben können denn die Freiheit.

Ob psychische Therapie überhaupt etwas nützt, erscheint Dottore fraglich, der Wolfsmensch ist das beste Beispiel. Prägungen sind so seltsam und fest, dass der Einfluss von Sprache und Sozialumgang im geschützten Bereich allenfalls dämmt.

Für Anna S., der Dottore Einsichten verdankt.

Sonntag, 17. April 2011

Ei, des habb isch ja ganet gewusst!

Offenbar herrscht allgemein die Ansicht vor, wer in der Lage sei, einen Auslöserknopf zu bedienen, könne fotografieren. Mit dem Überhandnehmen dieser Meinung wächst die Unverfrorenheit, die Ergebnisse dieses Irrtums der Menschheit zu zeigen. Dabei richtet sich Dottores Augenmerk auf reine „Sachaufnahmen“, die fröhlich und bar jeglicher Einsicht in ihre Mangelhaftigkeit ins Netz gestellt werden.

Das Hexamillion war ein Bauwerk, das in spätantiker Zeit nahe des Isthmus von Korinth errichtet wurde, um die Goten am leichten Einmarsch auf die (Halb-)Insel des Pelops zu hindern. In dem entsprechenden Artikel von Wikipedia wird auf Bilder verwiesen, deren erstes hier nun präsentiert wird.
Von der Bildfläche ist ungefähr ¼ fast schwarz, man erkennt die doch nur als mies zu bezeichnende Vorliebe des Fotografen, sich als Schatten abzubilden, wie das auf weiteren Bildern der Serie auch zu sehen ist. Die Aufnahme, das entnimmt man der EXIF-Datei, ist am 16.11. 2006 um 9:33 h mit einer Nikon D 70 gemacht worden. Warum hat nun der Urheber des Werkes nicht den Blitz dieser Kamera eingeschaltet? Dann wären die dunklen Stellen aufgehellt worden. Das muss nun nachgeholt werden.
Bekanntlich werden seit Jahrzehnten Farbbilder in Großateliers gemacht. Dies auch schon eben, als noch Filme benutzt wurden. Diese wurden vor der Entwicklung zusammengeklebt, dann durchliefen sie die Bäder und wurden dann zerschnitten in die Tüten bugsiert. Bilder vergrößert wurde mit ihnen nicht. Vor dem Zerschneiden wurden alle Negative gescannt und mit den Daten des Scann die Bilder belichtet. Zwecks Vermeidung von Reklamationen wurden die Bilddaten zuvor mit einer Software optimiert, so wurde der häufigste Fehler der Bildermacher, zu große Helligkeitsunterschiede abgelichtet zu haben, ausgemerzt. Das fertige Bild war also viel besser als das Original (das Negativ). Alle Leute hielten sich für großartige Fotografen, was jedoch dann zu Schwierigkeiten führte, wenn Nachbestellungen oder Vergrößerungen gewünscht wurden. Diese nämlich nahmen an der automatisierten Bildbearbeitung nicht teil (waren auch teurer), so dass die Folgebilder schlechter als die ersten waren, weil eben normal nun mit den Negativen belichtet. Mit den digitalen Bildern kann und muss man sich daran machen, die frühere Arbeit in der Dunkelkammer am PC zu wiederholen, um halbwegs annehmbare Bilder zu gewinnen.
Die Einwohner des Landes pflegen Abfall in die Stätte zu werfen, was etwas über ihre sozialen Gebräuche verrät, aber das Sachbild stört. Auch die Eliminierung des Schattens macht sich vorteilhaft bemerkbar, auch als Schatten erfreut das Objektiv in Augenhöhe niemanden.
Da das Bild jetzt zu aufgehellt ist, kann man durch Farbsättigung die Farbtönung beruhigen, wenngleich dadurch der Himmel eine viel zu blaue Farbe annimmt. Ein Mangel bleibt aber noch bestehen, das sind die stürzenden Linien. Der Fotograf hat – wieder nach der EXIF-Datei – bei der Aufnahme ein Weitwinkel mit 18 mm Brennweite benutzt, was einer Brennweite von 27 mm bei Kleinbildformat entspricht. Die beiden Seiten der Bastion fluchten daher nach außen.
Mit einer leichten perspektivischen Verzerrung, die dem Bild als Entzerrung zu gute kommt, bildet sich so langsam das ab, was als mitteilenswert beabsichtigt ist. Zwar wachsen die Bäume am Rand oben nach wie vor nach schräg außen, aber eine weitere Korrektur hätte zu viel Fläche des Bildes beansprucht. Das Ganze hat mit einem betagten Bildbearbeitungsprogramm ungefähr 11 Minuten gedauert. Der Rekurs auf Naivität schützt nicht, denn schlichte Unwissenheit ist objektiv genauso schädlich wie Bösartigkeit.

Montag, 4. April 2011

Sebah 6 oder: das merkt doch keiner!

Venustempel in Baalbek von Bonfils

Aus der im Blog „Sebah 2“ stammenden Quelle ist dieses Bild von Felix Bonfils entsprudelt. Es zeigt den sog. Venustempel im großen Heiligtum von Baalbek. Die Autorschaft ergibt sich eindeutig aus der Beschriftung, zudem existiert es eine Fülle von Bildern dieses Fotografen von dieser Stätte.
Bonfils als Sebah deklariert

Sonntag, 27. März 2011

Sebah (5) und die schuftenden Kleingewerbetreibenden

Der arbeitende Mensch ist ein spätes Sujet der Kunst. Courbet schuf mit dem „Ursprung der Welt“ nicht nur den ersten, nun nicht mehr heimlichen, also offenen Blick auf die Erotik, sondern mit den „Steinklopfern“ im Jahre 1866 ein Bild, das nur die Arbeit und ihre Last für die Menschen zum Gegenstand hat. Ungefähr zur gleichen Zeit machte sich Sebah daran, Menschen aufzunehmen, die allein durch ihre Tätigkeit zum Objekt seines Blickes und seiner Kamera wurden. Über ihre soziale Stellung weiß Pantalone nichts, wahrscheinlich fallen sie in den Bereich, den wir heute euphemistisch einmal „Ich-AG“ nannten, besser ist das zutreffende Wort der Scheinselbständigkeit. Es wundert Pantalone immer wieder, wie viele verkappte Marxisten (ja, ich weiß, er hat geschrieben, „Tout ce que je sais, c'est que je ne suis pas Marxiste!“) es gibt, wollen sie doch alle seinen Satz durch die Praxis beweisen, dass Gewinne privatisiert, Verluste vergesellschaftet werden. Privatisierer sind bei den Scheinselbständigen die Bereitsteller der Arbeitsmittel (Gestellung eines Sprinters) und Kontrakte, Vergesellschafter die Fahrer, wenn sie krank werden, die Verträge ausbleiben, Unfälle geschehen. Im Osmanischen Reich war das soziale Netz noch anders gehäkelt, allein die Maschen werden eher weiter gewesen sein.
Im Türkischen heißt Lastträger „hamal“, „hamalik“ bedeutet nicht nur Trägerberuf oder Trägerlohn, sondern auch Schufterei oder Qual. In den 1960er Jahren konnte Pantalone in allen Häfen der Levante einschließlich Griechenlands noch zahllose Hamals sehen. Die Container haben doch was Gutes für sich und für die Menschen, diese Schufterei gibt es nun nicht mehr. Damals, als Sebah sie in sein Studio lockte, werden sie solange Taglöhner gewesen sein, bis ihr Alter es ihnen unmöglich machte.

Mittwoch, 23. März 2011

Panzerschlitzautos

Der gegenwärtige Chefdesigner bei Mercedes Benz ist ein feinfühliger und böser Mensch zugleich: feinfühlig, weil er die noch nie geäußerten Vorlieben und Hassobjekte von Pantalone erahnt hat, böse, weil er nur die Hassobjekte realisiert.
Modell 4001 und das Panzerschlitzwendeauto 1010

Nach dem Krieg gab es wenig Spielsachen, da die Menschen vorab anderes brauchten, also wurden alte Spielsachen von den Kindern gehegt und gepflegt. Brach beispielsweise die Antriebsfeder an einem der Aufziehautos, so konnte man gaaanz vorsichtig die Blechhalterungen aufbiegen, der Feder mit einer Schlüsselfeile neue Aussparungen verpassen und dann versuchen, die Feder nun wieder zu befestigen. Schuco-Autos waren heiß begehrt. Das allertollste war ein Rennwagenmodell nach einem Mercedesrennwagen. Die Räder waren mit Rudgezentralverschlüssen befestigt, die man abschrauben konnte. Aber dies Modellauto gab es nur selten. Häufiger war ein zweisitziges Cabriolet, das entweder hupen konnte oder aber eine Gangschaltung hatte (Modell 4001). Nie hat Pantalone solch ein Auto besessen.

Gegenüber wohnte eine Frau, die häufiger Besuche von Amerikanern hatte. Diese ließen des öfteren bei ihr das liegen, was wir Kinder Ammihäftcher nannten – Superman, Roy Rogers, Classics, so hießen diese Comicreihen. Die Dame mochte Pantalone und schenkte ihm bisweilen die Hinterlassenschaften ihrer Besucher. Nach Hause durfte Pantalone diese „Schundhefte“ nicht mitbringen, also hatte er im Keller ein Depot für diese Kostbarkeiten, für die man fast alles eintauschen konnte. Er selbst fand die Hefte langweilig, so tauschte er sie leichten Herzens ein. Einmal nun stand ein Handel von 4 Roy Rogers gegen ein Schucoauto an, aber es war das blöde Wendeauto 1010. Es hatte in der Mitte des Bodens ein zur Fahrtrichtung querlaufendes Gummirad, auf das es rutschte, wenn die Vorderräder über die Tischkante gerollt waren, dann drehte es sich zur Seite und fiel nicht vom Tisch. Das Auto hatte Fenster wie Panzerschlitze, hinten eine Rückenflosse wie ein Tatra. Es war scheußlich anzusehen, Pantalone mochte es noch nie und lehnte daher den Tausch ab.

Was das Ganze mit dem Chefdesigner zu tun hat? Nun schauen Sie sich doch einmal die neueren Modelle von DB an, alle versuchen so auszusehen wie das Wendeauto von Schuco, wahrhaft die Umkehrung: nicht das Spielzeugauto will dem wirklichen ähnlich werden, sondern die Realität versucht so zu werden, wie das Spielzeug vor 65 Jahren. Entwicklung hat eben nichts mit Fortschritt zu tun.

Mittwoch, 16. März 2011

Die Probe

Dottore ist entsetzt. Zwar ist er schon etwas älter (im Vertrauen: er hat schon sieben Dezennien hinter sich gebracht), aber bewegt sich aufgrund seiner Lernfreude noch munter im IT Bereich. Leider konnte er sich nicht dagegen wehren, mit diesem peinlichen Kerl aus Venedig in einem Atemzug genannt zu werden, nun ist es aber geschehen. Egal, in welches Ländergoogle man hineinschaut, wenn man „Bilder“ und „P. e Dottore“ eingibt, endet man in Unterhosen und sonstigen Klamotten. Vorher werden allerdings die Bilder von Sebah gezeigt. Dottore musste erkennen, dass das Netz mächtig ist, alles wird durchgekämmt. Da kam ihm eine Idee.
Pascal Sebah hat dieses Bild nicht gemacht, es stammt von Dottore. Er hat es im Pergamonmuseum aufgenommen, etwas vervollständigt, es dann gealtert und mit den Insignien des Meisters versehen (aus zwei verschiedenen Ägyptenbildern). Es ist also eine Fälschung, modern ausgesprochen ein Fake. Aber Dottore vertraut der Blödheit der Suchmaschine und hofft, dass Bild alsbald weltweit unter der Eingabe „Pascal Sebah“ zu finden. Das ist seine Rache dafür, mit Unterhosen verbunden worden zu sein. Nachträge werden über das Ergebnis berichten.

Nachtrag 1:
Hurra, es hat geklappt. Das Bild ist unter der Eingabe "Pascal Sebah" zu finden. Dottore ist zufrieden, Rache ist eben ein Getränk, das kühl genossen werden muss.

Freitag, 4. März 2011

Ich würde meinen, dass ....

Damit beginnen häufig Personen, die interviewt werden, ihre Sätze. Meinung ist nun schon eine subjektive Sicht der Dinge, die auch bei genügender Zustimmung nie zur Wahrheit werden kann, allenfalls zur „herrschenden Meinung“, als ob die sog. Intersubjektivität mehr wäre als ein gemeinsames Geheule. Aber selbst davon sind die Sprechenden noch entfernt, wenigstens tun sie so. Sie meinen nicht etwas, sondern verschieben ihre Äußerung in den Konjunktiv, so als wäre das Gesagte nicht endgültig, sondern nur unter (welchem?) Vorbehalt zart angedeutet. Diese Art, sich zu äußern, ist bei erster Betrachtung nur kokett und verlogen. Kokett deswegen, weil der Satz inhaltlich vorbehaltslos ausgesprochen wird, verlogen, weil das Gesagte doch real gemeint wird.

Richtig ist dabei die innere, jedoch nicht geäußerte Erkenntnis, dass es dem Sprecher an der Chuzpe mangelt, seine Ansicht als wahr und damit als These auszusprechen. Die Selbstkastration der denkenden und sprechenden Person zeigt, wie sehr sie sich von dem Bild des Bürgers als autonomes Mitglied der Gesellschaft entfernt hat. Auch ohne eine wirkliche Überwachung will der Sprecher, dass er sich konform verhält, als würde ansonsten alles in Akte über ihn aufgenommen, auch ohne eine Stasi. So sieht die installierte Selbstzensur eben aus.

Heinrich von Kleist

Seit langer Zeit ist es üblich, ein jeweiliges Jahr einer Person zu widmen; zuerst hatte dies Dottore 1949 erlebt, das damalige Goethe-Jahr. Nun ist wieder einmal ein solch jahrelanges Gedenken angekündigt. Preußen hat mit einem seiner größten Söhne nicht umgehen können.

Als angehender Jurist lernt man den Umgang mit Akten einschließlich der Beherrschung der üblichen Kürzel: so heißt z.d.A. zu den Akten, eine Verfügung, die meist eine Angelegenheit ohne Sachentscheidung abschließt. Nie ist Dottore dieses Kürzel peinlicher aufgestoßen als bei der Lektüre der Verfügung des preußischen Staatskanzlers von Hardenberg vom 22. November 1811. Da war es eben auch schon zu spät, Kleist, dem nach seinen Worten „auf Erden nicht zu helfen war“, war an der Welt oder seinem Bild von ihr verzweifelt. Man kann – frei nach Max Weber – immer zweierlei machen: entweder einen Sachverhalt wissenschaftlich klären oder eine Geschichte erzählen. Zu der Sprache von Kleist soll die zweite Variante gelten, aber eben seine Geschichte:

Dienstag, 1. März 2011

Sebah 2 Menschen und Bauten

Pascal Sebah wird von Pantalone als Überbegriff genommen, obwohl zwischen Vater, Bruder, Sohn (und dessen Partner Joallier sowie dem Techniker Laroche) zu unterscheiden wäre. Kunsthistoriker streiten bekanntlich oft darüber, ob ein Kunstwerk vom Meister selbst oder von einem oder gar mehreren seiner Schüler stammt. Da der Verkauf nicht ansteht, ist der Geldwert der Bilder nicht entscheidend, auch nicht der fragwürdige Begriff der Originalität, zumal die Reproduzierbarkeit dieser Kunstwerke Vorrausetzung ihrer Existenz ist; es geht nicht um Wandaktien, sondern um ästhetische Freuden.

Also die Sebahs (nur hier einmal im Plural) haben eine Fülle von Menschen fotografiert, den Bildern ist eigen, dass den Abgebildeten nie ihre Würde abhanden gekommen ist. Zu den eigentlichen Personenbildern ein andermal mehr. Heute widmet sich Pantalone den Menschen, die auf den Bildern aus Griechenland als Staffage auftreten, obwohl Sebah das nie so aufgefasst hat. Sie sind als Größenvergleich ins Bild genommen worden, aber zugleich hat Sebah auch versucht, ihre Person darzustellen. Das Wort vom Typ ist bei Menschen sowieso schlicht unangebracht, da es sich bei jedem Menschen um ein Original handelt und nicht um ein vervielfältigtes Modul, einen Typus. Den abgebildeten Menschen wurde durch das Festhalten auf den Bildern gleichsam eine Unsterblichkeit verliehen; sie mögen in ihrer Individualität nicht mehr fassbar sein, aber atmen noch immer ihre Persönlichkeit aus.
Zur Technik:
Die „großen“ Bilder von Sebah, die fast alle aus der gleichen Quelle stammen, sind klein geworden, damit der Blog nicht zu sehr anschwillt durch überflüssige, weil anderweitig zu erlangende Daten. Wer sich die Bilder in einer Größe einverleiben will, die die Betrachtung ihrer Lieblichkeit ermöglicht, der muss sich an: http://imagesvr.library.upenn.edu/i/image/all/ wenden, dort sind sie in fünf verschiedenen Dimensionen erreichbar. (Aus Gründen, die Pantalone nicht kennt und auch nicht kennen will, spielt sich jetzt BING beim Aufrufen dieser Seite auf.) Die Größe der Scans erlaubt die Sicht auf die Alterungsrisse der Fotografien. Die Ausschnitte haben die Maße der größten Dimension dieser gescannten Abzüge.

Mittwoch, 23. Februar 2011

Sebah 4 - Duplikate von und für ihn

Dass ein Fotograf von einem Gegenstand nicht nur eine Aufnahme macht, ist klar. Pantalone hatte 1962 die Freude, beim Trampen von Troia bis Izmir über Assos und Pergamon über drei Tage von zwei amerikanischen Berufsfotografen mitgenommen zu werden. Dabei hat er gelernt: Das Problem ist nicht, ob hoch oder quer, sondern beide; aber aussuchen später am Leuchttisch! Insbesondere bei Studioaufnahmen werden immer mehrere Bilder gemacht, so auch von der liebenswert dreinschauenden Türkin.

Montag, 21. Februar 2011

Pascal Sebah III, aber auch Bau von Gotteshäusern

Bei der Betrachtung der Antike kommt man auch bei Berücksichtigung des den Deutschen anhaftenden Graecozentrismus doch zum Ergebnis, dass viele der damaligen Errungenschaften auf griechischen Wurzel sprossten. Davon gibt es mindestens zwei Ausnahmen, den Raum und das Recht.

Die kargere Denkungsart der Römer verbunden mit der Lakonie ihrer mit Partzipialkonstruktionen und sonstigen Satzverkürzungen ausgestatteten Sprache erlaubte es ihnen, das erste ausgefeilte Rechtssystem aufzubauen (Einschub von Dottore: dabei unterschlägt Pantalone das, was Karl Marx die „sozialökonomische Scheiße“ genannt hat).

Donnerstag, 17. Februar 2011

Schleifen des toten Feindes

Das Schleifen des toten Feindes mag in irgendeiner grauen Vorzeit üblich gewesen sein, aber schon im 7. Jahrhundert vor Chr. ist es letztlich für Homer ein überwundenes Verhalten. Er schildert das Verhalten des stärksten und schönsten Helden der Griechen vor Troia in Il. XXIV 12 ff. so:
„Die Frühe fand ihn (Achilleus), sobald sie erschien und Küste und Meer überglänzte. Wenn er die flinken Rosse sodann geschirrt an den Wagen, band er den Hektor fest am Sitz hinten zum Schleifen; dreimal zog er ihn dann um das Grab des Menoitossohnes, ruhete wieder im Zelt und ließ den anderen liegen, draußen im Staube vornübergestreckt. Indessen Apollon schützte vor jeder Mißhandlung den Leib, erfüllt von Erbarmen, …“ (Nach der Übersetzung von Rupé).

Darstellung der Schleifung des Hektors durch Achilleus auf einer Hydria aus der Leagros-Gruppe

Mittwoch, 16. Februar 2011

Guttenbergs Ghostwriter oder Charly und Sebastian

Also der Guttenberg plante eine politische Karriere, oder seine Familie legte es ihm nahe. So windschlüpfrig, wie er sich meist gibt, so schlau wird er auch sein. Also muss er bei der Arbeit an seiner Dissertation doch daran gedacht haben, dass später, wenn seine Karriereplanung umgesetzt wird, alle seine Schritte kontrolliert würden, also auch die Promotionsschrift. Da hat ER schon aufgepasst.

Nach meiner Einschätzung seines Doktorvaters werden intensive Gespräche mit dem Promovenden auch stattgefunden haben; auch neige ich dazu anzunehmen, dass Karl-Theodor dabei vernünftig argumentierte und den Eindruck hinterließ, die Materie zu beherrschen. Dies trotz der stetigen Belastung durch die anschwellende politische Arbeit, schließlich öffnet zwar der Name die Türen, aber man muss auch mit der eigenen Person den Raum füllen. Die Struktur der Arbeit war festgelegt, nur die lästigen kleinen Einzelarbeiten, hie eine Einführung, dort die Durchformulierung, dann dieses blöde Zwischenstück, sie alle wollten sich nicht so rasch und leicht einstellen. Da bot sich Sebastian an, der Kumpel aus alter Studienzeit, der höchst intelligent war, aber auch gleichzeitig ein bisschen verkommen. Sebastian sollte nun die Bruchstücke einer großen Konfusion schön zusammennähen und zu einem einheitlichen (windschlüpfrigen) Werk kompilieren. Das tat er auch, wobei zu bedenken ist, dass er sich gerne in Kneipen rumdrückt und mit der Zeit wurde die Zeit knapp. Ach, was gibt es doch für schöne Einleitungen, dachte Sebastian sich immer wieder und übernahm sie, der Charly wird es schon nicht merken. Alle merkten es nicht, bis jetzt. Ich möchte auf keinen Fall Sebastian sein.

Dass es sowas gibt, weiß Dottore als "Hilfssebastian" aus eigener Erfahrung.

Na, klar, sagt Pantalone, die Wissenschaften sind so korrupt wie die Banken. Nur Deppen haben noch Achtung vor beiden. Aber das mit dem Hilfssebastian passt zu Dottore.

Zur Versachlichung der Diskussion trüge doch die Klärung des Begriffes Zitat bei. Die Schlussfolgerungen mag dann der Leser ziehen.

Unbestritten ist, dass wir alle mit all unseren Gedanken, und kommen sie uns noch so eigen vor, „auf den Schultern“ unserer Vorfahren stehen. Dottore erlebte dies schon vor fast 5 Jahrzehnten: Bei einer arbeitsrechtlichen Hausarbeit ging es letztlich um den Sachverhalt der „schadensgeneigten Arbeit“. Im „Seminar“ , also der Gemeinschaft der die Hausarbeit lösenden Studenten, hatte sich eine feste Meinung zum Lösungsschema gebildet, als Dottore plötzlich eine Idee kam, die so ernsthaft dieses Schema angriff, dass alle erneut darüber nachdachten. Als Dottore weiter nachlas, stieß er auf eine Entscheidung des Reichsarbeitsgerichtes von 1932, die diese Meinung hochkant verwarf. So ist das mit den „neuen“ Gedanken.

Die Sage von den 99 Büchern, die man für eine Dissertation gelesen haben soll, um aus dem Gelesenen dann das 100. Buch zu machen, ist so abwegig nicht. Wer jedoch 99 Bücher intensiv gelesen hat, die in ihnen erhaltenen Gedanken zu einem neuen Ganzen fügen kann, der soll sich doch schon berechtigt mit dem bürgerlichen Adel schmücken. Allerdings ist dabei die Anforderung an den Schreiber, die Gedanken selbständig im neuen Zusammenhang auszudrücken (gegen Wolfgang Neuss: „Es reicht nicht nur, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken“.) Nun dient ein Zitat dazu, eine treffende Formulierung zu verwenden, wobei die Stelle der Entnahme des Wortlautes anzugeben ist. Ein solches Zitat kann im Extremfall sogar einen ganzen Satz umfassen, weil schon seine Umformulierung die Tiefe des Gedankens verflachte. Aber mehr als einen Satz? Das ist dann schon eine Übernahme, keine Zitierung rechtfertigte dies. Hochgerechnet könnte dann eine Arbeit, die nur aus Übernahmen mit Zitatangabe bestünde, als eigenständige Leistung gewertet werden. Denn Anleihen gibt es in dem Bereich nicht, da der Verwender nie beabsichtigt, die geliehenen Worte zurückzugeben, es ist und bleibt Diebstahl, "Anleihe" ist falsch und euphemistisch.

Zur Wissenschaft und zum Zitat sei zum Abschluss folgende Geschichte erzählt: Dottore lernte einen leider ganz früh verstorbenen Privatdozenten kennen, der zu der Festschrift eines berühmten Politikers und Richters einen Beitrag verfasst hatte. Auf der ersten Seite wurde der Jubilar gleich zwei Mal mit unterschiedlichen Aufsätzen zitiert. Dottore meinte, das sei doch in der Direktheit zu liebedienerisch und daher peinlich. „Nein, nein“, sagte da der Verfasser, „das ist eine Scherz, den nur drei Menschen verstehen, der Jubilar, ich und nun Sie. Die zitierten Arbeiten habe ich unter seinem Namen geschrieben. Ich zitiere mich also selbst.“

Nach wie vor ist Dottore der Ansicht, dass Charly aufgesessen ist, für so schlau und vorsichtig halte ich ihn schon, aber Sebastian war und ist eben das Problem. Er war es, weil er abgekupfert hat, er ist es, weil er nicht zur Verteidigung, auch nicht von einem diesbezüglichen Minister, angeführt werden kann, weil es dann noch schlimmer würde.

Wie sagte doch schon die alte Dame aus der Familie der Gontard: „Mer hat nix wie Unmuß mit dene Leut!“

Für Peter Wittig

Nachtrag 1:
Nach der Erschießung des Herzogs von Enghien wurde über das Verhalten Napoleons bemerkt: „Das war schlimmer als ein Verbrechen, das war ein Fehler!“ Wenn Charly Sebastian beauftragte, dann ist das ein Verstoß gegen die Promotionsordnung und sollte den Entzug des epitheton ornans zur Folge haben. Sollte aber Charly das alles selbst fabriziert haben, dann müsste er zurücktreten, solch einen blöden Minister brauchen wir nicht.

Nachtrag 2:
Carolo resignato, causa finita

Nachtrag 3:
Neun Monate (verfasst Anfang Dezember 2011) reichen zwar aus, um einen neuen Menschen entstehen zu lassen, die Zeit ist aber viel zu kurz, um einen Menschen zu erneuern, der sich nachhaltig selbst fast zerstört hat. Was hat er denn in der Zeit getrieben? Nichts ihn nachdenklich Stimmendes! Ein großer Politiker, Bismarck, war die Ausbildung zum Juristen zu langweilig, er hat sie abgebrochen; aber nicht jeder Abbrecher muss eine derartige Karriere machen, auch wenn unser Gottesgeschenk sich "per membrum virile" dem Altkanzler anzunähern pflegt.

Um die Welt einmal in einem Beruf richtig kennen zu lernen, eine Sozialisation einmal ganz und seiner angemessen zu durchlaufen, täte er gut daran, schlicht Referendar zu werden, um dann anschließend zu verstehen, dass Recht nicht ist, sondern jeweils mühsam wird. Ansonsten wird er immer unglaubwürdig wirken, weil er es bislang ist. Und, wenn es dann mit der Politik nichts werden sollte, dann kann er Rechtsanwalt werden, was zumindest mehr ist als Sohn.

Sonntag, 13. Februar 2011

Im Schatten der Kollegmappe

Wir waren vom 21.05.1954 bis 4.06.1954 im Schullandheim in Holzhausen. Wir, das waren die Schüler der Klasse U III b des humanistischen Gymnasiums. Dieses war im Gebäude des jetzigen Gutenberg-Gymnasiums untergebracht, die Schule hatte zwei Zweige: "Huma" und "Real". Die vom "Huma" fühlten sich in der historischen Folge deutscher Geistesgeschichte, die uns damals so vermittelt wurde, selbstverständlich den traditionslosen Gesellen vom "Real" überlegen, die vorrangig Neusprachen und Naturwissenschaften lernten. Der feine Unterschied war schon an den Klassenbezeichnungen erkennbar: die Klassen im humanistischen Zweig wurden mit römischen Ziffern benannt, die im realgymnasialen Zweig mit arabischen. Sogar die Spitznamen der Lehrer war unterschiedlich; ein Studienrat, der in Mathematik und Religion unterrichtete und einen Turmschädel hatte, hieß bei den der platten Naturwissenschaft nahen Realgymnasiasten "Osram", während die Oberstufe des Huma von "Perikles" sprach.

Wir waren also Schüler einer "Huma"-Klasse, allerdings mit einem kleinen Makel. Als zweite Fremdsprache - nach Latein, vor Griechisch - lernten wir Englisch, während unsere Parallelklasse die einzige neuere Sprache erlernte, die vom Bildungswert angemessen war, also Französisch. Daher waren in unserer Klasse auch nur 35 Schüler, in der U III a jedoch 48. Es gab Klassen mit über 50 Schülern, nach oben wurde etwas ausgedünnt: "Pantalone, du musst dich nicht mit Latein abquälen, das schaffst du sowieso nicht! Werde doch Fliesenleger. Ich habe mir sagen lassen, so ein Fliesenlegermeister verdient mehr als ein Studienrat!" - Die antike Arroganz gegenüber dem Banausen wurde uns vorgelebt.

Das Schullandheim war wie eine ehemalige Reichsarbeitsdienstbaracke, stand in dem Dorf Holzhausen in der Nähe von Kassel und man muss es sich so vorstellen:

"Ein sauberer Holzzaun grenzt das Grundstück ab, Blumenkästen schmücken die Fenster, und von zwei Fahnenmasten flattern die Fahnen [- nein, nicht uns voran -] unserer Stadt und des Landes. So ist aus einem ehemaligen Fabrikgebäude im Laufe der Jahre der Mitarbeit der Elternschaft ein modernes, schmuckes, allen Anforderungen für die Belegung mit etwa 40 Schülern gerecht werdendes Heim entstanden, in dem sich die Jungen wohl fühlen, und das alle äußeren Voraussetzungen für das Gelingen der Arbeit schafft, die dort geleistet werden soll: Erziehung zu sozialem Denken durch Berührung mit den Bauern und Arbeitern, Gemeinschaftsbildung durch das Zusammenleben untereinander und mit dem Lehrer, Erziehung zur Selbständigkeit, körperliche Erholung und Ertüchtigung durch den Aufenthalt in der rauheren Luft Nordhessens, und durch das ausgewogene Verhältnis von Arbeit, Spiel und Wanderung." So StR Dr. Alban im Jahrbuch der Dilthey - Schule 1954/55.

Unsere Mitschülerin Vera wollte und konnte nicht mitfahren, da für sie kein Schlafraum vorhanden war. Daher brauchten wir einige Freiwillige aus der U III a, bis die erforderlichen 40 Schüler zusammen waren. Aus der Parallelklasse, in der Schüler wie Draheim und Mildenberger waren, fanden sich schnell einige, die "die rauhere Luft Nordhessens" dem Wiesbadener Schulklima vorzogen.

Unser Klassenlehrer, Herr Studienassessor Dobe, wurde von einem frischen, lockigen Referendar namens Milch begleitet und unterstützt. Mit einem Bus der Firma Fiehl fuhren wir ohne Herrn Dobe nach Holzhausen, nur Herr Milch war bei uns. Herr Dobe saß auf seiner 250er Ardie, da in Kassel seine Freundin wohnte, zu der er von Holzhausen aus nächtens fahren wollte, wie wir später recherchierten. Im übrigen galt Herr Dobe als Kommunist, was damals [und wieder jetzt?] ungefähr so schlimm war, wie wenn einer heute als Islamist enttarnt würde. Dies brachte ihm bei uns die Sympathie eines Outlaw wie Robin Hood - wir lernten Englisch! - ein.

In Holzhausen entpuppte sich Herr Dobe als jemand, der Lehrer an einer Napola hätte gewesen sein können: Mit uns wurde eine stramme paramilitärische Schulung durchexerziert. Nachtmärsche, Feldschlachten um Apfelsinenkisten, sämtliche Wanderungen nur nach Kompassmarschzahlen folgten aufeinander, spärlich unterbrochen von zaghaften Lateinunterrichtsbemühungen des Referendars, der doch lange nicht die bittere Schärfe unseres Lateinlehrers Dr. K. (Dottore tut ihm nicht die Ehre an, ihn mit vollem Namen zu erwähnen, er hat kein Anrecht auf Erwähnung im Netz) hatte.

Als wir nach Kassel zum "Herkules" wollten, war daher klar, dass ein Verkehrsmittel nicht benutzt werden würde. Von Holzhausen nach Kassel sind es 13 km, von der Innenstadt zum Denkmal noch einmal 7 km. Es war zwar erst Anfang Juni, aber die Sonne schien kräftig, die Straße war lange und staubig. Besonders entmutigend in Kassel war es überdies, dass man das Ziel schon von ganz weit sehen konnte, es aber auch nach längeren Beobachtungspausen seine Größe nicht veränderte, es erschien unerreichbar. Zudem gingen wir noch entlang einer Straßenbahntrasse, wobei die einzelnen Straßenbahnzüge uns in der Regelmäßigkeit ihres Fahrplans überholten.

In Dottore wurde der Wunsch übermächtig, wenigstens ein Stück mit der Straßenbahn zu fahren. Schon der Gedanke an die kühlen Holzbänke mit den Messingschrauben, an den Fahrtwind, sogar nur die Vorstellung, sitzen zu können, spornte ihn zu höchster Anstrengung an, wie er diesem elenden Marschieren entrinnen könnte. Nun gibt es seit alters her ein perfides Mittel, andere zum Handeln zu zwingen: Man schiebt ihnen Verantwortung zu. Dies ist besonders bei Lehrern erfolgreich, wähnen sie sich doch von jeher schon "mit einem Bein im Zuchthaus". Dottore aktivierte also einen im Jahr zuvor erlittenen Hitzschlag und erklärte meinen Mitschülern - tapfer weitermarschierend - , mir würde genauso schlecht wie im vorigen Jahr bei eben jenem Hitzschlag. "Dem Pantalone ist schlecht, der bekommt wieder einen Hitzschlag von der Sonne!" Besorgt erkundigte sich Herr Dobe, wie beiläufig erwähnte Dottore den Vorfall aus dem Jahr zuvor. Offensichtlich markierte er sein tapferes Weitermarschierenwollen zu vital, jedenfalls beschloss Herr Dobe, Dottore zwar vor Sonnenschein zu schützen, ihn aber nicht in die Straßenbahn zu setzen.

Herr Milch trug eine Kollegmappe in der Hand; das war eine jener aus beige-braunen Plastikmaterial gefertigten dünnen Mappen, die mit abgerundeten Ecken und zwei Reißverschlüssen damals neben pastellfarbenen Gabardinejacken ohne Kragen das Erkennungszeichen der Lehrer waren. Herr Milch wurde nun - heute würde Dottore sagen "dienstlich" - von Herrn Dobe aufgefordert, Dottore auf dem weiteren Weg mit Hilfe der Kollegmappe Schatten zu spenden, jedenfalls solle sein Kopf immer im Schatten sein: "Sonst fällt mir der noch um!"

Und so marschierte Dottore nun von da an durch ganz Kassel im Schatten der Kollegmappe, die der geduldige Herr Milch immer so zwischen die Sonne und Dottores Haupt hielt, dass es im Schatten war. Sein Ziel hatte er nicht erreicht, aber nun konnte er auch nicht mehr von seiner Hitzschlaggefährdung weg, ohne das Risiko einer Ahndung einzugehen. Die Mitschüler feixten, aber treu und gehorsam hielt der Referendar an der ihm erteilten Anordnung fest, mochte er auch an deren sachlicher Berechtigung immer mehr zweifeln. Anfangs fühlte Dottore sich wie Robinson, dem von Freitag ein Sonnenschirm aus Fellen hinterher getragen wird. Später wurde es ihm zusehends peinlicher und so entließ er schließlich bei Eintritt in den schattigen Park des Schlosses Wilhelmshöhe huldvoll seinen Schattenspender.

Befreit stürmte Dottore mit seinen Mitschülern durch den Park bis zum Oktogon, auf dem die Riesennachbildung des farnesischen Herkules steht. Auf einem Treppenabsatz machten alle Halt und schauten nach unten. Es kam eine Mädchenklasse, eines der Mädchen trug eine gelbliche Nyltestbluse. Nyltest war eines der ersten Kunststoffmaterialien in dieser Zeit und unter bestimmten Bedingungen durchsichtig. Diese waren gerade gegeben, man erkannte mehr als man ahnen musste, dass dieses Mädchen einen schwarzen Büstenhalter trug. Dies wiederum veranlasste Dottore, sich grossprecherisch über die nun doch verhüllten sekundären Geschlechtsmerkmale des Mädchen auszulasssen. Seine Mitschüler hörten ihm zwar zu, schauten ihn aber dabei so eigenartig an, so dass er sich umdrehte und dabei Herrn Milch entdeckte, der - unbemerkt von Dottore - hinter ihn getreten war.

Damals waren derartige Ausführungen in der Schule äußerst verpönt, man lebte schließlich noch in den fünfziger Jahren. Aber, Herr Milch sagte wiederum nichts, verpetzte ihn auch nicht bei Herrn Dobe, nur den Blick, mit dem er Dottore anschaute, wird er nie vergessen: Ohne sich in die Reihe derer einordnen zu wollen, die behaupten, sie könnten Gedanken lesen, ist er sicher, dem Blick die ironisch-verzweifelte Erkenntnis entnommen zu haben, "deswegen habe ich doch wohl nicht durch ganz Kassel die Kollegmappe über seinen Kopf gehalten".

Wenn Dottore dies alles nicht so genau noch wüsste, er würde selbst nicht glauben, dass so etwas geschehen ist, geschehen konnte. Dottore hat die Geschichte auch oft erzählt, weil sie in ihrer Absurdität über die Schule damals mehr aussagt als manche Analyse. So hat also diese Geschichte auch wiederum selbst eine Geschichte und zudem ihm 33 Jahre danach zu einem Erlebnis verholfen, das er zuvor nur in der Anekdote von Hebel über das Bergwerk zu Falun lesend erfahren hatte: Die Gegenwärtigkeit der Vergangenheit.

Als Dottores Sohn das Gymnasium besuchte, das – mit anderem Namen – das alte Huma ist, traf er einen reizenden älteren Herren mit weiß gelockten Haaren, einen Lehrer, der kurz vor der Pensionierung zu sein schien. Es war – leicht zu erraten – jener brave und liebenswürdige Referendar, der in der Geschichte immer jung geblieben, während Dottore selber immer älter geworden war. Die Gnade der selektiven Erinnerung hatte ihm allerdings die Episode aus dem Gedächtnis gestrichen.

Pantalone meint: So, wie der den Dr. K. zu hassen scheint, so geht er auch mit mir um.

Freitag, 11. Februar 2011

Statt im Eisen im Büro

Neben dem Studium, für das er gut genug versorgt wurde, wollte Dottore noch Geld verdienen, um längere Reisen zu machen und ein Auto zu unterhalten. Damals – Ende der 50er Jahre – ging man als männliches Wesen auf den Bau. Nun war das Dasein als Bauhilfsarbeiter mit bisweilen mühseligen Arbeiten verbunden, man stand am untersten Ende der Hierarchie. Auf einer Großbaustelle erhielt Dottore das Angebot, er könne Fuchsfahrer oder Eisenbieger/flechter werden. Fuchs war ein mit Rädern ausgestatteter kleiner Bagger, Baggerfahrer sind relativ angesehen, sie müssen sorgfältig arbeiten, ein Fehler von ihnen kann leicht Menschen verletzen. Dottore entschied sich für Eisenbieger, da er von zukünftiger Arbeit anderwärts ausging und Fuchsbagger eben nicht überall benutzt wurden. Nun war Dottore noch nicht Dottore, er strebte aber danach, über das, was er machte, Bescheid zu wissen. Also lieh er sich ein Buch über Stahlbetonbau aus und las es.

Eines Tages nun waren keine 8er Eisen da. (Einfügung von Pantalone: Nun kann der bologneser Schlaumeier los legen, wappnen Sie sich, es dauert Stunden, bis er seine angebliche Weisheit verkündet hat!). Trotz des unsachlichen Einwandes muss ich das wohl kurz und knapp erklären: Stahlbeton ist ein Baustoff, bei dem der Beton die statischen Druckmomente, der eingelegte Stahl die Zugmomente aufnimmt. Je dicker ein eingelegter Stahlkörper ist, desto stärkere Zugmomente hält er aus. Die Zugfestigkeit des Monierstahls wird nach seiner Dicke, also seiner Querschnittsfläche, berechnet. Es gibt nun die Bewehrungspläne, in denen festgelegt ist, an welchem Ort welche Stahlstangen im fertigen Baukörper sein müssen. Allerdings ist manchmal nicht alles festgelegt, so gibt es Bereiche, in denen dem auf der Baustelle Tätigen überlassen bleibt, welchen Monierstahl er einlegt, es muss nur die Querschnittsfläche stimmen. In einem Pfeiler, Säule genannt, sollten auf zwei Seiten je drei 8er Eisen (also Stahl) eingebaut werden, aber 8er waren nicht da, nur 10er, damit ist der Durchmesser gemeint.

Die Rechnung ist einfach und letztlich leicht nachvollziehbar:

Die Fläche des Kreises ist π x r x r. Da die Summe beider Kreisflächen (also der vorgesehenen 8er und der vorhandenen 10er) gleich sein soll, ist eine Gleichung nötig. Da die nicht leicht beim Rechnen handhabbare Zahl Pi auf beiden Seiten der Gleichung auftaucht, kann man sie kürzen.

6 x (8:2) x (8:2) x π = X x (10:2) x (10:2) x π
6 x (8:2) x (8:2) = X x (10:2) x (10:2)
6 x 4 x 4 = X x 5 x 5
96 = X x 25
X = 4

Es entspann sich folgendes Gespräch:

Jungdottore: Polier, wir brauchen sechs 8er Eisen!
Polier: Mir habbe kaa 8er, nur 10er und 12 er.
Jungdottore (nach kurzer Rechenpause): Dann brauchen wir 4 10er!
Polier: Woher willst dann Du des wisse?
Jungdottore: Das habe ich ausgerechnet!
Polier: Des kann mer nit ausrechne, do muss mer im Bucch nachgucke.

Daraufhin holt der Polier den Stahlkalender aus der Tasche und schaut nach. Dann guckt er Dottore kurz an, nickt und beschließt, dass dieser ihm von nun an nicht geheuer ist.

Die Baustelle wurde wegen ihrer Größe von einer Arge betrieben, die möglichst wenige Angestellte bezahlen wollte. Die örtliche Bauleitung saß in einer Baracke, in der ein Raum mehr als kniehoch mit Plänen für das Bauvorhaben angefüllt war. Jeder Plan war erst nach langem Suchen zu finden. So sann man darauf, irgendjemand aus der Schar der Arbeiter zu finden, den man "aufs Birro" schicken konnte, ohne förmlich einen Angestellten zu beschäftigen. Der Polier wollte diesen eigenartigen Dottore loswerden und schlug ihn vor. Dottore sträubte sich etwas zum Schein, verlangte wegen der schwierigeren Arbeit eine Prämie von einer angerechneten Stunde täglich, ohne sie ableisten zu müssen, was genehmigt wurde.

Blitzschnell verwandelte Dottore sich in einen Bürokraten. Rasch erkannte er das System der durchnummerierten Pläne, orderte Regale und Kisten voller Leitzordner sowie eine Büroeinrichtung mit einem Locher. Alle Pläne wurden erfasst, in Ordner mit Inhaltsliste geheftet. Im Grunde war die Arbeit nach einer Woche erledigt, dann kamen pro Tag nur noch zwischen 20 und 50 neue Pläne, die sich ebenfalls rasch in die nun bestehende Ordnung einfügen ließen. Aber Dottore entwickelte nun instinktiv bürokratisches Bewusstsein. Die Pläne wurden nicht sofort alle eingeordnet, ein immer kleiner werdender Haufen der Pläne auf dem Boden bewies die Notwendigkeit seiner Weiterarbeit. Auch musste von nun an der Erhalt eines Planes auf den Inhaltslisten der Ordner quittiert werden. Die meiste Zeit verbrachte Dottore damit, die sich die Pläne anzusehen und dabei doch etwas von der ihm bis dato fremden Sphäre zu lernen.

Die Verwandlung in einen Bürokraten wurde auch von den anderen Mitarbeitern akzeptiert, es gab die gemeinsamen Pausen, es gab „die da draußen“, man verlegte ein Telefon in den Raum für die Pläne, Dottore mahnte rechtzeitig die Übersendung neuer Pläne an, man war traurig, als das Semester begann und Dottore sich verabschiedete. Die stärkste Veränderung geschah beim Polier. Zuerst nahm er beim Betreten des Raumes der Pläne die Mütze ab, dann akzeptierte er widerspruchslos das verlangte Quittieren, sein auf der Baustelle völlig übliches „Du“ wurde zuerst durch unpersönliche Anrede ersetzt, nicht mehr: „Gebb mer mol de Plan 598/34“ sondern „Isch bräuchte de Plan 598/34“, dann erst versteckt ein „Wenn Se en da habbe“, bis zum offenen Sie und Hochdeutsch. Wurde der wöchentlich gezahlte Lohn zuerst mit „Da, die Lohndudd“ überreicht, so hieß es jetzt: „Hier Ihre Lohntüte“. So sammelte Dottore soziologische Einsichten einschließlich der Feststellung, dass er eben zu den Klasse der Herrschenden gehöre, Rechnen als Eintrittsgebühr in die höhere Klasse.