Dienstag, 14. August 2018

Ponte Morandi zu Genua

Heute, 14.08.2018, ist um ca. 11.30 h die über den Torrente Polcevera bei Genua führende Brücke eingestürzt, offiziell war das Bauwerk Ponte Polcevera geheißen, im Volksmund wurde es nach dem Planer Ponte Morandi genannt.

Die Berichterstattung bedient den Bedarf nach „schrecklichem Schauer“ der Leser und Betrachter, viele erinnern sich, sie benutzt zu haben, Dottore vertraute im September 2017 zuletzt diesem Bauwerk. Bild 1 (aus Bing Maps) zeigt die Brücke von oben, zwischen dem zweiten „i“ von Ventimiglia bis zum „a“ der in der Mitte sichtbaren Bezeichnung „Ponte Polcevera“ ist sie nicht mehr.


In Google Earth kann man das Ganze näher sehen, der rot markierte Teil ist abgestürzt. Nach dem in der erwähnten Erdbetrachtung vorgegebenen Maß sind es ungefähr 230 m.


Nimmt man aus Wikipedia das Foto des Bauwerks, so erkennt man, dass der rot markierte Teil sich links und rechts des Pfeilers erstreckt, der in der Mitte des ungefähr 950 m breiten Tales liegt.


Den gleichen , nunmehr nicht mehr vorhandenen Abschnitt der Brücke ist auch auf dem vierten Bild zu sehen, deutlich stellen sich die einzelnen Sektionen der Brücke dar:


Über den Grundpfeilern, gleich, ob sie breit für einen Pylon ausgebaut sind, oder nur relativ schmal für einen reinen Stützpfeiler, ist der eigentliche Brückenkörper jeweils von größerer Stärke. Dagegen sind die Zwischenstücke, die dazwischen gehängt sind, etwas geringer in der Höhendimension, wie auf dem folgenden Bild farbig dargestellt.


Der in der Talmitte stehende Pylonpfeiler ist also eingestürzt, was zur Folge hatte, dass die auf dem entsprechenden Brückenteil aufliegenden, eingehängten Teile links und rechts ebenfalls hinabstürzten. In den Printmedien wurde bislang nur erwähnt, dass die Brücke ein Tal quere und dabei über Gleisanlagen und Straßen leite. Das ist unvollständig. In der Mitte des Tales fließt der namensgebende Fluss Polcevera. Er wird als Torrente bezeichnet, aber was ist ein Torrente?

Solche Flüsse gibt es im gesamten Mittelmeerbereich, bei uns heißen sie (meist in den Alpen gelegen) Sturzbäche. Bei heftigem Regen können sie ungeheuer anschwellen, weswegen ihnen auch meistens ein breites Flussbett spendiert wird, um eben Überschwemmungen zu vermeiden. Ansonsten rieseln sie harmlos vor sich hin, man ist geneigt, besonders im Sommer an der Vernunft derjenigen zu zweifeln, die solch breite Flussbetten aufrecht erhalten. Der Torrente hat aber noch einen Zwilling, nicht immer, aber öfters: das ist der Fluss mit fast identischem Verlauf wie an der Oberfläche, jedoch in erheblicher Tiefe. Das rührt daher, dass der Torrente meist loses Gestein, Sand und Kiesel, also wenig bindige Erde, bei den Sturzfluten mit sich geführt hatte, die nun teilweise tief im Flussbett unten ruhen. Also versickert das Oberflächenwasser leicht und ein unterirdischer Fluss fließt unerkannt, auch im Sommer, wenn oben alles ausgetrocknet erscheint. Solche unterirdischen Flüsse münden dann ins Meer, man erkennt dort den Wasseraustritt an dem kälteren Wasser und den umgebenden Schlieren, die sich ob der unterschiedlichen Salinität ergeben. Berücksichtigt man noch, dass das Mittelmeer in geologisch betrachtet jüngerer Vergangenheit eine erheblich tiefere Wasseroberfläche hatte, so ist nur zu leicht anzunehmen, dass der Torrente Polcevera sich im Laufe der Erdgeschichte ein sehr tiefes Flusstal geschaffen hat.


Verwunderlich ist das „Abkippen“ der Ruine des mittleren Pfeilers, der während des Einsturzes oder kurz davor eine Schrägbewegung gemacht haben muss. Die Oberstudienratszeitung „Die Zeit“ zeigt als einzige dieses Bild. Der Pfeiler hat sich offenbar nach Osten abgesenkt. Bemerkenswert wenig Baustahl ragt aus den Betonteilen.

Dottore ist weder Statiker, noch Bodenkundler, noch Prophet, aber er ist rechthaberisch. Eine leidige Eigenschaft, bei der es eben dem richtigen Rechthaber darauf ankommt, auch recht zu behalten, wobei dies nicht durch Negation des Widerspruches geschehen kann. Gleichwohl wagt er schon heute eine Prognose über die Einsturzursache: Der in der Talmitte stehende Pfeiler ist nicht ausreichend gegründet worden, nach langer Standzeit im Tiefengeröll gab sein Fundament nach. Dabei mag mitgewirkt haben – das kann man in diesem südlichen Land nie ausschließen –, dass auf wundersame Weise der Beton nicht ausreichend bewehrt worden ist, obwohl die Pläne dies vorschrieben. Baustahl ist teuer und begehrt, süditalienische Organisationen können auch in Genua die Hand aufgehalten haben. Ob dann offiziell das „Betonkriechen“ für die Ursache angegeben wird, wäre denkbar, ist aber doch zu oberflächlich.


Zu den neudeutschen Moralvorstellungen gehört es, „Gaffer“ zu verachten. Dabei werden wir ununterbrochen mit Ereignissen konfrontiert, die sich irgendwo in der Welt ereignen, unabhängig davon, ob sie irgendeinen Einfluss auf unser Leben haben oder nicht. Als Dottore vor Jahrzehnten eine Journalistin anhimmelte, da versuchte er ihr die Fragwürdigkeit der übermittelten Tatsachen damit zu erklären, dass alle vier Wochen ein Bus in Südamerika in eine Schlucht stürzt, die Presseagenturen uns damit pflichtschuldigst behelligen. Sie glaubte es nicht, aber dann schickte sie in regelmäßigen Abständen jeweils ein Fax mit der entsprechenden Meldung. Trotz richtiger Einschätzung wurde Dottore nicht erhört, sei´s drum.

Festzuhalten bleibt aber, dass wir in einer Welt leben, an der wir unsere Wahrnehmungen nicht unmittelbar anstellen, sondern immer mehr durch Mittel, eben Medien, kanalisiert werden. Ist es angesichts der Unmittelbarkeit des Geschehens nicht ein geradezu emanzipatorischer Akt, sich selbst nun ein Bild von den Sachen zu machen, die nun endlich vor dem eigenen Auge ablaufen? Es festhalten zu wollen, ist wiederum nur ein Akt der Vermittlung des Grauens, gar den Zutritt oder die Zufahrt Helfender zu behindern, krass verwerflich. Und so schauen sie denn zu, unsere südlichen Nachbarn. Ob auch die italienische Polizei diese Gaffer verscheucht?