Dienstag, 26. Juli 2016

"Eine nicht akzeptable Entgleisung"

Der Präsident (IOC Präsident Bach) ist nicht damit einverstanden, was der einfache Sportler (Robert Harting) über ihn und seine Entscheidungen meint. Er sieht sich beleidigt und überhaupt. In der Sache geben wohl alle Gutmeinenden, die zugleich die arglos Unwissenden sind, dem Sportler recht, aber die Einsicht in tiefere Gründe ist ihnen verwehrt.
Beide sind Olympioniken, haben aber völlig andere Vorder- und Hintergründe; das letzte Wort dient jetzt als Begriff für Herkunft, wenngleich ohne „Migration“ Hintergrund sehr mager aussieht. Da ist zum einen die Sportart, Fechten ist elegant und treffsicher, ein Sport der Menschen, die auch sonst sophisticated sind. Diskuswerfen ist mit Hammerwerfen und Kugelstoßen die schwere Schwester der Leichtathletik, gerade noch so akzeptabel in den Kreisen, die sich besser dünken. Aber die Ausbildung und die Berufspraxis: Man studiert eine Herrschaftswissenschaft, also durchläuft eine Ausbildung, an deren Ende man zu denen gehört, die da sagen: „Nun machen Sie mal!“ Entsprechend dann die Kontakte zu Großindustrie und dem internationalen Kapital. So geprägt kann man dann zu recht meinen, Bach hat Stallgeruch, so einer gehört zu uns. Dagegen wird selbst ein äußerst erfolgreicher Abschluss des Studiums der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation allenfalls dazu prädestinieren, ein Logo für die WM 2040 zu entwerfen, nach der vorherigen Aufforderung: „Nun machen Sie mal!“ Und der Beruf: Wenn er wenigstens Offizier wäre, aber als Feldwebelaspirant ist man meilenweit davon entfernt, Schwiegersohn werden zu können. Und, haben Sie ein Foto in Erinnerung, auf dem Bach seine Fechtjacke zerreißt?
Jedoch ist von diesem Geplänkel wahr, dass der eine in dieser weltweiten Mafia der Unternehmer angekommen ist und der andere nicht begreift, dass er ein aufrechter Unternommener geblieben ist, was ihn sympathisch macht. Es geht nicht um Sport, sondern um Kohle verdienen – in Zeiten der zwangsläufigen Verwandlung der Körperertüchtigung in erwerbsträchtige Unterhaltung derjenigen, die dafür noch zahlen dürfen. Frei nach Brecht: Was ist ein optimaler Diskuswurf gegen dessen weltweite Verbreitung für viel Geld.  
Schon der Name „Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation“ zeigt die Verlogenheit dessen, was der junge Mann glaubt richtigerweise zu studieren: Welche Gemeinsamkeit kann sich denn überhaupt nach einer wie auch immer aussehenden Kommunikation ergeben? Die Wirtschaft, nämlich diejenigen, die Auftraggeber sein werden, benutzt den akustischen oder visuellen Eindruck, um ihre Produkte oder Meinungen zu verhökern. Anders als in schlichter Anpassung der Betrachter an das Vorgegebene kann nichts Gemeinsames entstehen. Der Misserfolg einer Werbekampagne führt nie zum Nachdenken über das Produkt, sondern zum Nachsinnen über andere Übervorteilungstechniken.

Der Parsifal Harting hat gegen den Klingsor Bach keine Chance, leider. 

Für meinen Freund Lullus, der enttäuscht ist, es aber schon lange besser wusste.   

Mittwoch, 20. Juli 2016

Eitelkeiten verhindern Katharsis

Da spiegelt eine Frau sich und der Allgemeinheit vor, eine qualifizierte Ausbildung hinter sich gebracht zu haben einschließlich einer entsprechenden Berufspraxis. Dottore ist in diesem Fall zynisch, er neigt der Ansicht zu, man lerne nach dem ersten juristischen Staatsexamen in der Folgezeit sowieso nur zwei Dinge: Einmal das richtige Zitieren von Aktenzeichen, zum anderen –  im Bereich des früheren Preußens – wie man ein Blatt einer Akte so faltet, dass es bei einem Aktenvortrag rasch und sicher zum Zwecke des Vorlesens einer wichtigen Passage gefunden werden kann (sog. „Preußischer Aktenkniff“). Beides weist einen als zugehörig aus, man ist in der Kaste der Volljuristen angekommen, zumindest aber auf dem Weg dorthin. Je weiter diese Frau nun auf der Leiter der Karriere emporstieg, umso schwieriger, fast unmöglich wurde es für sie, zur biederen Wahrheit zurückzukehren. Wendet man sich in solch verfahrener Situation an einen juristischen Berater, so tut man gut daran, ihn vorab darauf zu überprüfen, ob  der ebenfalls von Eitelkeit geplagt ist; sollte das der Fall sein, so meide man den Rat und die daraus folgende Tat.

Wenn man als Angeklagter vor Gericht steht, dann hat es sich in den letzten Jahren so eingebürgert (eigenartiges Wort!), dass der Untäter sein Geständnis durch den Verteidiger verlesen lässt; Hintergrund ist dabei, dass nur so der Verteidiger sicher sein kann, dass sein Mandant sich nicht ungeschickt äußert. Wie solch ein Geständnis im tiefsten Innern der richtenden Personen gewertet wird, entzieht sich der Empirie; Dottore schätzt den Wert eines solchen Geständnisses gering ein – im Hinblick auf die Strafzumessung. Meist erfolgt es, wenn sowieso die Beweislage „erdrückend“ ist, den FAVOR FORI muss man anders erringen als mit ein bisschen Arbeitsersparnis bei der Beweisaufnahme. Was jedoch vor einer Strafkammer gegebenenfalls oder eventuell zweckmäßig sein kann, ist es gegenüber der Öffentlichkeit nie. Ein wirklich guter und uneitler Berater hätte der Essener Bundestagsabgeordneten geraten, es so zu handhaben, wie weiland 1077 Heinrich IV. vor Canossa, also selbst und unmittelbar für sein eigenes Unrecht einstehen, und nicht, über einen Anwalt eine peinsame Erklärung absondern lassen. So bleibt den nur der Rückzug aus dem Gebäude der Lüge, der Rückzug aus den Gefilzen der Politik übrig; übrigens bleibt festzuhalten, wie wenig man juristisch geschult sein muss, um Gesetze zu machen.  

Den gleichen Fehler hatte schon der unselige Bundespräsident Wulff gemacht, der mit seinem Volk, dessen Repräsentant er bisweilen war, nur noch via Anwalt kommunizierte. Man muss zwar nicht mehr barfuß im Schnee stehen, aber doch wenigstens so viel Schneid haben, das Richtige und Wichtige selbst zu sagen. Schon deshalb war er unqualifiziert, einschließlich seines Beraters, der seinen Drang nicht zügeln konnte, nach Außen hin in Erscheinung zu treten. Wenn man sophisticated ist, macht es zudem mehr Spaß, mit Marionetten zu spielen, aber auch dies ist dann pervers.

So zählt es denn zu den bitteren und unnötigen Folgen der Eitelkeiten, dass alle sich als unfähig erweisen, wenn es um die eigene Person geht. Schon Max Frisch sagte sinngemäß, man erfindet eine Geschichte und erklärt, das sei sein Leben.