Freitag, 25. Januar 2013

Ägypten 3 – Familienkarren

Als Dottores Liebling, Pascal Sebah, neue Geschäfte witterte, nahm er in Kairo neben viel anderem auch diese Familie auf, die vom Markt nach Hause fährt. Der strenge Vater wurde durch den halbwüchsigen Sohn davon überzeugt, dass es nicht gefährlich sei, sich photographieren zu lassen. Das Bild ist schnell gemacht, die auf dem Karren sitzenden Frauen haben nicht still gehalten. Links ragt das Gewand eines Zuschauers herein, vorne sitzt ein Kind, das Rubens schon Model gestanden haben könnte. Man sieht die Aufbruchsstimmung, nur die gemeinsame Überredung des Sohnes und Sebah hält den Abmarsch auf. Der präsumtive Käufer war sicher, so etwas gesehen zu haben.


Als Felix Bonfils einige Jahre später nach Kairo kam, schickte er seinen Sohn aus, in den Läden der Konkurrenz danach Ausschau zu halten, was denn so liefe. Der berichtete dann, sich an das Bild von Sebah erinnernd, von „Karren mit Menschen“ drauf.


Als der Vater mit der ersten Aufnahme zum Quartier der Familie in Kairo kam, hatte sich gerächt, dass im Französischen Männer und Menschen gleich ausgedrückt werden. Nicht Männer, Menschen sind drauf, mon père! Das bekam Bonfils wieder nicht so richtig mit, schnell eilte er zum Aufnahmeort, er schien Glück zu haben, der Junge mit dem Eselskarren wartete immer noch auf seine Familie. Also wurden „mit Geld und guten Worten“ einige Frauen mit Kindern überredet, auf dem Gefährt Platz zu nehmen, la même procédure comme dernier chaque jour. Nur den Stock musste der Junge weglegen, wie übrigens der Lehrer in der „Häschenschule“, nach dem Motto: nicht das Bewusstsein ändern, sondern politisch korrekt erscheinen .


Auch die armenischen Brüder mit dem arabischen Namen wurden vom Touristengeschäft mit Bildern in Kairo angelockt. Zwar nahm man sich mehr Zeit als der viel ablichtende Franzose, was an den schlafenden Kindern ersichtlich zu sein scheint, aber eine Familie war das auch nicht, der Esel fehlte, der Karren war nach seiner Konstruktion im Grunde nur commod, wenn es leicht bergauf ging, kurz: trotz der aufgewendeten Zeit ein schlecht arrangiertes Bild.


Auch der unbekannte Photograph wollte das Motiv ablichten, nur es geriet ihm besser, weil er nicht kopierte. Auf dem Weg zum Markt mit einigen Truthähnen außerhalb, mehr aber innerhalb der geflochtenen Käfige hielt er den Wagen samt menschlicher Begleitung fest. Das Bild zeigt uns eine freundliche Bauersfrau, die einen Rest an Misstrauen bewahrt hat, eine schüchtern-kokett lugende Tochter und einen seiner Rolle als Verantwortlicher bewussten Sohn. Diesen Menschen möchte man selbst begegnet sein.


Eigentlich müssten sich die griechischen Brüder Zangakoi nennen; wir wissen nie, ob´s Georg, ob´s Constantine aufgenommen hat. Seit dem Bild mit der Kanone in Alexandria, die einen aufgeplissenen Lauf hat, mag Dottore sie. Dieses Bild von ihnen ist auch gelungen. Der pater familias schaut drein wie ein evangelischer  Pastor aus Norddeutschland, die zweite von links nutzt den Umstand, unverhüllt zu sein, und lächelt zur Kamera. Der Wagen ist der komfortabelste, er ist mit einer Unterlage für die Sitzenden ausgestattet. Ob wirklich ein Friedhofsbesuch stattfinden sollte?


Heute huschen die Autos an einem vorbei, man erkennt allenfalls die Marke und den Typ des Fahrzeugs, die Menschen bleiben einem für immer verborgen. Die Geschwindigkeit des Gefährtes vereinsamt Passagiere und Passanten.

Nachtrag (25.06.2013)


Es ist immer nützlich, sich in anderen, entfernteren Teilen des Netzes umzutun, außer anderen Texten findet man auch andere Bilder als diejenigen, die die Googlewelt anbietet. Bei Yandex war das bis dato nie gesehene Bild zu finden, das in diesem Post nicht fehlen darf. Das Bild des unbekannten Photographen wurde sehr grob gescant, Riesenpixel machen sich breit.


Das nächste Bild ist schon gezeigt, Bonfils ist nicht nur bisweilen dem Spott Dottores ausgesetzt, um 1900 wurden seine Bilder zu Vorlagen degradiert, selbstverständlich ohne seine Autorenschaft zu erwähnen. Das von Zürich aus agierende Unternehmen Photoglob war der Sepiafarbgebung überdrüssig und führte die Farbe ins Geschäft der Reisefotografie ein, die durch die Neuerungen des Herrn Eastman begann, überflüssig zu werden. Da aber die Amateure auch nur s-w- Filmmaterial hatten, war die Farbe der letzte Versuch, diese Sparta des Photogewerbes zu retten. Jedoch muss konzediert werden, die Photoglobtrotters haben es gut gemacht, so könnte die Familie ausgesehen haben, nur das Rot des hinter der Deichsel sitzenden Kindes ist zu krass.


Und so darf denn in dieser Galerie nicht Gabriel Lekegian fehlen, zumal seine Photographie eine - unbeabsichtigte? - Mischung zwischen "gestellt" und "Schnappschuss" darstellt. Nun hatte er alles so schön arrangiert, kroch unter sein Tuch und löste aus. Alle hielten gehorsam still, was aber machte die links sitzende Bäuerin? Sie konnte nicht schweigen, kam doch Saida vorbei, der sie unbedingt erzählen musste, dass Djamila doch noch ihren Willen durchgesetzt hatte und Fuad heiraten werde, na, wenn das kein Grund ist!

Nachtrag 09.07.2016

Polt erläutert sehr schön, was nachtragend ist, aber macht schon jeglicher Nachtrag einen zum nachtragenden Menschen? Pantalone beharrt darauf, nachträglich etwas anzufügen, nämlich eine Variante des Bildes 1. Wenn Sebah genug Zeit hatte, noch zwei weitere Menschen auf die Familienkarre hieven zu lassen, dann kann das mit der alsbaldigen Abfahrt doch nicht so eilig gewesen sein! Auch ist das Bild nur in schlechter Qualität überkommen, aber Vollständigkeit ist der Wahn der Sammler. Ergo: 



Samstag, 19. Januar 2013

Sprache in Zeiten des geöffneten Mieders


Zu Göttingen blüht die Wissenschaft,
Doch bringt sie keine Früchte.

Heine in: Der Tannhäuser, Legende, 1836

Die algerische Armee hat die BP-Gasanlage in Algerien gestürmt: Alle elf Terroristen sind tot. Die verbliebenen sieben Geiseln waren offenbar zuvor von den Islamisten hingerichtet worden.

Spiegel-Online am 19. Januar 2013


Als Kleist vor über 200 Jahren „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ schrieb, konnte der Verfasser des ersten Zitats schon lesen, nicht aber den Text von Kleist, da er erst nach beider Tod veröffentlicht wurde. Der Verfasser des zweiten Zitats wird zwar Lesen können, aber der Druck, ununterbrochen Texte absondern zu müssen, hindert ihn am Denken und damit daran, vernünftige Texte herzustellen; selbst beim allmählichen Verfassen von Texten stellt sich bei Journalisten kaum mehr als ein Gedanke ein. Das Umwandeln der schlechten Sprache der Presseagenturmitteilung in lesbares Deutsch setzt nämlich ein Nachdenken über die Nachricht voraus.

Liest man langsam die erste Zeile von Heine, sinnt ein wenig nach, so stellt sich Freude und Zufriedenheit ein, man sieht die munteren Wissenschaftler auf Lichtenbergs Spuren. Umso jäher der Umschlag, wenn man in Zeile zwei auf die biologische Realität geworfen wird. Während Heine in den „Nachtgedanken“ neun Strophen braucht, damit man sich im Deutschtümeln behaglich suhlt, um einen dann in der 10. zu einem klaren, übernationalen  Erwachen aufzurütteln, sind es hier gerade nur mehr zwei Zeilen. 

Das Klammern an das Judentum in der Diaspora war jahrhundertelang immer auch eine intensive Beschäftigung mit dem Text der heiligen Schriften, eine Klärung (Interpretation) ihres Sinnes. Jedenfalls scheint den Nachfahren dieser gläubigen Juden eine Achtung vor der Sprache und ein sorgsamer Umgang mit ihr eigen zu sein. Karl Kraus war trotz der Distanz zu Heine – das Lockern des Mieders ließ doch die jungen Frauen freier atmen – ein empfindsamer Leser und Schriftsteller, ihn grauste es vor der Sprache des Schmocks, die ihm einst und uns heute immer wieder vorgesetzt wird. 

Kann man nun von so einem gehetzten Journalistenwesen verlangen, er solle sorgsam mit der Sprache umgehen und genau formulieren? - Treffen sich zwei befreundete Anwälte, die in einem Rechtsstreit Kläger und Beklagten vertreten. Sagt der eine: "Bitte entschuldige den langen Schriftsatz, ich hatte keine Zeit!" - Man muss es verlangen, ist doch die Sprache mehr als ein schäbiges Vehikel mit dem "News transportiert" werden. 

„Was ich an dem zweiten Text auszusetzen habe?“

Satz 1 und  2 sind sprachlich kaum zu beanstanden. Der dritte Satz aber ist nach seinem Wortlaut geeignet, vermuten zu lassen, sein Verfasser spreche den Terroristen staatliche Kompetenz zu. Das gewaltsame Beenden eines menschlichen Lebens wird – kaum ohne Wertung – als töten bezeichnet. Will der Handelnde das geplant, ist gar noch von niedrigen Motiven geleitet, so spricht man von morden. Das Hinrichten ist dagegen der Vollzug einer anderweitig ausgesprochenen Entscheidung, früher sprach man vom Henker als vom Nach-richter. Hinrichten setzt also eine richtende Vorinstanz voraus, diese Tötung ist die Umsetzung eines Rechtsaktes, ob uns das dabei angewandte Recht nun passt oder nicht. Da Recht fast untrennbar mit Staatlichkeit verbunden ist, innerhalb deren es ausgeübt wird, kann eben nur ein Staat hinrichten. Das wahrscheinliche Bekenntnis der Terroristen zur Scharia macht aus der Ermordung der Geiseln keine Hinrichtung. Die Wahl des Tempus in Verbindung mit dem Wort „zuvor“ sei nicht kritisiert, das Wort „offenbar“ verbreitet Läppigkeit, die unangemessen ist.

Nun ist eine Banalität in epischer Breite dargelegt worden, viel einfacher wäre es, der Verfasser hätte länger und öfter Karl Kraus gelesen, was er aber noch nachholen kann.

Donnerstag, 10. Januar 2013

Gegreine um Suhrkamp


Nie wird Dottore den Augenblick vergessen, als er in das Schaufenster der Universitätsbuchhandlung Bouvier in Bonn schaute und den ersten Regenbogen sah, die ersten Bücher der edition Suhrkamp. Edles Design war mit erlesenen Autoren zu einer Einheit verbunden, jedes der Bücher wollte er haben. Seine wirtschaftliche Lage als Student setzte dem Grenzen. Dottore erlebte wohl einen Paradigmenwechsel, ein Begriff der zeitgleich auftauchte. 

Dem abtretenden Adenauer wurde von einer neuen Kultur  der Abgesang erbracht. Bis dato hatten die rot-gelben RoRoRo-Extras geholfen, das Unbehagen zu verbalisieren. Nun aber vermittelten die gebündelten Suhrkampautoren dem Bürger die Worte und die Gedanken,  seine Kritik an der sozialen Wirklichkeit treffend zu fassen. War RoRoRo noch aufmüpfig und nur unbequem, so läutete die neue Reihe die Zeit umfassender Kritikmöglichkeit ein. Müller-Bentmann, Die Villa als Herrschaftsarchitektur, hat den Geist des Umdenkens in weite geisteswissenschaftliche Bereiche gebracht, nicht nur in die Kunstgeschichte.

Dann kamen unruhige Jahre, Jahre auch des Lesens und Diskutierens, der Suhrkampverlag hat an der nicht vollzogenen, weil eben unmöglichen Revolution gut verdient, sehr gut sogar. Aber man war immer noch scharf hinter dem Geld her: Als Dottore die ihm beim Erscheinen der Hegelausgabe zugesagten kostenlosen Registerbände einforderte, da erhielt er einen langen Bettelbrief, wie teuer das alles nun geworden sei, man biete die zwei Bände zum Sonderpreis an. Bis sie eintrafen, waren sie teurer als regulär im Laden gekauft.

Der Unseld hat gute Bücher gemacht, gut verdient, nur hat den gleichen Fehler gemacht wie Willy Brandt, er hat im Alter die falsche Frau geheiratet. Solange das seine Privatsache war, blieb das unerheblich, nur Frau Schmidt gelüstete nach mehr. Da hat es die Familie Schwarz (Lidl) schlauer machen lassen: Es gibt eine Stiftung, die vor der Familie sicher ist, und eine Familie, für die die Stiftung aufkommen muss. Dynastische Erwägungen kommen bekanntlich als Möglichkeiten der Zukunftsgestaltung nur in Monarchien und Nordkorea vor, wenngleich die jüngeren Erkenntnisse aus China ähnliches fürchten lassen.

So also wurde die Institution verzockt, nach dem Klassiker-Verlag, der aufwendig, aber nützlich war, dann der Religionsverlag, der die Notwendigkeit eines Halsgeschwulstes bei Jodmangel hatte. Aus der Warte des in der Loge des Alters sitzenden Beobachters ruft Dottore:

Ihr Wissenschafts- und Belletristikautoren habt keine Angst, der Wechsel ist unvermeidlich! Ein Verlag ist keine Institution, sondern ein Wirtschaftsbetrieb, dessen Ideologie die Förderung der, das Teilhaben an und das Leben in der Kultur ist. Dabei geht es schlicht um Kohle. Also der Verlag wird unbedeutender werden, andere Verleger werden die Netze auswerfen, kurz: der Wechsel ist auch im Verlagswesen das beständige. 

Don´t cry for suhrkamp, Habermas!

Montag, 7. Januar 2013

Dottores Türkeibilder


„Ich wusste es, ich wusste es ganz genau, dass dieser Kerl dann auch das, was er Bilder nennt, zeigen will. Dabei wollte ich doch nur nicht als derjenige gelten, der immer lediglich die alten Bilder aufmotzt. Ich wollte auch neue, eigene zu zeigen. Dann gibt er sich generös, sicherlich hat er sich damals schon gedacht, dass er dann auch seine anatolischen Machwerke präsentieren kann. Nun bin ich leider kein Ikonoklast, das läge allerdings doch schon geographisch näher bei den Orientbildern!“

„Weder im Kopf, noch im Herzen ist Pantalone bereit einzusehen, dass die Bewahrung von Parität ein Grundansatz menschlichen Zusammenlebens ist, da spielt ihm seine venezianische Krämerseele einen Streich. Wer darauf aus ist, andere zu übervorteilen, der kann im Gegenüber nicht seinesgleichen entdecken, darf es auch nicht. Meine Bilder sind mehr instruktiv orientiert, es darf auch von der anderen Seite der Ägäis berichtet werden.“

„Im Gegensatz zu Dir, geschätzter Dottore, verstehe ich kaum etwas von Recht, aber ich erinnere mit, dass das Gericht in Karlsruhe den verständigen Satz produziert hat, der besagt: `Gleiches muss gleich behandelt werden, aber ungleiches ungleich`, danach dürften eben Deine anatolischen Buntheiten nicht ins Netz, mein lieber bologneser Klugscheisser. Aber, sei´s drum.“

Beide (ungewollt unisono zueinander): „Dass Du immer dem verehrlichen Publico so etwas auftischen musst, das interessiert doch kein Schwein!“


Hinter Yusufeli steigt das Kaçkar-Gebirge bis auf fast 4000 m Höhe an. Die Bäche und Flüsse sind grün wie die Isar, dies Haus scheint aus dem Schwarzwald zu stammen. Nur die Römer bauten identische Villae rusticae, gleich ob sie in Nordafrika oder in England stehen sollten. Alle anderen Menschen bauen nach klimatischen Gegebenheiten mit der Folge, dass eben türkisches bisweilen alpin aussieht. 


Festhalten am einmal Gefundenen war auch eine Eigenart der Griechen; war endlich die als optimal angesehene Darstellung eines Bildinhaltes geschaffen worden, so wurde danach nur noch – so würden wir es heute sagen – kopiert. Das hat den Vorteil, dass man einfacher erkennt, was dargestellt werden soll. Hier am Fuße der Skene des Theaters von Milyas liegt ein Relief, das trotz der allfällig festzustellenden Verwitterung Theseus zeigt, der gerade Minotauros mit seinem Rinderschädel töten will. Zu irgendwas müssen die unseligen Stunden im Gipskabinett doch gut sein!


Isaura vetus wird immer mit Ulupinar als Ausgangspunkt genannt, mittlerweile ungünstig. Besser ist es, nach Hacilar zu fahren, dort an der Moschee rechts abzubiegen, um dann auf einem relativ guten Weg bis fast nach Isaura zu gelangen. Die hellenistische Stadt ist nicht ausgegraben, eine sehenswerte Stadtmauer umschließt das Ganze, an einer Quelle im Osten der Stadtfläche kann man sich erfrischen. Wo war bloß das Theater?


Yalvac erstreckt sich unterhalb von Antiocheia. Welchem? Das i.(n) P.(isidien) ist hier im Bild. Jedesmal, wenn Dottore dort weilte, regnete oder schneite es. Eben war ein schlagartig aufziehendes Gewitter niedergegangen, das Dottore im Glashaus des Wärters mit einer Teeeinladung überstand. Danach konnten beide genüsslich eine chinesische Reisegruppe  triefend aus der Stätte zum Bus eilen sehen. Obwohl der Bekçi nie Wilhelm Busch, geschweige denn Schopenhauer gelesen haben wird, herrschte einvernehmliche Schadenfreude. Denn wer lacht, wenn wer betrübt, macht sich meistens unbeliebt – und wenn schon!


In Antiocheia i.P. steht dieser Sarkophag; er zeigte zwei sitzend Trauernde, an den Ecken standen geflügelte Wesen. Als er nun für die nächste Nutzung fit gemacht werden sollte, war schon das Christentum einmarschiert. Brecht hat über die Tilgung einer Inschrift in einem italienischen Gefängnis gültiges gedichtet, wenigstens die Eckfiguren hätte man zu Engeln umwidmen können. Die Risse zeigen allerdings, dass schon der Ersthersteller die Lagen des Marmors nicht beachtete.


Der Mont Everest des Orients ist der Ararat. Die Konfrontation mit geographischen Gegenständen, die einem über den Religionsunterricht seit frühester Jugend bekannt sind, bewirkt ein berührendes Gefühl, so wie Freud beim ersten Besuch der Akropolis dachte: Das gibt es also wirklich! Da auf dem Bild die Sonne gerade untergehen will, sei allen verbohrten Anatolisten, wie Fahri Işık, ins Brevier geschrieben: Anatolien beginnt hinter dem Ararat; wenn man dann in Persien ist, ist Anatolien in Afghanistan, in Afghanistan ist es in Pakistan; man kann nie dort sein, wo die Sonne aufgeht, schon gar nicht, wenn man als Türke erst 1000 Jahre in Anatolien wohnen darf. Prozesse wie der Sonnenaufgang sind weder anzuhalten, noch ortsfest zu machen, schon gar nicht zu besitzen.


Der Leser von Karl May kennt den zweiten Wortteil, den bei den Arabern so beliebte Keyf, was der rührige, aber nicht in Sonnenhitze lebender Mitteleuropäer nur als Nichtstun verstehen kann. Hier am Tigris hat sich Hasan einmal das gegönnt, was als Auszeit so langsam auch uns erreicht hat. Die Griechen kannten ἡ σχολή, das ist die schöpferische Ruhe, die Muße; uns Deutschen gerann es über die lateinische SCHOLA zur Schule – vom Denken über den Kosmos zum Training für effizientere Ausbeutung.


In einem englischen Reiseführer wird die Anastilose eines seldschukischen Palastes in Ani angesichts des Zerfalls der armenischen Kirchen ringsum als „a striking example of ultranationalist archeology in action“ bezeichnet (Rough Guide: Turkey, P. 612), that´s right. Also den armenischen Kirchen geht es schlecht, weil die Nachkommen der überlebenden Opfer nicht willfährig und ergeben sind. Wer von Digor nach Ani will, soll über Kozluca fahren, weil dort zwei Kirchen als Stall bzw. Scheune dienen, aber an Faszination nichts verloren haben. Der kommt dann auch an Uzunkaya vorbei, damals wuschen die Frauen die Ergebnisse ihrer langen Winterarbeit (Teppiche) im Bach. 


Zu leicht plappert man das nach, was allen alleinstehenden Kirchen in der Türkei nachgesagt wird, Manastiri – also Kloster, aber Zweifel sind angebracht. In Alahan wurde das Tau- und Regenwasser von den Bergen in Felsrinnen aufgefangen und dann teilweise in das Taufbecken geleitet, die schräge Rinne zeigt das noch. Als Taufen noch Tauchen war – das griechische Wort machte eine Bedeutungserweiterung durch –, da musste das Taufbecken noch so tief sein. Brauchte man in einem Kloster ein Baptisterion? Wohl kaum.


Die Westkirche in Alahan ist den Evangelisten geweiht. Einzelne Wesen sind ihnen bekanntlich zugeordnet, die dunklen Visionen von Ezechiel im AT reichen bis Johannes in der Offenbarung. Immer wenn Stier oder Löwe oder Adler auftauchen, kann man sicher sein, damit ist ein Verkünder gemeint. Im Sturz der Eingangstür der Westkirche erkennen wir den Stier, den Adler und ein geflügeltes Wesen, also wieder nur einen Cherub?  Im übrigen überwiegt die Darstellung von Fischen.


Fern der antiken Stätten ist es für Lehmflachdacheigentümer schwieriger, eine gewichtige Rolle zu finden, mit der er gelegentlich den Lehm verdichten muss. Säulenteile sind da einfacher umzufunktionieren und wiegen mehr. Auf das Dach führt eine Leiter mit einem Holm und seitlich beiderseits hervorstehenden Sprossen. Ein solches Dach vereint ökonomisch und ökologisch nur Vorteile. Auch der auf ihm bisweilen lagernde Schnee beeinträchtigt seine Dichtigkeit kaum.


Die Römer waren praktisch veranlagte Menschen, diese Fähigkeit steht allerdings dem künstlerischen Schaffen entgegen. Sarkophage, auch zweileichige wie dieser für ein Ehepaar, wurden mehrmals benutzt, eben bis das Fleisch verzehrt war. An dem Zufahrtsweg nach  Balbura liegt ein großes Grab, zu dem dieser Deckel angeliefert wurde, wegen der aufeinanderfolgenden Benutzung mit austauschbaren Köpfen. Denn, was bei Kaiserstatuen ökonomisch sinnvoll und zugleich politisch korrekt war, kann auch bei Sarkophagen nicht schaden. Trotzdem hätten die Gewänder auf dem Deckel weniger flau und nachlässig ausgearbeitet werden können, aber vielleicht konnte der Deckel preisgünstig von der Witwe erstanden werden, obwohl sie nicht aus Ephesos, sondern eben aus Balboura stammte.  


Anazarbos liegt etwas vom Fuße des Taurus entfernt und so musste denn das Wasser für die Stadt auf einem Aquädukt herangeführt werden. Entweder das Wasser war äußerst kalkreich oder die Wasserleitung wurde lange benutzt, die zweite Variante bevorzugt Dottore. Jedenfalls hat der Sinter alles überkrustet und lange Bärte gebildet, so dass man – nach einem kleinen Umweg durch die Küche – nun ausrufen kann:  AQUA  COMPLET  CANALEM  NON  VI  SED  SEMPER  FLUENDO 


Die heute Cendere-Köprü genannte Brücke ließ Septimius Severus zur Vorbereitung eines Krieges gegen die Parther errichten, besser freiwillig hier als dann zwangsweise in Shushtar. Sie sollte auch familiäre Eintracht verkünden: Die üblichen vier Säulen an beiden seitlichen Rampen waren Papa und Mama sowie den beiden Buben gewidmet. Den nachfolgenden Machtkampf zwischen den Söhnen hat nur einer überlebt, der dann noch eine brüderliche DAMNATIO MEMORIAE verfügte. Das lässt sich am ehesten mit einem Klapphornvers verkünden:
Zwei Knaben wurden röm´sche Kaiser,
Der eine war ein Hosenscheisser,
Der eine bracht´ den andren um  
Auch dessen Säule machte Bumm!      


Dem Bär ist Dottore dankbar, hat dieser ihn doch auf  „T. A. Sinclair, Eastern Turkey: An Architectural and Archaeological Survey“ aufmerksam gemacht. So konnte er dort nicht nur über Dara, sondern im Anhang dazu auch etwas über Ambar lesen, ansonsten wäre er achtlos vorbeigefahren. Südlich von Dara nämlich liegt ein Dorf auf einem Hügel, jenes Ambar. Dies ist auf dem besten Wege, ein Tell zu werden, langsam, aber unaufhaltsam wächst über das justinianische Kirchenensemble das türkische Dorf. Die nun im Kellergeschoß liegenden Gewölbe werden als Scheune und Stall benutzt, lassen aber ihre Herkunft mehr als nur ahnen. Also: Nicht vorbeifahren!


Im Jahre 350 gründete der Heilige Eugen, Mor Augin, das nach ihm benannte Kloster am Rande der Berge nach Syrien hin. Später lebten dort über 300 Mönche. Nun ist es seit 2012 wieder neu belebt, Abt Joakim hält inmitten einer nicht geneigten Umgebung eine christliche Tradition aufrecht. Bei unserem Abschied lächelte er uns freundlich, liebevoll zu. Zeigen Sie abendländische Solidarität, besuchen Sie das Kloster oder ein anderes in Tur Abdin!


Entlang der alten Handelsrouten von Ost nach West, die zumeist mit den heutigen Durchgangsstraßen identisch sind, liegen in ca. 30 km Abstand die herrlichsten seldschukischen Karawansereien. Aber der an einem Nord-Südhandelsweg gelegene Incirhan gefällt Dottore am besten. Ein ganz einheitlicher Entwurf ist in bester Steinmetzkunst aufgeführt. Niemand darf Bucak passieren, ohne einen kleinen Abstecher nach Westen zu machen. 


Ein Ort, der in der Antike HE-RA-KLEI-A genannt wurde, hört jetzt auf den verbalhornten Namen E-RE-LI, geschrieben Eregli. Der alte Siedlungskern lag auf der Spitze der Halbinsel in den See hinein, heute haben die Häuser aus dem 19. Jahrhundert eine Aufschrift mit „Pansiyon“. Die Abgrenzung zwischen diesem Viertel für Fremde und der lebenden Ortschaft bildet immer noch die byzantinische Mauer, die sich auf antike Festungsreste stützt, deren große Steinformate zeigen, dass Maurer erst dann nötig wurden, als Steinmetze zu zeitaufwändig bauten. Darüber: Kästelmauerwerk wie aus dem Lehrbuch. 


Normalerweise schimpft Dottore immer über die Neuausstattung der Moscheen in der Türkei mit Teppichauslegware, wahrscheinlich ist der Lieferant Mitglied der AKP. Glatt und langweilig sieht es fast immer aus! Wie wunderbar war es dagegen früher, über den unebenen Boden zu gehen, die sich überlappenden Gebetsteppiche unterschiedlicher Zeit, Muster und Qualität vermittelten Ehrwürdigkeit. Nun sieht zwar der neue Boden in der Hızırbey-Cami in Eregli mit den Holzsäulen als Kontrast nicht gar zu schlimm aus, aber die Bilder der alten Bodenbedeckung im Internet lassen ahnen, welcher Verlust eingetreten ist. Wer hat sich aber die vorherige Ausstattung unter den Nagel gerissen? 


Mit Frauen darüber zu diskutieren, was „türkis“ für eine Farbe ist, sollte man vermeiden. Auch der Hinweis auf eigene Sachkunde durch Besuch und Würdigung vieler Bauten in der Türkei mit derartig gefärbten Kacheln bewirkt nur ein kurzes Auflachen. Hier in Konya ist der turmähnliche Aufbau der Türbe bei Sonnenauf- und -untergang blau, ansonsten grün. Wie überhaupt „türkis“ diejenige Farbe ist, von der die einen sagen, es sei blau, während die anderen tief und fest davon überzeugt sind, es ist doch eindeutig grün. DE COLORIBUS EST NON DIPUTANDUM.


Eine Ahnung von anderer Architektur gibt die Karatay-Medresse in Konya. Die feingesetzte Decke überwölbt nicht nur gekachelte Wände, deren Türkis mehr Natur in einem aufkeimen lässt, als die karge Landschaft der Umgebung bietet, ein kleines Rinnsal mit einem zierlichen Springbrunnen zauberte die vierte Dimension der islamischen Architektur in den Raum: Das leichte Gluckern des Wassers gab akustisch mehr Kühle an die Benutzer des Raumes ab, als die Flüssigkeit durch Verdunsten vermochte. Schade, dass in dem ansonsten vorzüglich renovierten Gebäude das Brünnlein nicht mehr seine Botschaft verkündet.


Irgendwo in der Steppe zwischen Konya und dem Karadaĝ hatte ein Maler die Einsicht, die Hoftüre solle wenigstens farblich mit der Pracht der Kacheln aus Kütahya und Iznik wetteifern dürfen. Es ist Anfang April, die Bäume haben das Ende des harten Winters noch nicht realisiert, auch hinter der Lehmmauer hat das herbe Landklima geherrscht, so wie es im Sommer fast unerträglich heiß sein wird. Dann aber entfaltet die Farbe der Tür ihre Wirkung, na, dann bis dann!


Das Zahlenverständnis der Orientalen enthält zwei Marken für viel: Ein kleineres Viel ist kirk, also 40, ein größeres  binbir, also 1001. Daher hat Ali Baba kirk Miträuber, im Vulkangebirge des Karadaĝ gibt es binbir Kirchen (=Kilise), genauso viele wie es Nächte beim Märchenerzählen gab. Die tough and smart reisende Gertrude Bell konnte noch viel mehr und besser erhaltene Ruinen von ihnen sehen als heute. Dieses Kreuz ziert die Eingangssäule von Kirche 31, nach ihrer Zählung. Ihr Buch über 1001 Churches ist wieder zu erwerben, welches Sachbuch wird schon 99 Jahre nach seiner Ersterscheinung nochmals aufgelegt.


Im Taurus liegt das alte Korapissus, heute Daĝpazari genannt. Am Ortsrand haben sich spärlich einige Gräber erhalten. Aber erst die nachantike Zeit hat wirklich sehenswertes hinterlassen, hier die berühmte Kirche. Reste von ähnlichen Bauten oder deren Spolien kann man beim Gang durch das Dorf überall auffinden, allerdings kann der Besuch Anfang April mit der Überraschung des Schneefalls verbunden sein, was aber niemand hindern sollte. Wegretuschiert hat Pantalone auf Dottores Bitte die Pappmarken auf dem Gebäude, die verraten, dass der türkischen Denkmalspflege der Bauzustand bekannt ist. Sie sollte schon wegen der Halbkugel über der Apsis alsbald tätig werden.


Der (oder gar die) Seher Mopsos ist in der griechischen Mythologie das, was im östlichen Mittelmeer für die Christen Paulus war. Die Christen deklarierten fast jede Bucht zum Paulushafen, die geografisch ungenauen Angaben der Apostelgeschichte nutzend; dagegen sahen die Griechen in Mopsos den Gründer vieler Ansiedlungen, bei Mopsuestia ist er sogar  namentlich festzumachen. Von der frühbyzantinischen Kirche ist kaum eine Mauer erhalten, nur der Bodenbelag, über den man eine Halle=Museum gebaut hat. Eigentlich würde man es  η Κιβωτός του Νώε schreiben, was soll nur das P (Rho) am Ende? Die Darstellungskraft des Mosaizisten war erheblich stärker als seine Rechtschreibkünste, oder aber Dottore kennt eben kein Griechisch des 6. Jahrhunderts. 


„Noch eins: Übrigens kann ich die Vorbehalte von Pantaleone gegen diese Bilder nicht nachvollziehen, war er es doch, der die von mir gemachten Schrägaufnahmen des Mosaikes gekonnt in eine senkrechte Draufsicht zusammenzauberte. Dafür danke ich ihm.“

„Auch Danken kann durch das in ihm liegende Beschämen Machtausübung sein, und zwar in der perfidesten Art.“


Donnerstag, 3. Januar 2013

Difficile est, ...




Chaval 1952


Istanbul 2011