Sonntag, 18. Oktober 2015

Schlittern (lassen) als Tätigkeit des Vorstandsvorsitzenden und ein anderes Erlebnis

In der FAZ:NET war am 15.6.2014 zu lesen:

„Arcandor war 2009 in die Pleite geschlittert. In der Folge laufen gegen Middelhoff auch eine Reihe von Ermittlungen [Hier zitiert Dottore nur, der Grammatikfehler stammt von dem unbekannten Verfasser des Weltblattes]. Die Staatsanwaltschaft Bochum untersucht etwa seit Jahren, ob er die Insolvenz des früheren Karstadt-Quelle-Konzerns verschleppt hat. Middelhoff weist alle Vorwürfe zurück.“

Schon vor vielen Jahrzehnten war es eine gängige Antwort auf den Behauptungssatz, „DIE ZEIT ist doch ein links-liberales Blatt“, entscheidend sei für eine solche Beurteilung nicht das Feuchtong, sondern der Wirtschaftsteil, in dem man kaum etwas Links-liberales entdecken könne. Bei der FAZ kam solch eine Wertung nie auf, sie in ihrer Haltung als „wirtschaftsnah“ zu bezeichnen, ist noch euphemistisch. Also kann man den zuständigen Redakteuren und sonstigen Mitarbeitern unterstellen, sie wüssten, wie ein Konzern geführt wird. Nun wissen auch wir es, durch Schlitternlassen! Was ist das nun?  Wie bewegt sich ein Konzern? Wann geht er auf das Eis? Kann er denn überhaupt SCHLITTERN?

Was Schlittern ist, will uns Deutschen der Duden nahebringen, der im Gegensatz zur Akademie unseres westlichen Nachbarlandes nicht um die Landessprache besorgt ist, sondern immer nur referiert, was die Zeitgenossen so vor sich hinplappern („Reiners am Arsch“, sagt Zazie dans le duden). Der Duden also definiert „Schlittern“ vieldeutig so:

„1.a) mit einem Anlauf über eine Schnee- oder Eisfläche rutschen
1.b) sich schlitternd über etwas hinwegbewegen
2. auf einer glatten Fläche, auf glattem Untergrund (aus)gleiten, ins Rutschen kommen
3. unversehens, ohne Absicht, ohne es zu wollen, in eine bestimmte (unangenehme) Situation hineingeraten“

Nehmen wir zugunsten von Middelhoff, der bei seinen Kumpeln sowieso die Arschkarte gezogen zu haben scheint, einmal Variante 3. an, also das „unversehens Hineingeraten“. Ist es nicht Aufgabe des Vorstandes, „sehenden Auges“ zu sein? Ist nicht die Bewegung eines Konzerns, der auf glattem Boden unkontrollierte Bewegungen macht, eine Feststellung über die Unfähigkeit der leitenden Organe?  Hätte nicht das doch etwas abrupte Ende bei Mohn allen signalisieren müssen, Thomas heißt in Wirklichkeit Peter, er hat die Stufe seiner Inkompetenz erreicht? Aber es ist auch höheren Orts so, wie Mäxchen Mohr sich das vorstellt, wer heute Käse verkauft hat, kann auch morgen Brücken konstruieren, denkste! Oder, um ein aktuelleres Beispiel zu nehmen, wer das satte Schließen von Autotüren überprüfen kann, der ist auch fähig, die ganze Welt mit einem Dieselmotor zudrecken zu lassen. Und, so schlittern sie denn, unsere Wirtschaftsführer, erst der jeweilige Konzern, dann sie selbst auch ein bisschen. Nur der Thomas, der hat ein wenig übertrieben, wahrscheinlich muss er irgendwann so leben wie die von ihm Unternommenen, jedoch, so schlimm ist das in der ersten Welt aber auch wieder nicht. Vielleicht schreibt er dann ein Buch, das aus alter Loyalität bei Bertelsmann gedruckt wird, Titel: Der Gefallene Engel. Dottore wird es nicht lesen.

Dottore hat zu „Schlittern“ keine metaphorische Beziehung, sondern handfeste Erinnerungen. Wenn es kurz über Null Grad war, der Boden noch gefroren, es zu schneien anfing, dann konnte man eine „Schleife“ machen. Zuerst musste der Schnee in Längsbahnen so fest getreten werden, dass er fast schmolz, dann verband er sich mit der kalten Erde und gefror.  Nun musste man vorsichtig, möglichst mit Ledersohlen, nach einem kräftigen Anlauf auf dieser Bahn entlanggleiten und sie dabei glätten, bis eben eine richtige Schleife entstanden war, auf der man schlittern konnte. Man sieht, um die Voraussetzungen zum Schlittern zu schaffen, bedarf es einer gewissen Kunstfertigkeit.

Dottore besuchte in Roulettenstadt ein Gymnasium, das in einem Gebäude betrieben wurde – für 1200 Schüler gebaut, aber von 2400 genutzt. Die geräumige und hohe Aula wurde in vier Klassen verwandelt. Die jeweiligen Wanderklassen wurden in den Räumen der Klassen unterrichtet, die gerade in der Turnhalle waren. Der größere Teil des Schulhofes war noch von den Amerikanern besetzt, die dort einen Fuhrpark unterhielten. Zwischen den Teilen des Hofes bestand ein Höhenunterschied, über einem kniehohen Mäuerchen erhob sich ein vielleicht fünf Meter breiter, leicht ansteigender Streifen, der als Grünanlage bezeichnet wurde. Drei Tätigkeiten waren nun neben vielen anderen verboten:
1. Das Betreten dieser Grünanlagen,
2. das Anlegen von Schlitterbahnen (i.e., richtigerweise e.s. Schleifen – es war nämlich ein humanistisches Gymnasium!) und
3. das Schneeballwerfen.

Nach Abzug der Amerikaner wurde nur eine Verbindungstreppe zwischen den Hofteilen angelegt, das erste Verbot wurde daher laufend übertreten, die Grünanlage verwandelte sich in eine lehmige Braunanlage. Eines Tages, es war im Winter 1953, fiel kräftig Schnee, da wurde gegen das 3. Verbot schon in der ersten Pause ununterbrochen verstoßen, die Luft des Schulhofes war geradezu gesättigt mit Schneebällen. Vor der zweiten Pause hatte Frau Holle Verständnis für uns Schüler gezeigt und nochmals kräftig für Nachschub gesorgt. Das muntere Schneeballwerfen ging weiter. Als ein Lehrer eingreifen wollte, wurde er mit Schneebällen so eingedeckt, dass ihm nur die Flucht ins Schulhaus blieb, das war 1953!, lange bevor wir unsere Aufmüpfigkeit artikulieren und in politisches Handeln umsetzen konnten.

Es versammelten sich die übrigen Lehrer an den Fenstern des Treppenhauses, der Direx (sprich der Herr Oberstudiendirektor Haas) trat aus einer der Türen zum Hof. Langsam und würdig schritt er durch ein sich bildendes Spalier seiner Schüler, das Schneeballwerfen hatte aufgehört. Doch ein unbekannter Schüler konnte nicht widerstehen, vom oberen Hof kam ein Schneeball geflogen. Nach guter Pädagogensitte wollte nun das Häaschen diesen Übertäter exemplarisch dingfest machen, er betrat die „Braunanlage“, um sie schräg auf dem kürzesten Wege zum Missetäter zu überqueren. Fast oben angelangt trat er auf eine der dort akkurat angelegten, nun unter dem Schnee verborgenen Schleifen, glitt aus, fiel auf den Bauch und rutschte zu unser aller Vergnügen bauchwärts talwärts. Mit jedem Zentimeter des Rutschens verlor er an Autorität. Er rappelte sich zwar auf, schüttelte sich den Schnee ab und ging nun gemessenen Schrittes über die Treppe auf den oberen Teil des Hofes, jedoch der Zugriff konnte nicht mehr erfolgen, zudem hub das Schneeballwerfen wieder an. Dottores Klassenkamerad Jendricke, heute ein weißhaariger Pensionär, war ein begnadeter Handballspieler, stand am Rande einer weiten Schülerrunde, in deren Mitte das Häaschen ernst und nachdrücklich den doch wahrlich vernünftigen Grund für das Verbot des Schneeballwerfens erläuterte. Da Dottore unmittelbar neben Jendricke stand, weiß er es genau, dieser nahm einen Schneeball, warf ihm abschätzend einfach hoch und … traf. Das Häaschen hatte ein Käppi wie der Papst, genauso weiß, aber kalt. Unwirsch wischte der Direx sich diese Kopfbedeckung weg, wir aber hatten es ihnen gezeigt. In der nächsten Pause durften wir nicht auf den Hof, in der letzten Schulstunde dieses Tages wurde über Lautsprecher verkündet, dass mehrere Schüler der Anstalt verwiesen worden seien. So, wie Dottore sich erinnert, sollen deren Eltern das aber erfolgreich angefochten haben.

Moral von der Geschicht:

Schlittern ist in seiner ursprünglichen Bedeutung eine vergnügliche Sache, nur im metaphorischen Sinne birgt sie Gefahren in sich.  

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