Samstag, 3. März 2012

Sebah (11) und Konstantinopel

Konstantinupolis war durch große Mauern geschützt, die sog. Theodosianische Landmauer erstreckte sich vom Marmarameer bis zum Goldenen Horn, auf 5,7 Kilometer Länge hatte sie 96 Türme. An der Porta Aurea mündete die Via Egnatia zwischen den Türmen 9 und 10 in das Stadtgebiet; sie war die Pforte, durch die der triumphierende Kaiser in die Stadt ritt, was immer seltener wurde. Nach der Eroberung durch Mehmet II wurde hier die Festung Yedikule (Siebenturm) errichtet.


Für diese Festung wurden hinter der Landmauer drei neue Türme gebaut, die Türme 8 bis 11 der Landmauer wurden einbezogen, die drei Toröffnungen des Goldenen Tores zugemauert. Die Festung diente als Schatzhaus und Archiv, zudem war es bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder der Zwangsaufenthaltsort von Gesandten fremder Staaten, mit denen die Hohe Pforte Konflikte hatte, Völkerrecht nach Sultans Art.


Sowohl am Marmarameer als auch am Ufer zum Goldenen Horn erstreckten sich Mauern, die unliebsame Landungen verhinderten. Der letzte Turm der Seemauer am Marmarameer besteht in seiner unteren Hälfte aus Marmorspolien, an denen noch Dübellöcher sichtbar sind, die aus der Zeit der vorherigen Nutzung der Steine stammen, so ist ihm der Name Mermerkule sicher. Neben ihm erhebt sich Turm 1 der Landmauer, 1890 alles von Fischern und Fuhrunternehmern friedlich genutzt. Heute steht der Mermerkule isoliert an Land, zwischen ihm und Turm 1 tobt der Verkehr auf einer sechsspurigen Autobahn. Die Aufnahme zählt zu den „grünen“ Bildern, die Sebah & Joallier nach 1890 in und um Konstantinopel machten. Sie ist fototechnisch von Bedeutung, weil dort erstmals Wolken abgebildet sind, offenbar verwendeten sie eine neuartige Filmemulsion.


An der Nahtstelle zwischen der Landmauer und der Ummauerung der Vorortes Blachernae, an die sich wiederum die Mauer am Goldenen Horn anschließt, wurde zu einem nicht unstreitigen Zeitpunkt ein Palast errichtet, der Bau wird heute Tekfursaray genannt, übersetzt heißt das: Schloss des byzantinischen Fürsten. (Einen Nichtbyzantinisten erfüllt der Streit der Fachgelehrten über die Bauzeit [10. bis 14. Jahrhundert] mit stiller Genugtuung, muss er sich doch bei eigener, dann sich als falsch erweisender Zeitstellung anderer Bauwerke aus mittelbyzantinischer Zeit nicht mehr allzu sehr grämen!) Nach Umbauten noch vor 1453 hatte der Palast eine schäbige Karriere hinter sich bringen müssen: er diente als Menagerie des Sultans, danach als Fayencefabrik, anschließend als Glasfabrik, erst 1955 wird er wieder von den Um- und Einbauten befreit.


Der Ausbau von Byzantion in Konstantinupolis erforderte in Konkurrenz zu Rom auch einen Circus Maximus. So wurde noch unter Konstantin selbst das Hippodrom gebaut. Wer heute in die Tiefen der Gruben um die Obelisken und die Schlangensäule schaut, soll nicht annehmen, dies sei der Boden des Hippodroms in der Antike gewesen, er sieht ungefähr den Oberteil der breiten Mauer, die die Arena in zwei Läufe trennte, genannt Spina. Die Arena des Hippodroms liegt – je nach Standort – mindestens 7 m unterhalb der gegenwärtigen Laufebene. Auf der Spina wurden zum Schmuck und zur Glorifizierung des jeweiligen Herrschers besondere Gegenstände aufgestellt. Ein überall gern gesehenes Symbol männlichen Mächtigkeitsstrebens ist der ägyptische Obelisk, bemäntelnt bisweilen Kleopatras Nadel genannt. In den Metropolen des Westens steht meist einer der Bratenspieße. Der in Istanbul war ursprünglich höher, seine unsensible Kürzung kann man noch am oberen Bildrand erkennen, wo nun das untere Ende mitten durch die Hieroglyphen läuft.


Das Bild ist einerseits präzise, aber auch schlampig. Offenbar hatten Sebah & Joallier bei der Aufnahme das Vorderteil der Holzklappe mit fotografiert, denn der unscharfe Bereich unten Mitte wird von der gestochen scharfen Schrift durchzogen. Das ist Arbeiten nach dem Motto: Der Kunde merkt´s doch nicht! Der obere Sockel, auf dem die vier Kupferkuben stehen, die wiederum den Obelisken tragen, zeigt auf allen vier Seiten jeweils den Kaiser Theodosius. Erst 380 getauft, aber wohl fromm, setzte er aus eigener Machtvollkommenheit ohne jegliches Konzil das Bekenntnis von Nicaea für die gesamte Reichsbevölkerung als verbindlich fest, ikonografisch lässt er sich selbst aber als Viereinigkeit darstellen.


Auf dem unteren Sockel ist das Hippodrom mit der Spina dargestellt, der rote Pfeil zeigt auf die Schlangensäule, der grüne auf den Obelisken selbst. Die Figur rechts neben dem Obelisken ist nicht Herakles, da er sitzend wiedergegeben wurde, eine Position, die meist sein Vater innehatte. Jedenfalls war die Spina mit Figuren überreich verziert. Der Herakles fiel wie andere Bronzefiguren der Plünderung durch die Kreuzfahrer zum Opfer; Niketas Choniates schreibt darüber: „Aber auch den Standbildern und den anderen Kunstwerken des Hippodroms ersparten die Barbaren, denen jeder Schönheitssinn abging, nicht den Untergang, auch aus ihnen schlugen sie Münzen.“ Lediglich der Kunstverstand des greisen Dogen rettete die Quadriga, die nun heute (nach einem napoleonischen Ausflug nach Paris) auf (neuerdings in) San Marco steht.


Die Aufnahme (in der auf Pantalone überkommenen digitalen Version von 2327 x 3008 Pixel) ist genau genug, um auch die Tabula Ansata auszuschneiden und zu ver – bzw. zu ent –zerren. Proculus, der Sohn des Tatian, war Stadtpräfekt in Konstantinopel, ihm fiel die Aufgabe zu, den Obelisken auf der Spina errichten zu lassen. Die Tafel berichtet darüber einschließlich der Schwierigkeiten, die das mit sich brachte. Sein Name steht in einer Vertiefung. Wie sein Vater wurde er 392, also mit 32 Jahren, zum Tode verurteilt; Theodosius, vielleicht noch von dem Bußgang in Mailand beeindruckt, begnadigte ihn, aber diese Nachricht kam zu spät. 396 wurde er „rehabilitiert“, jedoch, um mit Schweyk zu sprechen, „um ihn ist´s kein Schad“, er war zuvor hauptsächlich durch seine Grausamkeit aufgefallen. Nach dem Urteil verfiel er der DAMNATIO MEMORIAE, alles an ihn Erinnernde wurde getilgt, so auch sein Name auf der Tafel. Nach 396 wurde er erneut dort eingemeißelt, nun ein wenig tiefer.


Die Schlangensäule ist wohl der ehrwürdigste Gegenstand in ganz Istanbul, auch der älteste, der nicht in der Neuzeit dorthin gebracht wurde. Ursprünglich stand die Säule in Delphi, sie war dort als Denkmal für den Sieg über die Perser im Jahre 479 vor Chr. aufgestellt worden. Herodot schreibt schon über sie (9,81): „Sie brachten also die Wertsachen zusammen und entnahmen ihnen den Zehnten für den Gott in Delphi, und von dem wurde der goldene Dreifuß im Heiligtum aufgestellt, der oben auf der dreiköpfigen Schlange aus Erz steht, dicht beim Altar; ...“. Damals war das Denkmal insgesamt wohl 10 m hoch. Der Baedecker des Altertums, Pausanias, sah zwar Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Chr. noch die Säule, aber den goldenen Dreifuß hatte sie schon verloren, im Dritten Heiligen Krieg war man unheilig mit ihr umgegangen: “Was an dem Weihegeschenk aus Bronze war, war auch zu meiner Zeit noch unversehrt; das Gold [des Dreifußes] aber haben die Führer der Phoker nicht ebenfalls übriggelassen.“ (Buch X, 13,9) Kaiser Konstantin ließ sie in Delphi demontieren und auf der Spina aufstellen. 1700 brachen – angeblich ohne erkennbaren Anlass – die drei Schlangenköpfe ab, das erhaltene Oberteil eines Schlangenkopfes kann im Archäologischen Museum bewundert werden. Die nun offene Säule wurde nun von den türkischen Besuchern mit geschickten Steinwürfen gefüllt, so heißt sie daher heute in der Landessprache Yɪlanlɪ Taș, was Steinschlange bedeutet.


Eine kleine Vielzahl ist für die Türken 40, kirk, wie eben die Vierzig Räuber in den Märchen von … Nacht, nun aber kommt die größere Vielzahl, das ist 1001, binbir, wie Binbirkilise oder eben die Zisterne Binbirdirek, obwohl nur 224 Säulen die Gewölbekuppeln tragen. Konstantinopel hatte eine Menge Zisternen, so konnte die Stadt auch den diversen Belagerungen trotzen. Nach 1453 diente die nun trockengefallene Zisterne als Seidenspinnerei, später wurde über ihr ein Palast für einen Wesir gebaut. Die Säulen sind 11,80 m hoch, der gesamte Raum fast 15 m. Die Grundfläche ist 64 m x 56,4 m. Was hindert den Leser daran, nun das Fassungsvermögen auszurechnen. Aber nützt ihm das?


Das Bild der „Hagia Sophia mit Hund“ ist eins der meistkopierten Bilder von Sebah sen. In Zeiten läppischen Urheberrechts wurden seine Abzüge genau abfotografiert und dann danach neue Abzüge angefertigt. Nach dem Brand des Ateliers und der Vernichtung der Originale haben dann auch Sebah & Joallier sich das väterliche Material so zunutze gemacht. Sie haben den Originalabzug allseits etwas beschnitten, dabei wurde der Baum links unschön halbiert. Der Hund liegt immer noch im Zentrum des Bildes, er ahnt noch nichts vom Schicksal seinesgleichen, die die Stadtverwaltung zu Tausenden einfangen und auf eine winzig kleine Insel bringen ließ. Der Hund ist eben im Islam ein unsauberes Tier.



Über die Hagia Sophia ist so viel geschrieben worden, daher hier nur einen Blick in das Innere, die nach 1453 eingebaute Loge.


Durch die Errungenschaften des 19. Jahrhunderts, den Eisenbahnbau, wurde die Kücük Aya Sofya beeinträchtigt. Unmittelbar führen an ihr die Eisenbahngeleise entlang. Sie gehört zu den oft zu gering erachteten Kleinodien in der Welt. Es ist die ehemalige Kirche, die den Märtyrern Sergios und Bakchos geweiht war. Unter Justinian wurde sie zusammen mit einer Basilika für die Apostel Petrus und Paulus errichtet, die schon lange verschwunden ist. In ein fast quadratisches Rechteck – nicht ganz rechtwinklig, unterschiedlich lange Seitenwände – ist ein Oktogon eingebaut, auch dieses nicht auf die Außenwände ausgerichtet, sondern ein wenig zu den Achsen des äußeren Mauerkranzes verdreht. Die Ausstattung ist vom Feinsten, im Erdgeschoss sog. Faltkapitelle, darüber ein breites Gebälk, im Obergeschoss Kämpferkapitelle mit Voluten.

Auf dem Gebälk werden der Erbauer samt Ehefrau überschwänglich gepriesen, der auf dem Bild sichtbare Teil der Inschrift [Σ wird um diese Zeit schon lange als C geschrieben] lautet: "(A)ΚΟΙΜΗΤΟΙΟ ΦΥΛΑΞΟΙ (ΚΑΙ ΚΡΑΤΟΣ) ΑΥΞΗΣΕΙΕ ΘΕΟΣΤΕΦΕΟΣ ΘΕΩΔΩΠΗΣ (ΗΣ ΝΟΟΣ) ΕΥΣΕΒΙΗΙ“; im Zusammenhang übersetzt: „des nimmermüden (Herrschers) behüten und die Herrschaft der von Gott gekrönten Theodora vermehren, deren Verstand von Frömmigkeit …“. Das ist im Grunde genommen in Stein gehauene Arschkriecherei, das ist es, was den negativen Begriff Byzantinismus in Westeuropa begründete. Gleichwohl, das Bauwerk ist allerliebst, ein wirklicher Vorläufer der Hagia Sophia, wie die Türken bei der Namensgebung sicher erkannten.


Die sog Verbrannte Säule ist nicht spektakulär, aber relativ alt. Sie besteht aus Säulentrommeln aus Porphyr, dem kaiserlichen Stein, weil für Konstantin errichtet. Viele Brände haben ihre Standfestigkeit beeinträchtigt, Eisenreifen versuchen die kaiserliche Pracht zu perpetuieren, Ummauerungen stützen den Bauwerkskern. Sic transit nomen urbis, sic transit splendor lapidum, sic transit gloria constantini.


Hans Albers hat unter der geheimen Anleitung von Erich Kästner aus dem Topkapı Sarayı seine filmische Geliebte befreit. Der Palast liegt auf der alten Akropolis von Byzantion, das wird fest vermutet, aber die heutigen Bauten verhindern eine Spatenforschung. Wenn man dort wohnen müsste, so würde Dottore in den Bagdadkiosk einziehen, ansonsten gefallen ihm nur die weiträumigen Küchen mit dem herrlichen grünen Geschirr. Die traditionelle Aufteilung in Selamlık, Empfangsräume, und Haremlık, Privaträume, mindern für abendländische Augen die einheitliche Betrachtung des Gesamtbauwerks, das dann noch seinen Namen von einer Batterie von Kanonen herleitet.


Der Basar war Ende der 1950er Jahre noch ein Ort, an dem man die Eigenartigkeiten orientalischer Handelsware bestaunen konnte; so wird Dottore nie die zwei Ansammlungen von Gebissen, sortiert nach Ober- und Unterkiefer, vergessen, die wohlfeil angeboten wurden. Die sich ändernden Zeiten machen immer andere Menschen zu Opfern ihrer Begehrlichkeit und der Verführung der Verkäufer. Waren es 1954 Nordeuropäer, denen auf dem Campo Santo zu Pisa Sonnenbrillen und echt goldene Uhren von italienischen Händlern angedreht werden sollten, so suchten schwarzafrikanischer Händler 1989 in Italienern ihre Opfer, um ihnen die Original-CDs günstig zu verscherbeln. Der gewachsene Wohlstand der Türken macht sie nun immer mehr zur Käuferschicht des Basars, wer will dann noch die Lederjacken und die Marken-T-shirts?


Wie schon aus Smyrna berichtet, waren die Albaner im Osmanischen Reich das Volk, das sich am besten durchlavierte. Die Albaner stellten sogar mehrere Ministerpräsidenten, also Großwesire. So nimmt es denn nicht wunder, dass ihre erfolgreichsten Mitglieder an einer schönen Stelle am Bosporus in einer Ansiedlung wohnten, Arnavutköy genannt, dort waren sie unter sich. Viel weiter in Richtung Schwarzes Meer liegt Tarabya, verballhornt aus Therapia, wo Sebah die Staatsyacht des Deutschen Kaiserreichs „Loreley“ (1) aufgenommen hatte.


Vorher aber liegen sich am Bosporus Anadolu Hisar und Rumeli Hisar gegenüber. Der Besitz Kleinasien erschien Mehmet sicher, die Burg ist daher auch nur klein. Obwohl zu dieser Zeit schon die Hauptstadt des osmanischen Staates in Europa lag, nämlich in Edirne, wollte Mehmet die Belagerung von Konstantinopel nicht beginnen, ohne die obligatorische Gegenburg gebaut zu haben. Seither verkörpert sie den Anspruch der Osmanen, auch in Europa Fuß gefasst zu haben.



Mit der Aufnahme von Anadolu Hisar haben wir die Fotografen Sebah und Konsorten aber erwischt. Es ist deutlich, dass sie faul und ungeschickt einen Abzug des Bildes verwendeten, um neue Abzüge zu erstellen. Das ist an der "doppelten" Beschriftung zu sehen.

Mio caro amico, Roberto Macellaio di Vienna, hat sich seinerzeit über den Klagefrauensarkophag ausgelassen, gleichsam sein Eintritt in das "Raich" und dessen Wissenschaft. Hoch sollen die Verlage leben, die nicht verramschen, daher ist sein Buch auch immer noch preiswert zu erwerben.


Plutarch schrieb vergleichend über Alexandros und Gaius Iulius Caesar, ich bevorzuge einen Vergleich zwischen den Werken „Alexanders Sarkophag“ und „Julia“, dem Früh- und dem Spätwerk, wobei Julia unvergleichlich besser wegkommt. Ihr liebliches Wesen vermag die Gerusia in Milet aufzufrischen.


Zum Sarkophag nur so viel: Intensive Falschfarbenaufnahmen haben die Bemalung des in Sidon verwendeten, dort aufgefundenen, im damaligen Osmanischen Reich in die Hauptstadt gebrachten Fleischfressers in Teilen erwiesen.

Obwohl die Farbigkeit der Antike seit weit über einhundert Jahren bekannt ist, wird die deutsche Archeo-ideo-logie immer noch nicht im tiefsten Innern mit der Buntigkeit und anderen Erkenntnissen fertig, die nicht mit überkommener Kunstansicht übereinstimmen, nicht von ungefähr ist das fahle Gipskabinett eine beliebte Ausbildungsstätte. Alberne Größe und laute Einfalt werden erst langsam überwunden. Das nicht an Kunst orientierte Nachdenken, beispielsweise über soziale Verhältnisse, die aus Hausruinen erschlossen werden können, wird sogleich als „Synthese des egalitären Geistes der 68er Jahre und der idealen Sicht des neuen Humanismus“ minimalisiert, lieber beschäftigen sich der Forschungsbeamten der Republik mit den aristokratischen Ausstülpungen der Antike, das Leben der normalen Menschen der damaligen Zeit ist ihnen egal.

Für Robert, seit der nächtlichen Diskussion unter dem umgestülpten Fischerboot am Hafen von Mykonos im August 1962 ein Freund.

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