Montag, 13. August 2012

NÄHSI


Ein Journalist ist ein Mensch, der morgens weiß, dass er im Laufe des Tages einen tiefschürfenden Artikel über einen Sachverhalt schreiben wird, von dem er bislang nicht die geringste Ahnung hat. Meist merkt es derjenige, der die Materie kennt, aber da es so unendlich viele Sachen gibt, über die zu berichten die Medien für nützlich erachten, ist der Prozentsatz derjenigen gering, die die Irrtümer erkennen. Journalisten sind nicht „Schöne des Tages“, sondern die Gehetzten der Stunde. Sie folgen Moden und haben sich dem Trend anzupassen, den das Medium, die political correctness, der Zeitgeist vorgeben. Ein Bestandteil jenes Zeitgeistes ist der Import aus den USA, der da lautet: That´s Nazi.

Betrachten wir uns die Türklinke, so ist an ihr kaum etwas auffällig. Der Versuch einer Analyse ihres Aussehens liefe auf  eine Einordnung in die „Neue Sachlichkeit“ hinaus. Aber gefehlt: Das Haus, in dem sie das Öffnen und Schließen einer Tür ermöglicht, ist 1938 erbaut worden, ergo: Das ist eine Nähsiklinke. Wer das nicht merkt und sich darüber gar noch erhebt, ist nähsiverdächtig, zumal, wenn er – wie der Autor – 1939 geboren wurde, das Verdammnis der späten Geburt ist allumfassend. So verkommt eine wichtige Kategorie der nie vollständig geleisteten Selbsterkenntnis des deutschen Volkes zum Spielball einer oberflächlichen Kaste.


Im Spiegel-online wurde über einen US-Soldaten berichtet, der einen Tag nach der Einnahme von Dachau das dortige Konzentrationslager besichtigte, ein Erlebnis, das ihn jahrzehntelang beschäftigte und bedrückte. Außerdem brachte er während der Kriegszeit ein Album mit relativ gut gemachten Aufnahmen an sich, fast alle Bilder zeigen den militärischen Alltag. Im Spiegel wird das ein „Rätselhaftes Nazi-Fotoalbum: Das schreckliche Souvenir“. Schaut man sich die Bilder genauer an, so erkennt man auf einigen Hakenkreuze. Es war wohl damals kaum möglich, den Alltag zu fotografieren, ohne den Gegenstand mit abzubilden, der „für den kleinen Mann einen Haken“ hatte. Unter einem spezifischen Nazi-Fotoalbum ist etwas anderes zu verstehen. Der Besuch in Dachau ist für den jahrzehntelangen Besitzer des Albums sicherlich ein Trauma gewesen, was nur zu verständlich ist. Aber das Album ist und bleibt ein harmloses Mitnehmsel. Die Sprache verrät wieder einmal die Gesinnung des Schreibers: Ein Souvenir ist ein Mitbringsel, das an eine angenehme Zeit – meist einen Urlaub – erinnern soll. Schrecklich ist im konkreten Fall der Besuch im KZ Dachau gewesen. Die Verbindung beider Sachverhalte zeigt die würdelose und unangemessene Haltung des Journalisten, der eines schäbigen Effektes willen die Schuld der Deutschen usurpiert, um sie zu vermarkten. Eben Nähsi!

Schlimmer noch schlägt da die TAZ zu, sie erklimmt dabei Grade der Journalistik, die eine Rabulistik aufzeigt, die in den Machwerken des Gauleiters von Nürnberg üblich waren. Die tapferen Antifaschisten der TAZ decken ein „braunes Kapitel“ des Luchterhandverlages auf, das bislang unveröffentlicht war. Das wird garniert mit dem angeblichen Fehlverhalten eines der wichtigsten Autoren des Verlages, illustriert mit dessen Bild, auf dem er betroffen vor sich hin blickt. Frohlocken bei der TAZ: Jetzt haben wir es den Vätern aber mal gezeigt. Ach, ihr Buben, ihr seid nicht dumme Jungens, mit eurer Art der Darstellung kopiert ihr den „Stürmer“. Aufgebauschte, unüberprüfte Tatsachen, falsche Beurteilungen, unterschwellige Unterstellungen.

Ein Autor der Zeitung liest im Landesarchiv von Berlin eine Prozessakte. Juristen wissen seit zweitausend Jahren, audiatur et altera pars. Der Tazianer zitiert immer nur aus dem Vortrag der einen Seite, was wird nicht alles in einem Rechtsstreit behauptet.

Der kleine Luchterhandverlag, dessen Gesellschafter die Herren Luchterhand und Reifferscheidt waren,  gelangte in der Zeit vor 1939 in den Besitz einer Druckerei, die einen Herrn Scholz gehörte, der mit einer Frau liiert war, die nach dem von Adenauers Staatssekretär kommentierten Gesetz keine Arierin war. Selbst wenn die beiden Gesellschafter des Verlages so gehandelt haben sollten, wie der Tazianer ihnen unterstellt, dann waren sie keine Nähsi, sondern allenfalls widerliche Trittbrettfahrer. Fremdes Gut an sich zu bringen, ist nämlich nichts spezifisch faschistisches, sondern Teil einer eigentumsorientierten Welt. Eine vergleichbare Gemeinheit wäre, man legte ein Ablehnungsschreiben des Luchterhandverlages zu einem Romanentwurf des Autors vor, oder: man begänne diesen Text mit dem Hinweis auf die IM – Akte des Autors, beides reine Phantasie. Da der Herr Luchterhand nach dem Krieg nicht so in Erscheinung trat, wird an Herrn Reifferscheidt herumgemäkelt. Sollte er etwa nicht mit Günter Grass in Prag nach dem Besuch des Grabes von Kafka über die gleiche Vergangenheit in faschistischer Zeit sich ausgetauscht haben, nichts liegt doch näher. Und überhaupt Grass, wer einmal bei der Waffen-SS aus dem Blechnapf fraß, der bleibt ein Antisemit sein Leben lang. Eine Unterscheidung zwischen der Kritik an Israels Außenpolitik, wobei Außen eben auch die besetzten Gebiete mit umfasst, und Antisemitismus ist untunlich, da sonst die Feststellung „Nähsi“ nicht möglich ist.

Um es klar festzuhalten: Der „hilflose Antifaschismus“ hat weder in den alten, wie den neuen Bundesländern es vermocht, es nicht vermögen wollen, über die Zeit des deutschen Volkes zwischen 1933 und 1945 eine Besinnung, gar Trauer und Einsicht herbeizuführen. Nun mögen die Amerikaner in Filmen oder Videospielen Nähsis zu der Sorte Mensch machen, die früher die Mexikaner einnahmen, dieses Mal mit erheblich mehr Berechtigung. In Deutschland aber dient die marktschreierische Beschäftigung mit der Schande nur der Erregung von Aufmerksamkeit für das eigene Produkt. Die letztlich unaufgearbeitete Vergangenheit darf nicht so um des eigenen Nutzens willen privatisiert werden.

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