Freitag, 10. August 2012

Das Fugenwerk


Jeden Sommer tobt ein Krieg in Deutschland, heftig und unerbittlich. Wer mit dem Begriff Fuge ein Werk von Johann Sebastian Bach verbindet, dem bleibt das Schlachtfeld fremd. Die Waschbetonplatte liegt selten allein, sie grenzt an andere gleichartige Hässlichkeiten, was ihr noch verziehen wird. Aber der Zwischenraum! Statt damit zufrieden zu sein, überhaupt zu existieren und mit Sand gefüllt zu sein, lockt dieser Streifen allerlei Lebewesen an. Pflanzliche Wesen lieben es, in ihm zu keimen und einen zarten Trieb nach oben zu senden, dann – oh, Schreck – sprosst plötzlich Leben da auf, wo nur Unnatur sich breit machen darf. Man kann dieses Unwesen chemisch, mechanisch, mit Feuer und Dampf bekämpfen, immer wieder erweist sich die Natur stärker als der Ordnungstrieb, dem die Unfuge ein Graus ist.

Da gibt es zum einen die Möglichkeit, beim Aldi – weil es da am billigsten ist – Haushaltsessig zu kaufen, der dann zum Gartenessig wird, die Essigsäure beißt die Pflänzchen tot, andere, gleichartige Mittel werden unter Freunden vertraulich weiterverraten. Am beliebtesten ist ein Gerät, der Fugenkratzer.

  
Ihn gibt es in vielerlei Ausführung, mit Wechselklinge, mit Verlängerung, Markengeräte und namenlose. Wenn man mit ihm arbeitet, also die spärliche Fugennatur bekämpft, dann weiß man nach der Arbeit mit schmerzendem Rücken, dass man – leider nur vorübergehend – gesiegt hat, aber spätestens nach wenigen Tagen ist schon wieder ein zartes Grashälmchen zu sehen. Ein Kollege des Fugenkratzers ist die Stahlbürste, deren Ausrichtung ihrer Borsten der Pflanzenpracht in der Fuge ein Ende bereiten soll, es kommt leider viel Sand mit, der verräterisch mit Humus durchsetzt ist.

Wem der Rücken anhaltend schmerzt, greift zu dem Feuer, das aus speziellen Spendern auf die Pflanzen niederbraust, für die – so meint der Verwender – das Jüngste Gericht angebrochen scheint. Aber eben nur der Schein des Endgültigen: nach wenigen Tagen schon treiben die Pflänzchen neu aus.

Dann kann man der Natur noch mit den Geräten zu Leibe rücken, die der vorherige Staatspräsident des Nachbarlandes dafür verwenden wollte, die Vororte von Paris von einer Sorte Menschen zu reinigen. Der anhaltende Wasser- und ggf. Dampfdruck erweist sich als unfähig, der natürlichen Entwicklung entgegen zu wirken, übrigens Banlieu auch, auch dort muss man sich anderes einfallen lassen.

Weit schlimmer noch als Pflanzen sind Ameisen, die nicht ruhen und rasten, bis sie sogar die schmucke Waschbetonplatte unterminiert haben. Nur kleine Völker sind zu bekämpfen, größere gehen in die Tiefe und setzen von dort ihre Unterwandertätigkeit fort.

Ein Fachmann, herbeigerufen und um Rat angefleht, meint: „Ei, do missese den Wech in Beddong leie, dann herts uff!“ Ist der Betonunterbau aber nicht frostsicher angelegt, so hebt in einem kalten Winter Väterchen den Weg an, an der Bruchstelle blüht und krabbelt es im nächsten Mai. Nicht Resignation, sondern Einsicht bewahrt den Eigentümer eines Plattenbelages vor unnötiger Arbeit.

Dottore meint: „Weißt Du eigentlich, dass der abgebildete Fugenkratzer in England hergestellt wurde?“

Pantalone, traurig: „Jetzt hast Du mir meine Vorstellung über Briten zerstört!“


Gewidmet der fast 90jährigen Nachbarin, die sich alljährlich abquält, weil „Ordnung muss sein!“


Nachtrag:


Um die Trauer über sein Vorurteil zu überwinden, hat Pantalone in seinem Bildarchiv gekramt und ist fündig geworden.  Schon vor Jahren erfreute ihn ein Anblick einer Parkplatzfläche so, dass er sie fotografierte; so kann man die Oberfläche fast lieblich nennen.


1 Kommentar:

  1. Sehr geehrte Damen und Herren,

    gib es eine Möglichkeit E-Mail Kontakt herzustellen. Es geht um die Anfrage nach einem Bild auf Ihrer Website.

    Mit freundlichen Grüßen

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