Donnerstag, 9. August 2012

Erst vergessen, dann versunken - ein ungerechtes Schicksal


Neben den bereits seit langem bekannten sieben Todsünden hat das 19. Jahrhundert eine achte hervorgebracht, den Nationalismus. Der Staatsbürger hätte mündig werden können, stattdessen verharrte er auf der Stufe des Zoon Koinon. Der Weg ging nach der Findung des Nationalismus daher nicht zu größeren Einheiten, sondern zu kleineren. Zwei Vielvölkerstaaten, auf ihren Gebieten sicherlich Vorläufer dessen, was gerade haarscharf am Scheitern vorbeisegelt, waren das Habsburger und das Osmanische Reich, entsprechend des damaligen Denkens mit dynastischen Namen bedacht. Die Habsburger Monarchie umfasste von Österreich ausgehend den nördlichen Teil des Balkans, daran schloss sich das Herrschaftsgebiet der Osmanen an, das je nach Status und Zeit sich von dort bis Aden erstreckte.

Zwischen 1529 und 1791 balgten sich die beiden Reiche um die Länder des Balkans, die von fremdsprachigen Menschen bewohnt waren. Deren Versuche zur Eigenstaatlichkeit wurden von beiden Mächten allenfalls ausgenutzt. So verlief mitten durch den Balkan die wechselnde Grenze. Die ihn durchwindende Donau war in Zeiten schlechter Straßen eine der Wege ins jeweils feindliche Gebiet. So baute die nördliche Macht auf einer mitten im Strom gelegenen Insel eine Festung, wobei sich ein schweizerischer Oberst in habsburgischen Diensten der Errungenschaften des französischen Marschalls Vauban bediente. Aber schon bald geriet die Insel in osmanischen Besitz, wechselte dann mehrmals die Herrschaft, jedoch blieb die türkischsprachige Besiedlung erhalten. Sie gaben der Insel auch den bleibenden Namen, Ada Kaleh, was schlicht Inselfestung heißt.


Die neue Todsünde wurde zur Legitimation dumpfen Freiheitsbegehrens, alle Gruppen, die sich als ethnisch verstanden, wollten nun frei sein. Die einzelnen Mitglieder der Herde des Sultans waren nun Albaner, Rumänen, Bulgaren, Serben, Ungarn, Bosnier, Griechen, und neideten sofort die anderen ihr jeweiliges Gebiet. Russland wollte – wie immer – zum warmen Meer, panslawistische Ideen vor sich her schiebend. Die politischen Konstellationen hatten sich also gewandelt. Widerwillig stimmten die bisherigen Machthaber des Balkans, meist nach kriegerischen Abläufen zu, es entstanden nun – der Zeit entsprechend – neue Monarchien.

1848 wurde der Aufstand der Ungarn unterdrückt, die Stephanskrone in Orsova, der damals ungarischen Nachbarstadt zur Insel, heimlich versteckt. Darüber und über die Insel berichtet Egon Erwin Kisch, der und im „Rasenden Reporter“; er stammte aus dem „behmischen“ Prag und viele seiner Artikel kreisen um Gegenstände im ehemaligen Habsburger Reich. Auf dem Berliner Kongress 1878 wurde der Balkan zu Lasten des Osmanischen Reiches neu verteilt, aber Ada Kaleh schlicht vergessen. So blieb die Insel inmitten des Donaustromes in türkischem Besitz, die zollrechtlichen Gegebenheiten ermöglichten den Bewohnern ein einträgliches Auskommen. Der Sultan tauschte den alten Teppich der Moschee gegen einen neuen aus, eine dieser großartigen Herrschergesten, jedoch der Wert des alten Teppichs wird höher gewesen sein. Nun lag die Insel im Fluss mit serbischem (im Süden), rumänischem (im Nordosten) und ungarischem (im Nordwesten) Ufern. Im Weltkrieg I besetzten vorsichtshalber österreichische Truppen die Insel des Verbündeten, die Grafitti der Landsturmmänner betrachtete sich noch Kisch. Nach dem Krieg usurpierte Rumänien die Insel, die Zeit der Turkokratia des Balkans war endgültig vorbei (wenngleich die Saga von der Unterdrückung jahrzehntelang nicht nur als Entschuldigung, sondern gar als selbstgeglaubte Erklärung für nachfolgend anhaltende Unterentwicklung herhalten musste).


Noch einmal flammte türkisches auf: Süleyman Demirel, seinerzeit Ministerpräsident der Türkei und noch lange nicht so reich wie heute, verband einen Besuch Rumäniens mit der Stippvisite der Insel, wahrscheinlich musste er sich von der größten lebenden Wissenschaftlerin das geplante Stauwerk am Eisernen Tor erläutern lassen. Die Städte an den Ufern konnten mit ihren Häusern die Berge hinan klettern, um den ansteigenden Wassern der Donau zu entrinnen. Aber Ada Kaleh war flach, man kann in das felsige Ufer zum Eisernen Tor hin eine neue Tabula Ansata einmeißeln: CAUSA VIRES PRODUCENTIUM INSULA AQUIS SUBMERSA EST ANNO MCMLXXII.
      
„Am Grunde der Donau da ruhen die Steine, es gibt keine Festung auf Ada Kaleh“.

(Fraglich bleibt jetzt nur noch, ob die Erben Brechts – die Laxheit des Erblassers in Fragen des geistigen Eigentums schon lange negierend – wegen der vorstehenden Paraphrase urheberechtliche Ansprüche anmelden werden.)
  

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