Samstag, 29. Januar 2011

Die Sage vom Schlaf am Pferdearsch

Im Jahre 1958 unternahm eine Gruppe von 36 Roulettenburger Gymnasiasten, zu denen ich zählte, eine selbstorganisierte Reise nach Griechenland und der Türkei. Anfangs- und Endpunkt der individuellen Reise war Thessaloniki, bis und von dort benutzten wir gemeinsam die Eisenbahn, dort trennten wir uns. Anschließend reisten wir meist per Anhalter in Zweiergruppen.
Auf der Rückfahrt von Istanbul mußten wir über Edirne durch Nordgriechenland trampen, was damals wegen des geringen Verkehrsaufkommens ein mühseliges Unterfangen war. So erbarmten sich teilweise sogar die Busfahrer, wenn sie den einen oder anderen von uns nach Stunden immer noch an der gleichen Stelle sahen. Mein Begleiter und ich hatten einen günstigen Lift, wobei der Fahrer eines Lastwagens versprach, uns am Endpunkt seiner Fahrt in Kawalla an einen Bekannten weiterzugeben, dem er Ware nach Saloniki auf dessen Laster zu übergeben habe. So geschah es, allerdings war der übernehmende Fahrer unwirsch, er hätte uns sicherlich freiwillig nie mitgenommen.

Der Lastwagen Marke Mack war neu und hoch beladen. Im frühen Morgengrauen fuhren wir ab, nach teilweise durchwachter Nacht im Hafen von Kawalla. Wir saßen oben auf der Ladung. Nach kurzer Zeit hielt des Lastwagen, ein Pferdefuhrwerk sollte noch aufgeladen werden. Wir halfen, den zweirädrigen Karren noch unterzubringen, dann mußte Platz für das Pferd geschaffen werden. Es war ein Schimmel und das erste Pferd, das wir auf der ganzen Reise sahen, bei dem man nicht die Rippen durch das Fell zählen konnte. Es sträubte sich, wurde aber ziemlich brutal vom Fahrer heraufgetrieben. Auf der Ladefläche kam es mit seinen Hinterhufen über den Zwillingshinterreifen zu stehen. Der Bauer, der das Fuhrwerk zur Straße gebracht hatte, fuhr nicht mit.
Der Schimmel war auf der Weiterfahrt sehr unruhig, bei einer Kurve trat es mit einem seiner Hufen den Boden durch, man sah unmittelbar unter den Hufen die rotierenden Profilreifen des Lastwagens. Ein weiteres unruhiges Tänzeln des Pferdes hätte mit erheblicher Wahrscheinlichkeit bewirkt, daß ein Huf durch das Loch geraten und vom Reifen erfaßt worden wäre. Schnell trommelten wir auf das Dach des Fahrerhauses und bedeuteten dem Fahrer anzuhalten. Er schaute sich das Loch an, schien über den Schaden am Laster verärgert, unternahm trotz unserer Gesten nichts, um das Pferd von dieser Stelle zu entfernen, was allerdings auch nur nach umfangreichen Umladearbeiten möglich gewesen wäre.
Nun regte sich unsere mitteleuropäische Tierliebe, wir versuchten während der weiteren Fahrt etwas Platz zu schaffen, damit die Gefahr für das Tier beseitigt sei. Die Schnelligkeit des Fahrzeugs, die kurvenreiche Strecke und festgezurrte Ladung setzte aber unserem Bemühen Grenzen. So kamen wir daher überein, daß einer von uns hinten am Pferd stehen und es in Richtung Wagenmitte drängen sollte, um es vor dem verhängnisvollen Fehltritt zu bewahren. Das Los traf mich zuerst, während mein Freund sich irgendwo auf der Ladung zum Dösen hinlegte. Aber auch ich war müde, und so schlief ich denn nach einiger Zeit am Hinterteil des Pferdes - halb stehend, halb aufgelehnt - ein.
In Soloniki halfen wir, das unverletzt gebliebene Pferd vom Lastwagen herunterzuführen, bedankten uns und gingen zur Jugendherberge, wo schon einige unserer Gefährten waren, die anderen eintrafen. Alle, die aus Richtung Istanbul kamen, berichteten, an ihnen sei ein großer starker LKW vorbeigebraust, der auf der Ladefläche einen Schimmel geladen hätte, dessen Arsch der "Pantalone" umarmt hätte. Der „Pantalone am Pferdearsch“ war für einige Zeit in Roulettenburg eine auf meine Kosten gern erzählte Geschichte.
Als ich 1964 in Berlin studierte, fuhr ich im November einmal nach Hause und hörte auf der Fahrt Radio. Dort wurde "meine" Geschichte ohne große Abweichungen als eine Tramperstory aus Libyen erzählt; leider war es mir nicht möglich, den Sender und damit den Erzähler ausfindig zu machen. So leicht kann es einem passieren, daß durch Weitererzählen das eigene Erleben zur fremden Sage wird.

Gewidmet dem Sammler der „Spinne aus der Yukapalme“ und anderer schöner Sagen.

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