Samstag, 15. Januar 2011

Die deutsche Nationalhymne(n) (Ein Blick in Literaturgeschichte und Historie)

Wie bei allen vernünftigen Dingen, stellt ein deutscher Autor erst einmal die Frage nach der Vergangenheit. Was ist eine Hymne? Sie leitet sich von „Hymnus“ ab, wobei damit im Griechischen eine Sammelbezeichnung gemeint ist, die allerlei Dichtungen und Gesänge umfasst, die zumindest in späterer Zeit nur noch im Sakralbereich verwendet wurden. Die Herkunft des Wortes ist nicht gewiss, nicht unwahrscheinlich ist der Zusammenhang mit dem Hochzeitsgott, wobei aus Anlass einer Vermählung im antiken Griechenland gerne Feste gefeiert wurden, trotz der relativ geringen Einschätzung der Frau in der griechischen Gesellschaft. Der Name des Hochzeitgottes ist Hymenaios, der uns noch über die membrana virginalis, dem Jungfernhäutchen, bekannt ist, das üblicherweise damals dem Fest zum Opfer fiel. Von dem fröhlichen Gesang, der sicherlich zu Schreittänzen oder ähnlichen Bewegungen gesungen wurde, entwickelte sich also zunehmend ein Lied, was im sakralen Kult gebraucht wurde. Am bekanntesten sind aus der griechischen Literatur die sogenannten homerischen Hymnen, die – nicht von Homer stammend – in preisender, also hymnischer Weise die Götter des Olymp besingen.

Dies also ist die Wurzel des Wortes selbst.

Wer eine der in den Juni verlegten Geburtstagsfeiern der Königin Elisabeth II. im Fernsehen, auch nur in Teilen, gesehen hat, wird sich daran erinnern, wie die Leibgarde der Königin in einem eigenartig gemessenen Schritt gegangen ist, der ein Verzögerungsmoment enthält, der dem gleicht, der bei der Reitdressur von atemlosen, verhalten sprechenden Fernsehreportern als „Schwebemoment“ bezeichnet wird, also ein Innehalten in der Bewegung. Dieser Paradeschritt zeigt seine Untauglichkeit für das normale Vorwärtsbewegen der Soldaten, wobei festzuhalten bleibt, dass allen solchen Paradeschritten diese Eigenschaft zukommt. Der deutsche Stechschritt, der zuletzt nur noch von der „Leibstandarte“ „Felix Dschersinsky“ gebraucht wurde, ist ebenso wenig wie der russische Parademarsch oder der Schleichschritt der Dänischen Garden geeignet, irgendwelche Laufleistungen der Infanterietruppen zu bewerkstelligen, allenfalls der Laufschritt der Bersaglieri erscheint kriegstauglich. Da geht man lieber in einem „ruhig, festen Schritt“, wie dies seinerzeit von einem sozial verunglückten Pfarrerssohn und Zuhälter den Sturmabteilungen unterstellt wurde.

Wenn man nun dazu einen beflügelnden Rhythmus finden will, so bleibt eigentlich nur ein Versfuß übrig, das aus zwei Einheiten besteht, für jeden Schritt einen. Die eine Einheit muss, um etwas Belebung in das Gehen zu bringen, betont, die andere unbetont sein. Sprechen wir die betonte mit dàm aus, so die unbetonte mit da. Wenn man also losmarschiert, so marschiert es sich am besten mit dàm da dàm da, ungünstiger mit da dàm da dàm da dàm. Entsprechend haben die Griechen den ersten Versfuß (dàm da dàm da) den Gehenden, den Trochäus genannt, den anderen (da dàm da dàm da dàm) den Jambus, den Hinkenden.

Marschieren kann man also besser gehend als hinkend.

Dies haben dann auch die römischen Truppen so gehandhabt, allerdings machten sie sich bei dem Triumphzug Caesars um 50 v. Chr. durch Rom über ihren ansonsten verehrten Feldherrn lustig. Nach Sueton, dem intriganten und spöttischen Historiker, sangen sie ungeniert:

Gállias Caesár subégit, Nícomédes Caésarém.
Écce Caésar núnc triúmphat, quí subégit Gálliás
Nícomédes nón triúmphat, quí subégit Caésarém

[Die Gallier unterwarf Caesar, Nikomedes den Caesar.
Schaut auf Caesar, nun triumphiert er, er besiegte die Gallier.
Nicomedes triumphiert nicht, obwohl er Caesar unterwarf.]

Hintergrund ist die Legende, Caesar habe in jungen Jahren bei einem Besuch in Bithynien dem homosexuellen Nicomedes, einem hellenistischen Herrscher, als Lustknabe gedient.

Der Endreim ist nun eine, auch eben nicht in allen Sprachen übliche Kennzeichnung von Versen, vielmehr ist der innere Rhythmus für alle Form von poetischer Dichtung viel wichtiger. Wenn man also die einzelnen Versfüsse wie Trochäus oder Jambus zusammenfasst, so ergeben sich zweckmäßige Einheiten. Der Trochäus wird im sogenannten Septanar zusammengefasst, ist also der sogenannte trochäische Langvers, er besteht aus 7 ½ Trochäen, ist also ein 15-silber.

Dám da dám da dám da dám da – dám da dám da dám da dám

Um diese lange Reihe zu unterbrechen, wird nach der 8 Silbe eine Zäsur eingeführt. Wenn man nun daraufhin das Marschlied der römischen Legionen, das auch ein wenig ironisch zu verstehen ist, betrachtet, so stellt man fest, tatsächlich nach der 8 Silbe folgt eine Unterbrechung, es folgen dann eben nur noch 7 Silben.

Dieser trochäische Langvers wurde zu einer Grundlage der sogenannten Hymne, deren Gebrauch sich aus der Antike über die Spätantike bis ins Christentum hinzieht. Der um ca. 600 nach Christus als Bischof von Poitiers gestorbene Venantius Fortunatus führt diesen trochäischen Langvers mit seiner durch den Marschvers auch volkstümlichen Tradition in die kirchliche Prozessionsliedtradition ein. Der von ihm gedichtete Kreuzhymnus lautet daher:

Pange lingua, gloriosi – lauream certaminis

Diese Art der Gestaltung eines Verses hat sich in vielen Bereichen weiterbewegt, die sich von dem christlich, sakralen Bereich weit entfernten. Er ertönt im französischen Volkslied, das luftig-bewegt meint:

La feuille sén vole, vole – la feuille sén vole au vent

Dieses Versmaß eignete sich – wie sich später zeigte – vortrefflich zu Gedichten, die im Zuhörer erhabene Gedanken aufkommen lassen sollten. So dichtete Schiller seine Ode an die Freude, die bekanntlich in den Zeiten der „gesamtdeutschen“ Olympiamannschaften als Ersatzhymne diente, im trochäischen Langvers:

Freude, schöner Götterfunke, - Tochter aus Elysium

Auch Goethe bediente sich dieses Versmaßes und zwar, wie könnte es anders sein, im „Faust II“, wo es im 3. Akt. 3. Szene (Zeile 9608) heißt:

Aber hüte Dich, zu fliegen, freier Flug ist Dir versagt

Aber auch im staatlichen Bereich, hier in dem Bereich, in dem das Verhältnis zwischen Staat und Untertan entscheidend ist, waren solch erhebende Momente gefragt. Durch Symbole einer Gemeinsamkeit zustrebend, sannen die alten Feudalstaaten darüber, wie sie eben durch Sinnbilder eine Identifikation der Untertanen mit dem Staatsgebilde erreichen könnten, ohne die Untertanen zu Citoyen machen zu müssen, wie dies der Gegner getan hatte, die revolutionäre Republique Francaise.

1797 dichtete daher – wohl im höheren Auftrag – der österreichische Theologe Leopold Haschka eine Hymne für den damaligen letzten römisch-deutschen Kaiser Franz II., der allerdings zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht wusste, dass er der letzte einer Reihe sein würde, die dann gerade etwas mehr als 1000 Jahre umfasste. Die französischen Revolutionstruppen waren durch das Eingreifen Napoleons zwar in ihrer Explosivkraft nicht gebändigt worden, sie trugen nur nicht mehr die eigentliche Revolution durch Europa, sondern ein neues, wenn auch sehr kurzfristiges imperiales Denken. Also musste als Gegenhymne zu Marseillaise eine Hymne gedichtet werden, die dem Kaisertum einen entsprechenden Gleichrang verlieh. Also dichtete Haschka:

Gott erhalte Franz den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz.

Als Josef Haydn kurze Zeit später während seiner Englandreise von der englischen Hymne „God safe king“ sehr beeindruckt war, schrieb er dazu die bekannte Melodie. Dabei hatte es sich dann 1806 ausgesungen, denn das mittelalterliche, römisch-deutsche Kaisertum wurde von Napoleon beseitigt. Der Herrscher Österreich nahm unter dem Namen Franz I. die österreichische Kaiserkrone an, und so wurde aus dem Personallied, also von dem Lied auf den römisch-deutschen Monarchen, ein Nationallied, das auch das Land mitberücksichtigte, wobei es sich weiterhin auf die Haydn´sche Melodie singen lassen musste, es hieß also:

Gott erhalte, Gott beschütze – unseren Kaiser, unser Land.

Aber nicht nur Zustimmung fand dieses Lied, ein später noch sehr bekannt werdender junger Dichter und Germanist, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, dichtete eine Parodie, die sich selbstverständlich nicht unmittelbar auf die Hymne beziehen durfte, sondern den Tyrann aus dem Gedicht Schillers „Die Bürgschaft“ als Scheinobjekt auf das Korn nahm:

Gott erhalte, Gott beschütze, - den Tyrannen Dionys

Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Einigung Deutschlands und Italiens, also zweier Länder, die man als „zu-spät-gekommene Nationen“ bezeichnen kann. Während andere Länder, wie Spanien, Frankreich und England schon in Jahrhunderten zuvor ungefähr ihre staatliche Einheit gefunden hatten, was auch jeweils mit vielen Kriegen und weiteren Auseinandersetzungen verbunden gewesen war, so waren sowohl Deutschland, als auch Italien zu Beginn des 19. Jahrhundert zerfallen in vielerlei Kleinstaaten.

Wenn man „deutsch“ zuerst einmal als sprachlichen Begriff fasst, so bleibt festzuhalten, dass deutsch damals in einem großen Teil Mitteleuropas gesprochen wurde, entweder, weil es die Sprache der Bevölkerung war (also große Teile Deutschlands und des jetzigen Österreichs) oder weil es die Sprache der Herrschenden war (so in weiten Teilen der Habsburger Monarchie oder der östlichen Länder Preußens).

Die nationale Einigkeitsbewegung ging auch weniger von dem regierenden Fürsten aus, die letztlich nur die Verringerung ihrer persönlichen Macht befürchten mussten, sondern von dem sich formierenden Bürgertum, das sich mit der Aufklärung, der Emanzipation vom Adel und der industriellen Entwicklung langsam herausbildete. Dass sich das Bürgertum dabei im Nationalismus glaubte verwirklichen zu können, ist zu schmerzlich, um nur ironisiert zu werden. Ein seiner geistig-poetischen Protagonisten, war August Heinrich Hoffmann, der sich in einem ironischen Akzent gegenüber der Aristokratie nach seinem Geburtsort Fallersleben „von Fallersleben“ nannte. Er hatte Volkslieder und Kinderlieder gesammelt und gedichtet, war sicherlich im tiefsten Innern revolutionär gesinnt, was dies im Zeitalter der sogenannten Karlsbader Beschlüsse auch bedeutet haben mag. Er hatte einen Lehrstuhl an der Universität in Breslau inne, wobei hier darauf hinzuweisen bleibt, dass Schlesien erst seit ungefähr 80 Jahren zu Preußen gehörte, bis dahin war es ein Teil Österreichs, erst die schlesischen Kriege und zum Schluss der 7-jährige Krieg hatten vermocht, dass Preußen nun die Hoheit über Schlesien hatte. Hoffmann veröffentlichte ein Buch, das „Unpolitische Lieder“ hieß, dies war aber für die preußische Verwaltung gleichwohl Grund dafür, ihn vom Lehrstuhl zu verjagen (1842). Ein Jahr zuvor war er auf der damals noch zum englischen Herrschaftsbereich gehörenden Insel Helgoland gewesen und hatte dort das uns allen bekannte Deutschland-Lied gedichtet, dessen erste Zeile lautet:

Deutschland, Deutschland über alles, Über alles in der Welt,
Wenn es stets zu Schutz und Trutze brüderlich zusammenhält.
Von der Maas bis an die Memel, Von der Etsch bis an den Belt,
Deutschland, Deutschland über alles, Über alles in der Welt.

Die zweite Stopfe dieses Liedes beginnt mit dem Vers:

Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang,

Die dritte Strophe, nun unsere offizielle Hymne, preist:

Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland.

Die Einigungsbewegung im 19. Jahrhundert war von der Frage geprägt, soll es die großdeutsche oder die kleindeutsche Lösung sein. Unter der großdeutschen Lösung verstand man ein Zusammenschluss aller deutschen Länder mit Einschluss Österreichs, das wiederum (ähnlich wie Preußen!) nichtdeutsche Herrschaftsgebiete umfasste oder aber die kleindeutsche Lösung, die nur die Länder in sich bergen sollte, die dann später auch 1871 das Deutsche Reich bildeten. Hinzu kam die Distanz der Herrschenden zur Einigungsbewegung, die gleichwohl durch den Beschluss der Nationalversammlung 1848 intensiviert wurde, mit dem nämlich dem damaligen preußischen König die deutsche Kaiserkrone angeboten wurde. Nach dem Selbstverständnis der damaligen Herrscher, den preußischen König mit eingeschlossen, war es eben unmöglich, ein „Bürgerkrone“ anzunehmen. Bismarck, der die Zeichen der Zeit erkannte und vorerst und vor allem sich als Diener der preußischen Krone betrachtete, hat dann die Einigungsbewegung „von oben“ betrieben, was mit der Kaiserproklamation im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles endete. Damals war man sich noch nicht einmal darüber einig, sollte es nun der „Kaiser von Deutschland“, der „Kaiser in Deutschland“ oder der „Deutsche Kaiser“ sein; Bismarck, der – wie die Emser Depesche zeigte - ein Meister der Sprache war, akzeptierte die wunderbare Lösung: er empfahl, den Kaiser mit „Hoch lebe Kaiser Wilhelm!“ auszurufen.

Dieses kaiserliche Reich, dass also von 1871 bis 1918 bestand, hatte als Nationalhymne das von dem Dichter Harryes (1762 bis 1802) und von dem Komponisten Carey (1687 bis 1743) produzierte Lied:

Heil Dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands!
Heil, Kaiser, dir!
Fühl in des Thrones Glanz
die hohe Wonne ganz
Liebling des Volks zu sein!
Heil, Kaiser, Dir!

Vergleicht man dieses Lied mit allen zuvor aufgeführten, so kommt man zum Ergebnis, hier handelt es sich nicht um einen trochäischen Langvers, es ist im Gegensatz zu allen(!) anderen nicht auf der Melodie von Haydn zu singen.

In den 47 Jahren des Bestehens dieses Kaiserreiches fand eine Entwicklung statt, die verständlich und unheilvoll zugleich war. Die Revolution von 1848 hatte bedeutende Köpfe erfasst, es seien nur genannt Mommsen oder Richard Wagner. Mommsen hat als republikanisch gesinnter Gelehrter sich gerne mit der römischen Republik beschäftigt, die Zeit der römischen Kaiser schätzte er nicht und hat seine Publikationen auch insoweit beschränkt. Nur ist es aber schwierig, in einem Staatsgebilde zu leben, das äußerlich das lebt, was man erstrebt hat, nämlich eine nationale Identität, während man sich selbst in politischer Distanz hält. Insoweit also war aufgrund der von oben erzwungenen Einigung die nationale Idee etwas, was nicht genuin aus dem Volke heraus sich umgesetzt hatte, es folgte eine aufgesetzte Art des nationalen Bewusstseins, das, was man Deutschtümelei nennt.

Das berühmte Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben wurde nur noch in den Bereichen gesungen, die immer mehr in Nationalnostalgie versanken, obwohl sich von ihrem Ursprung her wirklich einmal Ursuppe der nationalen Bewegung gewesen waren, so beispielsweise in den Burschenschaften. Die Studenten, die im ersten Kriegsrausch 1914 fast unausgebildet eingezogen wurden, und letztlich auf den Schlachtfeldern an der Westfront, hier insbesondere in Langemarck, man kann nur sagen, „verheizt“ wurden, gingen mit diesem nationalen Lied in die Maschinengewehrsalven der englischen Berufssoldaten.

Die kriegerische Krise des Jahres 1918 war auch eine staatliche und gesellschaftliche. Die deutsche Sozialdemokratie wollte wieder einmal „Schlimmeres“ verhindern, beendete die Revolution von links und sah sich nun zwischen beiden Feuern. Ebert sehr darauf bedacht, wenigsten den Ansatz zu einer Einigung herzustellen, erwählte jenes Lied, das die Studenten in Langemarck gesungen hatten, zur Nationalhymne.

Die Weimarer Republik währte kurz, schon in ihr regten sich unterschiedliche Kräfte. Im offiziellen Liederbuch der deutschen Kriegsmarine wurde ein vermutlich von Heinrich Anacker, einem späteren Nationalsozialisten, umgetextete Version aufgenommen, die da lautet:

Deutschland, Deutschland über alles und im Unglück nun erst Recht

Das waren die gleichen reaktionären Kräfte, die die Nationalflagge mit „Schwarz-Rot-Senf“ diffamierten. So ist denn die Weimarer Republik auch daran zugrunde gegangen, dass keiner da war, der sich mit ihr identifizierte, es war die berühmte „Republik ohne Republikaner“. Obwohl nun im Nachhinein das Lied der Deutschen mit dem Dritten Reich stark in Verbindung gebracht worden ist, neige ich der Ansicht zu, dass der Missbrauch dieses Symbols sich in Grenzen hielt, zumal das Horst-Wessel-Lied relativ bald dem Deutschlandlied als Nationalhymne „gleichgeschaltet“ wurde, es hatte eben auch keinen hymnischen Klang. So lautet es denn:

Die Fahne hoch, die Reihen dicht geschlossen!
SA marschiert mit ruhig festem Schritt.
Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen,
Marschiern im Geist in unsern Reihen mit.

Nach 1945, also nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949, dachte der erste Bundespräsident Heuss daran, eine neue Nationalhymne wäre wohl angebracht, er bestellte bei dem Dichter Rudolf Alexander Schröder eine Nationalhymne, die jedoch nicht allgemein akzeptiert wurde. Sie lautet:

Land des Glaubens, deutsches Land,
Land der Väter und der Erben,
Uns im Leben und im Sterben
Haus und Herberg, Trost und Pfand,
Sei den Toten zum Gedächtnis,
Den Lebend'gen zum Vermächtnis,
Freudig vor der Welt bekannt,
Land des Glaubens, deutsches Land!

Konrad Adenauer war trotz seiner rheinisch-katholischen Abneigung gegen Berlin und das Reich in seiner preußisch-verkommenen Ausprägung durch die Nazis auf Einbeziehung aller Kräfte bedacht. Rasch versuchte er, mit den Juden ins Klare zu kommen, er versuchte auch, die nationalsozialistische Vergangenheit entweder auszugrenzen oder zu vereinnahmen, anders ist die Beschäftigung des Chefkommentators zu den Nürnberger Gesetzen, des von ihm zum Staatssekretär gemachten Mitarbeiters des Reichsinnenministeriums, Globke, nicht zu verstehen. In diesem Geiste der Vereinnahmung steht eben auch sein Bestreben, die Nationalhymne wieder zu beleben, wobei sich Heuss allerdings insoweit durchsetzen konnte, als dann wenigstens nicht die 1. Strophe mit ihren anmaßend erscheinenden Zeile zur offiziellen Nationalhymne gemacht wurde. Dies entstand auch – im Gegensatz zur Regelung über die Natinalflagge – nicht durch irgendeine gesetzliche oder gar verfassungsrechtliche Regelung, sondern durch einen Briefwechsel zwischen dem Bundeskanzler und Bundespräsident.

Die DDR, die ebenfalls 1949 gegründet worden war, griff auf ein Gedicht von Johannes R. Becher zurück, der später auch Kultusminister in der DDR war. Die Musik stammt von Hans Eisler, der bei Arnold Schönberg studiert und danach öfters mit Brecht zusammengearbeitet hatte. Der Text der gesamten Hymne lautet:

Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt,
laß uns dir zum Guten dienen, Deutschland, einig, Vaterland
Alte Not gilt es zu zwingen, und wir zwingen sie vereint,
denn es wird uns doch gelingen, daß die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.
Glück und Friede sei beschieden Deutschland, unserm Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden, reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen, schlagen wir des Volkes Feind.
Laßt das Licht des Friedens scheinen, daß nie eine Mutter mehr ihren Sohn be¬weint.
Laßt uns Pflügen, laßt uns bauen, lernt und schafft wie nie zuvor,
und der eignen Kraft vertrauend, steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben unsres Volks in dir vereint,
wirst du Deutschlands neues Leben, und die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.

Im Grunde genommen rennt die Melodie gegen den Text an. Betrachtet man sich den Text dieser Hymne, so kann man an ihr eigentlich nichts spezifisch Kommunistisches finden; ich halte sie für einen Text, auf den man sich 1989 ohne weiteres hätte einigen können. Interessant dabei ist, dass das Lied selbst wegen der Zeile „Deutschland, einig, Vaterland“ in der DDR bald zu großen Problemen führte: die Nationalhymne wurde zwar immer gespielt, durfte aber nicht gesungen werden. Als die Leipziger Demonstrationen 1998 immer mehr um sich griffen, wurde dementsprechend auch diese Zeile wieder von den Demonstranten gesungen.

Hinsichtlich der Melodie von Eisler ist noch anzumerken, dass der Schlagerkomponist Michael Jary ihm vorgeworfen hat, die Melodie stamme aus seinem Song vor der Kriege, der da lautet:

„Goodbye Johnny, goodbye Johnny, Du warst immer mein Freund“

Vielleicht hatte Eisler von Brecht auch jene berühmte „Laxheit in Dingen geistigen Eigentums“ übernommen. Ich möchte jedoch noch ein anderes Lied verweisen, die sogenannte Kinderhymne von Berthold Brecht, der damit ebenfalls eigentlich einen schönen Text geschaffen hat:

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.
Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andren Völkern hin.
Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dieses Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's
Und das Liebste mag's uns scheinen
So wie andern Völkern ihr's.

Dem Deutschlandlied sind zu Unrecht zwei Strophen vorgeworfen worden, die als anmaßend und überheblich gedeutet wurden:

Da ist zum einen die sogenannte Flussformel, die man jedoch als korrekt ansehen muss, wenn man sich vergegenwärtigt, dass 1841 zwischen Schleswig und Meran, zwischen Eupen und Tilsit deutsch gesprochen wurde. Zudem gibt es für diese Flussformel ein bestimmtes Vorbild, das damals mit Sicherheit Hoffmann von Fallersleben übernommen hat, nämlich die ähnliche Flussformel von Walther von der Vogelweide.

Als Walther von der Vogelweide als tingelnder Sänger und Dichter durch die süddeutschen Herrensitze zog, gab es einen Teil des deutschen Reiches, der nunmehr seit langer Zeit zu Frankreich gehörte, die Provence. In der Provence hatte sich die Troubadurdichtung entfaltet, wobei die Dichter, Komponisten und Sänger – also alles drei zugleich – der Ansicht waren, man sei besser als alles andere. Peire Vidal hat dementsprechend gedichtet:

Alamans trob deschauzitz e vilans
E quand negus si feing esser cortes,
Ira mortals cozens et enois es;
E lor parlars sembla lairars de cans

[Ich finde die Deutschen ungehobelt und bäurisch.
Wenn einer von ihnen sich bemüht, höfisch zu sein,
dann wird das eine tödliche Quälerei und ein Ärgernis.
Ihre Sprache ähnelt dem Kläffen der Hunde]

Dagegen hatte Walther von der Vogelweide sein sogenanntes Preislied gesetzt, in dem es unter anderem heißt:

Ich will unseren deutschen Frauen,
vor den Augen aller Welt,
ein Podest bis an den Himmel bauen,
gratis, ohne Geld!

Edelmut und Würde
ruhen sich und kennen keinen Preis.
Was dem Sänger schon genügen würde, wäre
ein kleiner Gruß, ein Gunsterweis. ...

Von der Elbe weit bis an den Rhein
und zurück noch mal bis Ungarn Land:
Könnten Frauen edler sein
als ich sie in diesen Breiten fand?

Wenn ich richtig sehe
- und ich bin nicht blind!
- Nein bei Gott, die deutschen Frauen sind
aus der Ferner anzusehen so schön wie aus der Nähe.
(in der Umdichtung von Rühmkorf)

Hier also finden wir schon einmal die „Fluss“formel, die bei Walther auf den damaligen Bereich der deutschen Zunft beschränkt war, bei von Fallersleben auf die vergrößerte Region. Weiterhin erschließt dieses Lied Walthers auch die etwas eigenartig erscheinende zweite Strophe des Liedes von Hoffmann. Zu bedenken ist auch, dass Brecht in seiner Kinderhymne eben auch die „Flussformel“ benutzte, angepasst allerdings an den heutigen Bereich deutscher Zunge.

Der andere Vorwurf ist jener, dass man eben „Deutschland über alles“ setzen würde, was je-doch auch in dieser Totalität unhistorisch ist. Der Österreicher Collin dichtete 1808 mit der Überschrift: Österreich über alles

Österreich über alles
wenn es nur will
ist immer Österreich über alles!
Wehrmänner, ruft mit frohem Schalle
es will! Es will! Ruft Österreich!

Das war damals nach der Totalniederlage Preußens im Jahre 1806, nach dem Beginn des antifranzösischen Widerstandes in Spanien (1808) eine der vielen Aufrufe zum Widerstand des noch nach der herrschenden Dynastie „Habsburger“ genannten Österreichs gegen Napoleon. Er endete bekanntlich nach dem verlustreichen Sieg von Erzherzog Karl bei Aspern, also der ersten Niederlage Napoleons in einer Schlacht im Mai 1809, dann jedoch mit der Niederwerfung Österreichs und dem Frieden von Schönbrunn. Während der alliierten Kriege gegen Napoleon in den Jahren 1813 bis 1815 (diese werden in Deutschland als die Freiheitskriege bezeichnet) verwendete man in einer Zeit viele patriotischer, antifranzösische Lieder. Der Bruder des Malers Runge, nämlich Johann Daniel Runge, übernahm diese Formulierung des Österreichers Collin, in dem er sie veränderte in „Deutschland über alles“.

Es gibt aber außer der Umdichtung Anackers noch andere Umgestaltungen des Deutschlandliedes, die geradezu peinlichste für uns Deutsche ist die von Georg Kreisler:

Bayern, Hessen, Schleswig-Holstein,
Bockwurst, Bier und Brüder Grimm,
Mandelbaum und Kohn und Goldstein
schlummern tief in Oswjecim.

Was so ein bißchen neckisch, die deutsche Gemütlichkeit angreifend, anfängt, endet mit Erschrecken, wenn man weiß, dass Oswjecim der polnische Name von Auschwitz ist.

Schnell eine harmlose Version, um das Grauen zu vertreiben! In der FAZ stand am 12. Mai 2006 diese Fassung mit der Überschrift „WM“ von Jochen Jung im Feuilleton:

Deutschland, Deutschland, übe alles,
übe alles für die Welt-
meisterschaft, den Fall des Falles,
damit Kahn das Leder hält.
Oder Lehmann. Oder Bählamm.
Oder Kant. Auf jeden Fall,
und trotz all dem blöden Schmählamm,
halten soll er halt den Ball.

Zurück und zum Ende: Wenn ich mir nun das Gesamtgedicht von Fallersleben betrachte, so neige ich der Ansicht zu, dass Heuß mit seiner Bitte um das Singen der dritten Strophe einen guten Schritt zur Sachlichkeit hin gemacht hat. Nicht das Land wird in seiner Rangstufe, in seiner Ausdehnung besungen, sondern abstrakt Begriffe wie Einigkeit, Recht, Freiheit, alles Begriffe, die man mit dem verbinden kann, was man modern mit Verfassungspatriotismus meint – ein anderer ist uns auch abhanden gekommen.

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