Montag, 24. März 2014

Der Versuch ist strafbar

Kontinuität ist für die in ihr lebenden Menschen eine Selbstverständlichkeit, nur eine Betrachtung von außen kann sich über sie wundern. Für uns Deutsche besteht eine Kontinuität seit mindestens 1871. Das Kaisereich verging, Dottores Großvater war weiter Postbeamter der Reichspost. Die Weimarer Republik wurde zerstört, sein Gehalt wurde ihm weiterhin ausbezahlt. Das Dritte Reich wurde unterworfen, der längst pensionierte Oberpostrat half wieder mit, die Oberpostdirektion, zuerst am Ort des amerikanischen Hauptquartiers in Wiesbaden, dann in wieder in Frankfurt aufzubauen. Nach der Gründung der Bundesrepublik wurde dem Pensionär ungebrochen die Pension auf sein Postscheckkonto überwiesen. Gewundert hat er sich darüber zu keinem Zeitpunkt.

Selbst wenn man sich als Altachtundsechziger als Linksorientiert betrachtet, dann ärgert man sich bei der intensiveren Lektüre des Feldzuges nach Westen 1940 darüber, dass Hitler die Pause vor Dünkirchen anordnete, obwohl ganz klar ist, dass ohne sie eine eigene Schulzeit unter nationalsozialistischen Umständen gedroht hätte. Die spontane Identifikation mit der Gemeinschaft ist das primäre, erst eine Reflektion schafft die dringend notwendige Differenz. Ob diese allerdings bei Gemeinschaften überhaupt möglich ist, erscheint sehr zweifelhaft, die Distanz zur eigenen Geschichte und der aller Anderen dieser Gemeinschaft ist für den einzelnen unangenehm, für ein Kollektiv zu schmerzlich.

Russland wird als ein Land betrachtet, das seit dem Ableben der Sowjetunion neu entstanden sei. Neu ist dabei allenfalls die Fähigkeit einiger Weniger gewesen, sich rasch und schamlos Teile des bisherigen Volksvermögens einzuverleiben. Diese Neumilliadäre sind kaum schützenswert, sie werden allenfalls von ausländischen Kräften gestützt, die sich gerne genauso verhalten hätten. Geblieben ist der zaristische Despotismus und die gleiche Vergangenheit des Großteils der Sowjetunion, der sich nun Russland nennt. Die strategische Lage eines Landes ändert sich durch innenpolitische Umwälzungen kaum, die Geschichte Russlands ist durch wenige Grundziele geprägt.

Bis 1945 hat Russland aus eigenem Antrieb das Ziel verfolgt, endlich einen Hafen an einem warmen Meer zu haben. Ausgreifende Erweiterungen des eigenen Machtbereiches geschahen bis dahin immer in südlicher und östlicher Richtung, nur bei den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert war eine Westausdehnung vorhanden, die jedoch von den westlichen Anrainern (Preußen und Habsburg) gebilligt wurden, zumal sie an der Beute beteiligt waren. Nach dem Trauma von 1942 ff. war es nicht verwunderlich, dass der damalige Führer „Russlands“ sich einen „cordon sanitaire“ schaffen wollte, der, anders als das gleiche Gebiet zuvor, mögliche Gegner aus dem Westen abpuffern sollte. Die Idee der „Ausweitung  der Weltrevolution“ ist ein Produkt der Ideologie, sie beflügelte allenfalls die sich kommunistisch wähnenden Parteimitglieder dieser Anrainerstaaten.

Der Kalte Krieg war eine glänzende Erfindung, weil er eine Auseinandersetzung zwischen zwei Mächten ermöglichte, ohne dass unmittelbar Menschen starben – von den Stellvertreterkriegen abgesehen. Der Kapitalismus erwies sich als belastbarer als der „Real existierende Sozialismus“, letztlich verlor die Soffjetunion (in der Diktion des Kalten Kriegers Adenauer) dieses Wettrüsten. Das aber veränderte die Sicherheitsbedürfnisse Russlands nicht. Natürlich geben sich Militärbündnisse seit eh und je defensiv, aber sowohl den Nordvietnamesen wie den Afghanen wurde zum Verhängnis, dass sie kein Coca Cola trinken und keine Jeans tragen wollten – wie lange wird es dauern, bis in Afghanistan Jeans für die erste Welt zusammengenietet werden?

Ein Blick auf die Karte lässt manches verständlicher werden, wobei sich wieder einmal offenbart, dass Verständnis im Grunde nur bedeutet, die Gedanken des Anderen nachvollziehen zu können, nicht zu billigen.


So sah für die Sowjetunion die Welt in Europa 1973 aus.


Das änderte sich erheblich, bis 2013 war die defensive NATO den Russen erheblich auf den Pelz gerückt. Auch ohne Paranoia erfordern solche Veränderung die Aufmerksamkeit der Herrschenden, auch nicht demokratisch legitimierte Staatsmänner können denken. 


So drohte sich in den Augen des Machhabers Russlands die Situation zu verändern. Das Engagement der EU ist eben nicht nur ein wirtschaftliches, sondern es gibt offen eine militärische Komponente dieser Union. À la longue wäre ein Eintritt des EU-Mitgliedes Ukraine üblich und naheliegend gewesen. Dabei ist die reale Neutralität einiger Staaten nicht gewürdigt, der Vertrieb von Panzern mit Raubkatzennamen an derartige Neutrale lässt gewisse Zweifel aufkommen.

Nun versuchen sich westliche Journalisten in Putinpsychologie, genauso wie ihre Vorgänger seinerzeit Kremlastrologie betrieben haben. Dottore sagt: Wer als Machthaber Russlands nicht rechtzeitig die Vernatosierung der Ukraine verhindert, der gehört wegen politischer Untreue, sprich Landesverrat, bestraft. Alles andere in Schmonzes.

Die EU hat es versucht, Putin war nicht so blöd, wie die dumpf Agierenden es gehofft hatten. Nach § 23 StGB ist der Versuch bei gewissen Straftaten strafbar, bestraft werden allerdings Menschen, die sich einer Despotie widersetzten, bestimmte Tendenzen dabei, die über national weit hinausgehen, dämpfen das Mitgefühl. Selbstverständlich hat auch die Ukraine die Kontinuität, sich von Grossrussland abzusetzen, die jahrhundertelange Einbeziehung in den gemeinsamen Machtapparat drückt sich noch in der Abwendung aus. 

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