Donnerstag, 9. Mai 2013

Entmündigungsgegner Kohler


Der Mitherausgeber der FAZ,  Berthold Kohler, ist immer zur Stelle, wenn er das zu vernehmen meint, was er unter Entmündigung versteht. Grundsätzlich gibt es nach seiner Ansicht den eo ipso „Mündigen Bürger“, der durch böswillige, meist von ihm als links verschriene Überregulation daran gehindert werden soll, den Weg der Freiheit zu beschreiten. Wie eröffnete vor 51 Jahren, also knapp ein halbes Jahr nach der Geburt dieses Journalisten, H. M. Enzensberger den Essay über die Bewußtseins-Industrie: „In seinem eignen Bewußtsein dünkt ein jeder, und noch der unselbständigste Kopf, sich souverän.“ (Das postponierte „sich“ verweist auf die Quelle seines Denkens.) Kohler hat diese Einsicht nicht mit der Muttermilch zu sich genommen.

Später hat Kohler das auch nicht verstanden, sein Studium war zu wirtschaftspolitisch ausgerichtet. Hat Herr Blomberg in New York eine erwägenswerte Idee gegen Falschernährung, nämlich die Riesenbecher, gefüllt mit Zuckerwasser, abzuschaffen, sogleich wird der mündige Bürger als bevormundet angesehen. Dass auf die Allgemeinheit enorme Kosten für die Folgendämpfung solcher Fehlernährung zukommen, negiert er ebenso, wie auch sein Blick über die Fettleibigkeit des Prekariats hinweg gleitet, gehört er doch diesen Kreisen nicht an (und lesen diese auch nicht die mit heraus gegebene Journaille) .

Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit ist heute extrem schwieriger zu bewältigen, als es ein Königsberger vor 230 Jahren beschrieb. Auch die Kritik Enzensbergers ist mittlerweile längst überholt. Es herrscht nämlich keine Bewußtseins-Industrie, sondern eine Verhaltensteuerungs-Industrie. Kohler täte gut daran, einmal einen Blick in die Laboratorien der Lebensmittelindustrie zu werfen, um endlich zu begreifen, dass beispielsweise eine unendliche Mühe darauf verwendet wird, ein solch überflüssiges Nahrungsmittel wie die Chips mundgeil zu produzieren. Alle Kontrollen über deren Verzehr werden sukzessive überwunden, es geht dem Verbraucher so, wie der Dronte. Dies war ein Vogel, der keine Flucht- und Verteidigungsverhalten zeigte, weil er zuvor keine Feinde hatte. 100 Jahre nach seiner Entdeckung durch den Menschen war er ausgerottet.

Der Wechsel von der Bewußtseins- zur  Verhaltenssteuerungsindustrie bewirkte, dass die verbleibende Unsicherheit über nahegebrachte Gedankensteuerung dadurch überwunden wurde, dass ein Frontalangriff auf die weitgehend unbewussten Sinne gestartet wurde. Welchen Gerüchen, welchen Tönen, welchen Bildern wir unterschwellig ausgesetzt sind, ahnt Kohler nicht einmal, alle diese Eingriffe in unser Dasein zielen auf eines, wir sollen nicht erkennen, überlegen, abwägen, begreifen, entscheiden; also das Gegenteil dessen sein, was einen mündigen Menschen ausmacht.  Letztens machte er die Anschläge auf die Mündigkeit des gasgebenden Bürgers an dem Votum des dicken Gabriel fest; das Fetischobjekt deutschen Autobaus muss gegen diese Gängelung verteidigt werden, für Kohler ist Freiheit nicht mit Einsicht verknüpft. Er bewahrt die Asche auf, hält nicht die Glut am Glimmen.

"Ich sage bloß, wieder kein Bild!"

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