Samstag, 25. Februar 2012

Sebah (10) und Smyrna

Fast alle Reisen nach Kleinasien, im 19. Jahrhundert nicht ganz zu Unrecht, aber auch mit Wichtigtuerei „Expeditionen“ genannt, begannen in Smyrna, der Hauptstadt der Levante. Die Bewohner der Levante setzten sich aus den dort schon seit Generationen ansässigen Abkömmlingen europäischer Händler und anderer Gewerbetreibenden zusammen. Frankreich hatte – um der wirklichen oder vielleicht doch mehr dort so empfundenen Umklammerung der Habsburger entgegen zu wirken – seit dem 16. Jahrhundert gute Beziehungen zu dem Balkanfeind der Habsburger, dem Osmanischen Reich, hergestellt, die in sog. Kapitulationen ausliefen, also völkerrechtliche Vereinbarungen über die Bedingungen unter denen Franzosen im Reich des Sultans leben konnten. Es gab eigene Konsulargerichtsbarkeit und andere Freiheiten, von denen heute IOC und UEFA träumen, nur, weder gibt es ein olympisches Volk, noch einen Fußballerstaat, obwohl „wir“ manchmal Weltmeister werden.


Zurück nach Izmir des 19. Jahrhunderts: Die Levantiner bildeten eine eigene Bevölkerung in dem moslemischen Land, die sich wieder nach Landsmannschaften gegliederte. Die männlichen Kinder wurden häufig zur Erziehung in das „Heimat“land geschickt, Heiraten innerhalb der Levantiner war die Regel, europäische Kultur wurde gelebt. Grundlage aber war der Handel.


Den Hafen von Smyrna nahmen alle Photographen von dem gleichen Punkt auf, das große, mittlerweile verschwundene Gebäude ist die Sariskisla-Kaserne, dahinter rechts am Bildrand kann man den Konak erkennen, der heute noch steht. Auf den Bergen im Hintergrund zieht sich jetzt das Häusermeer von Izmir empor. Der „erste“ Hafen des neuzeitlichen Smyrnas lag in einer Bucht, die sich hinter der Stelle erstreckte, wo der Konak errichtet wurde. Seine oblonge Gestalt ist heute noch an der Straßenführung erkennbar. Der zweite Hafen von Smyrna sieht heute noch so aus wie auf dem Bild: Der erste, südliche Pier heißt Douane, hier warteten in großen Lagerhallen die Waren auf die Verzollung. Auch der nördliche Pier hatte einen französischen Namen: Passaport.


Zwischen der bisweilen auftretenden Arroganz der Levantiner und der sprichwörtlichen Bürokratie der Osmanischen Beamten vermittelten leicht und schmierig zugleich die Arnavut, die Albaner. Was schon Monate nicht verzollt worden war, schnell konnten sie es – gegen entsprechendes Salär – den schikanös scheinenden Fängen der Türken entwinden.



Die Attraktivität Smyrnas beruht auf der geologischen Struktur Kleinasiens: Im Norden (Pontus) und im Süden (Taurus) verwehren Gebirge den einfachen Zugang zum Landesinneren, während nach Westen in mehreren Tälern (Mäander, Kaystros, Selinus) Handelsrouten leicht entstehen konnten. Daher herrschte im Hafen von Smyrna ein “geschäftiges Treiben“, Kamelkarawanen wurden teilweise bis an die Schiffe herangeführt.


Nur wenige Türken schafften es, in die Phalanx der levantinischen Unternehmer einzudringen. Den Levantiner nicht eigentlich zugerechnet wurden die Griechen, die in ihrer Heimat bis vor wenigen Jahrzehnten (gemessen an den Aufnahmedaten von Sebah & Joallier, also 1890) noch Untertanen des Sultans gewesen waren. Sie und die Juden waren so eine Art Zwischenschicht. Ein Hauptcharakteritikum der Stadt Smyrna war das Zusammenleben der Menschen verschiedener Herkunft und Religionen, zwar getrennt in Viertel, das der Franken, der Juden, der Griechen, der Türken, etc. , aber eben in einer gemeinsamen Siedlung. Erst der im 19. Jahrhundert aufkommende Nationalismus zerstörte letztlich diese Einheit in Vielfalt. Hier war es besonders der Nationalismus der zu spät zu ihm gelangten Völker, vornehmlich der Griechen und der Türken. Das Osmanische Reich war wie die Habsburger Monarchie ein Vielvölkerstaat, die sich nach dem Geschlecht der Herrscherdynastie benannten. Das Osmanische Reich war ein moslemischer Staat unter der Führung einer Dynastie mit religiöser Funktion (dem Kalifat). Eine Missionierung fand schon deswegen nicht statt, weil die (religions)fremden Schäfchen höhere Steuern zahlen mussten, womit eben die jeweils zuständigen Religionsführer beauftragt wurden. Die Stärke und Geschlossenheit der Griechischen Kirche zur Zeit der Kämpfe um die Unabhängigkeit von Hellas hat auch in diesem Umstand einen Grund.

Dies Nebeneinander der Völker geriet durch den türkischen Nationalismus, personifiziert in den Jungtürken, in Zwielicht. Die Griechen konterten mit Vereinigungsgedanken, ein mythisches Großgriechenland wurde ersonnen. Als nach der Zerschlagung des Osmanischen Reiches für den Griechischen Staat die Realisierung des Traumes möglich schien, da versuchte er es auch, letztlich endete es mit der Eroberung Izmirs durch die Truppen Atatürks. Vorher hatten die Griechen Smyrnas die Truppen aus Hellas begeistert begrüßt, die im Geiste des Osmanischen Reiches groß gewordenen Türken verstanden nicht deren Illoyalität, obwohl sie selbst zwischenzeitlich national denkende Türken geworden waren.


All das war 1890 noch nicht der Fall, Kirchtürme und Minaretts recken sich in das Blau des Himmels über Smyrna, übrigens ein von Pantalone zusammengefügtes Panorama, auf entsprechenden Bildern von Sebah & Joallier basierend. Einen Blick auf Türkisches in Smyrna war doch in deren Bildern möglich: Das abgebildete Aquädukt ist osmanischen Ursprungs. Es stand lange Zeit in einem stinkenden Tal, in dem Gerber ihrem Beruf nachgingen. Ihre Vertreibung beruht nicht auf Einsicht in ökologische Gegebenheiten, sondern der Talgrund wurde für eine vielspurige Straße gebraucht, der auch erhebliche Teile des Aquädukts geopfert wurden.


Walter Benjamin beschreibt Paris als Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, seine Bewohner als Flaneure. Man mochte daher sehr gerne am Kordon entlang – flanieren, es war eine Prachtmeile am Meer.



Auch Carl Humann hatte dort sein Haus, es diente später dann für Jahrzehnte als Konsulat des deutschen Staates. Wer es allerdings als Levantiner zu viel Geld und entsprechendem Ansehen gebracht hatte, der wohnte in Buça, damals eine Eisenbahnstation von Smyrna entfernt, heute ein Stadtteil inmitten von Izmir. Dort, ganz in der Nähe des verlassenen Kopfbahnhofes, stand ein Kaffehaus, das den Zauber des Orients mit den Annehmlichkeiten des Okzidents verbinden sollte, das Cafe Eden.


So richtig Türkisches ist also bei Sebah & Joallier nicht zu finden, zu leicht wurde der türkische Alltag der Umgebung in ein folkloristisches Genre stilisiert. Also ist ein Zugriff auf außersebah´sche Bilder nötig. Bevor die Devisenknappheit der Türkei den Tee zum Nationalgetränk machte, frönten auch die Türken dem Kaffeegenuss, nur noch der Name des Frühstücks erinnert an den früheren Reiz. Die heute Çayhan genannte Begegnungsstätte war ein Kahvehan.


Ein Verhalten der Türken, das gleichsam Leitcharakter hat, ist das geruhsame Zusammensitzen bei kontemplativer Betrachtung der Umwelt, was jedoch ggf. Hilfe für den Bedrängten nicht ausschließt. Soweit ist es aber auf dem Bild noch nicht, amüsiert betrachtet man allseits den jedem aus eigener Erfahrung bekannten Kampf mit dem störrigen Esel.


Schlussanmerkung:

Anastilosis gehört nur bedingt zu den Leidenschaften der Archäologen und Bauforschern. Gerne und immer häufiger drängen die Gastländer die Ausgräber zu derartigen Unternehmungen. Also musste in Pergamon ein Gerät beschafft werden, mit dem der verlangte Wiederaufbau des Trajaneums bewerkstelligt werden konnte. Die Stadt Esslingen schaffte sich einen hydraulischen Kranwagen an, der mit Seilzügen arbeitende Vorgänger wurde zu einem symbolischen Preis dankenswerterweise dem DAI verkauft. Für die Einfuhr in die Türkei hätte ein horrender Zoll bezahlt werden müssen, also wurde das Gerät nur vorläufig eingeführt. Nun muss es alle fünf Jahre dem Zoll in Izmir vorgezeigt werden, ob es noch vorhanden ist. Man würde den Zollbeamten auch die Fahrt und den Aufenthalt in Pergamon erstatten, aber nein, der Kranwagen muss mühselig von der Akropolis herab gebracht und nach Izmir überführt werden, damit dort eine Augenscheinseinnahme stattfinden kann. Aber natürlich nicht sofort. Auch heute noch ist es hilfreich, sich der Dienste eines Arnavut zu bedienen, ihm gelingt das wie …, das Wort wollen wir hier nun nicht benutzen, die nächste Fünfjahreskontrolle steht alsbald an. Das zum osmanischen Bürokratismus.

Die Schwarz/Weiß-Bilder eines Dottore nicht bekannten Fotografen stammen aus der Sammlung der Familie Guiffret.


Gewidmet
vorab Madame Rosette, der Doyenne der Levantiner,
und danach
unseren levantinischen Freunden mit dem Vornamen Guy,
ganz gleich, ob sie mit Textilmaschinen oder Rosinen handel(te)n.

2 Kommentare:

  1. Erbitte zu notieren, dass die Levantiner nicht arrogant waren, sie waren zwar der türkischen Bevölkerung gegenüber überheblich, (die Überheblichkeit des Halbwissenden gegenüber dem Analphabeten.) Arroganz beinhaltet Verachtung, sie verachteten die Türken nicht.
    Die Türken waren damals zu 10 % Analphabeten, die Mehrzahl der 10% kultivierten Türken, die " Beyzade" bevozugten Ayan, Vali, Hochrängige Soldaten oder Beamten zu sein als Handel zu treiben. In ihnren Augen war Handel eine minderwertige Arbeit.
    Es gab keine Griechen Smyrnas sondern Rumis, diese Oströmische Bürger waren zwar auch Othodox, hatten aber ein eigenes Jargon und waren in unterschiedlichen Standpukten nicht mit den Hellenen aus Griechenland zu vergleichen.
    Wenn es sich um den Eisenbahn Ingenieur G.Möllhausen die Rede ist, hat er sein Vermögen nicht selbst erarbeitet, er hat lediglich eine sehr reiche Frau geheiratet!

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  2. Betr: Kommentar vom 25. März,
    Bitte lesen : Die Türken waren zu 90% Analphabeten und nicht 10%

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