Donnerstag, 14. Januar 2016

Sebah (20) und die Postkarten

Wer sich im 19. Jahrhundert auf die Grand Tour begab, war eben un grand touriste, der Vorläufer vieler kleiner. Der Große kaufte bei den Reisephotographen angebotene Bilder, nahm diese mit nach Hause und ließ sie zumeist dort binden, dies ist der Grund, warum heute bisweilen solch ein Konvolut versteigert wird.

Die kleinen Nachfolger kauften nur Postkarten, weil sie schon während der  Reise ihre Weitläufigkeit demonstrieren wollten, manche hatten gar schon eine eigene kleine Kamera dabei. So verging die Großartigkeit der Reisephotographien, mit kleiner Münze lassen sich auch nur kleine Bilder bezahlen. Sebah beziehungsweise sein Familienclan gingen mit der Zeit, viele ihrer Bilder wurden in Postkarten minimiert, teils mit, teils ohne deren Billigung und Salär. Der von Orhan Pamuk etwas zu emphatisch gelobte Fruchtermann gab in Konstantinopel wenigstens noch die Quelle der Abbildungen an,  meist als „Cliche“ bezeichnet.

Auch im gescanten Zustand entfalten die großen Reisebilder ihre Wirkung, bei mehr als 3000 X 2000 Pixel kann man auf ihnen fast wie auf Wimmelbildern spazieren gehen.  Postkarten dagegen sollen schnell und auf einem Blick das abrufen, was in einem als „inneres Ikon“ gespeichert ist, die Kuppel der Hagia Sophia, die Reste der Schlangensäule auf dem Hippodrom, das sich windende „Goldene Horn“. Die noch nicht mögliche genaue Farbgebung erzwang allerdings eine präzisere Bildgestaltung.

Jedoch, was sind das alles für Betrachtungen, sie erfolgen zur Zeit des Niederganges der Postkartenzivilisation, sind also die Historie betreffend. Wer heute eine Postkarte abschickt, muss gewärtig sein, dass diese erst geraume Zeit nach seinem eigenen Rückflug den Empfänger erreicht, dem man dann allenfalls noch etwas von den Schwierigkeiten des Briefmarkenkaufes und der Suche nach einem Briefkasten erzählen kann.

Der westliche Ortsrand von Bursa:



Die Ulu-Çami, damals noch mit gestalteten Hauben auf den Minaretts, noch keine Bleistiftsspitzen wie nach dem Erdbeben. In Ägypten gelten diese Helme der Minaretts als typisch osmanisch.



Beide Bäder von Bursa sind zu sehen, vorne links oben das Yeni Kapliça mit seinem Schwefelwasser, hinten die Kuppel am Horizont das Eski Kapliça, gespeist von warmen Quellen.



Wer seinerzeit von Bursa nach Nordwesten wollte, musste den Nilüfer über die Abdal Köprü überschreiten, heute ist die Brücke „wie neu“, aber unbenutzt.



Die Hitze im Eski Kapliça macht(e) durstig, gegenwärtig geht es dort feudaler zu.



Das alte Bad ist wahrscheinlich byzantinisch, das Yeni Kaplisça stammt aus einer Zeit, als die Osmanen kulturell noch Seldschuken waren.



In Arnavutköy, dem Dorf der sich im Osmanischen Reich geschickt bewegenden Albaner, siedeln sich heute gerne „Zeit“korrespondenten an, die von dem unseligen Wunsch befallen sind, sich integrieren zu wollen.



Schon lange vor dem Frauenbeglücker Pierre Loti war der Friedhof oberhalb von Eyüp ein beliebtes Ausflugsziel. Auch noch 1962 pflegten dort Hanauer Studenten mit einem ebensolchen aus Wiesbaden das Gespräch beim Çay.




Genauso wenig wie die Pizza der Inbegriff der italienischen Küche ist, ebenso wenig gilt dies für den Döner als einen Teil der türkischen. Jedoch Fleisch ist in dem ehemaligen Nomadenvolk bis heute der Fetisch für kräftige, männliche Nahrung, wegen des damaligen Ausgeliefertseins an das Klima eben in kleinen Stücken.




Hier liegt nun eine Umkehr vor: Das Sebah´sche Original ist nicht greifbar, aus der Abbildung ergibt sich aber, dass sie unmittelbar nach dem ersten Photo gemacht wurde, lediglich der Metzger hat etwas mehr an Kebab zur Schau gestellt.  




Dem heiteren Melonenverkäufer hatte Dottore schon anderenorts, in einem früheren Post, seine Referenz erwiesen.



Dies ist das wohl bekannteste Bild von Sebah, auf dem er Menschen abbildet; die Postkartenediteure  verlegten aber den Aufnahmeort in jegliche Hafenstadt des Osmanischen Reiches, wo es eben Lastenträger gab.


Als die Genuesen diesen Turm bauten, da ahnten sie nicht, dass sie einmal einem Fußballklub bei der Namensfindung behilflich sein würden.



Wer den steilen Weg nicht aufsteigen wollte, der kann – wie Dottore 1958 erstmals – die zweitälteste U-Bahn der Welt, den Tünel, benutzen. Aber zurück sollte man dann doch gehen.



Die im Ruderboot vorbeiflutenden, verschleierten Damen lassen Erinnerungen an Pierre Loti und die „Entführung aus dem Serail“ zu.



Wer bei diesem Bild sich über Kinderarbeit erregt, der ist schon Opfer dieser neuartigen Geisteskrankheit geworden, die „political correctness“ heißt. Diese Seidenspinnerei ist fortschrittlich, die Kinder dort verhungern nicht. Das Verbot der Kinderarbeit wurde von preußischen Militärs durchgesetzt, weil ansonsten zu viele Rekruten untauglich waren. Ach, begreift doch einmal die Dialektik der Geschichte!



Was ist das für ein Unterschied zwischen dem Schlendern über einen Basar, dem Flanieren durch eine Galerie des 19. Jahrhunderts  und dem Eventhungern auf einer Shopping-Mall.



Nie wird der Ruderer in Anadolu Hisar ankommen, immerzu muss er in der Ewigkeit des Bildes auf dem Bosporus vor sich her paddeln.



Der Tatkraft der Fischer im Marmarameer entspricht die Bauwut der Türken. Vor der damals ans Meer grenzenden Stadtmauer steht heute eine Reihe von Häusern, dann liegt davor eine vierspurige Schnellstraße, an die sich ein genauso breiter Grünstreifen anschließt.



Auch die Geschichte von Smyrna, das heute eben Izmir ist, kann als ein immerwährender Ablauf von künstlichen Anlandungen verstanden werden: Der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angelegte, hier abgebildete Kai ist heute teilweise über 100 m vom Wasser entfernt. O TEMPORA, O MARIA. 





Sonntag, 10. Januar 2016

Birne kann alles

So lautete die begeisternde Parole, mit der zuerst Günter Herburger seinen Sohn, später Legionen von Eltern in den 1970er Jahren ihre Kinder konfrontierten. Bei allen setzte sich so allmählich die Erkenntnis durch, die leidigen Verhältnisse lassen umfassende Veränderungen eben nicht zu, wenigstens nicht ohne umstürzende Eingriffe. Dabei konnte Birne nicht nur alles, sondern auch Reklame. Reduziert wird „ALLES“ heutzutage nur noch der Satire erlaubt, aber die Schere im Kopf beschneidet schon passend zum Erhalt des Arbeitsplatzes den Satirikern die Ideen, sie sind eben keine Satyrn mehr. Wie solch ein Kerl aussah, muss nun gezeigt werden, weil dann Pantalone zufrieden ist, wieder ein Bild platziert zu haben. 


Was akustisch dem deutschen Stammtischbruder in den 1950er Jahren die „Frau Wirtin Verse“ waren, das bescherte visuell den alten Griechen die Vasenmalerei – bisweilen jedenfalls. Satyrn ähnelten habituell jungen Nordafrikanern, die auf dem Bahnhofsvorplatz Sylvester begehen wollen, also zwar keine neue Variante menschlichen Verhaltens, aber schon damals wie heute nicht zu dulden. Wenn es keinen Frauen gab, denen zu deren pan-ischen Erschrecken es nachzustellen galt, dann waren Amphoren hilfreich.


„Lieber Dottore, ich bin der Ansicht, Deine Weitschweifigkeit ist doch zum einen unangemessen, zum anderen nicht zielorientiert!“

„Brav lieferst Du mir die Bilder, meckerst aber dann herum, beides geht nicht, mein Lieber, der seinen Namen nach einem Beinkleid erhielt! Und die Keule der Zielorientiertheit ist die neueste Form der Überheblichkeit. Aber weiter im Text.“

Reklame ist zwar nicht alles, macht aber viel. Die im Netz ersichtlichen online-Medien leben davon, dass man so nebenbei sich den unseligen Mist ansieht, der von denen lanciert wird, die die Kohle dafür abdrücken, dass die Presseverlage – bislang jedenfalls – sich kostenlos für den Besucher präsentieren. Ab und zu wird man aufgefordert, man möge die Reklameunterdrückungssoftware ausschalten, wenigstens nur für das eigene Medium, aber das schmerzte, wenn man dem folgte. Da ist nun der „Spiegel“ einen anderen Weg gegangen, der nahe an dem vorbeihangelt, was die Todsünde der sich als frei verstehenden Presse ist, die Verbindung von Reklame und Meldung.



Dottore wäre heute mit der „Goldenen Nadel“ des ADAC ausgezeichnet, also über 50 Jahre dessen Mitglied, wenn es in der „Motorwelt“ nicht solch viele Anzeigen für Treppenlifte gegeben hätte. Nach 40 Jahren der Lektüre dieser Journaille, zu Beginn einer Periode seines Lebens also, in der Dottore rein statistisch gesehen möglicherweise Kunde eines solchen Treppenliftherstellers werden konnte, just da reichte es ihm, er wollte nicht in einem Verein der potentiellen Treppenliftfahrer sein. Nicht nur ödet Reklame an, sondern man wird auch durch die Einschätzung der Geldgeber von Reklame angewidert. Wer für das lästige Beiwerk bei der Lektüre Geld ausgibt, kalkuliert die Leser ein nach Interessen, Vermögen und Erwerbsgier. Betrachtet man also, was für Unternehmen im „Spiegel-online“ inserieren, so erschrickt man. Das ist eine Leserschaft, zu der man nicht gehören mag. Jedoch politisch ist viel schlimmer, zu welcher Lesergemeinde nach der Ansicht der Inserenten das Hamburger Blatt in seiner online-Ausgabe verkommen ist. Die täuschende Platzierung von Ikons redaktionellen Inhalts neben denen der Reklame zeigt an, der „Spiegel-online“ hat selbst schon resigniert.

Birne kann alles, aber der „Spiegel“ nicht mehr viel.

„Also Dottore, ich muss Abbitte leisten: Du hast einen Sachverhalt geschildert, ohne das Wort „unseriös“ zu benutzen, der Rudolf hätte seine Freude an Dir.“

„Dem fühle ich mich auch verbunden, als ich im WS 62/63 in Hamburg studierte, da haben wir in Fuhlsbüttel gerufen, Augstein möge raus und Strauß rein, aber auch der große Raucher konnte nichts bewirken.“