„Warum beginnst Du nach der
langen Pause mit dem letzten zuerst, es gibt doch so viele andere von mir
vorbereitete Bilderthemen?“
„Sagen wir mal, es ist ein
Rückfall in das Buch der Bücher; was von drei Evangelisten zitiert wird, hat
eine gewisse Plausibilität. Außerdem reizt es mich mehr.“
„Das Wesen der Kommunikation
ist der Versuch, Subjektivität zu überschreiten, Du suhlst Dich in ihr.“
„Was für die Sau der Schlamm,
ist für mich die Provokation; sieh´ es mir nach!“
„Also ran an die Wallfahrt zu
einem der drei Hügeln des Abendlandes, werter Dottore!“
In der Nacht von 30.
September zum 1. Oktober hatte es angeblich erstmals seit fünf Monaten
geregnet. Auf dem Weg von Akrokorinth nach Penteskoupi saß eine Schildkröte
saufend in einer Pfütze und war durch nichts zu stören. Der Gipfel des
Burgberges von Korinth war bis fast zum Mittag in Wolken gehüllt. Übrigens hält
Dottore die Behauptung, die kleine Festung sei von den Osmanen als Gegenburg
errichtet worden, nach intensiver Autopsie nicht mehr aufrecht. Zu klein und zu
byzantinisch ist die Anlage.
Dieser Brunnen, auf halber
Höhe zwischen dem ausgegrabenen Teil der römischen Stadt und dem Burgberg,
besteht aus Steinen aller Epochen der Geschichte des Landes, teilweise sind sie
„Doppel“spolien. Das breite
Schuppenornament des breiten Steines und der Zahnschnitt des rechten Steines
unter dem Bogen sind antik. Die Innenseite beider Steine sind mit christlichen
Symbolen verziert, also der byzantinischen Epoche zuzurechnen. Der Bogen und
der Inschriftenstein sind osmanisch. Jüngst hat ein Sprayer geglaubt, den
Brunnen mit seiner Botschaft versehen zu müssen, das wiederum ist grau
überstrichen. Der Absetzstein unter den Wasserhähnen ist vom anhaftenden Staub
der Gefäße abgeschliffen, fast eine Sekunde der Ewigkeit ist also vergangen. Entgegen
der sonstigen Übung, alles umzubenennen, was auch nur entfernt an die
Turkokratie erinnern könnte, hat dieser Brunnen seinen Namen behalten, er lässt
das Gedenken an Hadschi Mustafa zu.
Runde Türme haben eine große
Widerstandskraft gegen Erdbeben, bei den Vertikalstößen kann keine längere gerade
Seite in Eigenschwingungen geraten. Daher steht der Turm von Vathychori seit ungefähr
2500 Jahren bis zu seinen Zinnen und dem Wasserspeier. Die Zeiten mit
kriegerischem Denken haben auch bei den Archäologen ihre Spuren hinterlassen,
fast immer wurde jeder Turm einem militärischen Zweck zugeordnet. Von diesem aus
sieht man außer der nahen Umgebung nichts. Dann soll er wenigstens den Schutz
der Straße von Megaris garantiert haben, meint nach wie vor die Ephorie. Ach,
ihr wisst doch selbst, dass es auch Bauern gegeben haben muss, es war viel
irenischer damals als ihr ahnt, denn über fünf Jahre Frieden wird weniger
berichtet als über zwei Monate Krieg. (Ob der einschalige Turm durch das
Zuschmieren der Fugen an Stabilität gewonnen hat, ist ebenso zu bezweifeln, aber
den Anastelosisten kommender Zeiten muss man auch etwas zu tun geben.)
Keine der attischen Festungen
kann sich hinsichtlich des Erhaltungszustandes (und der Präzision des
Mauerwerks) mit Eleutherai in der Nähe des Passes nach Theben messen. Panakton
hat die besten Aussichten, nach Euböa, Salamis und der Peloponnes. Die Festung oberhalb
Phyle thront über Schluchten mit steilen Wänden. In zwei archäologischen Führern
(je einer in Englisch <p. 128> und in Deutsch <S. 220>) werden die „Fleischtavernen“
im Ort unten einhellig gelobt; das Anfertigen solcher Bücher ist also eine
ehrenvolle, jedoch brotlose, allerdings nicht fleischlose Tätigkeit. Die heutige
Schiefe des Türsturzes hätte den Erbauern der Festung sehr missfallen, sie
würden sich aber wundern, dass ihre Ummantelung des Felsens zur Festung fast
2300 Jahre überdauert hat, der runde Turm im Norden war wohl mehr eine Bastion
denn ein solcher.
Die Grenzen der Erkennbarkeit
überschreitet oder überwindet die nächste Aufnahme aus Phyle, nun ist die Linse
zur Akropolis gerichtet, die in ungefähr 20 km Entfernung den Zeiten trotzt. Die
Fähigkeiten der Bridgekamera endeten hier. Der Abbau des Kalksteins des
Aigaleos wird diskret auf der stadtfernen Seite betrieben, die Wunden der
Landschaft sind aber unübersehbar. Der leichte graue Streifen, schwach unter
den Bäumen auf der linken Seite des Mittelgrundes erahnbar, möchte Dottore der Dema
Mauer zuordnen, die zwischen Aigaleios und Parnes, 4360 m lang, kurz nach 404
v. Chr. errichtet worden sein muss. Sie heutzutage aufzusuchen, führt in ein
Areal von unüberschreitbaren Fernstraßen und Müllabladeplätzen, in die dort nun
offenkundig daliegende Missgestalt attischer Stadtplanung.
Ohne Hilfe der Sonne die Zeit
zu messen, war Jahrtausende lang der Wunsch der Menschen. Die Griechen versuchten
es mit auslaufendem Wasser, nannten das Gerät Klepsydra, Wasserdiebin. Neben
tassengroßen Tongefäßen gab es auch Großanlagen, eine hat sich im wasserreichen
Amphiaraion bei Oropos erhalten. Sie besteht aus einem hohen rechteckigen
Hohlkörper, auf dessen Wasseroberfläche ein Zeiger schwamm, gestützt durch
einen Schwimmer. Unten war der sorgsam dimensionierte Auslauf, ein Bronzestück
im Steinmantel. In dem Bronzezylinder war eine kleine Bohrung, die so viel des
Wassers durchließ, dass am 21. März und am 21. September der Körper innerhalb
von 12 Stunden leer lief. Dann war der Tag um, für die Griechen. Die
Schwierigkeiten an den anderen Tagen des Jahres hatten sie sich selbst
eingebrockt, denn jeder Tag hatte 12 Stunden zu haben, egal wie viel Zeit
zwischen Sonnenaufgang und -untergang verging. Ils sont fous, ces Grecs.
„Aus einem Stein“ sind der
Arm und der Körper des Kouros vom Kerameikos. Der Arm könnte in seiner vollen
Plastizität von einer klassischen Statue stammen, der Körper verharrt mit
seinen angedeuteten Abgrenzungslinien von Brust und Leiste in der Archaik.
Jedoch zusammen sind sie eine Freude an Linien und Formen.
Solche Gefühle kamen seinerzeit
nicht auf, als der Fund zur Chefsache gemacht wurde. Wirkliche Größe zeigt man
durch Zurückhaltung, die kann man sich aber nur leisten, wenn man sich gegen Barbaroi
behaupten kann.
Die feinsten frühionischen
Architekturreste findet man auf Naxos. Ach, hätte das Dussel Dottore die
Einladung von Gottfried Gruben, ihn dort einmal aufzusuchen, doch angenommen!
So kann er bei jedem Besuch auf der Insel heute nur noch trauern über das, was
ihm unwiderruflich entgangen ist. Die tastende Zierlichkeit der inselionischen
Architektur hält auch der relativ späte Tempel der Demeter unterhalb von Sangri
fest, diesmal freut sich Dottore über die Wiederaufrichtung der ansonsten
„wandernden Säulen auf Naxos“.
Eine Botschaft der
Kykladenarchitektur auf dem Festland ist das Schatzhaus der Siphnier in Delphi.
Zu dessen Bauzeit prosperierte das Eiland durch die Silberfunde auf ihm. Später
konnte die Insel nur noch durch Landwirtschaft das Überleben ihrer Bewohner
ermöglichen. Aber verschenkt wurden deren Erzeugnisse nicht, über Jahrhunderte
bauten die Siphnier an den Ackerterrassen, die heute nur noch optisch wirken,
wie auf dem Bild. Der Bestand dieser Bauwerke ist im gesamten Mittelmeer
gefährdet, die ökologischen Folgen ihres gänzlichen Verschwindens wären katastrophal.
Statt das Halten einer Ziege auf dem kahlen Felseiland Fuerteventura mit
jährlich € 200,00 zu subventionieren, sollte die EU den Erhalt dieser
Errungenschaften fördern, ob aus dem Kulturfond oder für die dann tätigen
Landschaftspfleger, die dann auch Olivenöl erwirtschafteten, ist gleichgültig.
Wenn man die Säulen der
Griechen mit Distanz betrachtet, also die Kapitelle der dorischen und ionischen
Ordnung nicht als „Gelenke“ zwischen Säulenebene und Dachebene sieht, dann
gewinnt die korinthische Ordnung, die dann nur zu einem Stil schmilzt, an
Ansehen. Das Kapitell ist in der Proportion zur Säule von ansehnlicher Größe,
die immer neue Ausformung der einzelnen Teile des Korbes mit den
durchwachsenden Akanthusblättern abwechslungsreich. Dass die Römer ihre
Bauwerke im dann korinthischen Stil mit der Schmuckbändern aus der ionischen
Ordnung überladen haben, nun das liegt an deren Einfallslosigkeit, nach der
ruhmreichen Erfindung des Raumes waren sie erschöpft. Der Kenner hat´s gesehen:
Dies Kapitell ist Teil des Torso, das dem Olympischen Zeus geweiht war.
Ein erklärungsbedüftiges
Foto. Der Zaun (der Stätte am Kap Suonion) umschließt nicht eine am Meer
gelegene Grube. Links oberhalb der Erdwunde zieht sich die „Stadt“mauer hin,
die Außenschalen aus Kalkstein errichtet, das Emplekton aus anstehendem
Gestein. Weiter oben ist die gesamte Mauer aus diesem Material, es hat fast
Tarnfunktion. Zurück zur Grube: Hier war das berühmte Schiffshaus, es konnte
zwei Schiffe aufnehmen, die Felsaussparungen dafür sind zwar teilweise mit
Mauersteinen verschüttet, aber noch sichtbar. Nicht zu sehen sind die
spärlichen Mauerreste an den seitlichen Rändern der Grube, wie denn überhaupt
mit diesem Denkmal der attischen Thalassokratie stiefmütterlich umgegangen
wird. – Die Ansiedlung in der Senke unterhalb des Tempels sieht Dottore als
„Kaserne“ für die mindestens 156 Ruderer der beiden Schiffe.
Salz und Kalkstein mögen sich
nicht. So nagt denn die von der Gischt der Ägäis geschwängerte Luft seit zwei
Jahrtausenden am Marmor des Poseidontempels. Die dorische Ordnung in der Zeit
der Klassik versuchte, mit möglichst sparsamer Verwendung von Ornamenten
auszukommen, dafür sei ihr gedankt. Den Rest erledigte die erwähnte Luft am
Kap, für einige Jahrzehnte wird man die Spuren beider Ornamentbänder noch
erahnen können, dann sind auch sie vergangen.
Die Griechen mochten den Rundbogen nicht, und
sei er noch so praktisch. Jedoch nicht nur in mykenischen Zeiten, auch später
haben sie ihrer diesbezüglichen Unlust gefrönt, die auch zugleich Unvernunft
war. Es gab also nicht nur im 20. Jahrhundert „doitsches“ Wesen, auch die
Griechen hatten ihre Schwächen. So wurde dann fröhlich so gebaut, wie das schon
die Altvorderen getan hatten, an den Theater von Messene und hier in Thorikos
kann man die Folgen des Eigensinns betrachten. Von wann stammen dann die
Brücken bei Kasarma?
Was seit Jahrzehnten eine
riesige Baustelle ist, sind die angesammelten Steine, die zu irgendeinem
Zeitpunkt Teil des Parthenontempels waren oder die Chance dazu verpassten.
Diesen letzteren Steinen aus dem Penteli – frisch gebrochen – werden nun seit
längerem die Chancen eingeräumt, doch noch klassisch zu werden. Dass der
Betonsturz über dem Tor zum Hinterhaus ausgeräumt werden muss, zumal die
Moniereisen durchrosten, ist fraglos richtig, aber dann macht das auch. Statt
dessen werden immer andere Säulen demontiert und wieder zusammengepuzzelt.
Gespräch des Urenkels von Dottore mit seinem Enkel: „Also der Parthenontempel
war einmal eine Ruine, mein Urgrossvater ist dort 1958 noch durchmarschiert,
das jedenfalls hat er meinem Großvater erzählt, du kennst seine Bilder!“ „Das
kann ich nicht glauben, der sieht doch wie neu aus. Die Bilder sind anderswo
gemacht.“
Dottore kann die Zweifel
seiner Nachkommen verstehen, schon heute ist vieles nicht mehr nachvollziehbar.
Der „gesunde Menschenverstand“ kann poujadistisch verseucht sein, meinte schon
Roland Barthes. Genauso ist es mit dem Denken über Anastelosis geschehen. Als nach
einer internationalen Konferenz den Griechen die Rechtfertigung für den
sorgsamen Schutz der Akropolis gegeben ward, haben sie das Wort „Anastelosis“
behalten, seinen Begriffsinhalt aber so ausgeweitet wie ein Pizzabäcker seinen
Teich. Der feinste Eisenpartikel enthaltende Marmor des Pentelikon färben nach
längerer Dauer den Stein. So kann man unschwer erkennen, dass die Griechen die
Akropolis, hier die Propyläen, in ein Disneyland mit attischem Dekor
verwandeln, ununterbrochen und unverfroren. Enteignet die Griechen!; aber die
Banken des Nordens werden antworten, das haben wir doch schon getan.
Die Heiligkeit der Stätte
verhindert immer mehr die alten Bräuche. Vor 50 Jahren haben die griechischen
Fremdenführer ihren Hut auf die eine Ecke des Stufenunterbaus gelegt und dann
die staunenden Touristen die Kante entlang peilen lassen, der Hur war nicht
sichtbar. Dafür holt heute nun das Teleobjektiv die Krümmung der Stufen aus dem
Gewirr der Baustelle. Die Faszination über Architekt und Handwerker hält an.
Das große Aufräumen hat auch
Vorteile, es musste erst 2013 werden, bis Dottore dieses Kapitell auf der
Akropolis sah. Fast könnte es von der „Basilika“ stammen, so herrlich flach ist
es. Aber die Griechen der Antike können nichts für den eifrigen Wahn der
Menschen, die heute in dem gleichen Land leben und gar glauben, deren
Nachfahren zu sein. Auch Dottore weiß nicht, welche germanischen, keltischen,
slawischen, jüdischen, romanischen Wurzeln er hat, er möchte jedenfalls
beweglich bleiben.
„Von mir schreibst Du nichts,
wie?“
„Doch, von Dir, werter
Pantalone, sind die Bilder, auch für Blog 100, den übrigen Schmäh haben sich
bislang 20 000 Viewer – so sagt man wohl – angesehen. Na, das ist doch was!“
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