Donnerstag, 13. Januar 2011

Stellungnahme zu Eberhard Fiebig

Ein Freund ist ein Mensch, dem man vor einer längeren Abwesenheit Geld anvertraut, wobei man sicher ist, nach Rückkehr den Betrag mit Zins und Zinseszins zurückzuerhalten. Fiebig wird nach meiner Wiederkehr völlig einsichtig, nachvollziehbar und zu meiner Zustimmung erzählen, wie er seinerzeit für die Anfertigung des Kunstwerkes "Sokrates" Geld für Stahl brauchte und sich dabei mein Geld in Kunst verwandelte. Selbstverständlich werden wir zum Standort des Werkes fahren und ich werde glücklich sein, dass mein schäbiges und im Grunde von mir nicht dringend benötigtes Geld eine Metamorphose durchgemacht hat. Die Plastik "Sokrates" gehört jetzt dem Auftraggeber, der Erlös hat Fiebig verwenden müssen, um Miete und Finanzamt zu bezahlen, außerdem ist er damit nach Florenz gefahren. Werde ich da so kleinlich sein können, irgendwelches Geld zurückzufordern. Darum also ist Fiebig mein Freund.

Wenn ich Fiebig sechs Monate nicht gesprochen habe, so erkenne ich in der neuen Unterredung, dass wir beide über neuere Sachverhalte Ähnliches denken, manchmal sogar das Gleiche meinen. Die gemeinsame Lektüre der FAZ, zu der mich Fiebig bekehrte, verbildet uns beide kaum. Er hört mir bei sozio-ökonomischen Ausführungen geduldig zu, ich ihm bei politisch-kulturellen. Er erzählt mir seine Ausflüge in rechtliche oder gar prozessuale Bereiche, ich ihm meine realen oder gedanklichen Reisen in die griechische Antike oder in die Kunst. Ich verlasse mich auf sein Urteil, er auf das meinige. Darum also ist Fiebig mein Freund.

Wolfgang, ein ebenso langjähriger Fiebig-Tifosi wie ich, steht mit seiner neuen Freundin und mir bei einer Vernissage neuerer Fiebigarbeiten vor einer Stahlplastik. Die Freundin - wir kommen so alle in die Jahre, da müssen schon die Gefährtinnen erheblich jünger werden - behauptet in jugendlicher Unbekümmertheit, an einem bestimmten Punkt könne die Konstruktion nicht stimmen, das sei keine richtige Durchdringung der Formen, das sei gepfuscht. Wir haben zwar auch schon keine Schweißnähte in diesem Bereich entdeckt, weisen jedoch unter Berufung auf unsere intime Kenntnis des Gesamtwerkes einerseits und das uns bekannte handwerkliche Grundverständnis Fiebigs andererseits die fast impertinent erscheinende Unterstellung zurück. Als Fiebig kurz darauf vorbeikommt, rufen wir ihm zur Bestätigung in den Zeugenstand. Er aber sagt: "Haltet bloß das Maul, das ist vorgestern noch schnell geklebt worden!" Man kann eben jungen Damen nicht mehr so leicht etwas vormachen wie ehedem.

Anruf von Jörg, der die Erkenntnisse der Frankfurter Schule privatisiert hat und daher dazu nutzt, im Verhältnis zu seinem Alter immer jüngere Mädchen in sein Bett zu überreden: "Du, Pantalone, der Fiebig braucht uns!" Sofortiger Aufbruch. Fiebig lebte damals - nach der frankfurter Idylle - allein in einer Baracke in Koblenz. Sie hatte drei Räume: Der kleinste war sein Küchenwohnschlafklo, der nächstgrößere seine Werkstatt, der große wurde vollständig von einer Druckmaschine ausgefüllt. Diese Maschine war für die Voreigentümerin, eine Großdruckerei, nicht mehr leistungsfähig genug und steuerlich abgeschrieben. Fiebig hatte sie zu einem symbolischen Preis erworben. Zuerst war das Fundament gegossen worden, dann die Maschine mit einem Autokran vom Tieflader zum Fundament gehievt, danach war um das Ganze die Baracke zusammengesetzt worden. Die Druckmaschine sollte dazu dienen, durch die Verbreitung revolutionärer Texte die in den 68er Jahren in Gang gesetzte Bewegung zu einem mächtigen Strom werden zu lassen; außerdem schien dieses Wunderwerk der Mechanik geeignet, auch Fiebigs Lebenunterhalt zu gewährleisten. Noch heute habe ich die Musik im Ohr, die sie beim Anlaufen mit ihren geölten Zahnrädern, den Luftansaugdüsen, den Förderbändern verbreitete. So eine schöne Maschine wollte der Kapitalismus nicht mehr, also musste sie dazu verwendet werden, ihm zu beseitigen.

Aber nicht die Druckmaschine war Fiebigs Problem, sondern vier riesige Stelen aus Blech „Hommage an Schinkel“, die als Ensemble eine klassizistische Wirkung ausstrahlen sollten. Nur, dazu mussten sie noch aufgestellt werden. Der Autokran war längst weg, konnte auch nicht wieder geordert werden, weil Fiebig die letzte Rechnung noch nicht gezahlt hatte. Ich habe 18 Monate auf dem Bau gearbeitet, aber nie in meinem Leben so geschuftet, bis wir diese vier Stelen errichtet hatten. Mit reiner Körperkraft wurden die schweren, aber vor Erreichen der Endposition leicht verbiegbaren Blechgebilde aufgestemmt. Keiner durfte innehalten oder gar nachlassen, da dann sowohl die anderen Beiden als auch die Blechkörper gefährlich Schaden genommen hätten. Ich kam mir vor wie Sisyphos und Laokoon zugleich. Seitdem sehe ich Schinkel mit ganz anderen Augen.

Homer beschreibt nicht nur die Morgenröte als rosenfingerig, er widmet dem Gott der Schmiede seinen Namen für das Gelächter, das dieser bei seinen Mitgöttern verursachte. Die Gemahlin des Hephaistos trieb es sehr zum Unvergnügen des Ehemannes mit dem Gott des Krieges, Ares. Mehrmals! Ergo sann Hephaistos danach, das Ärgernis zu beenden. Er baute geschickt eine Apparatur aus Netzen, die just dann fest zuschnappte, als sich Aphrodite mit ihrem Liebhaber vergnügte, sie hielt das Paar in dieser Konstellation fest. Sodann lud Hephaistos den Olymp zur Besichtigung ein, der sich „köstlich“ amüsierte. Obwohl ich also die griechische Mythologie mehr schätze als die römische, neige ich doch dazu, Fiebig mit dem römischen Gott der Schmiede zu vergleichen, der eben seine Esse durch den Vulkan Vesuv rauchen lässt.

Wer sich in Fiebigs Nähe halten will, muss mindestens die gleiche Impertinenz haben wie er selbst. Da ein solches Maß an Chuzpe gepaart mit Energie und Vitalität selten ist, fliehen immer wieder Menschen aus seiner Umgebung. Ihr Fehler ist, dass sie zu Beginn der Beziehung zu Fiebig von ihm als dem wirklich großen Zampano so gefangen sind, dass sie unter Verleugnung ihrer Selbstbehauptung Widerstand gegen Fiebig erst garnicht aufbauen. In dem Maße, in dem sie sich ihm gegenüber als schwach erweisen, in dem Maße werden sie zuerst durch seine Sachautorität, später durch seine persönliche Autoität vereinnahmt, gleichsam geschluckt. Man muss schon selbst ein großer Hartnäcker sein, um ihm auf Dauer zu widerstehen. Dabei will auch Fiebig Parität herstellen, scheitert dabei an der Schwäche der Partner und seiner eigenen Stärke. Da Fiebig sein ganzes Dasein seiner Arbeit unterordnet, führt das zwangsläufig dazu, dass auch die von ihm bestimmte Umgebung auf sein Schaffen ausgerichtet ist. Da die Menschen seiner Umgebung jedoch nicht mit derartiger Kreativität und Schaffenskraft geschlagen sind wie Fiebig selbst, arbeiten sie ihm zu und werden so auf Dauer seine Sklaven und damit auch uninteressant für ihn. Nur unter Verletzung ihres Verhältnisses zu Fiebig gelingt es den Menschen, aus dieser Situation auszubrechen. Aber Fiebig wird weiser und gelassener, er ist auch lernfähig. Aber einem Vulkan beizubringen, er könne mit seiner Lava nicht alles bedecken und mit seinem Schlund nicht alles verschlingen, erfordert titanischen Mut und Kraft.

Da es so viel von der Welt zu begreifen und daher zu analysieren gibt, neigt Fiebig dazu, Sachverhalte vorauszusetzen, also keine Geschichten zu erzählen. Aber wenn er gut gelaunt ist, kann ihn mit Geschick dazu bringen, das zu erzählen, was man im Rheinischen „ne Verzell“ nennt, also Geschichten, die man kennt und immer wieder gerne hört. Eine dieser Geschichten handelt vom Aufbruch aus Wiesbaden nach Paris, vom Chemielaborantendasein zum Idol „Giacometti“. Eine weitere handelt von dem 14-jährigen Hitlerjungen Eberhard, der im Oderbruch gegen anstürmende Sowjetsoldaten helfen sollte, das Leben Hitlers zu verlängern. Dies verwandelte den Schüler einer faschistischen Schule umgehend in einen Antifaschisten. Ohne die väterliche Hilfe eines alten Landsers könnten wir heute wohl keine Plastiken von Fiebig bewundern. Aber meistens wehrt Fiebig das Ansinnen ab, Altes nochmals zu verbreiten, er meint zurecht, das seien „Schmonzetten“.

Nicht, dass Fiebig mit Lob knauserig wäre, aber in der Zeit, die auf Erden uns gegeben ist, trifft man auf mehr Tadelns- als auf Anerkennenwertes. So kommt einem Lob Fiebigs Seltenheitswert zu, es ist kostbar. Eine meiner Handlungen wird von ihm fast bei jedem Treffen gelobt: 1972 bahnte sich auf der Zeil eine Demo an, auf einem Blumenkübel stand ein zivil gekleideter Staatsdiener, der – der offiziösen Theorie seines Dienstherren vom Rädelsführer folgend – die Genossen filmte. En passant haute ich ihm wegen seiner Impertinenz die Beine weg, worauf er wortlos und ohne Gegenwehr in den Pflanzen versank. Nun weiß ich nicht, ob sich Fiebig mehr über die politisch-verfolgungstechnische Wirkung oder über den slapstickartigen Ablauf freute, jedenfalls bin ich immer wieder ganz stolz, wenn er mich noch nach Jahrzehnten dafür lobt.

Wenn ich für Fiebig in meiner beruflichen Sphäre tätig bin, so endet dies meist damit, dass er erklärt, ich sei sein Freund nicht mehr. Ob dass mehr an den aberwitzigen Vorstellungen Fiebigs über Recht begründet liegt (so meine ich) oder an meiner Schlamperei (so meint er), vermag ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls herrscht dann einige Monate Funkstille, bis einer den anderen wieder anspricht. Selten ist Fiebig nicht unzufrieden mit mir, dann sagt er aber nichts, vermutlich als Ausgleich für früheren Ärger.

Und so werden Fiebig und ich und ich und Fiebig alt, bedauern höchstens, dass die lebenslang gesammelten Erkenntnisse bei unserem Ableben (das Wort ist eine Mischung aus Leben und Abtritt – im bayrischen Sinne!) nicht vorher wie auf eine andere Festplatte überspielt werden kann, aber wir sollten bedenken, dass es geschenkte Erkenntnis nicht gibt.

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