Das Ende des gemütlichen Waldeckfestivals bedarf der Erläuterung. Allherbstlich fanden sie statt, das letzte 1969. Es wurde umfunktioniert in Sinne einer „alternativen“ Kultur - als ob es mehr als eine gäbe, die eben auch ihre Alternative mit enthält. Statt kritisch zu singen und dem Gesang kritisch zuzuhören, sollten die Barden und das Publikum über die Veränderung der Gesellschaft diskutieren. Neben der Veränderungswut des SDS, die sich auch in internen, selbstzerfleischenden Diskussionen äußerte, gab es zwei Ereignisse, die zu dieser Zeit geschahen. Zum einen war dies der Biafrakrieg, der durch religiöse und stammesmäßige Differenzen verursacht, von diversen Ölproduzenten unterstützt, in Nigeria tobte. Die Weltpresse war voll von Bildern dort verhungernder Kinder. Zum anderen: Ho Chi Minh starb am 3.9.1969.
In Darmstadt gastierte eine Wiener Theatergruppe, jene "First Vienna Working Group", die - das bürgerliche Theaterpublikum provozierend - aufführte: „Biafra:Hunger“. Die Darbietung bestand darin, dass die Agierenden an einem langen Tisch aufgereiht saßen – das Abendmahl von Leonardo da Vinci nachahmend -, opulent aßen und ab und zu zwischen Rülpsern „Biafra“ sagten und traurig den Kopf schüttelten. Das Publikum fiel darauf herein, war empört und steigerte sich in seiner, die tatsächlichen Verhältnisse nicht ändernden Aufregung so weit, bis zur Zufriedenheit der Theatergruppe die Bühne gestürmt wurde.
„Au, fein,“ dachte sich der SDS, „diese Bürgerschrecks laden wir uns auf die Waldeck ein!“ Gesagt, getan. Während des Festivals kam die Nachricht vom Tode Ho Chi Minhs. Diskussion darüber, ob man nun das Festival abbrechen solle, müsse. So gerade rang man sich durch, trotz des Verlustes des Genossen Ho weiterzumachen.
Als nun die Wiener Gruppe auftrat, wurde wieder ein vorzügliches Essen aufgetragen, wieder allgemeines Gemurmel auf der Bühne, aber kein „Biafra“. Nach einiger Zeit - schon quälend lange hatte es gedauert - erhob sich einer der Darsteller und sagte: „Wir spielen heute nicht «Biafra:Hunger» sondern «Waldeck:Diskussion» “. Weiteres endlos lang erscheinendes Essen und Gemurmel auf der Bühne. Dann stand wieder einer der Darsteller auf und sagte:
„Auch der gute Onkel Ho
geht nun nicht mehr auf das Klo!“
Das war nun zu viel, die Söhne und Töchter der Theaterstürmer in Darmstadt taten es ihren Eltern nach und auch sie besetzten hier die Bühne.
Es ist eben ein langer Weg bis zu einem verändertem Bewusstsein – und Humor war nie die Stärke der deutschen Linken.
Gewidmet demjenigen, der so häufig mit Diskussion bestraft wurde.
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