Samstag, 4. August 2012

Als sich Pantalone und Dottore einmal gründlich irrten


Brecht betrauert in seinem Arbeitsjournal vom August 1941 den Tod von Walter Benjamin, [dessen Tod wohl auch dadurch mitverursacht wurde, dass er nicht genug und überdies zu marxistische Arbeiten aus Paris beim Institut im sicheren New York ablieferte]. Brecht fährt dann fort:
„und nun zu den überlebenden! ... auf einer gartenparty den doppelclown horkheimer und pollock getroffen, die zwei tuis vom frankfurter soziologischen institut. Horkeimer ist millionär, pollock nur aus gutem hause, so kann nur h(orkheimer) sich an seinem jeweiligen aufenthaltsort eine professur kaufen >zur deckung der revolutionären tätigkeit des institutes nach außenhin<.“

In der gesamten Frankfurter Schule ist trotz der Benutzung marxistischer Gedanken eine nicht überraschende Leere bei der Behandlung der Basis festzustellen, eben des gesamten ökonomischen Bereichs der Gesellschaft. Es ist doch um vieles edler, den Widersprüchen in Literatur und Musik nachzuspüren, als in die Niederungen einzutauchen, beispielsweise in die Beziehungen zwischen Ausbildung und Verwertungsinteressen, allenfalls mag man sich darüber mokieren, wenn ein Prüfling Hobbes wie ebbes ausspricht. Es war die Rebourgoisierung der dialektischen Vernunft. So blieb Pollock der einzige Ökonom der „alten“ Frankfurter Schule, allerdings logierte er im „Grand Hotel Abgrund“, nahm an der Pfingsttagung 1923 teil. Trotz des brechtschen Verdikts hat Pollock ein heute noch lesenswertes Buch geschrieben mit dem nichtssagenden Titel „Automation“. Er analysiert darin die Folgen der Einführung dessen, was heute mit EDV oder IT oder E oder sonstwie bezeichnet wird.

Keiner hat das Buch ernst genommen, die durch sie bedingte strukturelle Arbeitslosigkeit wurde auch von dem Weltökonomen Helmut Schmidt großkotzig übersehen. Sein damaliger Widerpart hat dazu im Bundestag einmal eine weise Rede gehalten, sich aber dann selbst als Kanzler einen Dreck darum gekümmert.

Als zu Anfang der 1980er Jahre die Vorteile der EDV im Bereich des Kleingewerbes durch die Erfindung des personal computer offenkundig wurde, da glaubten P&D diagnostizieren zu können, die weitere Entwicklung werde ähnlich ablaufen, wie zuvor von Karl Marx im 13. Kapitel des „KAPITALS“ beschrieben. Charly untersucht dort die Folgen der Einführung einer in unseren heutigen Augen völlig harmlosen „Maschinerie“, der Nähmaschine. Im London des Jahres 1864 bewirkte diese Veränderung in der Produktionssphäre die Arbeitslosigkeit zahlloser Weißnäherinnen, Verdrängungsabläufe innerhalb der Arbeiterschaft, Zwang zur Heimarbeit, manchmal sogar den Tod durch Verhungern.

Die Verwertung der Möglichkeiten dieser neuen Geräte schien den Beruf der Stenotypistin überflüssig zu machen, wenngleich er sich vor schon längere Zeit zu dem der Phonotypistin gewandelt hatte. Die Umwandlung von Sprache in Text geschähe in Zukunft mit solchen Geräten, das wäre nur eine Frage der Zeit, dachten P&D, ein auf ungenauer Analogie beruhender Schluss. Analogien werden leicht aufgebaut und -gebauscht, ohne dass man sich über die grundlegenden Voraussetzungen der zum Vergleich gezwungenen Lagen klar geworden ist.

Nicht alles, was Maschine genannt wird, muss mit dem Begriff der Maschinerie bei Marx übereinstimmen. Die Schreibmaschine stellt nichts weiter her als besser lesbare Texte, die ggf. vervielfältigt werden können. In alten Grundbuchakten findet man bisweilen noch äußerst präzise geschriebene Handschriften, eben in Kanzleischrift, auch sie ist gut lesbar, die Vervielfältigung geschah durch Abschreiben. Erst mit den Durchschlägen wird zur Maschine.

Die Banalität ist, ein PC zerfällt in Hard- und Software. Der Hardware kann man trauen, solange kein mechanischer Fehler auftritt, der aber macht sich massiv durch Ausfall bemerkbar. Die Software ist immer nur so schlau, wie sich der Programmierer das hat vorstellen können. Bei Knight Capital sollen am 1.08.2012 lediglich 45 Minuten fehlerhafter Software ausgereicht haben, um einen Verlust von $ 440 000 000,00 einzufahren. Erst eine stabile Software vermag es, den PC in die Sphäre der Maschinerie zu heben, beispielsweise eine wirklich perfekte Spracherkennung, denn selbst eine solche mit 99%iger Sicherheit macht alle zwei Zeilen eben einen Fehler, eine gute Phonotypistin auf einer Seite einen.    

Der seinerzeitige Fehler von P&D lag zum einen darin, den PC schlicht als Maschine anzusehen, dann darin, die Fähigkeiten der Programmierer zum Erstellen eines Spracherkennungsprogrammes zu überschätzen, schlussendlich aber darin, die Rationalität des Kapitalismus höher anzunehmen als sie tatsächlich ist. Denn betriebswirtschaftlich ist es äußerst schmählich, hochbezahlten Arbeitskräften (Redakteure, Ministerialräte, Professoren) einen Laptop in die Hand zu drücken, damit sie ihre Texte selbst niederschreiben. Diktierten sie, deren Sprache dann von Menschen in Text verwandelt würde, dann könnten sie selbst bei einem Überredigieren so viel mehr an Arbeit leisten, dass die Kosten der Schreibkraft mitabgedeckt würde und darüber hinaus ein mehr an Wert ihrer Arbeit entstünde. So aber sitzen in Zimmern und Stuben qualifizierte Menschen herum, die tippen, so blöd ist der Kapitalismus bisweilen. P&D hielten ihn für schlauer, aber man soll den Gegner besser über- als unterschätzen.

Für Amtmann Bieber, der uns – ohne das zu ahnen – das Diktieren aufnötigte.  

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