Ein Journalist ist ein Mensch, der morgens weiß, dass er im
Laufe des Tages einen tiefschürfenden Artikel über einen Sachverhalt schreiben
wird, von dem er bislang nicht die geringste Ahnung hat. Meist merkt es derjenige,
der die Materie kennt, aber da es so unendlich viele Sachen gibt, über die zu
berichten die Medien für nützlich erachten, ist der Prozentsatz derjenigen gering,
die die Irrtümer erkennen. Journalisten sind nicht „Schöne des Tages“, sondern
die Gehetzten der Stunde. Sie folgen Moden und haben sich dem Trend anzupassen,
den das Medium, die political correctness, der Zeitgeist vorgeben. Ein Bestandteil
jenes Zeitgeistes ist der Import aus den USA, der da lautet: That´s Nazi.
Betrachten wir uns die Türklinke, so ist an ihr kaum etwas
auffällig. Der Versuch einer Analyse ihres Aussehens liefe auf eine Einordnung in die „Neue Sachlichkeit“
hinaus. Aber gefehlt: Das Haus, in dem sie das Öffnen und Schließen einer Tür
ermöglicht, ist 1938 erbaut worden, ergo: Das ist eine Nähsiklinke. Wer das
nicht merkt und sich darüber gar noch erhebt, ist nähsiverdächtig, zumal, wenn
er – wie der Autor – 1939 geboren wurde, das Verdammnis der späten Geburt ist
allumfassend. So verkommt eine wichtige Kategorie der nie vollständig
geleisteten Selbsterkenntnis des deutschen Volkes zum Spielball einer
oberflächlichen Kaste.
Schlimmer noch schlägt da die TAZ
zu, sie erklimmt dabei Grade der Journalistik, die eine Rabulistik aufzeigt,
die in den Machwerken des Gauleiters von Nürnberg üblich waren. Die
tapferen Antifaschisten der TAZ decken ein „braunes Kapitel“ des
Luchterhandverlages auf, das bislang unveröffentlicht war. Das wird garniert
mit dem angeblichen Fehlverhalten eines der wichtigsten Autoren des Verlages,
illustriert mit dessen Bild, auf dem er betroffen vor sich hin blickt.
Frohlocken bei der TAZ: Jetzt haben wir es den Vätern aber mal gezeigt. Ach,
ihr Buben, ihr seid nicht dumme Jungens, mit eurer Art der Darstellung kopiert
ihr den „Stürmer“. Aufgebauschte, unüberprüfte Tatsachen, falsche Beurteilungen,
unterschwellige Unterstellungen.
Ein Autor der Zeitung liest im Landesarchiv von Berlin eine
Prozessakte. Juristen wissen seit zweitausend Jahren, audiatur et altera pars. Der
Tazianer zitiert immer nur aus dem Vortrag der einen Seite, was wird nicht
alles in einem Rechtsstreit behauptet.
Der kleine Luchterhandverlag, dessen Gesellschafter die
Herren Luchterhand und Reifferscheidt waren, gelangte in der Zeit vor 1939 in den Besitz
einer Druckerei, die einen Herrn Scholz gehörte, der mit einer Frau liiert war,
die nach dem von Adenauers Staatssekretär kommentierten Gesetz keine Arierin
war. Selbst wenn die beiden Gesellschafter des Verlages so gehandelt haben
sollten, wie der Tazianer ihnen unterstellt, dann waren sie keine Nähsi,
sondern allenfalls widerliche Trittbrettfahrer. Fremdes Gut an sich zu bringen,
ist nämlich nichts spezifisch faschistisches, sondern Teil einer eigentumsorientierten
Welt. Eine vergleichbare Gemeinheit wäre, man legte ein Ablehnungsschreiben des
Luchterhandverlages zu einem Romanentwurf des Autors vor, oder: man begänne
diesen Text mit dem Hinweis auf die IM – Akte des Autors, beides reine
Phantasie. Da der Herr Luchterhand nach dem Krieg nicht so in Erscheinung trat,
wird an Herrn Reifferscheidt herumgemäkelt. Sollte er etwa nicht mit Günter
Grass in Prag nach dem Besuch des Grabes von Kafka über die gleiche
Vergangenheit in faschistischer Zeit sich ausgetauscht haben, nichts liegt doch
näher. Und überhaupt Grass, wer einmal bei der Waffen-SS aus dem Blechnapf fraß,
der bleibt ein Antisemit sein Leben lang. Eine Unterscheidung zwischen der
Kritik an Israels Außenpolitik, wobei Außen eben auch die besetzten Gebiete mit
umfasst, und Antisemitismus ist untunlich, da sonst die Feststellung „Nähsi“
nicht möglich ist.
Um es klar festzuhalten: Der „hilflose Antifaschismus“ hat
weder in den alten, wie den neuen Bundesländern es vermocht, es nicht vermögen
wollen, über die Zeit des deutschen Volkes zwischen 1933 und 1945 eine
Besinnung, gar Trauer und Einsicht herbeizuführen. Nun mögen die Amerikaner in
Filmen oder Videospielen Nähsis zu der Sorte Mensch machen, die früher die
Mexikaner einnahmen, dieses Mal mit erheblich mehr Berechtigung. In Deutschland
aber dient die marktschreierische Beschäftigung mit der Schande nur der
Erregung von Aufmerksamkeit für das eigene Produkt. Die letztlich
unaufgearbeitete Vergangenheit darf nicht so um des eigenen Nutzens willen privatisiert
werden.
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