Neben den bereits seit langem
bekannten sieben Todsünden hat das 19. Jahrhundert eine achte hervorgebracht,
den Nationalismus. Der Staatsbürger hätte mündig werden können, stattdessen
verharrte er auf der Stufe des Zoon Koinon. Der Weg ging nach der Findung des
Nationalismus daher nicht zu größeren Einheiten, sondern zu kleineren. Zwei
Vielvölkerstaaten, auf ihren Gebieten sicherlich Vorläufer dessen, was gerade
haarscharf am Scheitern vorbeisegelt, waren das Habsburger und das Osmanische Reich,
entsprechend des damaligen Denkens mit dynastischen Namen bedacht. Die
Habsburger Monarchie umfasste von Österreich ausgehend den nördlichen Teil des
Balkans, daran schloss sich das Herrschaftsgebiet der Osmanen an, das je nach
Status und Zeit sich von dort bis Aden erstreckte.
Zwischen 1529 und 1791
balgten sich die beiden Reiche um die Länder des Balkans, die von
fremdsprachigen Menschen bewohnt waren. Deren Versuche zur Eigenstaatlichkeit
wurden von beiden Mächten allenfalls ausgenutzt. So verlief mitten durch den
Balkan die wechselnde Grenze. Die ihn durchwindende Donau war in Zeiten
schlechter Straßen eine der Wege ins jeweils feindliche Gebiet. So baute die
nördliche Macht auf einer mitten im Strom gelegenen Insel eine Festung, wobei
sich ein schweizerischer Oberst in habsburgischen Diensten der Errungenschaften
des französischen Marschalls Vauban bediente. Aber schon bald geriet die Insel
in osmanischen Besitz, wechselte dann mehrmals die Herrschaft, jedoch blieb die
türkischsprachige Besiedlung erhalten. Sie gaben der Insel auch den bleibenden
Namen, Ada Kaleh, was schlicht Inselfestung heißt.
Die neue Todsünde wurde zur
Legitimation dumpfen Freiheitsbegehrens, alle Gruppen, die sich als ethnisch
verstanden, wollten nun frei sein. Die einzelnen Mitglieder der Herde des
Sultans waren nun Albaner, Rumänen, Bulgaren, Serben, Ungarn, Bosnier,
Griechen, und neideten sofort die anderen ihr jeweiliges Gebiet. Russland
wollte – wie immer – zum warmen Meer, panslawistische Ideen vor sich her
schiebend. Die politischen Konstellationen hatten sich also gewandelt.
Widerwillig stimmten die bisherigen Machthaber des Balkans, meist nach
kriegerischen Abläufen zu, es entstanden nun – der Zeit entsprechend – neue
Monarchien.
1848 wurde der Aufstand der
Ungarn unterdrückt, die Stephanskrone in Orsova, der damals ungarischen
Nachbarstadt zur Insel, heimlich versteckt. Darüber und über die Insel
berichtet Egon Erwin Kisch, der und im „Rasenden Reporter“; er stammte aus dem
„behmischen“ Prag und viele seiner Artikel kreisen um Gegenstände im ehemaligen
Habsburger Reich. Auf dem Berliner Kongress 1878 wurde der Balkan zu Lasten des
Osmanischen Reiches neu verteilt, aber Ada Kaleh schlicht vergessen. So blieb
die Insel inmitten des Donaustromes in türkischem Besitz, die zollrechtlichen
Gegebenheiten ermöglichten den Bewohnern ein einträgliches Auskommen. Der
Sultan tauschte den alten Teppich der Moschee gegen einen neuen aus, eine
dieser großartigen Herrschergesten, jedoch der Wert des alten Teppichs wird
höher gewesen sein. Nun lag die Insel im Fluss mit serbischem (im Süden),
rumänischem (im Nordosten) und ungarischem (im Nordwesten) Ufern. Im Weltkrieg
I besetzten vorsichtshalber österreichische Truppen die Insel des Verbündeten,
die Grafitti der Landsturmmänner betrachtete sich noch Kisch. Nach dem Krieg
usurpierte Rumänien die Insel, die Zeit der Turkokratia des Balkans war
endgültig vorbei (wenngleich die Saga von der Unterdrückung jahrzehntelang
nicht nur als Entschuldigung, sondern gar als selbstgeglaubte Erklärung für
nachfolgend anhaltende Unterentwicklung herhalten musste).
Noch einmal flammte
türkisches auf: Süleyman Demirel, seinerzeit Ministerpräsident der Türkei und
noch lange nicht so reich wie heute, verband einen Besuch Rumäniens mit der
Stippvisite der Insel, wahrscheinlich musste er sich von der größten lebenden
Wissenschaftlerin das geplante Stauwerk am Eisernen Tor erläutern lassen. Die
Städte an den Ufern konnten mit ihren Häusern die Berge hinan klettern, um den
ansteigenden Wassern der Donau zu entrinnen. Aber Ada Kaleh war flach, man kann in das felsige Ufer zum Eisernen Tor hin eine neue Tabula Ansata einmeißeln: CAUSA VIRES PRODUCENTIUM INSULA AQUIS SUBMERSA EST ANNO MCMLXXII.
„Am Grunde der Donau da ruhen
die Steine, es gibt keine Festung auf Ada Kaleh“.
(Fraglich bleibt jetzt nur
noch, ob die Erben Brechts – die Laxheit des Erblassers in Fragen des geistigen
Eigentums schon lange negierend – wegen der vorstehenden Paraphrase
urheberechtliche Ansprüche anmelden werden.)
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