Donnerstag, 10. Februar 2011

Führer und Geführte

1964 versuchten Dottore und Pantalone in die Untiefen der Jurisprudenz einzudringen. Die Rechtswissenschaft ist gar keine, diesen Hinweis auf die Erkennbarkeit dieser Tatsache am reinen Wort verdanke ich Ottmar Ballweg: Denn im Mittelalter unterschied man zwischen Wissenschaft (scientia) und Gelehrsamkeit (prudentia), das hat sich fortgeschleppt und in dem Wort JURISPRUDENTIA manifestiert. Um den Fallstricken der Dogmatik zeitweise legal zu entkommen verbunden mit dem Gefühl, doch etwas Zielgerichtetes zu tun, hörten wir Gerichtsmedizin und Gerichtliche Psychiatrie. Die Ordinaria plante eine Exkursion, es stand keine Hausarbeit an, keine Klausur war zu schreiben, also wollten wir mitfahren. Die Tour nach Norddeutschland sollte uns in Jugendpsychiatrien und Gefängnisse führen, zuerst nach Vechta. Dottore war vor der Fahrt zum Treffpunkt noch nicht fertig, also vertrieb sich Pantalone die Wartezeit mit einem Blick in den Shellatlas, der damals in jedem Auto zu finden war. Erst ging es durch die Szone nach Helmstedt, weiter auf der Autobahn bis hinter Hannover, dann zuerst die B 6, hinter Nienburg die B 214. Leicht zu merken, die B´s addierten sich zu 220, solch einen Mercedes gab es.

Hinter Hannover stellte sich heraus, dass der Busfahrer sich weder auskannte, noch eine Karte hatte. Also hielt der Bus, wie weiter? Ich rief von hinten, wo ich saß, „wir müssen die B 6 fahren“ und es ging weiter. Dann hinter Nienburg das gleiche, nun rief ich „B 214“, woraufhin mich die Ordinaria eindringlich aufforderte, doch vorne neben dem Fahrer Platz zu nehmen. Dies geschah, aber war unnötig, da nun Straßenschilder den Weg nach Vechta wiesen.

Am Abend war die Gruppe in einer evangelischen Institution, die Jugend betreute, zu Gast, die Ordinaria hielt eine kleine Dankesansprache, dann bedeutete sie mit Gesten, auch ich möge etwas sagen, denn ich war wohl der einzige der Studenten, den sie überhaupt ausmachen konnte. Das tat ich dann auch. Aber, nicht nur die Ordinaria hatte mich nun auserlesen, sondern auch die anderen Mitfahrer. Sie kamen auf mich zu und äußerten ihre Bitten und Anregungen, damit ich sie bei unserer Professorin vortragen solle, auch das machte ich dann.

Es war politisch gesehen die Vor-68-er Zeit, auf dem Campus wurde jeden Tag zur Mittagszeit der fliegende Stand des Argumentclubs aufgebaut, wenngleich die meisten Kommilitonen der Jurisprudenz dort kaum sich (es handelt sich um das postponierte Reflexivum!) aufhielten, auch hatte der dortige Wortführer eine feinästhetische Ausstrahlung, die immer noch, nun in der Neuauflage seines Kultbuches, spürbar ist. Also war ich, der Frankfurter Schule viele Einsichten verdankend, über den Zuwachs an Autorität nicht erbaut, undemokratisch nahm ich eine Funktion war, die sich letztlich nur darauf gründete, sich einmal orientiert zu haben. Dies wollte ich aufheben, wobei ich an den entsprechenden Begriff bei Hegel dachte.

Am letzten Abend waren die männlichen Teilnehmer, das war die überwiegende Mehrheit, mitten in der Heide in einem evangelischen Kloster untergebracht. Außer uns war niemand da, es gab in der Einsamkeit keine Kneipe, nur der Vollmond leuchtete auf uns, die im Freien in dieser lauen Sommernacht herumstanden. Ein Nebengebäude hatte eine Dachterrasse, die über die Schlafzimmer erreichbar war. Nun ritt mich der Teufel der Aufhebung, nicht die Furie des Verschwindens: Ich verlangte, alle mögen auf die Dachterrasse kommen, um den Mond zu betrachten. Auf den Einwand, das könne man auch von unten, erwiderte ich, oben sei man dem Mond näher. Und tatsächlich, alle begaben sich auf die Terrasse, wo ich die Idiotie der Folgsamkeit predigte.

Ach, übrigens Dottore war damals mit meinem Vorgehen einverstanden.

Dottore: Ja, ja, nun aber sage ich, man merkt es deutlich, er ist um Sachlichkeit bemüht, aber seine Eitelkeit hat ihn korrumpiert, er hat eben nie promoviert.

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