Mittwoch, 8. Januar 2014

Ägypten 8 Straßen in Kairo 4

Eigentlich waren diese Straße und die abgebildeten Häuser einfach zu kommentieren, aber während der Vorbereitung tauchten zwei Autoritäten auf, über deren Behauptungen Dottore stolperte. Seit dem Verlust des Vaters in frühester Kindheit hat er seine Schwierigkeiten mit Autoritäten, zumal wenn sie sich hohl aufspielen. Dann müssen sie widerlegt werden, was bisweilen viel Zeit kostet oder Arbeit beansprucht. Dabei fing es so leicht an:

Emile Bechard war mit seinem Bruder Henri auch einer dieser Reisephotographen, er machte mit ihm in den 1870er Jahren Aufnahmen der Sehenswürdigkeiten Ägyptens, die in ihrer Qualität an Sebah heranreichen, unübertroffen sind jedoch seine Bilder von Menschen, dazu anderenorts mehr. Hier nun zeigt er einen Blick in eine Straße, wobei das Hauptobjekt des Bildes ein Gebäude mit hochwertiger Ausstattung ist, er wollte offenbar die dazu gehörige Straße gar nicht abbilden, sie ist ihm unwichtig. Eine nur schon geringe Kenntnis der muslimischen Architektur Kairos belehrt einen, es handele sich um ein Exemplar der häufig anzutreffenden Sibil-Kuttab Bauwerke, die zwei Funktionen miteinander verbinden: Sibil ist Brunnen und ermöglicht den Ärmeren, dort Wasser zu holen, Kuttab bedeutet nicht nur Buch, sondern in diesem Zusammenhang Schule, Schule für Jungen, dort wurden sie im Koran unterwiesen. Der Geldgeber eines solchen Bauwerks konnte so seinen religiösen Pflichten nachkommen, er gab mit dem sprudelnden Wasser täglich sein Almosen, bekanntlich eines der fünf Gebote muslimischer Lebensführung.


Sebah wollte dagegen die Schlucht der Al-Mu´izz-Straße wiedergeben, er suchte sich dazu den hohen Sonnenstand aus, allerdings ermöglicht der große Helligkeitsunterschied zwischen sonnenbeschienenen Flächen und Schatten kein genaueres Erkennen des Lebens der schattensuchenden Ägypter. Lediglich ein Reiter auf dem Esel setzt sich der Sonne aus, die lange Belichtungszeit verwischt ihn. Das Ganze beweist, dass Brecht Unrecht hat: Denn die einen sind im Dunkeln, Und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht. Alle sieht man nicht – auf Fotografien.



So wagte sich denn Bonfils an das Unternehmen, auch er wollte die Al-Mu´izz-Straße aufnehmen. Prima Vista scheint ihm das gelungen zu sein, die hellen Turbane zeigen umtriebige Menschen auf der Straße.


Aber, schauen wir einmal genauer hin: Aus der unverkleinerten Bildversion ist das nächste Bild ein Ausschnitt. In der unteren rechten Ecke ist eine Katze zu sehen, die offenbar angewidert ihren Kopf wegwendet. Zu grauslich ist es, was im heimischen Atelier zu zaubern versucht wurde, denn außer der Katze ist nur ein sitzender Mensch fotografisch erfasst worden, alles andere ist ungekonnt mit dem dicken Retuschierpinsel hinein gekleckst, noch nicht einmal wurde der Pinsel nach dem Eintauchen in die weiße Farbe abgestreift. Nein, lieber Felix, das ist zu schäbig und schlecht, solche Machwerke ruinieren immer wieder Dein Ansehen!


Damit nun wären die Bilder dieser Straße genügend kommentiert, hätte Dottore nicht die zutiefst bürgerliche, gerade noch nicht paranoide Haltung, alles noch einmal zu kontrollieren. Bild 1 wird in Wikipedia, Lemma „Kairo“, gezeigt und das Gebäude dort als „Abd-al-Rahman-Moschee“ bezeichnet samt angeblichem Erstellungsjahr der Fotografie. Gewichtig wurde am Ende darauf hingewiesen, dieses Lemma sei in die Liste der „exzellenten Artikel“ aufgenommen worden. Was sollte da noch Dottore mit seinen lächerlichen Zweifeln?

Also zuerst bei Archnet nachgesehen, das ist eine verlässliche Website über islamische Architektur. Nach den dortigen Bildern, insbesondere dem Grundriss, war das sakrale Bauwerk nicht in eine Straßenreihe eingefügt, sondern teilt als Beginn einer schmalen Häuserzeile die Straße.



Das Gebäude, es sei „2“ genannt, ähnelte aber auf vertrackte Weise demjenigen, das in Bild 1 wiedergegeben ist, schien/en also der/die Verfasser bei Wikipedia doch recht zu haben? Moderne Bilder bei Archnet ermöglichten eine Durchsicht in Pantalones Archiv, und siehe, zwei der damaligen Photographen hatten auch das Bauwerk 2 abgelichtet.




Bauwerk 2 wird als Sibil-Kuttab Abd al-Rahman bezeichnet, nicht als Moschee. Es hat im Untergeschoss einen Gebetsraum, im Obergeschoss, das sehr hoch ist, befindet sich die Unterrichtsstätte (bei Bonfils auf Bild 7 schauen einige der Buben, auch ohne Sesamkringel, neugierig zum Photographen). Außer der völlig anderen topografischen Lage ergab sich aus den Bildern aber auch, dass beispielsweise die Zierdächer an Bauwerk 2 zur Zeit der Aufnahme völlig intakt waren, während die des Bauwerkes 1 sich in einem ziemlich desolaten Zustand befinden. Jedoch stimmten die Formen bis in die Einzelheiten überein, aber eben doch nicht ganz. Heute sieht Bauwerk 2 so aus:


Pantalone war so freundlich, das Bild mit Bauwerk 1 zu strecken und nach Angabe mit Hilfslinien zu versehen. Daraus ergibt sich, die angebliche Abd al Rahman Moschee hat ein rückversetztes Tor mit einer hohen Fassade (grün markiert), dann rechts daneben einen Rundbogen, der in einem nicht symmetrischen Baukörper steckt, da rechts neben dem Rundbogen noch ein schmaler Bauteil mit zwei Fenstern steht (rot markiert). Über die gesamte Breite des Baukörpers erhebt sich noch ein Geschoss, das mit zwei Dachüberständen verziert ist. Der Rundbogen des Gebäudes ist mit dem Bauwerk 2 in seiner Ausgestaltung fast identisch, das Bauwerk 2 steht aber isoliert da, während die angebliche Moschee in eine Häuserreihe eingefügt ist.


Nun erscheint es zweckmäßig, Fachleute heranzuziehen, eine solche Fachfrau ist Doris Behrens-Abouseif, die das Buch „Islamic Architecture in Cairo“ verfasst hat, das bei Amazon wohlfeil zu erwerben ist. Aber auch Caroline Williams hat sich mit Kairo und seiner muslimischen Baukunst beschäftigt, „Islamic Monuments in Cairo“, auch bei der gleichen Quelle erhältlich. Schon, wenn man nur die Bilder in beiden Büchern betrachtet, dann erkennt man, dieser Rundbogen –  von dem türkischen Emir Abd al-Rahman Katkhuda entworfen – war in Kairo nicht nur im ausgehenden 18. Jahrhundert beliebt, sondern bis 1936. Damals wurde eine Moschee nach einem Straßenausbau saniert, schlicht setzte man wieder solch einem Baukörper mit den Rahman´schen Rundbögen dran (Abouseif, Seite 163); von dort ist das folgende Bild.


Liest man in beiden Büchern so stellt man fest, Abd al-Rahman hatte nun einmal „seine“ Architektur gefunden, also verwendete er sie immer wieder. Zuerst, nämlich 1729, ließ er eine nach ihm benannte Moschee, eigentlich nur eine Zawiya, bauen, sie steht noch ohne die für ihn kanonischen Rundbögen in El Darb – El Ahmar in der El Megherbellenstraße, schmalbrüstig zur Straßenfront gerichtet. Später dann, ab 1744, feierten seine Rundbögen fröhliche Wiederkehr, zumal er mehrere Bauwerke auch „restaurieren“ ließ. Der Doppeleingang zur El-Azhar Moschee stammt von ihm, die in Wikipedia fälschlich als Abd al-Rahman bezeichnete Ali al-Muhtahar Moschee, die „Quellenschule“, die seinen Namen trägt (Bauwerk 2) und weitere Gebäude mit sakraler Funktion. Antoniou hat ein niedliches Büchlein mit eigenen Zeichnungen publiziert, auf Seite 73 des „Historic Cairo“ ist die velwechserte Moschee abgebildet.


Im heutigen Stadtbild sieht sie so aus:




Vergleicht man noch das auf Bild 03 ersichtliche Minarett mit demjenigen, das auf den Bildern 12 bis 14 erkennbar ist, so kommt man zum Schluß, bei dem Minarett handelt es sich um das der Sultan Qalawon Moschee, die in der Al-Mu´izz Straße etwas weiter nördlich steht. 



Zur besseren Orientierung liegt ein Plan bei.


Frage von Pantalone: „Warum ist das bei Wikipedia nicht geändert?“

„Das habe ich dieser undurchsichtigen Institution schon vor Monaten mitgeteilt und angeboten, es im Zweifelsfall zu belegen. Aber dann wird man im Duzton aufgefordert, sich doch an irgendwelchen Ritualen zu beteiligen, was mir unerquicklich erscheint. Übrigens will ich darüber entscheiden, mit wem ich im vertraulichen Verkehrston umgehen will. Wissen tun die es also schon lange, sind aber offenbar unbeweglich. Das Vertrackte ist dabei, dass das Netz den wikipedischen Irrtum teilt; es gibt allerdings Informationsquellen außerhalb des Internets, aber das ist nun fast schon eine epochale Neuheit.“

Pantalone fragt nochmals: „Welche zweite Autorität musstest Du denn noch anpinkeln?“

„Als Du auf der Suche nach Bildern von Bechard warst, da liefertest Du auch einige, die vom Musee d`Orsay ins Netz gestellt wurden. Das Überraschende war, dass trotz der Vorliebe des Franzosen, berühmte Leute einzubürgern, wie es Sebah geschah, und so den Ruhm der Grande Nation zu mehren, die Verantwortlichen im Museum die Bilder seitenverkehrt eingescannt haben, dann wurde der Namen des Photographen getilgt. Eine Gegenüberstellung (mit dem retournierten Bild) beider Variationen zeigt dies. Nun war Bechard offenkundig Franzose, warum unterschlägt man im Musee d`Orsay seine Signatur?“


„Nicht nur die Römer, auch die romanisierten Museumsgallier sont …. ! Wie sagt man so treffend mit Bloch: Errare humanum est, humanior est dubitare. Aber, so ein wenig erinnerst Du mich auch an den Ritter von der traurigen Gestalt in seinem Kampf gegen die Windmühlen.“ 

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