Eigentlich waren diese Straße
und die abgebildeten Häuser einfach zu kommentieren, aber während der
Vorbereitung tauchten zwei Autoritäten auf, über deren Behauptungen Dottore
stolperte. Seit dem Verlust des Vaters in frühester Kindheit hat er seine
Schwierigkeiten mit Autoritäten, zumal wenn sie sich hohl aufspielen. Dann müssen sie widerlegt werden, was
bisweilen viel Zeit kostet oder Arbeit beansprucht. Dabei fing es so leicht an:
Emile Bechard war mit seinem
Bruder Henri auch einer dieser Reisephotographen, er machte mit ihm in den
1870er Jahren Aufnahmen der Sehenswürdigkeiten Ägyptens, die in ihrer Qualität
an Sebah heranreichen, unübertroffen sind jedoch seine Bilder von Menschen,
dazu anderenorts mehr. Hier nun zeigt er einen Blick in eine Straße, wobei das
Hauptobjekt des Bildes ein Gebäude mit hochwertiger Ausstattung ist, er wollte
offenbar die dazu gehörige Straße gar nicht abbilden, sie ist ihm unwichtig.
Eine nur schon geringe Kenntnis der muslimischen Architektur Kairos belehrt
einen, es handele sich um ein Exemplar der häufig anzutreffenden Sibil-Kuttab
Bauwerke, die zwei Funktionen miteinander verbinden: Sibil ist Brunnen und
ermöglicht den Ärmeren, dort Wasser zu holen, Kuttab bedeutet nicht nur Buch,
sondern in diesem Zusammenhang Schule, Schule für Jungen, dort wurden sie im
Koran unterwiesen. Der Geldgeber eines solchen Bauwerks konnte so seinen
religiösen Pflichten nachkommen, er gab mit dem sprudelnden Wasser täglich sein
Almosen, bekanntlich eines der fünf Gebote muslimischer Lebensführung.
Sebah wollte dagegen die Schlucht der Al-Mu´izz-Straße wiedergeben, er suchte sich dazu den hohen Sonnenstand aus, allerdings ermöglicht der große Helligkeitsunterschied zwischen sonnenbeschienenen Flächen und Schatten kein genaueres Erkennen des Lebens der schattensuchenden Ägypter. Lediglich ein Reiter auf dem Esel setzt sich der Sonne aus, die lange Belichtungszeit verwischt ihn. Das Ganze beweist, dass Brecht Unrecht hat: Denn die einen sind im Dunkeln, Und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht. Alle sieht man nicht – auf Fotografien.
So wagte sich denn Bonfils an das Unternehmen, auch er wollte die Al-Mu´izz-Straße aufnehmen. Prima Vista scheint ihm das gelungen zu sein, die hellen Turbane zeigen umtriebige Menschen auf der Straße.
Aber, schauen wir einmal
genauer hin: Aus der unverkleinerten Bildversion ist das nächste Bild ein
Ausschnitt. In der unteren rechten Ecke ist eine Katze zu sehen, die offenbar
angewidert ihren Kopf wegwendet. Zu grauslich ist es, was im heimischen Atelier
zu zaubern versucht wurde, denn außer der Katze ist nur ein sitzender Mensch
fotografisch erfasst worden, alles andere ist ungekonnt mit dem dicken
Retuschierpinsel hinein gekleckst, noch nicht einmal wurde der Pinsel nach dem
Eintauchen in die weiße Farbe abgestreift. Nein, lieber Felix, das ist zu
schäbig und schlecht, solche Machwerke ruinieren immer wieder Dein Ansehen!
Damit nun wären die Bilder
dieser Straße genügend kommentiert, hätte Dottore nicht die zutiefst bürgerliche,
gerade noch nicht paranoide Haltung, alles noch einmal zu kontrollieren. Bild 1
wird in Wikipedia, Lemma „Kairo“, gezeigt und das Gebäude dort als „Abd-al-Rahman-Moschee“
bezeichnet samt angeblichem Erstellungsjahr der Fotografie. Gewichtig wurde am
Ende darauf hingewiesen, dieses Lemma sei in die Liste der „exzellenten
Artikel“ aufgenommen worden. Was sollte da noch Dottore mit seinen lächerlichen
Zweifeln?
Also zuerst bei Archnet
nachgesehen, das ist eine verlässliche Website über islamische Architektur.
Nach den dortigen Bildern, insbesondere dem Grundriss, war das sakrale Bauwerk
nicht in eine Straßenreihe eingefügt, sondern teilt als Beginn einer schmalen
Häuserzeile die Straße.
Das Gebäude, es sei „2“ genannt, ähnelte aber auf vertrackte Weise demjenigen, das in Bild 1 wiedergegeben ist, schien/en also der/die Verfasser bei Wikipedia doch recht zu haben? Moderne Bilder bei Archnet ermöglichten eine Durchsicht in Pantalones Archiv, und siehe, zwei der damaligen Photographen hatten auch das Bauwerk 2 abgelichtet.
Bauwerk 2 wird als Sibil-Kuttab Abd al-Rahman bezeichnet, nicht als Moschee. Es hat im Untergeschoss einen Gebetsraum, im Obergeschoss, das sehr hoch ist, befindet sich die Unterrichtsstätte (bei Bonfils auf Bild 7 schauen einige der Buben, auch ohne Sesamkringel, neugierig zum Photographen). Außer der völlig anderen topografischen Lage ergab sich aus den Bildern aber auch, dass beispielsweise die Zierdächer an Bauwerk 2 zur Zeit der Aufnahme völlig intakt waren, während die des Bauwerkes 1 sich in einem ziemlich desolaten Zustand befinden. Jedoch stimmten die Formen bis in die Einzelheiten überein, aber eben doch nicht ganz. Heute sieht Bauwerk 2 so aus:
Pantalone war so freundlich,
das Bild mit Bauwerk 1 zu strecken und nach Angabe mit Hilfslinien zu versehen.
Daraus ergibt sich, die angebliche Abd al Rahman Moschee hat ein rückversetztes
Tor mit einer hohen Fassade (grün markiert), dann rechts daneben einen
Rundbogen, der in einem nicht symmetrischen Baukörper steckt, da rechts neben
dem Rundbogen noch ein schmaler Bauteil mit zwei Fenstern steht (rot markiert).
Über die gesamte Breite des Baukörpers erhebt sich noch ein Geschoss, das mit
zwei Dachüberständen verziert ist. Der Rundbogen des Gebäudes ist mit dem
Bauwerk 2 in seiner Ausgestaltung fast identisch, das Bauwerk 2 steht aber
isoliert da, während die angebliche Moschee in eine Häuserreihe eingefügt ist.
Nun erscheint es zweckmäßig,
Fachleute heranzuziehen, eine solche Fachfrau ist Doris Behrens-Abouseif, die
das Buch „Islamic Architecture in Cairo“ verfasst hat, das bei Amazon wohlfeil
zu erwerben ist. Aber auch Caroline Williams hat sich mit Kairo und seiner
muslimischen Baukunst beschäftigt, „Islamic Monuments in Cairo“, auch bei der
gleichen Quelle erhältlich. Schon, wenn man nur die Bilder in beiden Büchern
betrachtet, dann erkennt man, dieser Rundbogen – von dem türkischen Emir Abd al-Rahman Katkhuda
entworfen – war in Kairo nicht nur im ausgehenden 18. Jahrhundert beliebt,
sondern bis 1936. Damals wurde eine Moschee nach einem Straßenausbau saniert,
schlicht setzte man wieder solch einem Baukörper mit den Rahman´schen Rundbögen
dran (Abouseif, Seite 163); von dort ist das folgende Bild.
Liest man in beiden Büchern so stellt man fest, Abd al-Rahman hatte nun einmal „seine“ Architektur gefunden, also verwendete er sie immer wieder. Zuerst, nämlich 1729, ließ er eine nach ihm benannte Moschee, eigentlich nur eine Zawiya, bauen, sie steht noch ohne die für ihn kanonischen Rundbögen in El Darb – El Ahmar in der El Megherbellenstraße, schmalbrüstig zur Straßenfront gerichtet. Später dann, ab 1744, feierten seine Rundbögen fröhliche Wiederkehr, zumal er mehrere Bauwerke auch „restaurieren“ ließ. Der Doppeleingang zur El-Azhar Moschee stammt von ihm, die in Wikipedia fälschlich als Abd al-Rahman bezeichnete Ali al-Muhtahar Moschee, die „Quellenschule“, die seinen Namen trägt (Bauwerk 2) und weitere Gebäude mit sakraler Funktion. Antoniou hat ein niedliches Büchlein mit eigenen Zeichnungen publiziert, auf Seite 73 des „Historic Cairo“ ist die velwechserte Moschee abgebildet.
Im heutigen Stadtbild sieht
sie so aus:
Vergleicht man noch das auf
Bild 03 ersichtliche Minarett mit demjenigen, das auf den Bildern 12 bis 14
erkennbar ist, so kommt man zum Schluß, bei dem Minarett handelt es sich um das
der Sultan Qalawon Moschee, die in der Al-Mu´izz Straße etwas weiter nördlich
steht.
Zur besseren Orientierung
liegt ein Plan bei.
Frage von Pantalone: „Warum
ist das bei Wikipedia nicht geändert?“
„Das habe ich dieser
undurchsichtigen Institution schon vor Monaten mitgeteilt und angeboten, es im
Zweifelsfall zu belegen. Aber dann wird man im Duzton aufgefordert, sich doch
an irgendwelchen Ritualen zu beteiligen, was mir unerquicklich erscheint.
Übrigens will ich darüber entscheiden, mit wem ich im vertraulichen Verkehrston
umgehen will. Wissen tun die es also schon lange, sind aber offenbar
unbeweglich. Das Vertrackte ist dabei, dass das Netz den wikipedischen Irrtum
teilt; es gibt allerdings Informationsquellen außerhalb des Internets, aber das
ist nun fast schon eine epochale Neuheit.“
Pantalone fragt nochmals:
„Welche zweite Autorität musstest Du denn noch anpinkeln?“
„Als Du auf der Suche nach
Bildern von Bechard warst, da liefertest Du auch einige, die vom Musee d`Orsay
ins Netz gestellt wurden. Das Überraschende war, dass trotz der Vorliebe des
Franzosen, berühmte Leute einzubürgern, wie es Sebah geschah, und so den Ruhm
der Grande Nation zu mehren, die Verantwortlichen im Museum die Bilder
seitenverkehrt eingescannt haben, dann wurde der Namen des Photographen
getilgt. Eine Gegenüberstellung (mit dem retournierten Bild) beider Variationen
zeigt dies. Nun war Bechard offenkundig Franzose, warum unterschlägt man im
Musee d`Orsay seine Signatur?“
„Nicht nur die Römer, auch
die romanisierten Museumsgallier sont …. ! Wie sagt man so treffend mit Bloch:
Errare humanum est, humanior est dubitare. Aber, so ein wenig erinnerst Du mich auch an den Ritter von der traurigen Gestalt in seinem Kampf gegen die Windmühlen.“
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