Freitag, 4. November 2011

Lübke-Effekte in der Literatur

Politisch war gegen das Staatsoberhaupt gar nicht so viel einzuwenden, aber seine Harmlosigkeit verbunden mit Altersdefiziten war unerträglich. Die kabarettistische Sammlung seiner Lapsus, die nicht einmal den Charme Freudscher Fehler hatten, milderte diese Peinlichkeit nicht. Nie hat Pantalone die Partei gewählt, aus der er stammte, gleichwohl war es eben auch sein Präsident, die Fehlleistungen waren ihm unmittelbar peinsam.

Noch schlimmer ist es, wenn man sich das Objekt seiner Identifikation selbst ausgewählt hat und dann erleben muss, dass es sich peinlich verhält oder verhalten hat. Das ist Pantalone bei zwei deutschsprachigen Dichtern geschehen.

Zusammen mit Achim von Arnim hatte Clemens von Brentano viele „Alte deutsche Lieder“ gesammelt, dies machte die Beiden für Pantalone sympathisch; wenn sie nur allein das „Bucklicht Männlein“ vor dem Vergessen bewahrt hätten, es wäre genug gewesen. Dann hat sich immer wieder Enzensberger Brentano gewidmet, also erwarb Pantalone ahnungslos das in der Friedenauer Presse erschienene Buch „Requiem für eine romantische Frau“, das hätte er besser unterlassen. Denn seit der Lektüre, insbesondere des Gedichtes „Wohlan! So bin ich deiner los“, hat es Brentano bei Pantalone verschissen.

Frisch verwitwet fand Clemens Gefallen an Fräulein Auguste Bußmann, die zu den Frauen gehört, die ihre psychische Situation in Zeiten der Krise durch unbändige Anschmiegsamkeit zu kompensieren trachten, also letztlich mit ihrer weiblichen Attraktivität das Defizit an seelischer Ausgeglichenheit wettmachen wollen, bösartig ausgedrückt, sie war bisweilen nymphoman. [Hier fällt auf, dass es sicherlich bei Männern genauso ist, aber die Normen für männliches Sexualverhalten sind eben weiter gefasst.] Die kurzerhand abgeschlossene Ehe war eine klassische Messaliance, die alsbald betriebene Scheidung war mühselig und langwierig.

Nun ist Clemens von Brentano Dichter, also glaubt er, es sei sinnvoll, dieses Lebensabenteuer auch lyrisch zu verarbeiten. Das Ergebnis ist nur peinlich zu nennen:

Wohlan! so bin ich deiner los
Du freches lüderliches Weib!
Fluch über deinen sündenvollen Schoß
Fluch über deine lüderlichen Brüste
Von Zucht und Wahrheit leer,
Von Schand´ und Lügen schwer,
Ein schmutzig Kissen aller eklen Lüste. ….

Pantalone kann sich nicht daran erinnern, je weibliche Brüste voll von Zucht und Wahrheit gestreichelt oder liebkost zu haben, wiegen sie lieblicher in der Hand? Brentano ist blind seiner eigenen Vergangenheit gegenüber nur zu gern Opfer von Verdrängung und Projektion. Nicht war er begierig auf Auguste, sondern sie hat ihn von seinem geordneten Weg weggelockt. So einfach macht er sich es. Statt seiner Geilheit eingedenk zu sein und zu ihr zu stehen, muss er sie mit all seinen eigenen, nun nicht mehr geliebten Eigenschaften belasten.

Später – sowohl im Gedicht, wie im Leben – wendet es sich seinem „Herrn“ zu, so dass Pantalone bei sich Brentano in die „katholische Kiste“ steckte und sich damit das Ganze erklärte. Irrtum!

Ungefähr 1905/6 büffelt Franz Kafka für das juristische Staatsexamen, ihm ist jede Ablenkung recht. Im Haus gegenüber arbeitet ein „Ladenmädchen“, das ihm Avancen macht. Ohne größere Präliminarien vereinigt sie sich mit ihm in einem Hotel, das wiederholt sich einmal. 14 Jahre später erzählt er dies Milena in einem Brief, wobei eine winzige Geste des Mädchens ausgereicht habe, in ihm „dieses Abscheuliche und Schmutzige“ vor Augen zu führen, zu dem er sich hingezogen fühlt, es aber verabscheut. Warum aber macht er es an dem armen Mädchen fest, das auch einmal um den Preis der Hingabe in die bessere Welt eintauchen wollte? Kafka verdammt in dem Verhalten des Mädchens ein klassenmäßiges Sexualverhalten, wobei seine eigene Handlung doch auch nur Sex a` la Gutsherrenart ist. Was glaubt er erwarten zu können angesichts der Unmittelbarkeit, mit der er intim wird? Mit Denken des 19. Jahrhunderts will Pantalone solch eine Distanzlosigkeit nicht erklären. Einen solchen Brief mag man nicht empfangen haben, Milena hat ihn bekanntlich auch nicht geheiratet.

So rückt denn auch Kafka etwas in die nun mit „peinlich“ bezeichnete Kiste; jedoch ist es sicherlich ein Fehler, neben dem Werk auch dessen Hersteller zu betrachten. Auch ist eine Identifikation mit Kunstproduzenten untunlich. Wenigstens wollte Kafka das alles nicht veröffentlicht wissen.

Dottore stimmt ausnahmsweise zu: „Man soll nur mit einer Frau ins Bett gehen, neben der man nächsten hellen Morgen frohgemut und auch noch voller Selbstachtung aufwachen kann.“

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