Bei der Erfindung der
Fotografie kann man sich ein wenig darüber streiten, ob die neue Technik mehr
in Frankreich oder in England erdacht wurde, jedenfalls galt Frankreich im 19.
Jahrhundert als Hort dieser neuen Kunst, denn als solche wurde diese
Abbildungstechnik betrachtet. Viele trachteten danach, in diesem Bereich nun
ihr Geld zu verdienen, genauso wie ab 1950 Menschen ihr teilweise sehr
einkömmliches Auskommen in der Sparte gefunden hatten, die man früher mit EDV
bezeichnete. Nun konnten nicht alle in Paris oder London tätig werden, sie mussten
in die Welt ziehen. Alphonse Rubellin wählte sich als Ort seines weiteren
Schaffens Smyrna aus, dort verhehlte er nicht, dass er aus der Hauptstadt des
19. Jahrhunderts stammte, aus Paris.
Dieser Post ist
gleichsam ein Abfallprodukt von Pantaleones unstillbarem Such(t!)en nach erst
Postkarten, später Bildern aus Smyrna. Mittlerweile ist er bei weit über 3000
Postkarten in allen möglichen Variationen dieser Stadt angekommen, die Menge quillt
ihm gleichsam aus den Fingern und lähmt seine sonstige Schaffenskraft. Dabei
nun ist er als gründlicher Mensch darauf gestoßen, dass es nicht eine unendliche
Vielzahl an Motiven gibt, sondern dass zählbare, vorhandene Motive immer wieder
abgebildet wurden. Und, wenn man immer wieder identische Motive abbildet, kann
man auch die gleiche Photographie nehmen, sei es schwarz-weiß oder coloriert, sei
es flächendeckend oder als Vignette, sei es zum Holzstich mutiert, immer wieder
tauchen dieselben Aufnahmen auf. Vor-Bilder werden die Aufnahmen hier genannt,
weil sie später in immer neuen Variationen als Postkarten auftauchen, darüber
muss dann Pantalone Schlaues verbreiten, aber eben in dem entsprechenden Blog.
Als relativ große Bilder erscheinen sie hier.
Rubellin war nun also
in Smyrna, dies ungefähr ab 1860, er war ein vorzüglicher Fotograf, jedoch ein
miserabler Dunkelkammerarbeiter. Dieses Bild des Schiffes USS Trenton ist nicht
sein frühestes, das Schiff ist erst 1876 in Dienst gestellt worden. Ein Jahr
später war es in Smyrna, und dieses Bild ist nun geradezu ein Muster dafür, wie
schlecht Rubellin seine Bilder entwickelte bzw. entwickeln ließ. Das mag vielleicht
auch daran gelegen haben, dass er in Smyrna schwieriger an die chemischen
Materialien heran kam, die er für seine Arbeit brauchte. Geradezu negativ kennzeichnend
ist eine Unzahl von kleinen weißen Punkten, die seine Bilder überziehen. Es ist
andernorts in diesem Blog schon dargelegt worden, wie das geschieht, jedenfalls
fällt Rubellin in der Umsetzung seiner ansonsten sicherlich feinen Bilder weit
hinter die Bearbeitung seiner Kollegen Sebah (in Konstantinopel) und Bonfils
(in Beyrouth) zurück.
Von dem Hügel, auf
dem in der Antike ein Tempel stand, an dessen Hängen sich im 19. Jahrhundert muslimische
und mosaische Friedhöfe erstreckten, sieht man auf die große Kaserne, die den
Namen Sarıskısla trug. Dottore wird von der Idee besessen, dieses Gebäude sei
mit dem großen Hospital identisch, dass die Engländer in der Zeit des
Krimkrieges in Smyrna hatten errichten lassen. Aber, dass es nur eine
Vermutung. In der Bucht vor der Stadt liegen die Schiffe auf Reede, Hafenbauten
sind nicht ersichtlich. Wer genauer hinsieht, kann erkennen, dass der neben der
Kaserne stehende Konak noch eingerüstet ist. Allgemein wird behauptet, dies
Regierungsgebäude sei 1868 fertiggestellt worden, also muss dieses Bild von Rubellin
früher gemacht worden sein.
Eine erste Spur von
den zukünftigen Hafenbauten ist auf dem nächsten Bild zu erkennen. Die
längliche Struktur inmitten der ankommenden Schiffe ist die Mole, auf der sehr,
sehr viel später die Duoane genannten Lagerhallen gebaut wurden. Nördlich des
Platzes vor dem Konak sieht man noch eine Bucht, sie ist der Rest des uralten
Hafens, der während der Antike und des Mittelalters sich tief in das heutige
Stadtgebiet hinein erstreckte. Bei diesen und den folgenden Aufnahmen sollte
man sein Augenmerk immer auf die Küstenlinie richten, die selbst in den Zeiten
des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts noch lange nicht die schöne
Geschlossenheit hatte, die Smyrna um die Jahrhundertwende auszeichnete. Die
Küste war eben an Anlandeplatz, dort gab es Lagerhäuser und Stapelplätze.
Auf diesem Bild kann
man die auf dem vorigen abgebildete Errungenschaft des Baus der Mole nicht ausmachen,
es muss also früher angefertigt worden sein. Ob es von Rubellin stammt, ist
unklar. Dies jedenfalls, soweit es die unteren zwei Drittel des Bildes
betrifft. Die Bilderdaten schwirren in einem sehr schlechten Zustand durch das
Netz, insbesondere die jenseits des Meeresarmes liegenden Berge sind völlig verschwommen
abgebildet gewesen. Da aber die unteren 66 % doch sehr interessant waren,
spendierte Alphonse Rubellin vom vorhergehenden Bild die Hintergrundberge, die
dann Pantalone gekonnt im richtigen Gefüge hinein setzte. Das Bild ist also zu
mindestens mit 34 % von Rubellin. Hinsichtlich des Ausbauzustandes des Hafens
gilt das gleiche wie für das vorherige Bild. Der Zustand des Gebäudes, das sich
dort erhebt, wo heutzutage noch der Konak steht, ist unklar.
Wer der Ansicht ist,
dieses Bild sei mit dem vorletzten identisch, hat nicht genau zu hingeschaut.
Es ist davon auszugehen, dass der gleiche Fotograf, hier also Alphonse Rubellin,
von der gleichen Stelle wenige Zeit später eine zweite Aufnahme machte,
mittlerweile aber hatte der Wind gedreht, die Schiffe schwojen in andere
Richtung. Dies ist die spätere Ausnahme ist, was sich daraus ergibt, dass das
kleine Schiff nunmehr abgelegt hat, sein Bugspriet ist nach links, also nach
Westen gerichtet, es läuft aus.
Bei nachlässiger
Betrachtung dieses Bildes könnte man zum Ergebnis kommen, es sei ein teilweiser
Ausschnitt (und etwas darüber hinausgreifend) vom vorherigen Bild. Dies täuscht
jedoch. Zieht man eine Linie von den Bäumen, die räumlich hinter dem landeinwärts
gerichteten Flügel des Konak stehen, zu dem weit dahinter stehenden Turm von Agios
Photini, dann erkennt man, dass dieses Bild von einem Standpunkt aus gemacht
wurde, der weiter östlich liegt. Diese Aufnahme wird zeitlich ziemlich spät
sein, da man schon die Gerüste des Gasbehälters erkennt, und den Skelettbau des
Wasserturms.
Hier nur ein Bild in
die Gegenrichtung, die Küste ist noch sehr unansehnlich, die Hafenmole, die
später die Douane genannten Lagerhallen tragen wird, ist noch schmal und dient
als Anlegeplatz für meist kleinere Schiffe.
Einige Zeit später
war die Mole weiter in die Bucht hinein gebaut worden, auch der Querbau des
Wellenbrecher war schon errichtet mitsamt einer künstlichen Insel, auf der es
gleichsam eine erste Douane gab, ein sogenanntes Zollaußenlager. Das dunkle
Gebilde in der Mitte ist ein großer schwimmender Eimerbagger, der - von einer
Dampfmaschine angetrieben - der permanenten Verlandung entgegenwirken musste.
Auf dem vorherigen Bild und diesen ist am linken Bildrand der Steinbruch zu
sehen, der dem späteren Vorort den Namen gab, Karatasch. So ist das mit den
Türken, erst bauen sie einen riesigen Höhenunterschied auf durch die Anlage
eines Steinbruchs, um dann diese Höhendifferenz mittels eines Aufzuges zu
überwinden, bis heute tut dies brav der Asansör.
Hier nun sind die Hafenbauten erkennbar, die teilweise noch heute vorhanden sind. Die lange Bebauung der Duoane ist fertig gestellt, ihr gegenüber besteht noch die kleine Insel mit dem ursprünglichen Zolllager, die Einbuchtung zum alten Hafen ist verschwunden, der jüdische Friedhof im Vordergrund (Steinplatten) ist noch vorhanden, die in der großen Kaserne dienenden Soldaten sind nach wie vor damit beschäftigt, auf ihrem Übungsgelände Zelte zu bauen.
Auch weiter nördlich
an der Küste tat sich etwas: es wurde eine weitere Mole gebaut, die dann später
- auch breiter geworden - mit den Gebäuden des Passeportes bebaut wurde.
Erkennbar ist neben dem vor der Küste liegenden Schiff schon die Hafenlaterne
für das grüne Licht, die Küste selbst ist Holzlager und wenig attraktiv. Auch lassen
die Typen der Schiffe darauf schließen, dass sie sich um eine relativ frühe
Aufnahme handelt
Die Geschichte Smyrna
ist ein Jahrtausende währendes Vorschieben der Küstenlinie. Nun ist aber nicht
nur der jeweilige Beginn des festen Landes vorgeschoben worden, sondern die
Verlandung ging auch unter Wasser weiter. Das bewirkte, dass Smyrna ein
Flachwasserhafen war, in dem es großen Schiffen nicht möglich war, unmittelbar
anzulanden, um Waren und Menschen zu
leichtern. Sie mussten deshalb auf Reede liegen und wurden dann mit antriebslosen
Schiffen, sogenannten Leichtern oder Prahmen oder Bargen ent- und beladen, ein
aufwändiges und teures Unterfangen. Die Bucht ist voll von diesen Schiffen, die
auf ihren nächsten Einsatz warten, meist werden sie von kleinen Dampfern hin
und her bugsiert. (Diese Prahmen spielen dann später, nämlich 1919 und 1923,
eine wichtige bis verhängnisvolle Rolle).
Diese Aufnahme ist
zum einen etwas korrigiert worden, nämlich um 3°, ansonsten liefe nämlich wie
auf dem Original nach rechts das Meer aus, das Bild war also schief. Zum andern
ist ziemlich in der Mitte genau das anzutreffen, was hier einmal unretuschiert
belassen wurde, nämlich das Zeugnis des relativ sorglosen Umgangs des Ateliers
Rubellin mit dem Medium Fotografie. Wer sich die Bäume in der Mitte genau
ansieht, erblickt in deren Mitte wiederum eine graue, eigenartig geriffelte Fläche,
so hat damals das Atelier Rubellin offenbare Fehlstellen im Negativ
„retuschiert“. Überall sonst hat der umtriebige Pantalone solche Fehlstellen in
gekonnter Manier per Photoshop entfernt, hier aber hat er sie zum Zwecke der
Demonstration einmal belassen. Wir sehen das türkische Viertel und die Bucht
von Smyrna.
Das schöne antike
Theater der Stadt Smyrna fiel dem Ehrgeiz eines Wesirs zum Opfer, der sich
verewigen wollte. So wurde denn im 17. Jahrhundert das bis zu diesem Zeitpunkt
relativ gut erhaltene Theater abgerissen und aus seinen Steinen wurden zwei Han
gebaut, Büyük Vezir Han und Küçük Vezir Han. Die Dächer des einen mit den zahlreichen
Kaminen sind noch zu sehen, im Hintergrund die tonnenförmige Überdachung eines
insoweit „gedeckten“ Basars. Heute finden wir so etwas meist in syrischen Raum,
soweit von derartigen Bauten noch etwas erhalten sein sollte.
Nun fällt der Blick
auf den Han, den Dottore für den Dervioglu Han hält, wobei dieser und die beiden
Vezir Han dem Brand von 1922 zum Opfer gefallen sind: Das, was heute als Basar
noch in Izmir steht, ist nichts weiter als ein kläglicher Rest der früheren
bunten und weitläufigen Vielfalt.
Hier nun sehen wir
von unten die Bäume des moslemischen Friedhofes, die auch auf einem
vorhergehenden Bild zu sehen waren, dort mit dem Retuschefleck à la Rubellin in
der Mitte. Oben am rechten Bildrand erkennen wir das sogenannte Grab des Polycarp,
eine Stelle an der sich heute eine Niederlassung der Feuerwehr befindet mitsamt
einem altertümlichen Beobachtungsturm.
Dieses fast
panoramaartige Bild zeigt uns im Vordergrund die St. Georgskirche, es ist
sicherlich vom Turm von Agios Photini aus fotografiert worden. Der Horizont
reicht von Kadifekale über die Vertiefung, in der einst das große Stadion war
(erkennbar wieder die Zypresse des Grabes des heiligen Polycarp).
Der Turm war so etwas
wie das Wahrzeichen der griechischen Christen in Smyrna, ragte er doch
antithetisch zu den Minaretten in den Himmel. Kein Wunder, dass ihm keine
Existenz nach 1922 beschieden war. Im Vertrauen: besonders schön findet ihn Dottore
nicht.
Dottore ist, was
nicht bestritten wird, altertumswissenschaftlich orientiert, er sucht also alle
die Dinge, die von unseren Vorfahren stammen, und meist findet er etwas. Gibt
er nun seiner Vorliebe nach, so muss er zuerst im unmittelbaren Vordergrund des
Bildes die Mönch-Nonnen-Ziegeln erwähnen, die ein Überbleibsel aus der Antike
sind. Damals beherrschte man die Kunst des „Ziegel-Brennens“ sehr akkurat; die
Abdeckung auf dem Dach gegen die Unbillen der Natur bestand aus zwei
unterschiedlichen Arten von Ziegeln, breiten, flachen Ziegeln, die am Rand
jeweils hochgewölbt waren, und kleinen runden Ziegeln, die diese Wölbung
überdeckten. Nach der Spätantike ging die Fähigkeit verloren, solch breite
große Ziegel herzustellen, man konnte nur noch die kleinen runden Ziegel
fabrizieren. Und so legte man diese Ziegel einmal konvex, einmal konkav und
hatte so auch wieder eine perfekte Dachdeckung, in Mitteleuropa wird diese
Dachdeckung als Mönch-Nonnen-Ziegel bezeichnet, heute müsste man so etwas als
sexistische Sichtweise diffamieren. Beherrschend auf dem Bild ist eine Moschee,
der Hintergrund wird von der Kadifekale genannten Festung bestimmt, sie hat
byzantinische, oberitalienische und seldschukische Er- und Überbauer. Fast
übersehen auf diesem Bild wird jedoch ein kleines Dreieck, was der Höhe des
Bildes nach ziemlich in der Mitte sich erhebt, nach der Breite am Übergang
zwischen ersten und zweiten Drittel rechts – links: es ist der damals noch
vorhandene, seit kurzem wieder von der Überbauung befreite Rest des Theaters,
damals eben noch besser erhalten.
Dieses Haus steht
zum Zeitpunkt der Aufnahme am Meer, ein großes und repräsentatives Gebäude. Das
Meer erweist sich aber als treulos, heimlich, still und leise zieht es sich
zurück. Natürlich nicht, vielmehr wird es verdrängt, mit Schutt und anderem
Überresten aufgefüllt. Die beherrschende Lage der die Stadt vor Eindringlingen
schützenden Festung von Sandschak beruht auf einem ähnlichen, allerdings mehr
natürlich erscheinenden Vorgang: Der Fluss Hermos baute so stark sein Delta
aus, dass dieses ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Stadt vom Meer abzuschneiden
drohte, die noch ankommenden Schiffe mussten dicht am Südufer der Golfes
geradezu „unter den Kanonen“ des Forts einlaufen.
Auf beiden englischen
Seekarten ist der neue Verlandungsstreifen deutlich zu sehen (und von Pantalone
farbig markiert).
Auf der
Ausschnittvergrößerung erkennt man nun zweierlei: Fast in der Mitte des Bildes
steht das fragliche Gebäude noch am Meer, etwas oberhalb davon ragt die letzte
große Windmühle am Hafen als weißer Turm hoch auf.
Nun endlich ist es
geschafft, die neue Küstenlinie liegt mindestens 30 m vor dem beschriebenen,
vielfach gezeigten Gebäude, der Modernisierung ist auch die letzte Windmühle
zum Opfer gefallen, Smyrna verwandelt seine Küste von einer produzierenden Zone
zur Promenade.
Und so sieht sie denn
nun aus, die herrliche Uferpromenade der „les Quais“. Rechts groß und noch zweistöckig das Hotel
(und Bierhalle) Krämer. Ganz hinten die Villenreihen der Bellevue, einer der
Eigentümer dieser Bauten ist die Familie Guiffray, sie betreibt die Pferdebahn,
die von nun an bis in die 1930er Jahren das Bild der Uferpromenade prägen wird,
hier sind die Häuschen der Haltepunkte
noch nicht errichtet.
Und wieder einmal
hatte sich Alphonse auf eines der heckwärts liegenden Schiffe begeben, um von
dort eine Aufnahme auf die Quais zu machen, nunmehr ein wenig weiter südlich.
Leider sind die Angler nicht statisch genug, ihre Auswurfbewegungen versauen jedes
damalige Bild, die Heftigkeit ihrer Körperdrehung verträgt sich nicht mit der
zwangsläufigen Dauer der Belichtung.
Der Wasserkante von
Smyrna war und ist bis heute die beschriebene Eigenschaft zuzuordnen, meerwärts
zu wachsen, die dort stehenden Häuser wollen dahinter nicht zurückstehen, sie
wachsen nach oben, werden aufgestockt und mit hohen Anbauten versehen. Heute
noch sind beide Veränderungsarten in Izmir festzustellen. Bei dieser Aufnahme
nun sind Meister Rubellin ganze vier Pferdebahnwagen vor die Linse gefahren, welch ein
Glückstag für ihn!
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