Wer sich mit Bildern
beschäftigt, die aus Smyrna, heute Izmir, stammen, stößt alsbald auf einen
etwas unbedarft in die Kamera schauenden Menschen, von dem es heißt, er sei ein
reicher Kaufmann aus Smyrna.
Der Hersteller dieser
Postkarte, der in Konstantinopel tätige Verleger Max Fruchtmann, verrät uns
nicht, warum ein begüterter Kaufmann aus Smyrna ein Gewehr in der Hand halten
muss, einen Säbel, einen Dolch und eine Pistole im Bund hat, darüber ein Deckchen
trägt und zudem noch in der linken Hand eine lange Pfeife. Ende des 19.
Jahrhunderts waren die Kaufleute, auch wenn sie türkischer Herkunft waren, in
der faktischen Hauptstadt der Levante nicht so verkleidet.
Hinter dem Namen
bedeutender englischer, besser britischer Menschen kann man häufig einzelne
große Buchstaben finden, sie lassen erkennen, der Inhaber des Namens ist
zugleich Inhaber eines Ehrentitels, die Aristokratie feiert fröhliche Urständ.
Was hat es nun mit Mustapha OLTM auf sich? Nein, es ist nicht ein Mitglied
eines königlichen Beratergremiums für die Suche nach Eichen für königliche
Barken, bei der abgebildeten Person handelt es sich auch mitnichten um einen
reichen, aus Smyrna stammenden Kaufmann, sondern es ist Mustafa, Osmans Last Top
Model.
Die Situation der in
Smyrna lebenden Levantiner und der diese Stadt besuchenden europäischen
Reisenden war dadurch geprägt, den Ort zugleich als letzten Vorboten Europas
wie auch als erste Stätte des weiten Asiens zu betrachten. Die dort lebenden,
ihre Vorfahren nicht aus Europa herleitenden Bewohner waren nach der
Überheblichkeit des 19. Jahrhunderts „Eingeborene“. Solche Eingeborenen musste
man dann präsentieren, wenn es darum ging, anderenorts zu zeigen, in welch ferne
Gefilde man sich schon vorgewagt hatte. So also gingen die Reisefotografen daran,
die nun für solche Zwecke Postkarten herstellten oder die Vorlagen dazu, Bilder
aufzunehmen, die dem gängigen Klischee entsprachen.
Wenn man nur ein wenig
weiter sucht, so findet man jenen „reichen Kaufmann aus Smyrna“ nun als „Mustafa
mit seiner Pfeife“, wobei er in seiner linken Hand ein Gerät hält, dass zum
Rauchen von Cannabisprodukten geeignet scheint. Auch andere
Postkartenherausgeber fanden, „Mustapha mit seiner famosen Pfeife“ sei ein gut
verkäufliches Postkartenmotiv, zudem wird er noch als exzentrischer Mekka-Pilger
ausgezeichnet. Da die Üblichkeit bestand, einander die Motive zu klauen, starrt
uns Mustafa in unterschiedlicher Verkleidung immer wieder an, hier noch mit
seiner famosen Pfeife, dann mit seinem Stock (nunmehr weiß gewandet) und
schließlich gar als Radfahrer, wobei sich jedem aufmerksamen Betrachter die
Frage aufdrängt, wie kann Mustapha verhindern, dass die Trotteln seines Hosenbandes
in die Kette geraten.
Ein wirklich reicher
Kaufmann, zudem Muslim, hätte sich für kein Geld der Welt so schäbig abbilden
lassen. Mustafa ist also ein beliebtes Fotomodell für die Reisefotografen des
19. Jahrhunderts gewesen, wenn sie eben etwas “Landestypisches“ darstellen
wollten, fraglich bleibt dabei, ob das Fahrrad damals wirklich ein übliches und
häufig benutztes Verkehrsmittel in Smyrna war.
Das Deutsche Archäologische
Institut, Zweigstelle Istanbul, hatte vor Jahrzehnten eine gute Idee, es erwarb
das Archiv des Fotoateliers Sebah & Joaillier, darunter befand sich die Uraufnahme
jenes reichen smyrniotischen Kaufmannes. Nun ist das DAI ein staatliches, wird nämlich
fast nach seiner Gründung aus Steuergeldern getragen, was als Kulturpolitik ein
vernünftiges Unterfangen ist; gegenwärtig scheint es allerdings so, dass es zu
sehr in die Fänge der Politik geraten ist, die es zu einem Werkzeug der
deutschen Außenpolitik machen wollen, was dadurch leicht möglich ist, da das
DAI beim Außenministerium ressortiert.
Die schädlichen
Folgen solcher anderweitigen Beschäftigung verbunden mit der unsinnigen
Verbindung von Forschung und Verwaltung ist sicherlich eine der Ursachen dafür,
dass Norbert schon über acht Jahre, Robert schon fast vier Jahre auf die
Druckerlaubnis warten. Denn ist es so, dass bestimmte Bücher im
Wissenschaftsbereich mit kleinen Auflagen nur dann gedruckt werden können, wenn
es einen Zuschuss gibt. Zugleich kann das DAI seine immense Bedeutung für die
Kultur dadurch unter Beweis stellen, dass es Publikationsreihen unterhält, in
die dann solche Werke aufgenommen werden. Aber, ach, es gibt so viel zu
bewältigen, Norbert und Robert werden noch lange Zeit warten müssen, früher
nannte man so etwas schlicht Schlamperei, jede andere Bewertung ist
euphemistisch und unangemessen.
Im Laufe der weit
über 100 Jahre andauernden Tätigkeit hat das DAI nun Archive und Bibliotheken
angehäuft, wobei es sich allerorten immer mehr eingebürgert hat, die eigenen
Bildbestände zu schützen. Und siehe da, Mustafa taucht wieder auf, nun – in
urheberrechtliche Ketten geschlagen – wieder als reicher Kaufmann aus Smyrna,
allerdings unter Wahrung dessen, was man dort so als Urheberrecht versteht,
also mit bräsigen Wasserzeichen verhunzt. Dass Mustafa so gezeigt wird, wie er
von den geschäftstüchtigen Fotografen ausstaffiert und sein Bild beschriftet
wurde, ist auf mangelnde Sachkenntnis zurückzuführen, aber das soll nicht
weiter verwundern. Ein eigener Posten für die Wahrung des wirklichen oder
vermeintlichen Urheberrechtes ist beim DAI eingeführt worden, wobei der
gegenwärtige Inhaber sich nicht durch juristische oder wirtschaftliche
Sachkenntnis auszeichnet, sondern ein ausgewiesener Sachkenner der Landschaft
des südlichen Griechenland es ist. Irgendwo muss man die Leute doch unterbringen
und dann beschäftigen.
Von Mustafa gibt es
nur noch eine zweite Aufnahme, die vollends überdreht ist. Er hat nun seine
Donnerbüchse abgelegt und stattdessen ein Tässchen Kaffee in der Hand, so als
wolle er die Leitfigur in Mozarts Kanon verkörpern: C-A-F-F-E-E … . Kein Schütze, der mit einem
Gewehr umgehen kann, würde sein Gewehr so flach hinlegen, kein Türke würde
seine Kaffeetasse neben seinen Schuhen auf den Boden stellen, zudem kann sich
Mustafa gar nicht so weit hinunterbücken, da ihn das zum Zwecke des
Fotografierens aufgedrückte Gelersch vor dem Bauch daran hindern wird. Es ist
also eines jener üblen, falsch arrangierten Bilder, diese Urteil trotz der grundsätzlichen
Geneigtheit von Dottore für Sebah & Joaillier, von der Schwärmerei Pantalones
ganz abgesehen.
Aber nicht nur das
DAI reklamiert nun Mustafa für sich, sondern auch jenes Unternehmen, das aus
dem Nachlass des Herrn Getty erwachsen ist, erheischt die Rechte an dem Bild.
Der einzige Unterschied besteht darin, dass das Kaffeetassen-Bild von Getty
Images in sepia gehalten ist, während das DAI die schwarz-weiße Version
präsentiert.
Nun, das lässt sich
ändern, die Frage bleibt nun, wem gebührt nun das unwahrscheinliche Urheberrecht
an diesem Bild?
Man kann sie
miteinander kombinieren, also in das etwas größere Bild – in sepia gewandelt – das
Gettybild hineinkopieren, dann streiten sich die beide um die Fetzen. Man kann
aber auch Ordnung schaffen, also dem Mustafa erst mal die Flinte von dem
Staffagefelsen wegnehmen und ordnungsgemäß an die Wand lehnen. Dann gibt man
dem Ganzen noch einen schönen warmen Sepiaeton und behauptet in weiterer rüder Usurpation,
das Bild sei nunmehr mit dem Urheberrecht von Pantalone & Joallier, wobei
die Fähigkeit, Bilder zu bearbeiten ein höheres Maß an Aneignung begründen kann
als das schlichte Scannen von Vorlagen.
Und so lebt denn
Mustapha weiter in einem ewigen Urheberhickhack, das hätte er sich nie träumen
lassen.
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