Montag, 5. September 2016

Mustafa OLTM

Wer sich mit Bildern beschäftigt, die aus Smyrna, heute Izmir, stammen, stößt alsbald auf einen etwas unbedarft in die Kamera schauenden Menschen, von dem es heißt, er sei ein reicher Kaufmann aus Smyrna.


Der Hersteller dieser Postkarte, der in Konstantinopel tätige Verleger Max Fruchtmann, verrät uns nicht, warum ein begüterter Kaufmann aus Smyrna ein Gewehr in der Hand halten muss, einen Säbel, einen Dolch und eine Pistole im Bund hat, darüber ein Deckchen trägt und zudem noch in der linken Hand eine lange Pfeife. Ende des 19. Jahrhunderts waren die Kaufleute, auch wenn sie türkischer Herkunft waren, in der faktischen Hauptstadt der Levante nicht so verkleidet.


Hinter dem Namen bedeutender englischer, besser britischer Menschen kann man häufig einzelne große Buchstaben finden, sie lassen erkennen, der Inhaber des Namens ist zugleich Inhaber eines Ehrentitels, die Aristokratie feiert fröhliche Urständ. Was hat es nun mit Mustapha OLTM auf sich? Nein, es ist nicht ein Mitglied eines königlichen Beratergremiums für die Suche nach Eichen für königliche Barken, bei der abgebildeten Person handelt es sich auch mitnichten um einen reichen, aus Smyrna stammenden Kaufmann, sondern es ist Mustafa, Osmans Last Top Model.


Die Situation der in Smyrna lebenden Levantiner und der diese Stadt besuchenden europäischen Reisenden war dadurch geprägt, den Ort zugleich als letzten Vorboten Europas wie auch als erste Stätte des weiten Asiens zu betrachten. Die dort lebenden, ihre Vorfahren nicht aus Europa herleitenden Bewohner waren nach der Überheblichkeit des 19. Jahrhunderts „Eingeborene“. Solche Eingeborenen musste man dann präsentieren, wenn es darum ging, anderenorts zu zeigen, in welch ferne Gefilde man sich schon vorgewagt hatte. So also gingen die Reisefotografen daran, die nun für solche Zwecke Postkarten herstellten oder die Vorlagen dazu, Bilder aufzunehmen, die dem gängigen Klischee entsprachen.


Wenn man nur ein wenig weiter sucht, so findet man jenen „reichen Kaufmann aus Smyrna“ nun als „Mustafa mit seiner Pfeife“, wobei er in seiner linken Hand ein Gerät hält, dass zum Rauchen von Cannabisprodukten geeignet scheint. Auch andere Postkartenherausgeber fanden, „Mustapha mit seiner famosen Pfeife“ sei ein gut verkäufliches Postkartenmotiv, zudem wird er noch als exzentrischer Mekka-Pilger ausgezeichnet. Da die Üblichkeit bestand, einander die Motive zu klauen, starrt uns Mustafa in unterschiedlicher Verkleidung immer wieder an, hier noch mit seiner famosen Pfeife, dann mit seinem Stock (nunmehr weiß gewandet) und schließlich gar als Radfahrer, wobei sich jedem aufmerksamen Betrachter die Frage aufdrängt, wie kann Mustapha verhindern, dass die Trotteln seines Hosenbandes in die Kette geraten.



Ein wirklich reicher Kaufmann, zudem Muslim, hätte sich für kein Geld der Welt so schäbig abbilden lassen. Mustafa ist also ein beliebtes Fotomodell für die Reisefotografen des 19. Jahrhunderts gewesen, wenn sie eben etwas “Landestypisches“ darstellen wollten, fraglich bleibt dabei, ob das Fahrrad damals wirklich ein übliches und häufig benutztes Verkehrsmittel in Smyrna war.

Das Deutsche Archäologische Institut, Zweigstelle Istanbul, hatte vor Jahrzehnten eine gute Idee, es erwarb das Archiv des Fotoateliers Sebah & Joaillier, darunter befand sich die Uraufnahme jenes reichen smyrniotischen Kaufmannes. Nun ist das DAI ein staatliches, wird nämlich fast nach seiner Gründung aus Steuergeldern getragen, was als Kulturpolitik ein vernünftiges Unterfangen ist; gegenwärtig scheint es allerdings so, dass es zu sehr in die Fänge der Politik geraten ist, die es zu einem Werkzeug der deutschen Außenpolitik machen wollen, was dadurch leicht möglich ist, da das DAI beim Außenministerium ressortiert.


Die schädlichen Folgen solcher anderweitigen Beschäftigung verbunden mit der unsinnigen Verbindung von Forschung und Verwaltung ist sicherlich eine der Ursachen dafür, dass Norbert schon über acht Jahre, Robert schon fast vier Jahre auf die Druckerlaubnis warten. Denn ist es so, dass bestimmte Bücher im Wissenschaftsbereich mit kleinen Auflagen nur dann gedruckt werden können, wenn es einen Zuschuss gibt. Zugleich kann das DAI seine immense Bedeutung für die Kultur dadurch unter Beweis stellen, dass es Publikationsreihen unterhält, in die dann solche Werke aufgenommen werden. Aber, ach, es gibt so viel zu bewältigen, Norbert und Robert werden noch lange Zeit warten müssen, früher nannte man so etwas schlicht Schlamperei, jede andere Bewertung ist euphemistisch und unangemessen.


Im Laufe der weit über 100 Jahre andauernden Tätigkeit hat das DAI nun Archive und Bibliotheken angehäuft, wobei es sich allerorten immer mehr eingebürgert hat, die eigenen Bildbestände zu schützen. Und siehe da, Mustafa taucht wieder auf, nun – in urheberrechtliche Ketten geschlagen – wieder als reicher Kaufmann aus Smyrna, allerdings unter Wahrung dessen, was man dort so als Urheberrecht versteht, also mit bräsigen Wasserzeichen verhunzt. Dass Mustafa so gezeigt wird, wie er von den geschäftstüchtigen Fotografen ausstaffiert und sein Bild beschriftet wurde, ist auf mangelnde Sachkenntnis zurückzuführen, aber das soll nicht weiter verwundern. Ein eigener Posten für die Wahrung des wirklichen oder vermeintlichen Urheberrechtes ist beim DAI eingeführt worden, wobei der gegenwärtige Inhaber sich nicht durch juristische oder wirtschaftliche Sachkenntnis auszeichnet, sondern ein ausgewiesener Sachkenner der Landschaft des südlichen Griechenland es ist. Irgendwo muss man die Leute doch unterbringen und dann beschäftigen.


Von Mustafa gibt es nur noch eine zweite Aufnahme, die vollends überdreht ist. Er hat nun seine Donnerbüchse abgelegt und stattdessen ein Tässchen Kaffee in der Hand, so als wolle er die Leitfigur in Mozarts Kanon verkörpern: C-A-F-F-E-E … . Kein Schütze, der mit einem Gewehr umgehen kann, würde sein Gewehr so flach hinlegen, kein Türke würde seine Kaffeetasse neben seinen Schuhen auf den Boden stellen, zudem kann sich Mustafa gar nicht so weit hinunterbücken, da ihn das zum Zwecke des Fotografierens aufgedrückte Gelersch vor dem Bauch daran hindern wird. Es ist also eines jener üblen, falsch arrangierten Bilder, diese Urteil trotz der grundsätzlichen Geneigtheit von Dottore für Sebah & Joaillier, von der Schwärmerei Pantalones ganz abgesehen.


Aber nicht nur das DAI reklamiert nun Mustafa für sich, sondern auch jenes Unternehmen, das aus dem Nachlass des Herrn Getty erwachsen ist, erheischt die Rechte an dem Bild. Der einzige Unterschied besteht darin, dass das Kaffeetassen-Bild von Getty Images in sepia gehalten ist, während das DAI die schwarz-weiße Version präsentiert.


Nun, das lässt sich ändern, die Frage bleibt nun, wem gebührt nun das unwahrscheinliche Urheberrecht an diesem Bild?


Man kann sie miteinander kombinieren, also in das etwas größere Bild – in sepia gewandelt – das Gettybild hineinkopieren, dann streiten sich die beide um die Fetzen. Man kann aber auch Ordnung schaffen, also dem Mustafa erst mal die Flinte von dem Staffagefelsen wegnehmen und ordnungsgemäß an die Wand lehnen. Dann gibt man dem Ganzen noch einen schönen warmen Sepiaeton und behauptet in weiterer rüder Usurpation, das Bild sei nunmehr mit dem Urheberrecht von Pantalone & Joallier, wobei die Fähigkeit, Bilder zu bearbeiten ein höheres Maß an Aneignung begründen kann als das schlichte Scannen von Vorlagen.

Und so lebt denn Mustapha weiter in einem ewigen Urheberhickhack, das hätte er sich nie träumen lassen.


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