Nehmen wir einmal an,
in dem Altarbild der heizbaren Seitenkapelle eines Klosters nahe Mecheln würde
man unter dem Ruß unzähliger Wachskerzen der letzten 300 Jahre ein Werk von
Peter Paul Rubens entdecken, wobei es sich sogar herausstellte, dass es im
Gegensatz zu fast allen anderen Arbeiten vollständig von dem Meister selbst
gemalt wurde. Jeder wird und kann erwarten, dass das Bild von den Veränderungen
der letzten Jahrhunderte „behutsam“ befreit, also zumindest die dicke rußige
Schicht entfernt würde. Bei der Fehlstelle, wo am zweiten Advent 1784 eine
Kerze durch die Unvorsichtigkeit des Küsters am Bild lehnte und dort die
Leinwand leicht ankokelte, wäre eine sorgsame Bearbeitung angebracht, die zwar nicht
zu einer Überrestauration führte, also noch diesen Makel sichtbar bleiben
ließe, aber doch den Schaden etwas dämmte. Jeder dieser Schritte wäre ein
Eingriff in das, was auf uns als Original überkommen ist, gleichwohl erwarten
wir eine Pflege des Kunstwerkes, die es in einen Zustand versetzt, als wäre es
während der gesamten Dauer seiner Existenz achtsam und würdig behandelt worden.
Wie gegensätzlich dazu werden
uns die Bilder gezeigt, die auf andere Weise hergestellt wurden, nämlich
Fotografien – oder um es in der Skription von Dottore zu fassen – Photographien.
Je ramponierter das Bild, um so authentischer scheint es zu sein, jeglicher
Dreckbatzen, der sich in den letzten 150 Jahren darauf breit gemacht hat, wird
unbenommen präsentiert. Einen sachlichen Grund dafür gibt es nicht, im
Gegenteil: Denn die neuzeitliche Technik – schließlich leben wir insoweit
wirklich im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerkes –
ermöglicht es, den überkommenen Gegenstand vorzüglich zu kopieren, scannen
eben. Die so gewonnenen Bilddaten lassen sich leicht und ohne jegliche
Beeinträchtigung dessen, was wir nun einmal Original nennen wollen, so
bearbeiten, wie das ein Restaurateur mit einem gemalten Bild machen würde. Bei
dieser Erwägung darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sogar auch die
Gemälde der sog. Moderne schon heftigst restauriert werden müssen. Das ist
notwendig, weil eben die Handwerkskunstfertigkeit bei den Malern der Neuzeit
nicht mehr vorhanden ist, und besonders schwierig, weil verschiedenste
Materialien verwendet wurden.
Das Ergebnis des
Scannens kann zwischengespeichert, verändert und jeweils bewahrt werden, nichts
ändert sich dadurch am Bestand. Man kann sogar danach trachten, Intensionen der
Urheber des Bildes nachzugehen, die seinerzeit noch gar nicht umgesetzt werden
konnten. Erweist man nicht so dem damaligen Hersteller die größte Reverenz?
Bei William Henry Fox
Talbot, der seiner Mutter vielleicht nicht nur den findigen Teil seines Namens
verdankt, ist dies besonders ärgerlich, ist er doch der Erfinder des
Positiv-Negativ-Prinzips, folglich erfordern seine Produkte geradezu die
Umsetzung aller Vorhaben und Pläne, die sie in sich bergen. Zwischen 1840 und
1846 sind die beiden Bilder entstanden, die zeigen sollen, wie umtriebig und variabel
im Studio zu Reading gearbeitet wurde.
Die Bilder kleben
inhaltlich förmlich aneinander, mit Sicherheit war es die Absicht des
Photographen, seine umfassende Tätigkeit umfassend, also in einem Panorama
darzustellen. Weder das Objektiv, noch die Camera, noch das Negativ ließen das
damals zu. Also ist es doch nur eine Ehrerbietung an den auch sonst
schöpferischen Geist des Fuchses, dies heute nachzuholen. Betrachtet man
allerdings die inneren Bildränder genauer, so stellt man fest, von der
Panoramafotografie war er noch entfernt.
Die grünen Zacken
zeigen das identische Objekt, Dachecke und Regenrinne des Ateliergebäudes. An
dem rot umrandeten Fenster erkennt man, zwischen den Aufnahmezeitpunkten hat
die Bewohnerin das Fenster geschlossen, also gibt es eine zeitlich erhebliche
Differenz. Setzt man den Oberdeckel der Camera mit dem darunter liegendem
Fenster in Verbindung (gelber Strich), dann sieht man, beide Aufnahmen sind
nicht von identischen Ort aus gemacht worden, aber diese liegen nahe
beieinander. Am eklatantesten ist der Unterschied beim Bein des Meisters und
der einen Camera, blauer Strich. Gleichwohl lassen sich die Bilder zu einem
Panorama vereinen.
Und so steht den
William Henry Fox Talbot – als Meister im Zentrum – in seinem Atelier, das eher
einem Handwerksbetrieb ähnelt, und erzeugt sich selbst als einen der Ahnherren
der Fotografie. Nur eine einzige der fast zahllosen Wiederholungen eines oder
beider dieser Bilder im Netz erweist ihm eine vergleichbare Ehre, da hat sich
ein Unbekannter der Mühe unterzogen, das Damals mit dem Heute zu vergleichen,
daher sei es auch hier nochmals vorgeführt.
Die Bewohner der
französischen Hauptstadt wären im 19. Jahrhundert gerne alle Flaneure gewesen,
die Boulevards entlang- und dem Nichtstun nachgegangen. Die allermeisten jedoch
mussten schlicht arbeiten, damit die Flaneure ihre namengebende Tätigkeit
pflegen konnten. Ab und zu reichte es der arbeitenden Bevölkerung, der
gallische Hahn war durch das sonntägliche Suppenhuhn noch nicht um sein
krähendes Aufbegehren gebracht, dann ging der überwiegende Teil des Pariser
Volkes seiner Lieblingstätigkeit nach, es baute Barrikaden, eine Tradition von
1789 bis 1968 (weil, das sei festgehalten, es kaum aus Lampenputzern bestand
wie die östlichen Nachbarn). Und weil das solch eine schöne Sache ist, soll ein
frühes Bild darüber gezeigt werden:
Nun sollte ein Bild
eines solch schönen Ereignisses nicht so aussehen, als ob jemand mit Schrot
darauf geschossen hätte. Also sind die Fehlstellen – „behutsam“ wie das
angekündigt wurde – eliminiert worden. Beide Barrikaden sind klar zu erkennen, vor
der vorderen im Bild sieht man, woher die Steine der Barrikade stammen, aus dem
Pflaster. Heutzutage ist man da umsichtiger: In Roulettenstadt ziehen sich
Alleen mit Mittelstreifen durch die Innenstadt. Rechts und links dieser
Mittelwege hatte man Kiesel ausgelegt, damit der Bewuchs im Zaume gehalten
werde. Nun aber stand eines Tages die Beerdigung eines jungen Mannes an, der
aus der Stadt stammte und in Bad Kleinen ums Leben gekommen war. Die
Ordnungskräfte fürchteten, die Teilnehmer der Beerdigung könnten die
Kieselsteine als Wurfgeschosse missbrauchen. Flugs wurden in einer Nacht- und
Nebelaktion alle Kieselsteinfelder mit einer Lage von 10 cm Lehm abgedeckt.
Dort sprießt seitdem das Kraut, auf diese Weise erweist denn die Stadt ihrem
verlorenen Sohn bis heute den Respekt.
Immer wieder schwankt
man zwischen Parteilichkeit und Objektivität, es wäre an der Zeit, dass dies
kein Widerspruch mehr wäre (wird da nicht Hoffnung mit Illusion verwechselt?).
Also die Korrektheit gebietet, den weiteren Verlauf, so wie er feststeht und auch
im Bild festgehalten ist, darzustellen. Kurze Zeit später hat in Paris die Schutzmacht der Flaneure die Ordnung
wieder hergestellt, aber von dem Bild hat Pantalone nur den Himmel gesäubert!
So bleibt nichts übrig,
als auf einen Text von Rosa Luxemburg zu verweisen:
»Ordnung herrscht in Berlin!« Ihr stumpfen Schergen!
Eure »Ordnung« ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon
»rasselnd wieder in die Höh' richten« und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang
verkünden: Ich war, ich bin, ich werde
sein!
Nun soll damit nicht
der Stab über Flaneure gebrochen werden, Joseph-Philibert Girault de Prangey
war sicherlich einer von ihnen, hat aber doch Bleibendes hinterlassen. Als
junger Mann war er ein früher Photograph und hat auf seiner Grand Tour im Orient einiges abgelichtet. So hier ein Haus am Bosporus im Hintergrund
und eine der damaligen Anglerhütten.
Nun bedingt nicht
unsorgfältige Behandlung oder Lagerung allein derartige Verfärbungen, sondern die
chemischen Vorgänge sind häufig trotz der Versuche der Fixierung weiter
virulent und verändern das scheinbar Feste. Diese naturwissenschaftlichen Gegebenheiten
sind aber kein Grund, die Gestaltung des Autors verkommen zu lassen.
Von der gleichen Stelle
machte de Prangey zur Sicherheit noch eine Aufnahme, allerdings bat er seinen
Reiseführer aus Albanien, vor dem Wasser die Fremdartigkeit zu steigern.
Der Reisende selbst zog
sich nach der Reise auf sein Landgut zurück und privatisierte, lief dabei
allerdings nicht auf den Boulevards der Hauptstadt nutzlos herum. Seine Erben
oder Erbeserben entdeckten den Photoschatz und verhökerten ihn schnöde, wobei
sie willkürlich die Bilder benamten. So wurde das nachfolgende Bild – auch bei
dem Versteiger – falsch bezeichnet:
JOSEPH-PHILIBERT
GIRAULT DE PRANGEY (1804-1892)
150. Constantinople. 1843. Fontaine pris du
T[emple] du Galat
daguerreotype titled, dated and numbered in ink
on a label (affixed to verso)
7½ x 9½in. (19 x 24cm.)
Tatsächlich handelt es sich aber dabei nicht um einen Brunnen
aus Konstantinopel (warum sollte der ein Minarett tragen?), sondern zuerst einmal
um eine verdrehte Aufnahme.
Wer mit offenen Augen durch das westliche Kleinasien gereist
ist, erkennt nun sofort, es handelt sich bei der Aufnahme um ein frühes Photo
der Ilias Bey Çami aus Milet, die allerdings kürzlich heftigst restauriert
wurde, was man dabei unter Restaurieren in der Türkei versteht. „Nur neu ist
schön, die Geschichte des Bauwerks darf nicht sichtbar bleiben!“
Eine neuzeitliche Aufnahme – vor der Renovierung gemacht – zeigt
die Identität des abgebildeten Objekts. (Mittlerweile ist das immer kürzer
gewordene Minarett teilweise wieder errichtet, allerdings die Störche haben das
Nest von den Faustinathermen nicht zurückverlegt). Vor mehr als 100 Jahren
hatte der in Hamburg und in Smyrna tätige Photograph Krabow den Eingangsbereich
abgelichtet, mit bemerkenswerter
Schärfe:
Die neuzeitliche Aufnahme –
aus dem Netz gefischt, um nicht immer die Eigen-Konkurrenzsituation
aufkommen zu lassen – ist mit einer
Nikon D 50 angefertigt worden, diese Kamera benutzt einen APS-Sensor, der
folglich eine Größe von 23,6 mm x 15,8 mm hat, also 122 mal kleiner, aber auch
172 Jahre jünger ist als das von Prangey verwendete Format. Bei einem Vergleich
– Prangey/Panoramio/Krabow – ergibt sich eindeutig, die Stiftungsinschrift ist
auf dem Bild von Krabow am besten zu erkennen, denn lesen werden es nur die Wenigsten
können.
„Sag mal, Dottore, warum muss denn die Seitenkapelle Deines
ominösen Klosters in Belgien heizbar gewesen sein?“
„Nun ja, in einem Kloster gibt es Priestermönche und
Laienbrüder, die katholischen Priester sind seit jeher gehalten, einmal am Tag
eine Messe zu lesen; im Winter in einer eiskalten Kirche, wo sogar der Messwein
gefrieren könnte, eine harte Norm. Daher gab es gerne kleine heizbare Kapellen,
in denen dieser Pflicht genüge getan werden konnte, zügig, gab es doch noch
wartende Kollegen, obwohl zwei Messen am gleichen Tage am gleichen Altar nicht
gern gesehen wurde.“
„Die Kapellen waren wegen der Heizbarkeit klein und wurden
dann häufig benutzt, daher die Beaufschlagung mit Kerzenruß!“
„Das ist noch stärker in den Gotteshäusern der Ostkirche
festzustellen, die fast alle bis in die 70er Jahre als schwarz getüncht galten,
bis man daran ging, den Ruß der traditionell vielen Kerzen abzuwaschen, Du
selbst hast doch in Chaironeia solch eine Probe fotografiert!“
„Darf ich das jetzt zeigen?“
„Na klar, warum denn nicht!“
„So viel an Zustimmung ist mir unheimlich, bist Du krank?“
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