Wer sich im 19. Jahrhundert auf die Grand Tour begab,
war eben un grand touriste, der Vorläufer vieler kleiner. Der Große kaufte bei
den Reisephotographen angebotene Bilder, nahm diese mit nach Hause und ließ sie
zumeist dort binden, dies ist der Grund, warum heute bisweilen solch ein
Konvolut versteigert wird.
Die kleinen Nachfolger kauften nur Postkarten, weil
sie schon während der Reise ihre
Weitläufigkeit demonstrieren wollten, manche hatten gar schon eine eigene
kleine Kamera dabei. So verging die Großartigkeit der Reisephotographien, mit
kleiner Münze lassen sich auch nur kleine Bilder bezahlen. Sebah
beziehungsweise sein Familienclan gingen mit der Zeit, viele ihrer Bilder
wurden in Postkarten minimiert, teils mit, teils ohne deren Billigung und
Salär. Der von Orhan Pamuk etwas zu emphatisch gelobte Fruchtermann gab in
Konstantinopel wenigstens noch die Quelle der Abbildungen an, meist als „Cliche“ bezeichnet.
Auch im gescanten Zustand entfalten die großen
Reisebilder ihre Wirkung, bei mehr als 3000 X 2000 Pixel kann man auf ihnen
fast wie auf Wimmelbildern spazieren gehen. Postkarten dagegen sollen schnell und auf
einem Blick das abrufen, was in einem als „inneres Ikon“ gespeichert ist, die
Kuppel der Hagia Sophia, die Reste der Schlangensäule auf dem Hippodrom, das
sich windende „Goldene Horn“. Die noch nicht mögliche genaue Farbgebung erzwang
allerdings eine präzisere Bildgestaltung.
Jedoch, was sind das alles für Betrachtungen, sie
erfolgen zur Zeit des Niederganges der Postkartenzivilisation, sind also die
Historie betreffend. Wer heute eine Postkarte abschickt, muss gewärtig sein,
dass diese erst geraume Zeit nach seinem eigenen Rückflug den Empfänger
erreicht, dem man dann allenfalls noch etwas von den Schwierigkeiten des
Briefmarkenkaufes und der Suche nach einem Briefkasten erzählen kann.
Der westliche Ortsrand von Bursa:
Die Ulu-Çami, damals noch mit gestalteten Hauben auf
den Minaretts, noch keine Bleistiftsspitzen wie nach dem Erdbeben. In Ägypten
gelten diese Helme der Minaretts als typisch osmanisch.
Beide Bäder von Bursa sind zu sehen, vorne links
oben das Yeni Kapliça mit seinem Schwefelwasser, hinten die Kuppel am Horizont
das Eski Kapliça, gespeist von warmen Quellen.
Wer seinerzeit von Bursa nach Nordwesten wollte,
musste den Nilüfer über die Abdal Köprü überschreiten, heute ist die Brücke
„wie neu“, aber unbenutzt.
Die Hitze im Eski Kapliça macht(e) durstig, gegenwärtig
geht es dort feudaler zu.
Das alte Bad ist wahrscheinlich byzantinisch, das
Yeni Kaplisça stammt aus einer Zeit, als die Osmanen kulturell noch Seldschuken
waren.
In Arnavutköy, dem Dorf der sich im Osmanischen Reich
geschickt bewegenden Albaner, siedeln sich heute gerne „Zeit“korrespondenten
an, die von dem unseligen Wunsch befallen sind, sich integrieren zu wollen.
Schon lange vor dem Frauenbeglücker Pierre Loti war
der Friedhof oberhalb von Eyüp ein beliebtes Ausflugsziel. Auch noch 1962 pflegten
dort Hanauer Studenten mit einem ebensolchen aus Wiesbaden das Gespräch beim Çay.
Genauso wenig wie die Pizza der Inbegriff der
italienischen Küche ist, ebenso wenig gilt dies für den Döner als einen Teil
der türkischen. Jedoch Fleisch ist in dem ehemaligen Nomadenvolk bis heute der
Fetisch für kräftige, männliche Nahrung, wegen des damaligen Ausgeliefertseins
an das Klima eben in kleinen Stücken.
Hier liegt nun eine Umkehr vor: Das Sebah´sche Original
ist nicht greifbar, aus der Abbildung ergibt sich aber, dass sie unmittelbar
nach dem ersten Photo gemacht wurde, lediglich der Metzger hat etwas mehr an Kebab
zur Schau gestellt.
Dem heiteren Melonenverkäufer hatte Dottore schon
anderenorts, in einem früheren Post, seine Referenz erwiesen.
Dies ist das wohl bekannteste Bild von Sebah, auf
dem er Menschen abbildet; die Postkartenediteure verlegten aber den Aufnahmeort in jegliche Hafenstadt
des Osmanischen Reiches, wo es eben Lastenträger gab.
Als die Genuesen diesen Turm bauten, da ahnten sie
nicht, dass sie einmal einem Fußballklub bei der Namensfindung behilflich sein
würden.
Wer den steilen Weg nicht aufsteigen wollte, der kann
– wie Dottore 1958 erstmals – die zweitälteste U-Bahn der Welt, den Tünel,
benutzen. Aber zurück sollte man dann doch gehen.
Die im Ruderboot vorbeiflutenden, verschleierten Damen
lassen Erinnerungen an Pierre Loti und die „Entführung aus dem Serail“ zu.
Wer bei diesem Bild sich über Kinderarbeit erregt,
der ist schon Opfer dieser neuartigen Geisteskrankheit geworden, die „political
correctness“ heißt. Diese Seidenspinnerei ist fortschrittlich, die Kinder dort
verhungern nicht. Das Verbot der Kinderarbeit wurde von preußischen Militärs
durchgesetzt, weil ansonsten zu viele Rekruten untauglich waren. Ach, begreift
doch einmal die Dialektik der Geschichte!
Was ist das für ein Unterschied zwischen dem
Schlendern über einen Basar, dem Flanieren durch eine Galerie des 19.
Jahrhunderts und dem Eventhungern auf
einer Shopping-Mall.
Nie wird der Ruderer in Anadolu Hisar ankommen,
immerzu muss er in der Ewigkeit des Bildes auf dem Bosporus vor sich her paddeln.
Der Tatkraft der Fischer im Marmarameer entspricht
die Bauwut der Türken. Vor der damals ans Meer grenzenden Stadtmauer steht heute
eine Reihe von Häusern, dann liegt davor eine vierspurige Schnellstraße, an die
sich ein genauso breiter Grünstreifen anschließt.
Auch die Geschichte von Smyrna, das heute eben Izmir
ist, kann als ein immerwährender Ablauf von künstlichen Anlandungen verstanden
werden: Der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angelegte, hier
abgebildete Kai ist heute teilweise über 100 m vom Wasser entfernt. O TEMPORA,
O MARIA.
;-)
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