Sonntag, 10. Januar 2016

Birne kann alles

So lautete die begeisternde Parole, mit der zuerst Günter Herburger seinen Sohn, später Legionen von Eltern in den 1970er Jahren ihre Kinder konfrontierten. Bei allen setzte sich so allmählich die Erkenntnis durch, die leidigen Verhältnisse lassen umfassende Veränderungen eben nicht zu, wenigstens nicht ohne umstürzende Eingriffe. Dabei konnte Birne nicht nur alles, sondern auch Reklame. Reduziert wird „ALLES“ heutzutage nur noch der Satire erlaubt, aber die Schere im Kopf beschneidet schon passend zum Erhalt des Arbeitsplatzes den Satirikern die Ideen, sie sind eben keine Satyrn mehr. Wie solch ein Kerl aussah, muss nun gezeigt werden, weil dann Pantalone zufrieden ist, wieder ein Bild platziert zu haben. 


Was akustisch dem deutschen Stammtischbruder in den 1950er Jahren die „Frau Wirtin Verse“ waren, das bescherte visuell den alten Griechen die Vasenmalerei – bisweilen jedenfalls. Satyrn ähnelten habituell jungen Nordafrikanern, die auf dem Bahnhofsvorplatz Sylvester begehen wollen, also zwar keine neue Variante menschlichen Verhaltens, aber schon damals wie heute nicht zu dulden. Wenn es keinen Frauen gab, denen zu deren pan-ischen Erschrecken es nachzustellen galt, dann waren Amphoren hilfreich.


„Lieber Dottore, ich bin der Ansicht, Deine Weitschweifigkeit ist doch zum einen unangemessen, zum anderen nicht zielorientiert!“

„Brav lieferst Du mir die Bilder, meckerst aber dann herum, beides geht nicht, mein Lieber, der seinen Namen nach einem Beinkleid erhielt! Und die Keule der Zielorientiertheit ist die neueste Form der Überheblichkeit. Aber weiter im Text.“

Reklame ist zwar nicht alles, macht aber viel. Die im Netz ersichtlichen online-Medien leben davon, dass man so nebenbei sich den unseligen Mist ansieht, der von denen lanciert wird, die die Kohle dafür abdrücken, dass die Presseverlage – bislang jedenfalls – sich kostenlos für den Besucher präsentieren. Ab und zu wird man aufgefordert, man möge die Reklameunterdrückungssoftware ausschalten, wenigstens nur für das eigene Medium, aber das schmerzte, wenn man dem folgte. Da ist nun der „Spiegel“ einen anderen Weg gegangen, der nahe an dem vorbeihangelt, was die Todsünde der sich als frei verstehenden Presse ist, die Verbindung von Reklame und Meldung.



Dottore wäre heute mit der „Goldenen Nadel“ des ADAC ausgezeichnet, also über 50 Jahre dessen Mitglied, wenn es in der „Motorwelt“ nicht solch viele Anzeigen für Treppenlifte gegeben hätte. Nach 40 Jahren der Lektüre dieser Journaille, zu Beginn einer Periode seines Lebens also, in der Dottore rein statistisch gesehen möglicherweise Kunde eines solchen Treppenliftherstellers werden konnte, just da reichte es ihm, er wollte nicht in einem Verein der potentiellen Treppenliftfahrer sein. Nicht nur ödet Reklame an, sondern man wird auch durch die Einschätzung der Geldgeber von Reklame angewidert. Wer für das lästige Beiwerk bei der Lektüre Geld ausgibt, kalkuliert die Leser ein nach Interessen, Vermögen und Erwerbsgier. Betrachtet man also, was für Unternehmen im „Spiegel-online“ inserieren, so erschrickt man. Das ist eine Leserschaft, zu der man nicht gehören mag. Jedoch politisch ist viel schlimmer, zu welcher Lesergemeinde nach der Ansicht der Inserenten das Hamburger Blatt in seiner online-Ausgabe verkommen ist. Die täuschende Platzierung von Ikons redaktionellen Inhalts neben denen der Reklame zeigt an, der „Spiegel-online“ hat selbst schon resigniert.

Birne kann alles, aber der „Spiegel“ nicht mehr viel.

„Also Dottore, ich muss Abbitte leisten: Du hast einen Sachverhalt geschildert, ohne das Wort „unseriös“ zu benutzen, der Rudolf hätte seine Freude an Dir.“

„Dem fühle ich mich auch verbunden, als ich im WS 62/63 in Hamburg studierte, da haben wir in Fuhlsbüttel gerufen, Augstein möge raus und Strauß rein, aber auch der große Raucher konnte nichts bewirken.“

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