In der FAZ:NET war
am 15.6.2014 zu lesen:
„Arcandor war
2009 in die Pleite geschlittert. In der Folge laufen gegen Middelhoff auch eine
Reihe von Ermittlungen [Hier zitiert Dottore nur, der Grammatikfehler stammt
von dem unbekannten Verfasser des Weltblattes]. Die Staatsanwaltschaft Bochum
untersucht etwa seit Jahren, ob er die Insolvenz des früheren Karstadt-Quelle-Konzerns
verschleppt hat. Middelhoff weist alle Vorwürfe zurück.“
Schon vor vielen
Jahrzehnten war es eine gängige Antwort auf den Behauptungssatz, „DIE ZEIT ist
doch ein links-liberales Blatt“, entscheidend sei für eine solche Beurteilung
nicht das Feuchtong, sondern der Wirtschaftsteil, in dem man kaum etwas
Links-liberales entdecken könne. Bei der FAZ kam solch eine Wertung nie auf,
sie in ihrer Haltung als „wirtschaftsnah“ zu bezeichnen, ist noch
euphemistisch. Also kann man den zuständigen Redakteuren und sonstigen
Mitarbeitern unterstellen, sie wüssten, wie ein Konzern geführt wird. Nun
wissen auch wir es, durch Schlitternlassen! Was ist das nun? Wie bewegt sich ein Konzern? Wann geht er auf
das Eis? Kann er denn überhaupt SCHLITTERN?
Was Schlittern
ist, will uns Deutschen der Duden nahebringen, der im Gegensatz zur Akademie unseres
westlichen Nachbarlandes nicht um die Landessprache besorgt ist, sondern immer
nur referiert, was die Zeitgenossen so vor sich hinplappern („Reiners am
Arsch“, sagt Zazie dans le duden). Der Duden also definiert „Schlittern“ vieldeutig
so:
„1.a) mit einem
Anlauf über eine Schnee- oder Eisfläche rutschen
1.b) sich schlitternd über etwas hinwegbewegen
2. auf einer glatten Fläche, auf glattem
Untergrund (aus)gleiten, ins Rutschen kommen
3. unversehens, ohne Absicht, ohne es zu
wollen, in eine bestimmte (unangenehme) Situation hineingeraten“
Nehmen wir zugunsten von Middelhoff, der bei seinen Kumpeln sowieso
die Arschkarte gezogen zu haben scheint, einmal Variante 3. an, also das „unversehens
Hineingeraten“. Ist es nicht Aufgabe des Vorstandes, „sehenden Auges“ zu sein?
Ist nicht die Bewegung eines Konzerns, der auf glattem Boden unkontrollierte
Bewegungen macht, eine Feststellung über die Unfähigkeit der leitenden
Organe? Hätte nicht das doch etwas abrupte
Ende bei Mohn allen signalisieren müssen, Thomas heißt in Wirklichkeit Peter,
er hat die Stufe seiner Inkompetenz erreicht? Aber es ist auch höheren Orts so,
wie Mäxchen Mohr sich das vorstellt, wer heute Käse verkauft hat, kann auch
morgen Brücken konstruieren, denkste! Oder, um ein aktuelleres Beispiel zu
nehmen, wer das satte Schließen von Autotüren überprüfen kann, der ist auch
fähig, die ganze Welt mit einem Dieselmotor zudrecken zu lassen. Und, so
schlittern sie denn, unsere Wirtschaftsführer, erst der jeweilige Konzern, dann
sie selbst auch ein bisschen. Nur der Thomas, der hat ein wenig übertrieben,
wahrscheinlich muss er irgendwann so leben wie die von ihm Unternommenen, jedoch,
so schlimm ist das in der ersten Welt aber auch wieder nicht. Vielleicht
schreibt er dann ein Buch, das aus alter Loyalität bei Bertelsmann gedruckt
wird, Titel: Der Gefallene Engel. Dottore wird es nicht lesen.
Dottore hat zu „Schlittern“ keine metaphorische Beziehung,
sondern handfeste Erinnerungen. Wenn es kurz über Null Grad war, der Boden noch
gefroren, es zu schneien anfing, dann konnte man eine „Schleife“ machen. Zuerst
musste der Schnee in Längsbahnen so fest getreten werden, dass er fast schmolz,
dann verband er sich mit der kalten Erde und gefror. Nun musste man vorsichtig, möglichst mit
Ledersohlen, nach einem kräftigen Anlauf auf dieser Bahn entlanggleiten und sie
dabei glätten, bis eben eine richtige Schleife entstanden war, auf der man
schlittern konnte. Man sieht, um die Voraussetzungen zum Schlittern zu
schaffen, bedarf es einer gewissen Kunstfertigkeit.
Dottore besuchte in Roulettenstadt ein Gymnasium, das in
einem Gebäude betrieben wurde – für 1200 Schüler gebaut, aber von 2400 genutzt.
Die geräumige und hohe Aula wurde in vier Klassen verwandelt. Die jeweiligen
Wanderklassen wurden in den Räumen der Klassen unterrichtet, die gerade in der
Turnhalle waren. Der größere Teil des Schulhofes war noch von den Amerikanern
besetzt, die dort einen Fuhrpark unterhielten. Zwischen den Teilen des Hofes
bestand ein Höhenunterschied, über einem kniehohen Mäuerchen erhob sich ein
vielleicht fünf Meter breiter, leicht ansteigender Streifen, der als Grünanlage
bezeichnet wurde. Drei Tätigkeiten waren nun neben vielen anderen verboten:
1. Das Betreten dieser Grünanlagen,
2. das Anlegen von Schlitterbahnen (i.e., richtigerweise
e.s. Schleifen – es war nämlich ein humanistisches Gymnasium!) und
3. das Schneeballwerfen.
Nach Abzug der Amerikaner wurde nur eine Verbindungstreppe
zwischen den Hofteilen angelegt, das erste Verbot wurde daher laufend
übertreten, die Grünanlage verwandelte sich in eine lehmige Braunanlage. Eines
Tages, es war im Winter 1953, fiel kräftig Schnee, da wurde gegen das 3. Verbot
schon in der ersten Pause ununterbrochen verstoßen, die Luft des Schulhofes war
geradezu gesättigt mit Schneebällen. Vor der zweiten Pause hatte Frau Holle
Verständnis für uns Schüler gezeigt und nochmals kräftig für Nachschub gesorgt.
Das muntere Schneeballwerfen ging weiter. Als ein Lehrer eingreifen wollte,
wurde er mit Schneebällen so eingedeckt, dass ihm nur die Flucht ins Schulhaus
blieb, das war 1953!, lange bevor wir unsere Aufmüpfigkeit artikulieren und in
politisches Handeln umsetzen konnten.
Es versammelten sich die übrigen Lehrer an den Fenstern des
Treppenhauses, der Direx (sprich der Herr Oberstudiendirektor Haas) trat aus
einer der Türen zum Hof. Langsam und würdig schritt er durch ein sich bildendes
Spalier seiner Schüler, das Schneeballwerfen hatte aufgehört. Doch ein
unbekannter Schüler konnte nicht widerstehen, vom oberen Hof kam ein Schneeball
geflogen. Nach guter Pädagogensitte wollte nun das Häaschen diesen Übertäter exemplarisch dingfest machen, er betrat die „Braunanlage“, um sie schräg auf dem kürzesten
Wege zum Missetäter zu überqueren. Fast oben angelangt trat er auf eine der dort
akkurat angelegten, nun unter dem Schnee verborgenen Schleifen, glitt aus, fiel
auf den Bauch und rutschte zu unser aller Vergnügen bauchwärts talwärts. Mit
jedem Zentimeter des Rutschens verlor er an Autorität. Er rappelte sich zwar
auf, schüttelte sich den Schnee ab und ging nun gemessenen Schrittes über die
Treppe auf den oberen Teil des Hofes, jedoch der Zugriff konnte nicht mehr
erfolgen, zudem hub das Schneeballwerfen wieder an. Dottores Klassenkamerad
Jendricke, heute ein weißhaariger Pensionär, war ein begnadeter
Handballspieler, stand am Rande einer weiten Schülerrunde, in deren Mitte das
Häaschen ernst und nachdrücklich den doch wahrlich vernünftigen Grund für das Verbot des Schneeballwerfens
erläuterte. Da Dottore unmittelbar neben Jendricke stand, weiß er es genau, dieser
nahm einen Schneeball, warf ihm abschätzend einfach hoch und … traf. Das
Häaschen hatte ein Käppi wie der Papst, genauso weiß, aber kalt. Unwirsch wischte
der Direx sich diese Kopfbedeckung weg, wir aber hatten es ihnen gezeigt. In
der nächsten Pause durften wir nicht auf den Hof, in der letzten Schulstunde
dieses Tages wurde über Lautsprecher verkündet, dass mehrere Schüler der
Anstalt verwiesen worden seien. So, wie Dottore sich erinnert, sollen deren
Eltern das aber erfolgreich angefochten haben.
Moral von der Geschicht:
Schlittern ist in seiner ursprünglichen Bedeutung eine
vergnügliche Sache, nur im metaphorischen Sinne birgt sie Gefahren in sich.
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