Montag, 13. April 2015

Tarih Tarih oder die etablierte Geschichtsklitterung

Wer das türkische Wort für Geschichte bei Google zwei Mal eingibt, der landet auf einer Webseite, die aus und für die Türkei betrieben wird. Die Liste der Autoren liest man andächtig, die meisten sind promoviert, die übrigen lehren an Universitäten. Nachdem Dottore von dem ewigen Bildersucher Pantalone auf diese Quelle aufmerksam gemacht wurde, hat sich für ihn vollends die Meinung bestärkt, der Übersetzungsdienst von Google erschafft Texte, die denen ähneln, die zu Beginn der Diktiersoftware auf dem Bildschirm erschienen, selten war der Inhalt erahnbar, meist ergab sich Nonsense.


Nun werden aber auch Bilder verbreitet, oben steht das erste von vieren, die hier kommentiert werden sollen. Angeblich handele es sich um ein Grab in Perge.


Die Identität des zweiten Bildes mit dem ersten braucht nicht betont zu werden, Texier nahm es in den vierten Band seiner Description Kleinasiens als Tafel 225 auf. Blättert man in dem Werk etwas nach vorne, so erfährt man, es handele sich um ein Grab bei Myra.


In der Tat, Pantalones Bild der sog. Flußnekropole zeigt das Felsengrab links oben, heute wird es üblicherweise als Löwen- oder Tempelgrab bezeichnet. Warum haben es die türkischen Historiker nach Perge verlegt?


Das nächste Bild aus Tarih Tarih zeigt angeblich einen Barbier in Bursa.


Wer mit frühen Bildern aus Kleinasien auch nur ein wenig bewandert ist, sieht sofort, das Original stammt von John Henry Haynes, einem amerikanischen Archäologen aus dem 19. Jahrhundert. Einen Teil seiner Aufnahmen kann man von der Seite einer amerikanischen Universität herunterladen.


Wenn man sich um Haynes bemüht, dann findet man auch das nächste Bild, es zeigt in schlechter Qualität einen Han in Zentralanatolien, was auch für Türken nicht nahe des Marmarameeres liegt. Denn wenn man beide Bilder analysiert, so kommt man rasch zum Ergebnis, die Rasur des amerikanischen Archäologen und späteren Professors John Robert Sitlington Sterrett findet auf dem Korridor eben dieses Han statt. Wieso wird eine Aufnahme eines amerikanischen Professors zur Eski Türkiye Fotografları?


In Bursa soll sich nach Tarih Tarih dieses leicht geöffnete Tor befinden. Mitnichten, ihr Herren! Wiederum handelt es sich um eine Aufnahme von Haynes, wie leicht erkennbar.


Mit ein wenig Mühe und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dieses Volk dazu neigt, Ortsnamen gerne und leichthin zu variieren, kann man rasch zum richtigen Ergebnis kommen, es handelt sich um das Tor des Zivarik Han in einer Ortschaft, die heute Altinekin heißt und nordnordöstlich von Konya liegt.  


Der Panoramiofotograf hat etwas abgebildet, was neben den türkischen Historikern von Tarih Tarih auch den dortigen Anastilosisten eigen ist, die Veränderung der Realität. Während Historiker nur die Authentizität der Vergangenheit nach ihrem Belieben zu verändern suchen, machen es die Wiederaufbauer mit dem, was in die Zukunft ragt, sie verfälschen die Bauwerke der Vergangenheit. Das war nämlich so (Anweisung des Bauforschers an den Bauarbeiter): “Mehmet, nimm mal den Stein, der bei der Schule herumlag und bau ihn neben dem Bogen oben links ein! Der ist alt, der passt da so richtig, was sollen wir sonst damit machen. Wenn das hinterher sauber ausgefugt worden ist, dann merkt es sowieso keiner!”


Als die sattsam gewürdigten Brüder Padova daran gingen, Postkarten für Smyrna zu verkaufen, da war es von Griechen besetzt. Selbst der ihr Vorgehen bemäntelnde Vertrag von Sevres hielt daran fest, dass die Provinz Smyrna weiterhin zu dem Staat gehöre, der noch von den Osmanen regiert wurde.


Gleichwohl schrieben die Padova Freres für ihre Käufer auf die Postkarten: SMYRNE  Gréce.  Das störte den Versender der anderen Karte aus dieser Serie. Er hielt sich an das geltende Völkerrecht.


Die dritte Postkarte dieser Serie erlitt jüngst zwei Veränderungen, zum einen wurde sie zu einer türkischen Kartpostal, zum anderen wurde der weiße Fleck in der Mitte unten hineingekratzt. Dort stand nämlich das falsche “Gréce”, unerträglich für einen modernen türkischen Historiker.


Von der Sowjetunion lernen, so wurde einmal behauptet, heißt siegen lernen. Die verstand sich - etwas stümperhaft - auf Fotomontage, bevor Heartfield anfing, die scheinbare Realität der Abbildung zum Zwecke der Agitation zu verwandeln. Trotzki neben Lenin, das war in der Stalinzeit auch unerträglich, er musste aus den Aufnahmen getilgt werden. Da aber die alte Version der Bilder bekannt war, fiel das auf. So auch bei Tarih Tarih! Wie viel aussagekräftiger wäre doch die Usurpation der Griechen darzustellen, wenn man das wahre Bild zeigte. Aber die Historiker sind zu staatsnah, zu wenig sophisticated, um derartiges auch nur zu denken.

Festzuhalten bleibt, sowohl aus Nachlässigkeit als auch in Verfälschungsabsicht fälscht Tarih Tarih Bildunterschriften und die Bilder selbst. Da kann man doch auch schließen, mit den Texten verhält es sich ebenso. Ein Glück, dass der Gogleübersetzer so mangelhaft ist, was müsste man sonst lesen.

Halt, Pantalone will noch etwas hinzufügen:

Offenbar grasen die Leute bei Tarih Tarih das Netz ab, um dann alles, was mit Kleinasien zu tun hat, zu türkisieren. Pantalone hat allerdings Glück gehabt, sein offen verfälschtes Bild von Bursa wurde mit korrekter Jahreszahl übernommen. Schlechter erging es berühmten Fotografen, entweder wurde die Bildeinschrift abgeschnitten (so bei Sebah), oder sie wurden zwangsweise zu türkischen Fotografen (so Fred Boissonnas). Dabei wird dann noch äußerst schludrig gearbeitet, wahllos werden Grabungsberichte und andere seriöse Quellen umgeleitet. Der Drang, den vermeintlich großartigen Glanz der gegenwärtigen Türkei in die Vergangenheit auszudehnen, macht vor der Leistung Fremder nicht Halt. Alles wird usurpiert, was im allerweitesten Sinne mit Kleinasien zusammenhängt, da ähneln sie fatalerweise den Griechen vom Mai 1919. 


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