Sonntag, 7. Juli 2013

Ägypten 1 Straßen in Kairo 1

„Zum Scheckbauern ist im Sommer eine Familie gekommen. Die war sehr vornehm, und sie ist aus Preußen gewesen. Wie ihr Gepäck gekommen ist, war ich auf der Bahn, und der Stationsdiener hat gesagt, es ist lauter Juchtenleder, die müssen viel Gerstl haben. Und meine Mutter hat gesagt, es sind feine Leute, du musst sie immer grüßen, Ludwig. Er hat einen weißen Bart gehabt, und seine Stiefel haben laut geknarrzt. Sie hat immer Handschuhe angehabt, und wenn es wo nass war auf dem Boden, hat sie huh! geschrien und hat ihr Kleid aufgehoben. Wie sie den ersten Tag da waren, sind sie im Dorf herumgegangen. Er hat die Häuser angeschaut und ist stehengeblieben. Da habe ich gehört, wie er gesagt hat: "Ich möchte nur wissen, von was diese Leute leben." “
Dieses Wandern durch von Menschen bewohnte Ansiedlungen ohne Empathie war schon zur Zeit von Ludwig Thoma innerhalb Deutschlands üblich, beliebt war es in der Ferne; ein Bestandteil des Zaubers auf der GRAND TOUR durch den Orient war jenes Sich-Erheben  über Armut, Schmutz und unterschiedliche Bildung. Wilhelm Busch sagte an anderer Stelle: „Ei, da bin ich aber froh, denn Gottseidank ich bin nicht so!“ Schopenhauer lebte zu dieser Zeit, seine Philosophie drückt die Last des Bourgeois aus, Selbstzufriedenheit wurde schließlich als Mangel erkannt. Lebende Menschen wurden zur Staffage erniedrigt, der Bürger hatte nur Verständnis für seinesgleichen. Also mussten die Bildhersteller in den Gassen Kairo die „Idylle“ aufnehmen, die auch zu Hause dann jenen wohligen Schauer auslösen konnte, der da lautete: "Ich möchte nur wissen, von was diese Leute leben (die entsprechende Rhetorik verlangt, dass die letzten drei Wörter langsam, gedehnt, jede Silbe gleich betont und mit Zwischenpausen ausgesprochen werden)."

Zuvor waren die Abbildungen ferner Länder gemalte Bilder gewesen, die man in heimatlichen Gefilden geruhsam betrachten konnte. David Roberts „zeichnete“ farbige Veduten; immer ist jedem Maler die Möglichkeit gegeben, „Malerisches“ zusammen zu fügen, er muss nicht einen realen Augenblick festhalten. So konnte Roberts fast immer „kleine Bilder“ aus 1001 Nacht in den Vordergrund einfügen, meist „am Halfterband geführte Kamele“, die aber im Gegensatz zum rückertschen nicht urplötzlich anfingen, scheu zu werden.


Die grundsätzliche Schwierigkeit jeglicher Fotografie besteht in der technischen Enge, Helles und Dunkles nicht zugleich abbilden zu können, weder der Film, noch der Chip besitzen die Fähigkeit der menschlichen Sinnesverarbeitung, beides in Einem zugleich wahrzunehmen. Wenn die Sonne im Zenit stand, war die schöne Schummrigkeit der Gassen nicht darzustellen, waren aber lange Schatten da, so wurde der Helligkeitsunterschied des Abzubildenden zu groß. Das folgende Bild, das in sehr derangierter Form durch das Netz wabert, versucht das auszugleichen, ein bemerkenswerter Versuch. Vorne, mit dem Rücken zum Betrachter, scheint ein Teilnehmer der Grand Tour einkaufen zu wollen.


Nicht mehr zu klären, ist die Frage, lockte das Motiv oder wurde abgekupfert. Jedenfalls wollte auch G. Lekegian dort eine leicht zu veräußernde Photographie machen. Die Übereinstimmung im Nebensächlichen macht einen sicher: In dem unteren Gitterrost des Seitenfensters oben links ist die gleiche Anomalie in der Diagonalen festzustellen wie auf dem Bild zuvor. Lekegian hat zwar den entscheidenden Teil des Objekts ausgewählt, aber die Tiefe der Gasse versinkt in der Dunkelheit des Schattens. Der Tourist hat seinen Einkauf beendet. 


Natürlich ist auch Sebah dabei, diesmal präsentiert er sich als Schattenmacher, die durch das Bild wandernden Menschen werden schemenhaft abgebildet, das Bild zeigt aber Tiefe, jedoch zugleich auch Leere, das wollten die Käufer nicht, das entsprach nicht ihrer Vorstellung von Bazar oder Souk. Anders als die in diesem Post gezeigten, gemalten Bilder, die in einem anderen Stadtteil von Kairo, nämlich in Boulak, vorskizziert wurden, sind die Photographien, bis auf die vorletzte, in der Altstadt unterhalb der Citadelle gemacht worden.


Schon Jahre zuvor war Wilhelm Hammerschmidt durch die gleiche Gegend gestrichen und hatte eine für die Zeit klare Aufnahme gemacht, wenngleich es ihm mehr auf die Häuserfront denn auf die Straße ankam. Der deutsche Photograph verschwand um 1870 f. spurlos aus Kairo, ob er starb oder siegestrunken nach Berlin eilte, ist nicht bekannt. Geblieben von ihm sind die Bilder, er war vor Giorgio Sommer der erste deutsche Reisebilderphotograph.


Das Leben in Kairo wurde durch die Muscharabien erst lebenswert. In den seitlichen und vorkrängenden Teilen dieser Gittervorbauten waren Gefäße mit Wasser aufgestellt, dessen Verdunstungskühle von einem selbst geringen Lufthauch durch die angrenzenden Räume verbreitet wurde. Dazu kam ihre soziale Funktion: Denjenigen Menschen, die nicht häufig auf die Straßen flanieren durften, meistens also die Frauen, eröffnete diese Vorrichtung die Möglichkeit, die Außenwelt wahrzunehmen, ohne gesehen zu werden. Wollte die junge Frau doch erkannt werden, so konnte sie aus Versehen das Seitengitterchen offen lassen, um es nach dem Erfolg erschrocken zu schließen. Durch den hohen Aufnahmestandpunkt wirkt auch das Bild abgehoben, der Bildausschnitt zeigt zu viel Nebensächliches.


Die Straßen wurden nicht nur von einfachen Wohnhäusern geformt mit einem Blick zum nächsten Minarett, sondern es waren dort gelegentlich auch Bauwerke von hoher Qualität zu finden. Der unbekannte Photograph hat hier ein zerfallendes Haus aufgenommen, das eine aufwendig gestaltete Fassade hat; es liegt die Vermutung nahe, das Gebäude habe in besseren Zeiten einem sakralen Zweck gedient. Nach dem Schmuck am oberen Fassadenende zu urteilen, könnte es früh spätfatimidisch sein.


Frank M. Good, der ehemalige Assistent von Francis Frith, ist nicht durch besondere Bilder aufgefallen, dies aber ist eines der besten der Straßenaufnahmen in Kairo im 19. Jahrhundert. Technisch ist das Photo brillant, klar durchgestaltet, kurz eine Freude, es anzusehen. Auf Drängen von Pantalone ist noch auf folgendes hinzuweisen: Das Bild stammt von dem Getty Research Institute, aber hat wohl eine längere Geschichte der Entwicklung hinter sich. Das im Netz herunterzuladende Bild enthält im Bereich des zweiten Balkons des Minaretts Unsauberheiten, wie wenn der Erstretuscheur dort an der Winzigkeit der Strukturen verzweifelt wäre, in Photoshop geht es eben leichter mit der Folge, dass das Bild hier die restlichen Macken verloren hat.


Dagegen ist dieses Bild unserer Lieblinge, den Mitgliedern der Sebahdynastie, vom gleichen Objekt enttäuschend. Es kann nicht einfach geknipst sein, dafür war der Aufwand des Aufnehmens damals zu groß, auch wurden Anstrengungen unternommen, um stürzende Linien zu vermeiden. Auf dem Photo macht sich Leere breit, der spärliche Mittelgrund kann das nicht ausgleichen.


Die Zangakis haben eine Straßenbiegung gewählt, ein Bild voll der Eigenheiten Kairos mit Musharabies und vorkragenden Bauten. Das obligatorische Minarett am Ende der Straße ist in Kairo auch kaum zu vermeiden. Die Gruppe im Vordergrund sieht nicht gestellt aus. Das Licht ist durch die Abwesenheit der Sonnenstrahlen gleichmäßig verteilt. Also, auf die Zangaki-Brüder kann man sich verlassen.


Die Weitläufigkeit der Ansiedlungen, die wir Kairo nennen, die aus vielen einzelnen, jeweils gewachsenen Stadtteilen besteht, hat bewirkt, dass neben dem großen Basar Khan el-Khalili viele weitere Marktbereiche entstanden. (Von diesem Großbasar bestehen kaum alte Photographien, weil es eben in ihm kaum helles Licht gab, allenfalls irrt im Netz eine verfleckte, mit grauem Rand versehene, überdies schlecht gescante Aufnahme des Eingangs herum, natürlich von J.P. Sebah.) Also war überall Basar, aber auch überall schien die Sonne geschäftsschädigend auf Händler und Kunden. Einwölben konnte man die Straßen nun nicht mehr. Abhilfe schuf man mit aufgespannten Segeltüchern. John jr. Varley, der aus einer Malerfamilie stammte, war von diesen Tüchern offensichtlich so fasziniert, dass auf fast allen seinen Bildern über Kairo die schattenspendenden, konvex-konkaven Gebilde über den Straßen schweben.


Die Mischung zwischen fliegenden und festinstallierten Bauten stellen die Holzdächer dar, die quer über den Straßen von Haus zu Haus aufgeschlagen wurden. Häufig mit Lücken versehen hielten sie doch verlässlich die sengende Sonne ab. Das wohl – fotografisch – bekannteste Holzdach war am Eingang zum Stadtteil el-Muski, es wurde immer wieder aufgenommen. Das Bild hier stammt von Bonfils, es zeigt Segeltücher und solch ein Holzdach an anderer Stelle, es ist gleichsam eine neue Ebene oberhalb des Sonnenschutzes entstanden, allerdings nur eine optische.


Die Galerie kann nicht beendet werden, ohne die anderen Brüdern der Reisephotographie auch zu berücksichtigen, die Abdullah Freres. Sie haben fast eine Straßenflucht abgebildet, mit allem allerdings, was auf solch einem Bild vorhanden sein musste.



Ein Unterscheidungsmerkmal zwischen westlichem und orientalischem Städtebau war seit jeher die Art der Erschließung der Grundstücke in einem Stadtviertel. Jedes Haus war erreichbar, im Okzident durch lineare Straßen, die sich meist kreuzten, im Orient durch mehr verwinkelte Straßen und Sackgassen. Diese Art des Zuganges war den Modernisten ägyptischer Herkunft im 19. Jahrhundert ebenso ein Graus wie deren europäischen Kollegen. Also legte man in Kairo auch haussmann´sche Boulevards an, die Errichtung vorkragender Bauteile wurde ebenso verboten wie der Einbau von Musharabies. Die vermeintliche Attraktivität der neuen Straßen führte dazu, dass die wohlhabenderen Bewohner aus den alten Stadtteilen auszogen, die nun langsam verkamen und so für eine oberflächliche Betrachtung „malerisch“ wurden. Das  Überraschende an den Aufnahmen der sog. Reisefotografen des 19. Jahrhunderts, konkret deren Bildern der Straßen Kairos, war für Dottore, dass sie fast alle die gleichen Straßen mit fast identischen Ausschnitten aufgenommen haben. Dazu in den folgenden Posts mehr.

Zuvor aber noch einen britischen Beitrag, zumal die meisten Bilder von Ägypten von Malern des früheren Empire stammen. Der unnachahmliche Ronald Searle hat zu der Grand Tour seiner Landsleute - wenn auch Jahrzehnte später - Erläuterndes beigetragen, was nicht unterdrückt werden darf.


Pantalone hat das Bild nicht, wie der Meister es gemacht hätte, leicht laviert, sondern kräftig eingefärbt. Das liegt übrigens daran, dass es zu der Zeit, als er aufwuchs, kaum Malbücher und Buntstifte gab, das muss er nun bis an sein Lebensende nachholen. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen