„Also ich finde, du drückst
dich davor, nun endlich diese vorab letzte Bilderserie von oder über Sebah
anzufertigen.“
„Gut Ding will Weile haben!“
„Da stehen dir die Bilder nun
schon Wochen zur Verfügung, und du schreibst über politische Sachen, Bilder kommen
außer der dämlichen Küchentüre nicht vor.“
„Hast du keine Bilder mehr
von Sebah?“
„Ich nehme doch schon
Rücksicht auf dich. Die meisten gibt es aus Ägypten, aber das interessiert dich
doch nicht, aber auch von türkischen Stätten habe ich noch so einiges.“
„Mir würde aus Ägypten
gefallen, die Straßenbilder der einzelnen Photographen miteinander zu
vergleichen, eine Serie über die Türkei steht noch aus, dann wäre über die
Verwendung der Bilder von Bonfils bei Theodor Wiegand in archäologischen
Büchern etwas aufzuzeigen, das haben wir schon vor ganz langer Zeit
angekündigt.“
„Pläne, Pläne, nichts als
Pläne. Jetzt geht’s darum, Serie 15 von Sebah fertigzustellen.“
„Du machst Druck, das
beflügelt mich nicht.“
„Schreib etwas über die Nike
der Athener, da brauchst du keine Flügel, mein zartbesaiteter Dottore! Los,
jetzt ran an den Speck!“
Diese Aussicht werden in
Zukunft nur einige wenige Auserwählte genießen können, und auch nicht mehr das Gleiche
sehen. Manoles Korres hat dort nicht nur wiederherstellend, sondern auch forschend
wiederaufgebaut. Also nicht nur schlichte Anastelose, sondern auch eine Fülle
neuer Erkenntnisse, so beispielsweise die Richtplatte. Jeweils zwei dienten
dazu, die einzelnen Trommeln der Säulen – Oberseite der unteren und Unterseite
der oberen – einander anzupassen mit der schier unglaublichen Genauigkeit von
1/1000 Millimeter, feststellbar an der hauchdünnen Rötelschicht.
Zwischenzeitlich ist die Peristasis wieder aufgebaut, die Wände des Parthenon
wurden aus den herumliegenden Orthostaten und sonstigen Brocken und neu
gewonnenen Steinen aus den alten Brüchen wieder hochgezogen. Nur ist fraglich,
ob auch die Fenster neben der Zugangstür zu sehen sein werden, dazu müssen die
Wände erheblich aufgestockt werden, mehr als wohl die abgesegnete Anastelose
zulässt. Aber bei der genauen Untersuchung der großen und hohen Randmauer der
Akropolis haben die emsigen Anastelisten noch Teile des Tempels entdeckt, die
dort eingemauert waren, also wenigstens insoweit nicht neue.
Für das nächste Bild hat sich
Sebah einfach um sich selbst gedreht, schon konnte er die Propyläen nebst
Frankenturm ablichten, in anderen Sprachen heißt er Venezianischer Turm. Auf
dem Bild sieht man, dass auf der Akropolis damals das herumliegt, was man in
Südhessen Gelersch nennt; für die Anastelisten wahrscheinlich zu Tränen
rührende Reliquien, die heute nun aufgefädelt, miteinander verbabbt und mit
neuem Stein aufgepeppt werden. Reliquienkult ist und bleibt die Beschäftigung
mit dem Surrogat; rechte Soziologen und Tourismusmanager denken eben an die
„Masse“, vergessend, dass sie sie selbst bilden. Im Hintergrund ein leeres Tal
in Richtung Piräus, die in der Bildmitte sichtbare Brücke könnte für die
Piräusbahn gebaut worden sein. Der Pnyx grüßt vom linken Seitenrand.
Was haben die Athener nicht
alles unternommen, um für immer siegreich zu sein. Der Nike (eigentlich eine
Sonderform der Athena) haben sie die Flügel weggenommen, um sie in Athen zu
halten. Mit solchen Maßnahmen kann man jedoch nicht das Glück zwingen, zumal
wenn man in Hybris verfällt, das Unternehmen Syrakus war deren Ausfluss; auch
hatten sie nicht „Faust“ gelesen und wussten daher nicht, „wie sich Verdienst
und Glück verketten“, das fiel den athenischen Toren nicht ein. Wenn man scharfe
Ohren hat, dann kann man den Niketempel
summen hören, er säuselt „Auferstanden aus Bastionen“ vor sich hin, singen kann
er es nicht, denn zu oft seit 1836 ist
er immer wieder aufs Neue zusammengepuzzelt worden. Zuerst haben der Archäologe
Ross und die Architekten Schaubert und Hansen seine Steine aus der türkischen
Bastion vor den Propyläen geklaubt und ihn dann am alten, engen Platz zusammengesetzt.
Darüber haben sie ein Buch geschrieben, dessen großformatige Bilder
biedermeierliche Kunstwerke sind, allerliebst, der Zartheit des Tempels
angemessen. Die nächsten beiden Male später wusste man alles eben viel besser.
Der Sockel des Tempels ist
ein mehrfach ummantelter Wehrturm aus mykenischer Zeit, an einer Stelle ist –
von den Treppen der Propyläen aus zu sehen – für einen Blick auf die alten
Mauern eine Aussparung gelassen worden. Oben war ursprünglich ein kleines
Heiligtum, dessen Reste unter dem Tempel vorhanden, aber nicht zu besichtigen
sind. Dieser Platz, also die Deckfläche des Turmes, war der zugewiesene
Baugrund. Das Problem, auf kleinsten Raum ein ansprechendes Bauwerk zu
errichten, hat der Architekt großartig gelöst.
Höhlen üben auf viele
Menschen eine eigenartige Faszination aus, die Dottore nicht nachvollziehen
kann. Dunkel, kühl und feucht empfindet er nicht als besondere Reize, feucht,
warm und pulsierend ist etwas anderes. Je nun, also werden Höhlen zu mystischen
Orten, alles und jedes kann man in sie hineingeheimnissen. In Höhlen nahe
deutscher Städte haben meist berüchtigte Räuber oder Wilderer gehaust, in Athen
hat man Sokrates in diese Keller der dort früher stehenden Häuser verbannt. Die
letzte Handlung dieses gewitzten und widerborstigen Philosophen war die Sorge
um einen zu opfernden Hahn, gerade als wollte er das Fehlurteil über ihn damit
kassieren. Die Griechen hatte viele Heroen, meist forsche Städtegründer, aber
Odysseus und Sokrates waren wirkliche Helden.
Diese letztlich spät-byzantinische
Kirche ist den Heiligen Theodoren geweiht, die in der westlichen Kirche zu
einem Theodor verschmolzen sind. Er soll ein Bruder des Heiligen Georg gewesen
sein, gehört also zu der Garde der soldatischen Heiligen, die, statt in der
Schlacht zu sterben, lieber als Märtyrer ihre Tapferkeit zeigten. Es ist eine der
typischen Kreuzkuppelkirchen, die erbaut wurden, als die byzantinische Kunst
schon erstarrt war. Alles war festgelegt, für jede auszumalende Ecke stand nur
die kanonisch festgelegte Heiligenfigur oder das Ereignis aus dem neuen
Testament als Motiv zur Verfügung, da schleicht sich dann doch eine gewisse
Langweile ein. Aber äußerlich sind sie durch das Kästelmauerwerk angenehm
anzuschauen, zumal, wenn antike Spolien eingefügt sind.
Neben der Tomate und der
Kartoffel ist die Agave eine der angenehmen Errungenschaften, die aus Amerika
stammen. Sie wächst manchmal mehrere Jahrzehnte so vor sich hin, bis ihr
einfällt, sie müsse zur Erhaltung ihrer Art nun mal doch blühen. Diese Periode
hat Sebah eingefangen, die Agaven scheinen regelmäßig angepflanzt zu sein. Da
haben die Amerikaner sich den europäischen Gebräuchen angepasst: Schon in der
Antike hatte man parallel der Längsseiten des Tempels Pflanzengruben in den
Felsen geschlagen, um – präzise bezogen auf die Säulenstellung – dort mit dem Grün von Gewächsen den Hephaistos
zu erfreuen, dem der Tempel geweiht war, mit Myrten und Granatapfelbäumen hat
man das anderenorts auch so gemacht.
Zuerst war in Daphni ein
Heiligtum für Apollo, das wurde in frühchristlicher Zeit getilgt, um einer
Kirche Platz zu machen, allerdings wurden die Steine weiterverwendet. Um die Jahrtausendwende
erneuerte man den Bau, er ist der Kern des heutigen Gebäudes, zugleich wurde
das anliegende Kloster errichtet. Nach der Eroberung Moreas durch die Franken
kamen deren Mönche, Zisterzienser, in den Besitz des Klosters. Die
vielgeschmähte Turkokratia führte jedoch dazu, dass wieder orthodoxe Mönche das
Kloster besetzen konnten. Erst als diese den Kampf um die nationale Identität
und Befreiung zu arg betrieben, wurden sie nach 350 Jahren verjagt. All das haben die dortigen
Mosaike überstanden, aber das Erdbeben von 1999, das andererseits zu einer
Annäherung der gleich geplagten Nationen führte, setzten ihnen zu. Mal sehen,
was alsbald wieder zu bewundern ist.
Über die als Unsitte bezeichnete
Übung, Gegenstände der Umgebung mit Handmalereien zu überziehen, herrschen
unterschiedliche Auffassungen vor, je nach dem, ob man Hauseigentümer ist oder
nicht. Bei der Betrachtung unserer Städte fällt die zunehmende Gleichartigkeit
des Aussehens auf, die Gestaltung der Stadtbilder wird denen überlassen, die
die Kohle haben, also dürfen Douglas, Deichmann und Konsorten dort sich
austoben. Andere Menschen sind zur Darstellung ihrer Sicht der Dinge nur an
ausgewählten Bauwerken zugelassen, meist dann, wenn sie suspekt in der Achtung
der Bürger sein sollen wie die Berliner Mauer. Tags mit dem breiten Eding sind
überall zu sehen. Dabei wird es fast immer als lästig angesehen, wenn der
Einzelne – wie in der Nachkriegszeit der anonyme, allgegenwärtige Killroy –
versucht, seine kümmerliche Existenz dadurch zu überhöhen, dass er markiert,
also glaubt, sich mit seinem Namen verewigen zu müssen. Wird der Grafitteur
dann später berühmt, dann lässt die Marke den Bürger erschauern, so das
goethische Gekratze in Straßburg, hier die byronschen Runen in der Ante des
Tempels zu Sunion.
Also ihr Sprayer werdet
berühmt wie Harald Naegeli! Mir gefallen Eure Werke, weil sie anders aussehen
als die immer gleiche Konfektion der fetten Händler.
Nur der Tempel mit seinen
monolithen Säulen ist von der alten Herrlichkeit dieser Stadt übrig geblieben.
Schon früh machte sie den Schritt aus der Adelsherrschaft, der – wie beim Übergang
zu demokratischen Gemeinwesen häufig – den wohl notwendigen Umweg über die
Tyrannis nahm. Die schwarz-rote Keramik dieser Stadt war vor der attischen
führend. Jedoch stand sie immer zwischen den Antipoden Athen und Sparta, wobei
deren Gegensatz meist nicht der zwischen Demokratie und völkischer Monarchie
war, sondern ein Kampf um die Hoheit einschließlich der Machterstreckung.
Mochte sie sich auch Jahrhunderte durchlaviert haben, 146 vor Chr. war Schluss,
die Römer zerstörten die Stadt, bis auf den Tempel. Die Stätte lag 102 Jahre
„wüst und leer“, erst dann besann sich ein Römer, ein gewisser Julius Cäsar,
sie wieder aufbauen zu lassen, zu seinem Lob versteht sich. Es ist also eine
römische Trümmerstätte, sogar noch mit einem Amphitheater für die neuen Herren,
die das garstige Geschehen dort liebten.
Was Melbourne, Paris,
Wimbledon und New York für die Tennispieler heute sind, also der Grand Slam,
wenn man überall siegt, das waren für die griechischen Athleten Olympia,
Delphi, Isthmea und Nemea. Damals wie heute gab es Berufssportler, also immer
schon die Negation des Gegensatzes von Homo Faber und Homo Ludens. Ehrgeiz wird
eben durch Geldgewinn angestachelt. Wer sich dann über Doping aufregt, hat die
Regeln dieses Gesellschaftssystems immer noch nicht verstanden. Erster wird man
nur mit allen Mitteln, das ist bei Volkswagen genauso wie bei Contador.
Die Sucht oder der Druck zur
Anastelosis hat auch hier zu einer Vermehrung der aufrecht stehenden Säulen
geführt, auch die Amerikaner konnten sich nicht widersetzen. 1962 reckten sich wie
einst nur drei Säulen empor, als Dottore dort nächtigen wollte. Er legte seinen
Schlafsack unter das Epistyl, ein Erdbeben nicht fürchtend. Und wenn doch? Dann
wäre die Nachricht, „deutscher Student von Säule erschlagen“ doch die
Verkürzung des Daseins wert; ach, immer diese Todessehnsucht der Deutschen!
Der Kriegsgewinnler Schliemann
büßte die anrüchige Weise seines Gelderwerbes kompensatorisch mit der Hinwendung
zur Wissenschaft ab. Die Erträge seiner früheren bedenkenlosen Raffgier
ermöglichten es ihm nun, „am jeweiligen Ort seines Interesses eine
Grabungslizenz zu kaufen“. Seiner Hellenophilie gab er durch die Heirat mit
einer jungen Griechin statt, genauso wie er zuvor eine Russin geheiratet hatte,
um seine Geschäfte in deren Heimat abzusichern. Das Bild muss 1876 gemacht
worden sein, heute sieht eine 24-jährige Frau anders aus als die abgebildete
Sophia Schliemann. Sie darf die Ausgrabung des Grabes leiten, das nach Klytämnestra
benannt wurde. Die eigentlichen Arbeiter (Wer baute das siebentorige Theben?)
stehen scheu im Tholos, dessen Kraggewölbe noch nicht wiederhergestellt ist, so
wie der Bau heute zu sehen ist. Für wirklich beachtenswert hält Dottore das
Kymation rechts am Sturz, das ein Vorläufer des dorischen sein könnte, die
Dorer aber waren noch gar nicht zu ihrer Wanderung aufgebrochen.
Was macht man, wenn man
(fast) unausweichlich Opfer einer Nötigung geworden ist? Dauert die Zwangslage
an, so erscheint es opportun, solange darüber zu schweigen. Das Gegenteil macht
die Theodor-Wiegand-Gesellschaft; um ihre Bedeutung zu unterstreichen, stellt
sie ihre finanzielle Leistung zugunsten der Errichtung einer Säule des
Zeustempels in Olympia heraus, die zu den Olympischen Spielen 2004 in Athen
errichtet werden musste. Alle vernunftbegabten Wesen waren sich darüber einig,
dass der mit Muschelschalen durchsetzte Kalkstein eine Anastelosis nicht
zulässt, das Ergebnis ist gleichwohl technisch gelungen, ansonsten verhunzt
dieser unverputzte Solitär die Ruine. Sie hat den gleichen Charme, wie Perry´s
Victory Monument in der Put-in-Bay in Ohio, ungeschlacht und isoliert.
Der Preis für die
Weitergewährung der Grabungserlaubnis ist hoch gewesen. Das aufgewendete Geld
wäre für Brandschutzmaßnahmen in der Umgebung der Stätte zur Sicherung vor
Waldbränden richtiger angelegt worden. Heute nun schimmert die Zwangssäule
durch das Grün. Es gemahnt an das Verhältnis vom Eigentümer und Nutzer, von der
Möglichkeit zur Impertinenz durch Eigentum.
Paul Baron des Granges war
ein Nachfahre französischer Adliger, die nach Preußen geflohen waren, er lebte
seinerzeit auf seinen Gütern in Griechenland. Seine Aufnahmen können mit denen
der besten damalige Berufsfotografen wetteifern. Zu sehen ist der Sturz des
inneren Tores.
Dottore war zuletzt im
September 2009 in dem kreisrunden Zwinger zwischen äußerem und innerem Tor,
durch den eine wenig benutzte Straße führt. Beim Passieren fiel ihm die
akustische Qualität des Bauwerkes auf. Also stellte er im Mittelpunkt des
Zwingers den Mietwagen ab, öffnete dessen 4 Türen, jede Türe hatte einen
Lautsprecher. Aus ihnen erklang nun die Symphonie Nr. 100 von Haydn. Dottore
saß am Rand und genoss es. Während der gesamten Symphonie kam kein Auto,
lediglich ein Touristenehepaar, das ihn scheu taxierte. Man sollte dort mehr
Konzerte veranstalten.
Die Vorstellung, die Griechen
unterhielten große Reedereien, ist durch die Nachkriegsabläufe geprägt, durch
Namen wie Onassis und Niarchos. Aber schon weit vorher waren die Griechen
mächtige Reeder, so zur Zeit der Turkokratia, als die Inseln in der Ägäis zum Osmanischen
Reich gehörten. Damals unterhielten die dortigen Inselgriechen eine
Handelsflotte, die als Folge des Schwächelns des „kranken Mannes am Bosporus“
zuerst eine eigene Flagge hatte und dann das Recht erwarb, unter russischer
Flagge zu fahren. Sie beherrschte die Handelsschifffahrt des östlichen
Mittelmeeres. Daher sind auf dem Bild solch viele Schiffe zu sehen. Heute läuft
man Syros gerne ein, wenn man eine Patenthalse gefahren hat und deren Folgen zu
beseitigen sind.
Pantalone fragt: „Das Letzte
verstehe ich nicht; warum hast Du ein Bild von Syros haben wollen?“
Dottore meint dazu, die
Bedeutung möge im Arkanbereich verbleiben, der Skipper verstände den Satz allerdings
schon.
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