– Ein Rundgang um den Tempel mit Unterbrechung
–
Die Meder verstanden sich
aufs Rachenehmen. Als das bis dahin immer perserfreundliche Milet den Ionischen
Aufstand auf der Seite der Persergegner mitmachte, wurde es von den Persern
nach der Eroberung fast gänzlich zerstört, wahrscheinlich wurden die Milesier noch
gezwungen, diese Arbeit für sie auszuführen. Das auf dem Zeytintepe liegende
Heiligtum – der Aphrodite geweiht – ist kaum noch aufspürbar: Da sind zum einen
die Felsabarbeitungen für die Fundamente, die auf einen größeren Tempel
schließen lassen, zum anderen aber 20000 Stücke weißen Marmors, keines größer
als eine Männerhand, so ließen die Meder das Heiligtum zerkleinern. Als der
Dichter Phrynichos seine Tragödie „Mıλήτου άλωσις“ aufführen ließ, berührte dies die Zuschauer so, dass sie in
Tränen ausbrachen. Daraufhin wurde das Stück verboten, Phrynichos mit einer
Strafe von 1000 Drachmen belegt, weil er das Unglück der Hellenen für sich
genutzt habe.
Nach dem Sieg der
vereinigten Griechen bei Plataiai sollen sie einen Eid abgelegt haben, alle von
den Persern zerstörten Heiligtümer als Mahnmal stehen zu lassen, sie nicht
wieder aufzubauen. Jedoch waren Teile ihrer Heiligtümer oft aus Anlass eines
kriegerischen Erfolges errichtet worden, so die sog. Marathonbasis in Delphi,
eventuell der Vorparthenon. Eine teilweise Identität von Politik und Religion hätte
ihnen also nicht fremd sein dürfen, das Vorgehen der Perser auf Verständnis,
nicht Billigung, stoßen müssen.
Die Griechen hatten im
Verhältnis zu der von ihnen geschaffenen Philosophie eine geradezu läppische
Religion mit einem Obergott, der danach strebte, bei anderen Wesen jede Körperöffnung
wenigstens zeitweise zu füllen. Als Ausgleich dazu blühte auch bei ihnen ein
Jungfrauenkult, hier war es die Göttin Athene, die zur Edeljungfrau avancierte.
Nun ergab es sich, dass nach der Zerstörung der Akropolis durch die Perser
einige alte Stätten dort wieder genutzt werden sollten, Eid von Plataiai hin
oder her, was gebb isch uff mei dumm Geschwätz vunn gestern!
Neben dem alten
Athenatempel, dort wo jetzt das Erechtheion steht, lagen geheiligte Orte; viel
musste dort untergebracht werden:
Zuerst einmal das uralte
Xoanon der Athene,
dann lag dort das
Dreizackmal im Fels, von Poseidon geschlagen,
als Gegenpol der Ölbaum
der Athene,
nun sollte auch der
allerhöchste Zeus nicht zurückstehen, also ein kleiner Altar für Zeus Hypotos,
das Grab des Kekrops
befand sich dort,
des Heros Butes musste
gedacht werden, der aus der Dynastie der allertreuesten Butaiden stammte,
für die dappische
Pandrosos sollte auch ein Gedenkplätzchen vorhanden sein,
um das Dreizackmal
rauschte das Meer des Erechthonios,
schließlich musste noch
eine Verehrungsstätte für Zeus Herkeios, den Herdbewahrer, her; das Ganze noch
auf abfallendem Felsareal.
Sogar in einem Rundbau
hätte man das alles nicht unterbringen können, geschweige denn in einem so
strengen Bau wie dem griechischen
Tempel. So musste der Architekt der Zeit vorauseilen, er baute nach dem
Prinzip: form follows function. Ein Megaron ohne Anten wurde mit seitlichen
Prostylos weiter unten verbunden, hinzu kam eine Halle mit anthropomorphen
Stützen, vielleicht wollte er das Megaron noch spiegeln, aber der Nikiasfrieden
währte nicht so lange. So setzt das Bauwerk, das später Erechtheion genannt
wurde, am treffendsten die These um, der griechische Tempel sei kein eigentlich
Haus der Götter, sondern immer nur ein Behältnis für sie, allerdings in der
veredelten Form eines übergroßen menschlichen Hauses. Im Deutschen gibt es
dafür das Wort Gehäuse, Schnecken wohnen in solchen, warum nicht auch
griechische Götter und andere Idole.
Auf seinem Ausflug nach
Athen versuchte Pascal Sebah 1873 (ca.) sich bei den Archäologen beliebt und
seine Bilder verwertbar zu machen. Ebenso wie auf der Aufnahme des Hadriantores
ist auf sechs der gezeigten Bilder ein Maßstab mit abgelichtet, dessen genaue
Länge rätselhaft bleibt. Die Bilder müssen wegen des noch stehenden
Frankenturmes vor 1875 gemacht worden sein, die verbindliche „internationale Meterkonvention“
wurde erst im Mai 1875 verabschiedet, das Längenmaß gab es schon seit der
Französischen Revolution. Um zu verifizieren, ob der Maßstab metrisch ist,
müsste man den umgekehrten Weg gehen: Auf Bild 11 ist er am klarsten
abgebildet, wenn man die Höhe der Stufen kennte, dann könnte man seine Länge
rekonstruieren.
Im Jahre 408/07 rechnete
die Baukommission Arbeiten am Erechtheion ab, das musste nach dem Verständnis
der athenischen Demokratie öffentlich geschehen. Also wurde das zuerst auf Holztafeln
festgehalten und gezeigt, später in Stein verewigt. Zu lesen ist auf den
teilweise erhaltenen Inschriften:
„Steinarbeiten: für die
Kannelierung der Säulen auf der Ostseite gegenüber dem Altar. Die dritte vom
Altar der Dione aus gesehen:
Ameiniades, der im Demos
Koile wohnt, 18 Drachmen;
Aischines, 18 Drachmen;
Lysanias, 18 Drachmen;
Somenes, Sklave des
Ameiniades, 18 Drachmen;
Timokrates, 18 Drachem;
….
Simias, der in Alopeke
wohnt, 13 Drachmen;
Kerdon, 12 drachmen 5
Obolen;
Sindron, Sklave des
Simias, 12 Drachmen 5 Obolen;
…
Und so geht es steinelang
weiter. Bemerkenswert ist, dass die Arbeit der Sklaven genauso bewertet wird
wie die ihrer Eigentümer, nicht nur der Hobel, sondern auch die Arbeit „macht
alle gleich“, aber nie frei. Es wird Stücklohn gezahlt, die notwendige Sorgfalt
bei der Arbeit verbietet Akkordlohn. Einer der Sklaven trägt einen persischen
Namen, Gerys, man scheint nicht nachtragend gewesen zu sein, kein „der kemmt
mir nich uff die Baustell!“
Von den ehemals sechs Säulen
standen damals nur noch 5 am alten Platz, die rechte hatte Lord Elgin
mitgenommen. Zugleich erkennt man den Höhenunterschied zwischen Ost- und
Nordseite, wo eines der zierlichsten Säulengebilde entstanden war. Dort, wo
einst der Altar für den obersten Zeus gestanden hatte, gähnte ein Loch.
Hier hat Pascal Sebah
wohl gepatzt, das Bild endet oben inmitten des Zierfrieses des Türsturzes.
Rechts lehnt ein Teil der Kassettendecke, in der Mitte kann man bis in den
Untergrund der Korenhalle durchblicken, die unterschiedliche Färbung der
Türgewände rührt von dem Algenbesatz her, der sich an dem ausgegrabenen Teilen
noch nicht festgesetzt hatte. Hinter der Türschwelle kann man auf die Kuppe
eines Gewölbes sehen, das bei den römischen Umbauten – über dem Meer des
Erechthonios – eingebracht wurde.
Der damalige Bauzustand
ermöglicht die Sicht auf die Seite eines der Steinbalken, die auf der Wand und
den Epistylen aufliegen und die ihrerseits die Kassettenteile der Decke tragen.
Auch kann man einige der unklaren Ansätze erkennen, die zu der Vermutung
führten, es sei noch ein Westflügel geplant gewesen.
Ein anderer großer
Fotograf wurde von der Nordhalle angezogen, hier nahm er die Basen der Säulen
auf: Walter Hege. Er lief mit einem Teleobjektiv herum, das wegen der Größe des
Bildformates riesig war, er nannte es „Kanone“. Diese war im Gegensatz zu der
des lüneburgischen Artillerieoffiziers nützlich, segensreich.
1873 war der obere Teil
der Westwand nicht zu sehen, er war nach einem Sturm eingestürzt, die
ge-elginte Karyatide ersetzt, jedoch das Dach durch Metallstützen abgesichert.
Im Vordergrund breitete sich noch eine bewachsene Erdschicht aus, noch war
nicht jedes Körnchen der Erde durchgesiebt, noch steckten die Fundamente
des alten Athenatempels in ihr.
Heute fällt der Blick vom
gleichen Standpunkt auf ein vollständigeres Gebilde, die Koren sind durch hohle
Abgüsse aus Marmorstaub ersetzt, die in sich Metallstützen bergen. Die Westwand
steht mit den römischen Fensterfüllungen da, der Nordbau ist fast gänzlich wieder
auferstanden. Betreten kann man das Bauwerk nicht mehr, mit Sicherheit würden
die Sohlen der unzähligen Besucher den Boden nicht nur ab-, sondern
tiefschleifen.
Da bot sich Dodwell zu
Beginn des 19. Jahrhunderts ein anderes Bild. Die Elginkore war durch einen Pfeiler
ersetzt, aber die Westwand stand noch. Welcher Zeitpunkt in der Geschichte
eines Bauwerkes ist für die Anastilosis der maßgebende? Welcher Zustand soll
wiedererstehen? Der Wiederaufbau der Akropolis wurde durch eine eigens
einberufene internationale Konferenz abgesegnet, es war aber auch ein
Dammbruch. Jetzt verweist jeder auf die Akropolis und zieht aus ihrer
Anastilosis Rechtfertigung für sein Agieren.
Übrigens: Im Hintergrund
sieht man auf Dodwells Bild eindeutig, wie brutal die osmanische Besatzung die
Turkokratia betreibt, nämlich durch Musizieren.
Das Konzert in Köln hatte
nicht nur für die DDR weitreichende Folgen, auch für den Sänger selbst ergaben
sich Veränderungen: er war den Reisebeschränkungen entronnen. Angesichts der
Korenhalle konnte ihm nun einfallen:
Sieh an, mein Freund, die Leichtigkeit
Mit der die Fraun es tragen
Das Tempeldach auf ihrem Kopf
Sie stehn da, schön geschlagen
Von schwerer Männerhand
In Stein.
Die Korenhalle erlaubte
den osmanischen Besetzern der Akropolis eine naheliegende Assoziation, Frauen
am Haus, also Haus für Frauen, also Harem. Übrigens, hier zeigt sich wieder
einmal die nationalistische Komponente der Archäologie. Bei der letzten
Restauration des Bauwerks wurden von den in unterschiedlichen Epochen
weiterbearbeitete Steinen zwar die byzantinischen wiedereingebaut, die unter
osmanischer Herrschaft bearbeiteten nicht. Selektive Wahrnehmung ist nicht nur
ein individuelles Phänomen.
Über die Karyatiden gibt
es zwei Versionen, nach der einen seien es die in die Sklaverei verkauften
weiblichen Einwohner der perserfreundlichen Stadt Karyai, die nun zur Strafe
schwere Arbeit leisten mussten, die Männer hatte man gerichtet. Die andere
Version schmeckt Dottore besser: In Karyai gab es ein Heiligtum der Artemis,
beim alljährlichen Fest tanzten die jungen Mädchen des Ortes so schön einen
Reigentanz, dass ihre Haltung zum Inbegriff des aufrechten Schreitens wurde.
Vergleicht man die Statuen mit Vasenbildern, auf denen Frauen auf dem Kopf das
Wasser in Krügen von der Krene nach Hause tragen, so ist eine große Gleichheit
festzustellen. Und ob man das Gebäude mit ehemals perserfreundlichen Frauen
schmückte, die dann sehr aufrecht und fast stolz dargestellt sind, erscheint
doch wenig plausibel.
Hier mischt sich
Pantalone ein: „Also, ich finde, die sehen doch alle sehr stabil und fast
bäuerlich aus. Mein Schönheitsideal ist das nicht!“
„Nun denn, die Griechen
unterschieden bei Frauen zwischen denen, die ihre Lust erweckten und bisweilen
befriedigten, und solchen, die sie heiraten wollten. Die mussten die Last
vieler Geburten aushalten, darüber
hinaus auch kräftig genug sein, um die alltägliche Arbeit im Haus zu
bewältigen. Zu diesen Frauen zählen wohl die Mädchen aus Karyai.“
„Ich weiß zwar, dass Du
es mit dem alten Ägypten nicht so hast, aber dort gab es das, was der Kölner en
lecker Mädche nennt. Die Statue zeigt so eine!“
„Ausnahmsweise hast Du
recht, die könnte sogleich über den Laufsteg bei Karl Lagerfeld schweben, ich
werde meine Distanz zum alten Ägypten überdenken.“
Für
Wolf, den ich bei Jule Hammer unbesonnen fragte.
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