Donnerstag, 26. Juli 2012

Sebah 14 und das Erechtheion


 – Ein Rundgang um den Tempel mit Unterbrechung –

Die Meder verstanden sich aufs Rachenehmen. Als das bis dahin immer perserfreundliche Milet den Ionischen Aufstand auf der Seite der Persergegner mitmachte, wurde es von den Persern nach der Eroberung fast gänzlich zerstört, wahrscheinlich wurden die Milesier noch gezwungen, diese Arbeit für sie auszuführen. Das auf dem Zeytintepe liegende Heiligtum – der Aphrodite geweiht – ist kaum noch aufspürbar: Da sind zum einen die Felsabarbeitungen für die Fundamente, die auf einen größeren Tempel schließen lassen, zum anderen aber 20000 Stücke weißen Marmors, keines größer als eine Männerhand, so ließen die Meder das Heiligtum zerkleinern. Als der Dichter Phrynichos seine Tragödie „Mıλήτου άλωσις aufführen ließ, berührte dies die Zuschauer so, dass sie in Tränen ausbrachen. Daraufhin wurde das Stück verboten, Phrynichos mit einer Strafe von 1000 Drachmen belegt, weil er das Unglück der Hellenen für sich genutzt habe.

Nach dem Sieg der vereinigten Griechen bei Plataiai sollen sie einen Eid abgelegt haben, alle von den Persern zerstörten Heiligtümer als Mahnmal stehen zu lassen, sie nicht wieder aufzubauen. Jedoch waren Teile ihrer Heiligtümer oft aus Anlass eines kriegerischen Erfolges errichtet worden, so die sog. Marathonbasis in Delphi, eventuell der Vorparthenon. Eine teilweise Identität von Politik und Religion hätte ihnen also nicht fremd sein dürfen, das Vorgehen der Perser auf Verständnis, nicht Billigung, stoßen müssen.

Die Griechen hatten im Verhältnis zu der von ihnen geschaffenen Philosophie eine geradezu läppische Religion mit einem Obergott, der danach strebte, bei anderen Wesen jede Körperöffnung wenigstens zeitweise zu füllen. Als Ausgleich dazu blühte auch bei ihnen ein Jungfrauenkult, hier war es die Göttin Athene, die zur Edeljungfrau avancierte. Nun ergab es sich, dass nach der Zerstörung der Akropolis durch die Perser einige alte Stätten dort wieder genutzt werden sollten, Eid von Plataiai hin oder her, was gebb isch uff mei dumm Geschwätz vunn gestern!

Neben dem alten Athenatempel, dort wo jetzt das Erechtheion steht, lagen geheiligte Orte; viel musste dort untergebracht werden:
Zuerst einmal das uralte Xoanon der Athene,
dann lag dort das Dreizackmal im Fels, von Poseidon geschlagen,
als Gegenpol der Ölbaum der Athene,
nun sollte auch der allerhöchste Zeus nicht zurückstehen, also ein kleiner Altar für Zeus Hypotos,
das Grab des Kekrops befand sich dort,
des Heros Butes musste gedacht werden, der aus der Dynastie der allertreuesten Butaiden stammte,
für die dappische Pandrosos sollte auch ein Gedenkplätzchen vorhanden sein,
um das Dreizackmal rauschte das Meer des Erechthonios,
schließlich musste noch eine Verehrungsstätte für Zeus Herkeios, den Herdbewahrer, her; das Ganze noch auf abfallendem Felsareal.

Sogar in einem Rundbau hätte man das alles nicht unterbringen können, geschweige denn in einem so strengen Bau wie dem  griechischen Tempel. So musste der Architekt der Zeit vorauseilen, er baute nach dem Prinzip: form follows function. Ein Megaron ohne Anten wurde mit seitlichen Prostylos weiter unten verbunden, hinzu kam eine Halle mit anthropomorphen Stützen, vielleicht wollte er das Megaron noch spiegeln, aber der Nikiasfrieden währte nicht so lange. So setzt das Bauwerk, das später Erechtheion genannt wurde, am treffendsten die These um, der griechische Tempel sei kein eigentlich Haus der Götter, sondern immer nur ein Behältnis für sie, allerdings in der veredelten Form eines übergroßen menschlichen Hauses. Im Deutschen gibt es dafür das Wort Gehäuse, Schnecken wohnen in solchen, warum nicht auch griechische Götter und andere Idole.


Auf seinem Ausflug nach Athen versuchte Pascal Sebah 1873 (ca.) sich bei den Archäologen beliebt und seine Bilder verwertbar zu machen. Ebenso wie auf der Aufnahme des Hadriantores ist auf sechs der gezeigten Bilder ein Maßstab mit abgelichtet, dessen genaue Länge rätselhaft bleibt. Die Bilder müssen wegen des noch stehenden Frankenturmes vor 1875 gemacht worden sein, die verbindliche „internationale Meterkonvention“ wurde erst im Mai 1875 verabschiedet, das Längenmaß gab es schon seit der Französischen Revolution. Um zu verifizieren, ob der Maßstab metrisch ist, müsste man den umgekehrten Weg gehen: Auf Bild 11 ist er am klarsten abgebildet, wenn man die Höhe der Stufen kennte, dann könnte man seine Länge rekonstruieren.


Im Jahre 408/07 rechnete die Baukommission Arbeiten am Erechtheion ab, das musste nach dem Verständnis der athenischen Demokratie öffentlich geschehen. Also wurde das zuerst auf Holztafeln festgehalten und gezeigt, später in Stein verewigt. Zu lesen ist auf den teilweise erhaltenen Inschriften:
„Steinarbeiten: für die Kannelierung der Säulen auf der Ostseite gegenüber dem Altar. Die dritte vom Altar der Dione aus gesehen:
Ameiniades, der im Demos Koile wohnt, 18 Drachmen;
Aischines, 18 Drachmen;
Lysanias, 18 Drachmen;
Somenes, Sklave des Ameiniades, 18 Drachmen;
Timokrates, 18 Drachem;
….
Simias, der in Alopeke wohnt, 13 Drachmen;
Kerdon, 12 drachmen 5 Obolen;
Sindron, Sklave des Simias, 12 Drachmen 5 Obolen;

Und so geht es steinelang weiter. Bemerkenswert ist, dass die Arbeit der Sklaven genauso bewertet wird wie die ihrer Eigentümer, nicht nur der Hobel, sondern auch die Arbeit „macht alle gleich“, aber nie frei. Es wird Stücklohn gezahlt, die notwendige Sorgfalt bei der Arbeit verbietet Akkordlohn. Einer der Sklaven trägt einen persischen Namen, Gerys, man scheint nicht nachtragend gewesen zu sein, kein „der kemmt mir nich uff die Baustell!“


Von den ehemals sechs Säulen standen damals nur noch 5 am alten Platz, die rechte hatte Lord Elgin mitgenommen. Zugleich erkennt man den Höhenunterschied zwischen Ost- und Nordseite, wo eines der zierlichsten Säulengebilde entstanden war. Dort, wo einst der Altar für den obersten Zeus gestanden hatte, gähnte ein Loch.


Hier hat Pascal Sebah wohl gepatzt, das Bild endet oben inmitten des Zierfrieses des Türsturzes. Rechts lehnt ein Teil der Kassettendecke, in der Mitte kann man bis in den Untergrund der Korenhalle durchblicken, die unterschiedliche Färbung der Türgewände rührt von dem Algenbesatz her, der sich an dem ausgegrabenen Teilen noch nicht festgesetzt hatte. Hinter der Türschwelle kann man auf die Kuppe eines Gewölbes sehen, das bei den römischen Umbauten – über dem Meer des Erechthonios – eingebracht wurde.


Der damalige Bauzustand ermöglicht die Sicht auf die Seite eines der Steinbalken, die auf der Wand und den Epistylen aufliegen und die ihrerseits die Kassettenteile der Decke tragen. Auch kann man einige der unklaren Ansätze erkennen, die zu der Vermutung führten, es sei noch ein Westflügel geplant gewesen.


Ein anderer großer Fotograf wurde von der Nordhalle angezogen, hier nahm er die Basen der Säulen auf: Walter Hege. Er lief mit einem Teleobjektiv herum, das wegen der Größe des Bildformates riesig war, er nannte es „Kanone“. Diese war im Gegensatz zu der des lüneburgischen Artillerieoffiziers nützlich, segensreich.


1873 war der obere Teil der Westwand nicht zu sehen, er war nach einem Sturm eingestürzt, die ge-elginte Karyatide ersetzt, jedoch das Dach durch Metallstützen abgesichert. Im Vordergrund breitete sich noch eine bewachsene Erdschicht aus, noch war nicht jedes Körnchen der Erde durchgesiebt, noch steckten die Fundamente des alten Athenatempels in ihr.


Heute fällt der Blick vom gleichen Standpunkt auf ein vollständigeres Gebilde, die Koren sind durch hohle Abgüsse aus Marmorstaub ersetzt, die in sich Metallstützen bergen. Die Westwand steht mit den römischen Fensterfüllungen da, der Nordbau ist fast gänzlich wieder auferstanden. Betreten kann man das Bauwerk nicht mehr, mit Sicherheit würden die Sohlen der unzähligen Besucher den Boden nicht nur ab-, sondern tiefschleifen.


Da bot sich Dodwell zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein anderes Bild. Die Elginkore war durch einen Pfeiler ersetzt, aber die Westwand stand noch. Welcher Zeitpunkt in der Geschichte eines Bauwerkes ist für die Anastilosis der maßgebende? Welcher Zustand soll wiedererstehen? Der Wiederaufbau der Akropolis wurde durch eine eigens einberufene internationale Konferenz abgesegnet, es war aber auch ein Dammbruch. Jetzt verweist jeder auf die Akropolis und zieht aus ihrer Anastilosis Rechtfertigung für sein Agieren.

Übrigens: Im Hintergrund sieht man auf Dodwells Bild eindeutig, wie brutal die osmanische Besatzung die Turkokratia betreibt, nämlich durch Musizieren.

Das Konzert in Köln hatte nicht nur für die DDR weitreichende Folgen, auch für den Sänger selbst ergaben sich Veränderungen: er war den Reisebeschränkungen entronnen. Angesichts der Korenhalle konnte ihm nun einfallen:

Sieh an, mein Freund, die Leichtigkeit
Mit der die Fraun es tragen
Das Tempeldach auf ihrem Kopf
Sie stehn da, schön geschlagen
Von schwerer Männerhand
In Stein.

Die Korenhalle erlaubte den osmanischen Besetzern der Akropolis eine naheliegende Assoziation, Frauen am Haus, also Haus für Frauen, also Harem. Übrigens, hier zeigt sich wieder einmal die nationalistische Komponente der Archäologie. Bei der letzten Restauration des Bauwerks wurden von den in unterschiedlichen Epochen weiterbearbeitete Steinen zwar die byzantinischen wiedereingebaut, die unter osmanischer Herrschaft bearbeiteten nicht. Selektive Wahrnehmung ist nicht nur ein individuelles Phänomen.

Über die Karyatiden gibt es zwei Versionen, nach der einen seien es die in die Sklaverei verkauften weiblichen Einwohner der perserfreundlichen Stadt Karyai, die nun zur Strafe schwere Arbeit leisten mussten, die Männer hatte man gerichtet. Die andere Version schmeckt Dottore besser: In Karyai gab es ein Heiligtum der Artemis, beim alljährlichen Fest tanzten die jungen Mädchen des Ortes so schön einen Reigentanz, dass ihre Haltung zum Inbegriff des aufrechten Schreitens wurde. Vergleicht man die Statuen mit Vasenbildern, auf denen Frauen auf dem Kopf das Wasser in Krügen von der Krene nach Hause tragen, so ist eine große Gleichheit festzustellen. Und ob man das Gebäude mit ehemals perserfreundlichen Frauen schmückte, die dann sehr aufrecht und fast stolz dargestellt sind, erscheint doch wenig plausibel.


Hier mischt sich Pantalone ein: „Also, ich finde, die sehen doch alle sehr stabil und fast bäuerlich aus. Mein Schönheitsideal ist das nicht!“

„Nun denn, die Griechen unterschieden bei Frauen zwischen denen, die ihre Lust erweckten und bisweilen befriedigten, und solchen, die sie heiraten wollten. Die mussten die Last vieler Geburten aushalten, darüber  hinaus auch kräftig genug sein, um die alltägliche Arbeit im Haus zu bewältigen. Zu diesen Frauen zählen wohl die Mädchen aus Karyai.“

„Ich weiß zwar, dass Du es mit dem alten Ägypten nicht so hast, aber dort gab es das, was der Kölner en lecker Mädche nennt. Die Statue zeigt so eine!“


„Ausnahmsweise hast Du recht, die könnte sogleich über den Laufsteg bei Karl Lagerfeld schweben, ich werde meine Distanz zum alten Ägypten überdenken.“

 
Für Wolf, den ich bei Jule Hammer unbesonnen fragte.                             

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen