E.T.A. Hoffmann ist wie alle berühmten Juristen nicht wegen seiner Berufstätigkeit bekannt, sondern weil er in der Literatur und der Musik Werke schuf. Seine Einsichtsfähigkeit machte jedoch nicht vor seinem Broterwerb halt, so verdanken wir ihm die schönen Worte: „Den Täter haben wir, die Tat werden wir schon finden!“ Wenn es denn an der Tat mangelt, so ist die Sicherungsverwahrung bislang eine Möglichkeit gewesen, unliebsame bis gefährliche Menschen zu bestrafen. Denn schon eine kurze Lektüre des Strafvollzugsgesetzes zeigt, dass die Sicherungsverwahrung lediglich ein kleines Unterkapitel des Strafvollzuges war. 6 Paragraphen regelten, dass „Weihnachtsmänner im Sinne dieser Regelung auch Osterhasen [nicht] waren“, also der Sicherungsverwahrte beispielsweise eigene Kleidung tragen durfte, wenn er dafür sorgte, dass diese in regelmäßigen Abständen gereinigt wurde; welcher Sicherungsverwahrte konnte dies nach langjähriger Strafhaft? Die Freiheit des Grundgesetzes gilt aber auch für missliebige, unsympathische, unangenehme, gar widerliche oder gefährliche Bürger der Bundesrepublik. Nicht alle Sicherungsverwahrte fallen ununterbrochen über weibliche Menschen her, hier ein Beispiel:
Anna S., nicht die gleichnamige Person von Alexander Kluge, war eine Mandantin von Dottore. Eine feministische Initiative bezahlte ein wenig der Kosten und Gebühren. Anna S. war als Tochter eines Strafvollzugsbeamten 1925 geboren worden und fiel schon in jungen Jahren durch Diebstähle auf. Nun sind deutsche Strafakten nicht ein Ausbund an Einfühlsamkeit oder psychologischen Erkenntnissen, aber es fiel schon auf, dass die damaligen Ermittlungsbeamten (wir bewegen uns zeitlich im 3. Reich) durchgängig die Erklärung von Anna S. festhielten, sie wolle nur „mausen“, also die kryptosexuelle Komponente ihres Handelns für mitteilenswert hielten. Gleichwohl wurde sie immer wieder zu immer länger werdenden Gefängnisstrafen verurteilt, schließlich wurde Sicherungsverwahrung angeordnet, in der sie verwahrt wurde, als Dottore 1975 mandatiert wurde. Das dicke Bündel der Strafakten enthielt 22 Einzelakten, dies waren alle abgeurteilten Straftaten von Anna S.. Dottore fing an zu rechnen, wobei er Reichsmark der Deutschen Mark gleichsetzte und dann zum Ergebnis kam, alle abgeurteilten Diebstähle hatten Anna S. insgesamt Mark 1800 eingebracht, wobei eine Tat in der Nachkriegszeit mit über DM 600 den höchsten Betrag darstellte. Die Gesellschaft war durch Anna S. geschädigt worden, aber nicht erheblich. Anna S. hatte zwei Kinder geboren, die bei Pflegeeltern groß geworden waren und keinerlei Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter hielten.
Die Berichte aus dem Sicherungsvollzug verbunden mit dem Hinweis auf die nun nicht umwerfende Gesamtbeute bewirkten schließlich, dass die Kammer des zuständigen Landgerichtes in Niedersachsen die Sicherungsverwahrung aufhob. Aber wohin sollte Anna S. denn nun gehen? Von der Gefängniskost aufgedunsen war ihre weibliche Attraktivität gering. Ihre Geschwister kannten sie kaum und wollten auch mit ihr nichts zu tun haben. Sie selbst war feinfühlig genug, ihre Kinder nicht zu behelligen. Einige Zeit war sie nahe des Kreises der (letztlich bürgerlichen) Frauen angesiedelt, die Dottore bezahlt hatten, aber beide Seiten stellten fest, dass man doch sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Leben hatte. Also wohnte sie in einer beschützenden Einrichtung, was ihren wachsenden Zorn über die Gesellschaft nicht milderte, die sie für ihr verpfuschtes Leben nicht ganz zu Unrecht verantwortlich machte. Ab und zu besuchte sie Dottore, dem diese Veränderung zwar auffiel, sie aber nicht zu bremsen vermochte.
So wuchs die Neigung, wieder in Verhaltensweisen zu verfallen, die sie kannte. Ihr modus operandi bedingte, dass sie wieder auffiel, die neue Ermittlungsakte wuchs. Als bei der Akteneinsicht durch Dottore klar wurde, dass ihr Hass sie dazu gebracht hatte, Feuer (im Versammlungsraum der FDP-Fraktion) zu legen, kam es zu einem letzten Gespräch in Freiheit zwischen Anna S. und Dottore. Sie sah selbst ein, für die Freiheit nun untauglich gemacht worden zu sein, sie wollte ihre „Ruhe“. Eine feinfühlige Strafkammer in Südhessen kam mit Anna S. und der Verteidigung zu dem Ergebnis, dass nur ein Leben in einer weitgehend geschlossenen Institution sowohl der Gesellschaft als auch Anna S. nützen würde.
Die Sicherungsverwahrung alten Stils verwahrt nicht nur Ungeheuer, sie gebiert sie auch. Unser aller Schutz erheischt, dass bestimmte Menschen nicht in Freiheit sein können, weil sie aus Gründen gleich welcher Art zu einem normalen Sozialkontakt nicht dauerhaft fähig sind. Der Schutz vor diesen Menschen erfordert, sie der Freiheit zu berauben, aber nur der. Diese Einschränkung korrespondiert mit der kostenträchtigen Gestaltung des Lebens dieser Individuen. Wobei die Kosten bei wirklicher volkswirtschaftlicher Berechnung nicht hoch sind. Die verhinderten Schäden sind viel teurer und für die Betroffenen bitter. Wenn die Bundesrepublik für das Auslösen von Geiseln Millionenbeträge – mit Dottores Billigung inklusive der Leugnung der Tatsache – übrig hat, dann sind die ersparten fünf Morde und zehn Vergewaltigungen eben auch Millionen wert. Also muss eine Regelung geschaffen werden, die den Menschen mit dem sozialen Defizit ein Leben ermöglicht, in dem sie alles haben können denn die Freiheit.
Ob psychische Therapie überhaupt etwas nützt, erscheint Dottore fraglich, der Wolfsmensch ist das beste Beispiel. Prägungen sind so seltsam und fest, dass der Einfluss von Sprache und Sozialumgang im geschützten Bereich allenfalls dämmt.
Für Anna S., der Dottore Einsichten verdankt.
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