Dienstag, 31. Mai 2011

Mode, Medien, Wirklichkeit

Wie der Name schon berichtet, sind Medien nicht die Wirklichkeit, sie geben sie allenfalls subjektiv wieder, hinzu kommt die Subjektivität des Betrachters; alles dies ist angetan zu schließen, Medien sind keine zuverlässigen Vermittler der Wirklichkeit. Danny Kringiel, der den göttlichen Anteil an seinem Vornamen unterschlägt, gibt als seine Interessen Filme und digitale Medien an. So weit, so gut. Wenn er dann im Spiegel meint, aus Filmen auf die Wirklichkeit in der Vergangenheit schließen zu können, dann irrt er, die Un“gnade seiner späten Geburt“ verbunden mit Medienverliebtheit führt ihn zum Irrtum. Schon der Name seines Arbeitgebers hätte ihn misstrauisch machen müssen, denn welche Wirklichkeit gibt diese Zeitschrift wieder? Jeder Spiegel wechselt rechts zu links.

Weder hat Marlon Brando das T-Shirt kreiert, noch James Dean das Modebewusstsein für Jeans geweckt. Wäre Kringiel genauso alt wie Pantalone und zusätzlich in der „amerikanischen Zone“ aufgewachsen, dann wüsste er es besser.

1945 zogen geschlagen und deprimiert deutsche Soldaten durch die Lande, gekleidet in Uniformen aus kratzigem Stoff, die kein Hemd erkennen ließen. Wie anders dagegen die siegreichen Gis: Sie trugen nach Ende des Krieges leichte Kampfanzüge, die ihre Verwendbarkeit mehr als ahnen ließen, vorne war die Bluse geöffnet und ließ den Blick auf blütenweiße Unterhemden zu, die etwas über den Halsansatz reichten. Zogen die GIs die Bluse aus, so sah man das, was heute alle Welt als T-Shirt kennt. Besonders toll waren die Mitglieder der MP (Military Police) gekleidet, bei ihnen ragte das T-Shirt bis an den Kehlkopf. So wollten wir auch aussehen, wie aber kam man zu solchen Hemden?

Deutsche Unterhemden hatten zwei Träger und waren aus Doppelripp, also völlig ungeeignet. Aber die Winterunterhemden waren verwendbar. Zuerst musste mühselig das Etikett herausgetrennt werden, damals wurden sie noch nicht eingeklebt. Dann wurden die Ärmel in Höhe des Oberarms abgeschnitten und neu gesäumt. Nach der ersten Wäsche, die notwendig war, um die Spuren der Nahtlöcher des Etiketts zu verbergen, wurde nun die Neuerwerbung umgedreht angezogen, also mit dem Rückenteil nach vorne, nun leuchtete das Dreieck der Hemdöffnung weiß. Schwierig war allerdings, der Mutter beizubringen, warum man im Sommer ein Winterunterhemd tragen wolle, dessen Ärmel man weitgehend abschnitt, das Ganze dann noch verkehrt herum. Das war die Geburt des T-Shirts in den Köpfen der Jugend.

Nach und nach veränderte sich mehreres: Zum einen zogen die Familien der amerikanischen Soldaten nach, zuerst die der Offiziere, dann auch anderer Dienstgrade. Dies bedingte zum anderen, dass die Einkaufsmöglichkeiten für diese Menschen geschaffen bzw. vergrößert werden mussten. In jedem größeren Standort amerikanischer Truppen gab es solche „Supermärkte“, AFEX- bzw. PX-Läden genannt. Dort durften nur Amerikaner einkaufen. Schließlich trugen nun die Besatzungssoldaten nicht mehr ausschließlich Uniform, sondern kleideten sich zivil, hatten also Jeans an, sie sagten Liehweiß oder Lie dazu, je nach Marke des Herstellers. Wir hatten Lederhosen an, man bekam im Leben zwei, die erste mit 9 Jahren, die zweite mit 14, die zweite hielt bis fast zur Unterprima. Wie konnte man nur an Jeans gelangen?

C&A beispielsweise verkaufte, um dem Bedarf nachzukommen, inakzeptable „Black Jeans“ aus einem windigen Baumwollstoff, die umgeschlagenen Hosenbeine waren gar mit Schottenmuster gefüttert. Man musste einen Ami kennen, aber das war eine diffizile Sache. Bürgerliche Kreise pflegten keinen Kontakt zu ihnen adäquaten amerikanischen Offizieren und umgekehrt, mit den meist in der Unterschicht beheimateten Frauen, die Umgang mit Amerikanern hatten, mochte man auch nicht nun plötzlich in gesellschaftlichen Verkehr eintreten. Aber irgendwie schaffte man es: zuerst musste eine Maßband her, mit dessen Hilfe man feststellen konnte, ob man 26er oder 28er Weite hatte, die Länge der Jeans spielte eine geringere Rolle, die Hosenbeine wurden umgeschlagen. Nun konnte man die Dame seines Herzens am Lyzeum nicht mehr in Lederhosen, sondern in richtigen Jeans abholen, wenngleich die Latein- und Griechischlehrer ununterbrochen über die Kleidung „amerikanischer Kuhhirten“ lästerten. Wir gaben es ihnen heim, wir fuhren in den Sommerferien nach Griechenland und Türkei, wo sie noch nie gewesen waren, aber darüber erzählten.

Σ: Nicht die Herren Brando und Dean haben zwei Kleidungsstücke in Europa populär gemacht, sondern die siegreichen Amerikaner brachten nicht nur Demokratie und eine höhere Form des Kapitalismus mit, sie lebten uns Offenheit und Lässigkeit in Jeans und T-Shirts vor, ab 1945!

Nachtrag 1:

Wäre die Aussage von Herrn Kringiel richtig, so handelte es sich bei dem amerikanischen Soldaten ganz links um Marlon Brando, denn ein T-Shirt lugt weiß aus dem Kampfanzug. Da es aber Marlon  am Knie hatte, brauchte er nicht GI zu werden. Das Bild - ein bisschen kleiner und düsterer - war über Spiegel-Online zu sehen. Warum die deutschen Kriegsgefangenen so betrübt dreinblicken, ist objektiv nicht nachvollziehbar, war doch für sie der Krieg vorbei; allerdings der späte Kommentator kann leicht reden.



Noch eine andere Veränderung kam mit den Amerikanern nach Deutschland: das durchgeknöpfte Herrenhemd. Bis 1950 waren alle Oberhemden so geschnitten, wie Wilhelm Busch es in der "Frommen Helene" darstellt, als der Onkel "mit Bedacht vertauscht das Hemd des Tages mit dem der Nacht." Alle Hemden waren vorne wie hinten rund geschnitten, hatten seitlich je einen Schlitz und die Knopfleiste endete etwa in Nabelhöhe. Der Abschied von diesem Zuschnitt fiel den Textilfabriken offenbar schwer, für eine kürzere Zeit Ende der 1950er Jahre wurden Hemden als modern kreiert, die vorne gar keine senkrechte Knopfleisten hatten, sondern oben vor dem Kragen einen waagerechten Saum mit zwei Knöpfen. Heute kann Pantalone sich an den Unsinn der alten Hemden noch erinnern, es erscheint ihm aber wie eine Reminiszenz aus dem 19. Jahrhundert, die so fraglich ist, dass er an seinem Gedächtnis zweifeln mag.  

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