Montag, 17. Februar 2025

Kleinasien 1958


In diesem Jahr fuhr eine Gruppe von 36 Schülern aus Roulettenstadt selbst organisiert nach Griechenland. Manche nutzten die Gelegenheit, um auch der anderen Seite der Ägäis einen Besuch abzustatten; bildungsmäßig bemäntelt, um Ionien und besonders Troja aufzusuchen. Man musste von Chios nach Cesme übersetzen und tauchte unversehens in eine bis dato völlig fremde Kultur ein. Dottore, dem mit elf Jahren die Religion abhanden gekommen war, hatte zuvor einen eher ethnographischen Blick auf außerchristliche Religionsausübung verbunden mit dem europäischen Hochmut, das Christentum sei als abendländischer Kulturbestandteil natürlich höchststehend. Wie erstaunt war er, als er bei den Gebetsgottesdiensten in den Moscheen feststellen musste, dass diese Religion auf jegliche Art von Opfer verzichtet. Ihm kam zu Bewusstsein, der Islam ist eben 600 Jahre jünger, kommt also ohne das atavistische Opfer aus, die Gottheit ist nicht mit Gaben zu bestechen.

01 Izmir Sadirvanalti Cami

Erstmalig besuchte Dottore einen orientalischen Basar in Izmir, den Kemeralti. Die Welt eines Basars erläutert am besten ein Geschehen, das sich mehr als 60 Jahre später in eben diesem Verkaufsmarkt ereignete:  Dottore wollte zu den schon vor langer Zeit gekauften Teegläschen Untersetzer kaufen. Die von ihm gewünschte Art - eine in der Türkei landläufige - besteht aus Porzellan und ist mit blauen bzw. roten radialen Streifen verziert. Der Händler, bei dem wir zwölf Stück erwerben wollten, hatte derartige aber nur aus Plastik. Nachdem wir unsere verbindliche Verkaufsabsicht bekundet hatten, eine Einigung über den Kaufpreis erzielt war, bat uns der Verkäufer um eine kurze Wartezeit und rannte los. Bei einem Mitbewerber erstand er die 12 Untersetzer und diese konnte er uns nun verkaufen. Zu schrecklich wäre es für ihn gewesen, das Geschäft mit uns nicht getätigt zu haben. Kein gemeindeutsches Einzelhändlergeplapper: "Ham wer nich" oder "Muss ich erst bestellen" hört man, sondern der unbedingte Willen zum Geschäft treibt die dort handelnden Menschen an, selbst wenn die Marge gering ist. 

02 Izmir Kemeralti 1

Seit dieser Aufnahme hat sich zweierlei geändert: Zum einen weiß Dottore, welche Köstlichkeit Kelle Paca Corbasi (Schafskof- und Beinesuppe) ist, wie denn den Türken Essen, insbesondere Suppen, sehr wichtig ist, so hatten sie im osmanischen Heer einen Offizier, den Corbaci, der für die Versorgung der Mannschaften mit guter und ausreichender Nahrung verantwortlich war, kein simpler Küchenbulle aus dem Unteroffiziersstand. Weiterhin ist den sich einstellenden hygienischen Bedenken seit langem Rechnung getragen, die Frontseite der Metzgerläden besteht heutzutage in der Türkei aus einem riesigen Kühlschrank, der zur Straßenseite hin aus Glasscheiben besteht, um den Passant mit dem Blick auf die Ware anzulocken.

03 Izmir Kemeralti 2

Die Übernahme der römischen Ziegelbautechnik vollzog sich in Kleinasien eigentlich nur in dessen westlichem Teil, in den sich östlich anschließenden Landschaften beharrte man auf den Errungenschaften der Hellenisierung, benutzte also in Fortführung griechischer Bauweise weiterhin behauene Steine.  Das große Heiligtum für ägyptische Götter entging der Umwandlung in eine Basilika nicht, unter ihr rauscht weiterhin der überbaute Selinus.

04 Pergamon Rote Halle

Was im Asklepieion geschah, hat ein Kundiger einmal mit der Mischung aus Lourdes und Wörishofen beschrieben, also zum einen Kult um den Heilgott und andererseits nie gänzlich falsche Wasserkuren. Einer, der sich dort in römischer Zeit länger aufhielt, war der sich selbst überschätzende Aelius Aristdides, gerne und langwierig krank. So lungerte der wohlhabende Aelius - Heilgeld zahlend - lange in Kur dort, wo es auch Tempel, Bibliothek, Stoa und Theater gab, um den dort Weilenden das Dasein angenehm zu gestalten. Modern würde er von ärztliche Seite aus als "zur verstärkten Selbstbeobachtung neigender Privatpatient" bezeichnet werden, aber durch seine Berichte wissen wir mehr über die dortigen Abläufe. Ob es auch "Kurschatten" gab?

05 Pergamon Asklepieion

Selbstverständlich hatte Dottore Karl May gelesen, insbesondere die ersten sechs Bände. So war ihm beim Anblick des Han sofort klar, das ist eine Karawanserei! Und er beging das, was man als Sakrileg beim per-Anhalter-Fahren bezeichnen könnte, er veranlasste die ihn nach Bursa Mitnehmenden zu einem Stopp, um das Bauwerk zu besichtigen. Die waren jedoch geduldig (und wohl stolz auf das Vorzeigen eines Gegenstandes, der mit der Geschichte ihrer Vorfahren verbunden ist). So sind denn auch Fahrer und Beifahrer mit abgebildet. Erst Jahrzehnte später konnte Dottore den Namen des Han in Erfahrung bringen und weiß nun, dass er einer der am weitesten im Westen liegende ist.
     
06 Issiz Han

Das Bild 07 ist schon einmal in diesem Blog gezeigt worden nebst eines entschiedenen Kommentars zu der gewechselten Ausrichtung der Besucher. Daher hier nun nichts weiter mehr, nur der Hinweis auf Sebah 12 und Bursa aus dem Jahre 2012.

07 Bursa Pirinc Han 1
08 Bursa Pirinc Han 2
09 Bursa Pirinc Han 3
10 Bursa Pirinc Han 3 Medrese

Die Ulu Cami in Bursa hat Pascal Sebah schon so perfekt aufgenommen, dass sich die Aufnahme dieses Bildes geradezu als eine Belästigung darstellt. Dottores nostalgistische Emotion siegt über sein Mitteilungsbedürfnis.   
11 Bursa Ulu Cami

Seit damals bis heute legt Dottore nach Durchsicht seines Geldbeutels das Kupfergeld in einem kleinen Henkelbecher ab, den er damals in dieser Gasse der Kupferschmiede erworben hat. 

12 Bursa Straße der Kupferschmiede

Auch Bild13 ist schon einmal in diesem Blog gezeigt worden, es wird nur der Vollständigkeit halber  hier nochmals gezeigt. Es bleibt nur übrig, den Hinweis auf Sebah 12 und Bursa aus dem Jahre 2012 zu wiederholen.

13 Bursa Türkisches Wohnviertel

Der Einbettung dieses Bildes ist ein langandauernder Streit zwischen den Protagonisten dieses Blogs vorausgegangen,  Einigkeit herrschte dabei, es sei unscharf, jedoch durch den Farbklecks der Stockrose farblich akzeptabel. Daher war Pantalone der Meinung, es könne als Erinnerungsposten an die Farbgebung der Diafilme der 1950er Jahre publiziert werden, während Dottore seine Abneigung gegen unscharfe Bilder aktivierte. Letztlich gab das Argument von Pantalone den Ausschlag, er rede auch nicht in die Textgestaltung von Dottore rein, also müsse der auch die Bildauswahl von Pantalone ertragen. 
 
14 Bursa Yesil Cami

Diese ägyptischen Bratenspießchen haben schon einen erheblichen Nimbus, fast jede Metropole der Neuzeit schmückte sich mit einem derartigen Mitbringsel. Der Transport war immer schon mühsam; seit der Papst den vor der Lateranbasilika aufstellen ließ, gilt dies als technische Meisterleistung. Theodosius hingegen ordnete es an, es wurde gemacht, wobei der riesige Stein seitdem auf vier Bronzewürfel ruht. In der Spätantike war man gelassener als 1200 Jahre später, am 10.09.1580 (in Rom). 

15 Konstantinopel Theodosianischer Unterbau

Die Feuerwehr in Istanbul war im 19. Jahrhundert offensichtlich eine beliebte Kuriosität, die oft abgelichtet wurde. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, insbesondere nach dem Großbrand von 1908, wurde dort eine Institution aufgebaut, die außertürkischen Maßstäben nahekam. Schöpfer der Feuerwehr in Konstantinopel war ab 1874 der langjährige Leiter der ungarischen Feuerwehrorganisation, Graf Edmund Stephan Széchenyi (1839-1922), der die Feuerbrigade strikter militärischer Disziplin unterwarf und dafür sorgte, dass sie zum Kriegsministerium ressortierte. Er wurde im osmanischen Reich Zecheny Pascha genannt. Gleichwohl brannte im Jahre 1918 wieder ein Großteil der hölzernen Wohnhäuser ab, Grund genug, die Unterhaltung dieser Bauten nicht zu forcieren

16 Istanbul Holzhäuser

Die Fragwürdigkeit der Mitteilung schon als "alt" zu bezeichnender Bilder in subjektiver Hinsicht, also aus dem Blickwinkel des Fotografen, ergibt sich daraus, dass der Bildautor dabei schmerzlich erfährt, dass er schon museal geworden ist. Natürlich kann Dottore sich noch an die Aufnahmesituation (nahe Taksimplatz) erinnern, die Straßenbahnlinie gibt es auch noch, nur eben heute als Museumsbahn, jedoch nicht so vollgepfropft.  

17 Istanbul Straßenbahn

Im August 1958 bestand wieder einmal eine "Zypernkrise", Grund für zwei Mütter der 36, ihre Söhne per Telegramm zur umgehenden Rückfahrt aufzufordern, was souverän (und berechtigt) missachtet wurde. Die Krise tobte sich im Istanbuler Gemüsemarkt aus. 

18 Istanbul Nationalistische Wassermelone

Gekonnt eingefügt, so, als gehöre sie schon immer dazu, haben die Eroberer Konstantinopels die Festung Yedikule in die Landmauer. Sie wurde unter hoheitlicher Missachtung des sich ausbildenden Völkerrechtes im Osmanischen Reich gern benutzt, um Botschafter derjenigen Staaten einzusperren, die gerade unbeliebt waren. 1958 waren alle Pflanzen im Innern vollkommen mit Schnecken übersät.

19 Istanbul Yedikule

Sechs der 36 hatten sich in Istanbul verabredet und  trafen sich auch pünktlich, sage da niemand etwas gegen Zuverlässigkeit unserer damaligen Form des Reisens, eben per Anhalter. Ohne den begriff des Urlaubs auch nur zu denken, machten wir den für drei Tage am Schwarzen Meer in Kilios. Nach der Umgehung der Festung mittels eines Marsches durchs Meer, schliefen wir nicht auf, sondern neben Kanonen, wir waren doch auch keine Soldaten.

20 Kilios Kap Kasak Burnu
21 Kilios Kurt hängt in Unterhose Wäsche auf
22 Kilios Fünf von den Sechs leben noch 








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