Jeder Mensch durchläuft nach seiner Geburt eine
Ausrichtung an Normen. Da sind vor allem die Normen der physischen Welt, die
Naturgesetze. Das biologische Geschehen des Stoffwechsels bringt die erste
Kontaktaufnahme des Säuglings hervor, hat er Hunger, dann schreit er. Einige
Zeit später ist es das physikalische Phänomen der Gravitation, das in der Form
der Erdanziehung hier regiert und den aufrechten Gang schon im tatsächlichen
Sinne schwer macht. Bei einem Verstoß lernt das Kleinkind rasch, weil bisweilen
schmerzhaft, dass es einen Reibungswiderstand gibt. Allen Naturgesetzen ist
eigen, dass sie jeden Verstoß unnachgiebig ahnden, alles wird sanktioniert. Gnade
gibt es nicht.
Komplizierter sind dagegen die gesellschaftlichen
Normen, da sie in ihren Folgen abgestuft sind. Vorab sind es Verhaltensnormen,
die dem Kind andressiert werden („das macht man nicht!“), später dann
durchsetzt mit allgemeinen Gesetzen, die auch die Eltern befolgen müssen, zum
Beispiel die von den Ländern erlassenen Schulpflichtgesetze. Fast immer „wächst
man in die Normen herein“, ohne sie genauer zu kennen geschweige denn, sie
jemals gelesen zu haben. Soziale Normen sind in den jeweiligen Gesellschaften
sehr unterschiedlich, schon die körperliche Nähe zu einem anderen Menschen
variiert, die Distanz ist in England erheblich größer als in den Ländern am
Mittelmeer. Aber überall ist es so, dass die Menschen diejenige
Normsozialisation, die sie durchlaufen haben, für das halten, was eben „normal“
ist. Es bedarf der ununterbrochenen Reflexion, um in anderen Zivilisationen
nicht anzuecken.
Die Globalisierung bringt nun einiges durcheinander.
Schon immer musste man sich in der Fremde gegenüber den Naturgesetzen so
verhalten, wie man es gelernt hatte, aber bei den gesellschaftlich vermittelten
Normen war das anders: Die bisher eigenen, antrainierten Normen musste man so
weit beibehalten, wie sie nicht im Widerspruch zu denen der neuen Umgebung standen,
die aber waren teilweise anders, manchmal sogar verstörend, fast immer
irritierend. Langsam und mit erheblicher Vorsicht gelingt es meistens, sich in die
fremde Normenlandschaft einzugewöhnen. Jedoch ist nicht nur der Wechsel des
Aufenthaltsorts notwendig, um Normenkonflikte loszutreten.
Mohammed bin Salman al-Saud ist als Prinz
aufgewachsen, er durfte fast alles, bei Tötung gab es ein festes Reglement, mit
500 Kamelen war fast alles wieder gut zu machen. Nun wähnte er sich im Kreise
der übrigen Gewaltherrscher, muss aber feststellen, nur das Öl unter seinen
Füßen bewahrt ihn vor weiterer Empörung und möglichen Sanktionen. Er wird
alsbald auf der G-20 Konferenz die anderen Großkopferten fragen können, warum
nicht auch er Herr über Leben und Tod anderer Menschen sein kann (deren
Handlungsweise war an dieser Stelle vor kurzem in dem Post „Was ist der
Unterschied?“ behandelt worden). Die werden ihm dem Sinne nach sagen, was man
eben den kleinen Kindern vorhält: „Das macht man nicht!“ Im Vertrauen äußern
sie dann: „Man lässt jemanden töten, aber nicht abschlachten, Dir hängen die
orientalischen Eierschalen noch an der Kufiya!“
Tip von Dottore an den Prinzen für die Beseitigung
des nächsten missliebigen Menschen:
1. Einholung
einer Fatwa, dass diese Kreatur nicht weiter leben darf.
2. Gelinder
Protest der Regierung dagegen, der Obermufti bestätigt jedoch das Urteil.
3. Warnung
an den Menschen über offizielle Kanäle, leider gäbe es in außersaudischen
Ländern Hitzköpfe. Man bietet sogar eine Leibwache an.
4. Einem
nicht so sehr missliebigen Staatsbürger wird über kurzen Draht - um die Zahl der
Mitwisser klein zu halten - bedeutet, dass er der Gnade der Führung wieder
teilhaftig werden könne, wenn er sich an die Fähigkeiten der Assassinen
erinnern und entsprechend handeln würde.
5. Nach
dem Geschehen wird dem Täter ein Lebensabend bereitet wie seinerzeit Idi Amin.
Der wirkliche Rat von Dottore sieht aber anders aus,
weil er dialektisch ist: Lebenlassen, aber beobachten. Der Kritiker von heute
ist der geeignete Vasall von morgen. Das ist zynisch, erspart aber Ausgrenzung,
ist schlau, weil berechnend, bringt kurzfristig moralische Vorteile,
langfristig größere Sicherheit.
Aber der Bub aus Riad muss eben noch lernen!
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