Donnerstag, 3. September 2015

Requiem für einen kleinen Jungen

Ach wir Deutschen, was sind wir doch für kulturbeflissene Arschlöcher! Da ereignet sich Ungeheures und wir grämen uns um archäologische Reste. Ein Bild von Apameia am Orontes aus dem Juli 2011 zeigt offenbar Fußwege und am rechten Bildrand die Überbleibsel einer der Kleinasiatisch/syrischen Säulenstraßen.

  
Der gleiche Teil der Erdoberfläche sieht 9 Monate später völlig anders aus: Nach dem Zerfall des Syrischen Staates fallen Eroberer oder Anwohner über die Stätte her, gierig und voller Hoffnung hier etwas zu finden, was den Kauf von Waffen oder den von Lebensmitteln ermöglicht.


Unser Missverständnis von Demokratie und Freiheit hat mit dazu beigetragen, die politische Ordnung in Syrien nachhaltig zu beschädigen. Verstört ziehen daher die Menschenmassen durch ihre zerstörten Städte, ein Bild, das von A. Paul Weber stammen könnte.


In Kobane hatten die Eheleute Kurdi die Hoffnung auf eine erträgliche Zukunft nicht aufgegeben, Ailan war gerade geboren worden. Er würde am Ende des 21. Jahrhunderrts seinen Enkeln erzählen können, wie seine Eltern, Geschwister und er damals, er könne er kaum noch daran erinnern, der Gefahr entronnen seien, so dachten sie.

Die Dauerkrieger, die ihr mörderisches Handwerk religiös verbrämen, was wir blöderweise auch noch glauben, wurden zwar von Kobane vertrieben, dafür machten sie sich an der Wüstenstraße breit, die von Damaskus zum Euphrat führt. So konnten sie in Palmyra ihrer nichtsnutzigen Ideologie nachgehen.


Wenn man, wie Dottore, dort 1963 schon einmal war, so waren die Veränderungen der Stätte seit dem allenfalls Grund zu Überlegungen, wie weit Anastelosis gehen darf, befangen im Zwiespalt zwischen Bewahrung der vergangenen Kultur und Attraktion für die Gegenwart. Für die verblendeten Krieger, diese marodierenden Landsknechte, die sich sowieso nur gerne an den Wehrlosen vergreifen, ein Anlass, die Kulturvölker des Westens einmal mehr zu provozieren. Dabei stehen ihnen geschätzte Verbündete des Westens gar nicht so fern: Wer in Saudi Arabien die spärlichen Ruinen einer Kirche entdeckt, tut gut daran, darüber zu schweigen, denn ansonsten schickt die Religionsbehörde einen Bulldozer, der in dem allerislamischsten Land die Spuren frühen Christentums beseitigen wird.


Jedoch, was sind das alles für Unerheblichkeiten. Denn wir sind nur entrüstet über die Kulturlosigkeit, ersparen uns aber dadurch Mitleiden der durch die gleichen Krieger geschundenen Menschen. Die deutsche Trennung zwischen Kultur und Zivilisation hat schon einmal den völligen Verlust der Menschlichkeit ermöglicht. Das fortwährende Wirken der Kulturträger Furtwängler und Gründgens bewirkte beim Bürger die Fixierung auf die Illusion, alles werde nicht so schlimm. Jetzt ist es wieder schlimm, natürlich nicht so wie damals, denn – trotz Hegel und Marx – Geschichte wiederholt sich nicht. Die Gefahr für die Menschlichkeit in Deutschland kommt dieses Mal nicht von oben, sondern der Anlass drängt von außen.  

Warum beherzigen wir nicht das, was in anderem Zusammenhang Schiller in den Kranichen des Ibykos schrieb:

Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen?
....
Von Asiens entlegener Küste,
Von allen Inseln kamen sie.

Der kleine Ailan Kurdi hat es nicht geschafft. Seine Eltern konnten ihn vor dem Ertrinken auf dem schwierigen Weg nach Europa nicht schützen, wobei die Schwierigkeiten auch von uns allen aufgerichtet wurden. So liegt er denn am Strand vor Halikarnassos, dem Geburtsort von Herodot, und wird nie seinen Enkeln Geschichten und Geschichte erzählen können.


Man wird im Alter nicht abgebrühter, Dottore und Pantalone haben während des Abfassens dieses Posts ununterbrochen mit den Tränen zu kämpfen gehabt. Lieber Leser, trage mit dazu bei, dass nicht nur die alten Kerle nicht mehr weinen müssen!

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