„Meinst Du nicht, wir müssten
unser langes Schweigen wenigstens erklären?“
„Das verstehe ich nicht, wir
hatten mit diesem Unternehmen doch beabsichtigt, uns zu konzentrieren, also Du
solltest gute Bilder machen und ich präzise Texte. Die Veröffentlichung war
allenfalls als Kontrolle gedacht, dass wir uns nicht blamieren, also Schmonzes
schreiben oder verwackelte Bilder präsentieren. Aber Rechenschaft müssen wir
nicht ablegen.“
„Das ist wieder typisch,
nein, das darf ich nicht sagen, also es ist charakteristisch für Dich,
selbstgefällig und letztlich arrogant zu sein, Dottore!“
„Also, wenn Du das Bedürfnis
hast, Dich vor der anonymen Welt der Bloggerbesucher zu rechtfertigen, dann
mach es, ich beteilige mich daran nicht!“
„Wir waren dabei, Postkarten
von Smyrna zu sammeln, es wurden weit mehr als 1600. Wenn wir die ins Netz
stellen, dann werden wir darauf hinweisen. Aber nun zum Thema!“
Pantalone überkam in diesem Frühjahr
das Fernweh, also die gebärdige Lust, nochmals
in das Land seiner frühen Reisen zu fahren. So orderte er die Flüge, was durch
die Beschränktheit der Buchungsprogramme der Fluglinien nicht in einem Zuge
geht, wenn man nicht vom Ankunftsort zurückfliegen will, nämlich so dämlich
sind deren Programmierer. Leider ließ es sich nicht vermeiden, dass der andere
Namensgeber dieses Blogs mitfuhr, das ist aber eine andere Geschichte – im
Vertrauen: so schlimm war es gar nicht.
Die Route war festgelegt,
zuerst entlang der Südküste bis Antakya, dann in einem großen Bogen –
Kappadokien aussparend wegen der vielen Touristen und der dadurch deformierten
Türken – durch das innere Kleinasien nach Lykien, wie schon seit jeher
empfohlen. Die Reihe der Bilder erscheint willkürlich. Ausgewählt wurden sie
nach ihrer Ansehnlichkeit und der subjektiver Bedeutung. Diese ergab sich auch
aus dem Reiz der Stätte, der zugemessenen Bedeutung des Objektes, also eben
willkürlich. 40 Tage und 58 Kirchenruinen später war er wieder zu Hause.
Vor 20 Jahren wurde man in
Selge von einer Schar Kinder empfangen, die nachdrücklich immer „BOMBOM“
riefen, also von dem Besucher die Befriedigung ihrer Naschhaftigkeit
erwarteten. Hatte man nun keine Süßigkeiten dabei, dann klebten sie während der
gesamten Besichtigung an einem, das besagte Wort immer trauriger murmelnd. Heute
muss man sich von Frauen freikaufen, die – überraschend kundig – sich nicht nur
an die Fersen heften, sondern tatkräftig die Führungsaufgabe übernehmen, ob man
das will oder nicht. Da zu den fünf Essentialen des Islam auch das Almosengeben
gehört, das Einkommensgefälle doch recht steil ist, nun da gibt man ihnen eben
den erhofften Unterhaltsbeitrag. Der Besuch der Stätte kostet ansonsten nichts,
das Theater grenzt sich wie das in Thorikos mit einem breiten Graben von dem
Felsen ab.
Die Stadt Side versuchte am
27. Mai 2012 ihre Attraktivität dadurch zu erhöhen, dass sie ein privates
Geschwader rot angemalter Starfighter anheuerte, die mit dem ihnen eigenen Lärm
Tiefflugübungen über dem Stadtgebiet abhielten. Ein zusätzlicher Grund, diese
Gegend zu meiden. Beim Wegfahren aber sollte man den Resten des Aquäduktes
folgen, man wird in die Berge geleitet. Dort liegt – etwas abseits – eine
Stätte, die man früher als Seleukia i. P. identifizierte, wahrscheinlich aber
Lyrbe war. Im Mai waren wir dort drei Stunden allein. In großer Ruhe und mit
angemessener Konzentration erkennt man dann auch das hinter dieser Fassade
errichtete Bouleuterion.
Von Archäologen sollte man
erwarten, dass sie über das berichten und das beurteilen, was sie selbst kennen
und wissen. Ioatepe ist ein Dorf an der Mittelmeerküste gewesen, es liegt an
einer Bucht. Diese wird von ihnen als „Hafen“ bezeichnet, keiner war wohl einmal auf dem Mittelmeer mit einem Boot oder Schiff
unterwegs. Diese Bucht erlaubt allenfalls bei günstiger Witterung ein kurzes
Anlanden, danach muss eiligst die Stätte verlassen werden, ansonsten würde das
Gefährt an die Felsen geworfen. Von den Archäologen des Jahres 4014 verlangt
auch niemand, dass sie eine desmodromische Ventilsteuerung erläutern können,
sie sollten aber von Ducati schweigen.
Müller-Wiener hat für
Deutschland das Tor zur Burg im Orient geöffnet, denn nicht nur am Rhein oder
in Bayern hausten die ollten Rittersleut. Das Buch hat auch Ekrem Akurgal
ausdrücklich gelobt. Die Armenier haben auch nach ihrem Umzug in südlichere
Gefilde noch präzise gebaut, die Kreuzfahrer haben das Gemäuer nur zeitweise
benutzen dürfen. Mü-Wi hat Tokmar nicht behandelt.
Würde man in Mitteleuropa durch
die Apsis ins Innere einer solchen Kirchenruine sehen, man legte sich
hinsichtlich der Erbauungszeit auf das 9. bis 10. Jahrhundert fest, aber der
Ort liegt im Rauhen Kilikien, dort wo Kleinasien nach Zypern hin so einen Bauch
hat. Man weiß es, man kennt es, aber es ist immer wieder verwunderlich, wie
aus- und durchgebildet die Kirchen der frühbyzantinischen Zeit sind. Sie haben
noch die Präzision der Antike, jedoch atmen sie schon christliches Mittelalter,
das im 5. Jahrhundert! Falsch wäre es, eine unmittelbare Kontinuität zu den
Bauten der Präromanik anzunehmen, dazu war die Kommunikation damals doch zu
dünn. Hinfahren, ansehen!
Wenn man jung ist, glaubt man
noch, man könne Entdeckungen machen. Das mag in den Naturwissenschaften noch
möglich sein, auch in Archiven, aber auf der Erdoberfläche ist alles schon
erkannt, allenfalls nicht im richtigen Publikationsorgan veröffentlicht. Wer
sich als Einzelreisender bis Olbia durchgeschlagen hat, der sollte noch ein
wenig weiter nach Tapureli fahren. Auf einem länglichen Felshügel, der sich quer
zu einem Canyon erstreckt, liegen inmitten Buschwerk die Ruinen eines bislang
seinen damaligen Namen verbergenden byzantinischen Ortes. Ein überbauter
Tempel, vier Kirchen, eine Prunksäule (für wen?) sind die Reise wert, von der
Landschaft und der sich zwangsläufig einstellenden Ruinenromantik abgesehen.
Alt-68er wissen es seit
Jahrzehnten, den anderen dämmert es so langsam, Wissenschaft ist immer auch
politisch. Die Türme in der Antike sind ein Musterbeispiel dafür. In Zeiten, da
es für einen Akademiker unumgänglich war, auch Reserveoffizier zu sein, da
waren alle Türme militärische Anlagen, und standen sie auch einsam, ohne
Fernsicht, abgelegen, herum. Dann fing man an, an dem Primat des Militärischen
zu zweifeln, und siehe, man entdeckte Scherben und sonstige Spuren bei den
Türmen, die eindeutig belegten, hier war ein Bauernhof. Wenn heute der Vulkan
unter dem Maar von Maria Laach wieder ausbräche und halb Europa erneut halbwegs
zerstörte, dann würden die Archäologen des Jahres 4014 bei der Ausgrabung des
durch den Bims verschütteten Rheintales zuerst einmal feststellen, die am Rande
des Tales liegenden festungsartigen Bauten waren Gasthäuser, nie und nimmer
Zollburgen oder ähnliches. Am Nordrand von Korykos steht dieser Turm,
offensichtlich aus Spolien errichtet. Nach dem Ende der dauerhaften Besiedlung
der Stätte hatte er seine ursprüngliche Funktion als Verteidigungselement
verloren, war jedoch immer noch nicht eingestürzt, also ging der Mensch, der in
der Umgebung Olivenbäume hatte, daran, sich dort einzurichten. Das sieht man an
der Ölpresse, die das Gewicht des Turmes als Widerlager brauchte.
Umfunktionieren ist eben uralt.
Nachdem das Christentum das
römische Kaiserhaus unterwandert hatte, konnte man daran gehen, für den Gottesdienst
aus den Privathäusern in eigene Bauten umzuziehen. Die heidnischen Tempel waren
dazu nicht primär geeignet, sie waren Behältnis der Gottheiten und nie
Versammlungsraum gewesen, zudem wurden sie noch benutzt. Erst unter Theodosius
kam ein wenig Pep in die Aneignung der Heidentempel. Diese Kirche in Hierapolis
Kastabala ist auf dem Platz eines antiken Bauwerks errichtet, wobei man
praktischer Weise auch gleich dessen Steine verwendete. Die Bögen stützen sich
auf korinthische Kapitelle, oben zieren die früheren Orthostaten die Apsis. So
dokumentiert man die Überlegenheit des neuen Glaubens. Das Bauwerk ähnelt
insoweit dem Bild, auf dem der IS-Krieger sich an der Haube der syrischen MIG
zu schaffen macht.
So weit ist Kaiser Rotbart
nicht gekommen, aber die armenische Burg in Anazarbos stützt Ludwig Uhlands Behauptung:
„viel Steine gabs und wenig Brot“. Die Kontinuität eines Siedlungsplatzes birgt
immer die Gefahr, dass zu viel aus unserer heutigen Sicht von den
zwischenzeitlichen Bewohnern beseitigt wurde; der Spuk der autogerechten Stadt
hat bei uns viel vernichtet. Aber Anazarbos wurde verlassen, lange bevor es
Leute gab, die sich anmaßen, Stadtplaner sein zu können. So gibt es Römisches –
in griechischer Manier –, Byzantinisches und Armenisches zu bewundern, die
einst winzige Abschlachtungsstätte, das Amphitheaterchen, ist weitestgehend
vergangen. Das weitläufige Stadtgebiet enthält das Typische: Thermen,
Basiliken, ein Stadion, das mehr wie ein Hippodrom aussieht, und ein Theater.
Wer dorthin gelangt ist, der kann auch auf dem alten Felssteig zur Burg weiter hinaufklettern.
Mitleid hatte der
seldschukische Architekt, der im 15. Jahrhundert damit beauftragt war, die
Kirche in Flaviopolis in eine Moschee umzuwandeln. Diese byzantinischen
Doppelsäule hatte im Laufe der Zeiten – immerhin stand das Gebäude schon fast
1000 Jahre – ihr Kapitell verloren. Er ließ ein neues anfertigen, nun nach der
Mode der Seldschuken, das jedoch nicht sehr beständig war, bei der letzten
Renovierung musste auch es ausgewechselt werden. So stützt nun eine
byzantinische Doppelsäule mit einem fremden Kapitell die Bögen der Apsis in der
Alaçami zu Kadirli.
Nach zwei Kurzbesuchen sollte
nun dieses Jahr der Hatay uns einen freudigen Aufenthalt bescheren: dazu hatte
er keine Lust. Er war ein wenig garstig und abweisend zu uns. Das
Symeonskloster steht auf einem Berg, der mit Winderzeugern übersäht ist. Zwar
führt zu deren Erschließung eine neugebaute Straße hinan, aber das Kloster war „kapale“,
geschlossen. So musste Pantalone sich in einen „Engländer in Indien“ verwandeln
und die Besichtigung er – dragonern, wie das Rott in „Kleinasiatische Denkmäler“ S. 316
bezeichnet. So mag man mit fremden Menschen eigentlich nicht umgehen. Daher
fiel denn der Besichtigung die Muße zum Opfer. Aber dies Korbkapitell
entspricht im Ansatz doch zu genau der Anekdote, mit der Vitruv die Findung des
korinthischen Kapitells durch Kallimachos erklärt.
Das berühmte Museum nahm nur
1/3 des Eintrittspreises, dafür waren auch nicht alle Mosaiken zu sehen. Immer
wenn man eine männliche Figur mit Keule sieht, weiß man, da ist wieder der
kräftige Sohn des Gottes. Warum sich die Griechen dieses Wesen zum Heroen
erkoren haben, bleibt Pantalone unklar. Das Ehebruchskind bekam einen Namen,
mit dem die Hintergangene gepriesen wurde; er war nur stark, die Listen des
Odysseus oder die Gedanken eines Thales oder die Kunstfertigkeiten eines
Daedalos waren ihm fremd. Er war ein Kraft- und Dummbeutel. Er war der Sohn
Gottes; ohne ihn konnte die Welt nicht gerettet werden; er erlitt einen
Martertod; er war sterblich, wurde aber sogleich in den Himmel aufgenommen. Wer
nun Parallelen sieht, ist nur ratlos.
Es ist schon eigenartig: In
Europa empfindet Pantalone bei der Besichtigung von Kirchen, dass es einen
Unterschied ausmacht, ob sie protestantisch geworden sind, oder noch katholisch
benutzt werden; der verwehte Geruch von Weihrauch ist ein sinnliches Essential
des ästhetischen Genusses. Die Differenz zwischen Widmung des Gebäudes und
Besucherverständnis ist noch erheblich größer, wenn der Mythos überhaupt nicht
mehr verstanden, noch nicht einmal geahnt wird. Dies tritt in der Türkei dann
besonders in Erscheinung, wenn die Reste der Kirche noch eine stattliche Ruine
sind, sie gar restauriert worden sind. Aber bei der Kizil Kilise ist das
anders. Obzwar ein türkischer Architekt die Restaurierung leitete, hat der
Geist der europäischen Spender doch gewirkt, es ist die kirchlichste
Restaurierung im gesamten Kleinasien.
Auch dieses Bauwerk ist mit
Anstand in den jetzigen Zustand gebracht worden. Als Haynes die Quelle
aufsuchte und photographierte, da ragte sie aus dem Teich nur mit dem Teil, der
mit Flechte überzogen ist. Die unteren Halbgötter, aus deren Leiber das Wasser
hervorsprudelt, waren unsichtbar im Wasser verborgen, dabei verdeckt das Wasser
selbst bei heutigem Stand ihren knospenartigen Unterbau. Eflatun bedeutet im
Türkisches mehreres: Zum einen Plato, und dies erweiternd Gelehrter, Philosoph,
zum anderen hellviolett. Die Hirten und Karawanenführer, die an dieser Quelle
ihre Tiere tränkten, werden bei der Benennung der hitit pinar wohl eher an die Farbe
der Flechten, denn an den yunan feylessof gedacht haben.
Der Bohrer gehörte schon seit
langem zu den Werkzeigen der antiken Steinmetze. Die gekonnte Handhabung des
Gerätes verführte immer schon zu der Kunstfertigkeit, durch Bohren Höhlungen
unterhalb einer anderen Struktur zu schaffen, zuerst um diese hervorzuheben.
Später dann war das Aushöhlen des festen Materials Stein Selbstzweck geworden,
nur Fragiles war noch vorzeigbar, aber dann sind wir schon in dem
frühbyzantischen Zeitalter. Kein Mensch erfasst die Epoche, in der er gerade
lebt, das Denken in Epochen ist immer ein nachträglicher Vorgang. Unbeschwert
also von unserer begrifflichen Zuordnung hat dieser Steinmetz seine Höhlungen
erbohrt.
Wer einmal Skitouren gemacht
hat, der kann dieses Bild des Berges, der östlich der Tefenni-Ebene liegt,
nicht betrachten, ohne dass er sich eine Route sucht, wie man am besten und
schönsten die Abfahrt gestaltet, obwohl es schon ziemlich aper ist. Mit einigem
Geschick könnte man es bis zu dem Weg, der unten quert, schaffen, ohne die
Skier abzuschnallen. Aber dafür braucht man doch nicht in die Türkei zu fahren!
Stimmt, aber es juckt einen eben.
Die Handhabung des
Arbeitsgerätes der griechischen Steinmetze war nicht auf das eigentliche
Werkstück beschränkt, sondern sie benutzten es, um die Welt zu verändern. Keine
der anderen Mittelmeerkulturen hat so die Grundlage der Bauwerke verändert wie
die griechische. Ist das Gebäude beispielsweise durch den Bedarf der
Kalkbrennner völlig verschwunden, so ist immer noch die Felsabarbeitung
vorhanden, aus der man die horizontalen Abmessungen des nun zum Phantom
gewordenen Bauwerks erschließen kann. Der griechische Baumeister trennte nicht
zwischen anstehendem Fels und hinzugesetztem Haustein. Das haben die Steinmetze
auch an ihre byzantinischen Erben weitergegeben. Die Kirche 2 auf Gamiler Adasi
(be)steht im Süden, also rechts, au(s)f Fels, links, also im Norden auf
gemauerten Fundamenten.
Die Weitläufigkeit der Stätte
Xanthos ist für die meisten Besucher der Grund, ihrer Bequemlichkeit zu frönen.
So sehen sie die riesige und dennoch großartige Ruine der „Wallfahrtskirche“
oben auf der Oberburg nicht. Wurde dieses Kapitell umgearbeitet, wurde aus
einem antiken Kapitell korinthischer Ordnung ein Bauteil mit drei Zonen? Unten die stehengebliebenen Akanthusblätter,
darüber die strengere Zone mit den weggeschlagenen Blättern, dann der typisch
christliche Kranz mit Weinlaub und rübenförmigen Herzen. Ein Genuss der
Weitsicht dort oben findet nicht statt, zu eintönig ist die Sicht auf das
Xanthosdelta mit seinen Gewächshäusern aus Plastik.
Ein bisschen
hat Heraklit immer recht: Der Krieg ist aller Dinge Vater, so auch des Çay in
der Türkei. In den von uns kaum beachteten Kriegen zwischen dem Reich der
Romanows und dem der Osmanen lernten die Türken, dass in Grusinien Tee wächst.
Im Krimkrieg hatten die Briten ein Teeembargo über Russland verhängt, das durch
den Anbau dort versuchte, diese Abhängigkeit zu überwinden. Nach dem ersten
Weltkrieg war für Atatürk der Aufbau seines Landes wichtig, die Ausgabe der
kostbaren Devisen für Kaffee war nicht gelitten. So stieg denn das Land auf Tee
um, die Schwarzmeerküste bot ähnliche klimatische Verhältnisse wie Grusinien. Seit
1958 ist die Größe der Teegläser gewachsen, ansonsten gibt es in den
Innenstädten häufig Teelefone. Abenteuerliche Verdrahtungen verbinden die
Geschäfte mit der regionalen Teeküche, auf ein Klingelzeichen hin erscheint ein
meist junger Mann mit einem Tablett, auf dem die gewünschte Zahl an Teegläsern
steht. Das bewirkt aber Frieden.
Recyceln auf dem Bau heute in
Deutschland bedeutet, dass alle Spuren der Vergangenheit restlos beseitigt
werden. Es bleiben übrig: Betonsplit und verbogener Monierstahl. In der Antike handelte
man da überlegter. Dieser Block war schon zuvor Teil eines Bauwerkes in einem
klassischen Bauwerk gewesen, als es in vespasianischer Zeit dazu benutzt wurde,
um in einer Therme den Türsturz abzugeben. Man baute im griechischsprachigen
Teil des römischen Reiches gerne noch ohne Mörtel. So richtig gut waren die
Baumeister aber nicht mehr. Der Stein liegt ungleich breit auf, die rechte
Auflagefläche war nicht angepasst worden, denn nun platzte an deren linker
Seite wegen einer Unebenheit von dem Türsturz eine Steinschicht ab. Jedoch die
römische Baukunst konnte das verkraften: Die eckigen Löcher im Stein rühren von
den Dübeln her, die für die Marmorverkleidung notwendig war. Oben hui, unten – na
ja.
Wer die Anastilosis schätzt,
beginnt daran in Patara zu zweifeln, wer ihr sowieso skeptisch gegenüber steht,
der hält es kaum aus. Der Leuchtturm war lange Zeit ein Steinhaufen im Sand,
nun ersteht er „wie neu“. Aber er ist eben türk malle, die Arbeiter des
umgebenden Vierecks durften offensichtlich keine Wasserwaage benutzen, und so
schneiden sich die Linien des Bauwerks nicht im Unendlichen, sondern es ist
eben Murks. Die Einsicht, die jeder Türke hat, seine Mutter sei schön, obwohl
sie alt ist, können sie nicht auf Bauwerke übertragen.
Man kann die Welt durch eine
Brille betrachten, die nur Ästhetisches durchlässt. Jedoch ist es auch dann
erhellend, darüber nachzudenken, wie waren die wirtschaftlichen und sozialen
Verhältnisse derer, für die die künstlerischen Erzeugnisse seinerzeit gemacht
wurden. Wer die Kirchen im südlichen Lykien aufsucht, ist zuerst verwundert, an
welch abgelegenen und unzugänglichen Stellen sich diese Kirchen befinden. Macht
man dann die Augen auf, so entdeckt man auf dem gegenüberliegenden Berg, dass
der dortiger Wald auf über fünfzig Terrassen wächst, die auch seinerzeit
mühselig errichtet wurden. Ihre Existenz war die Grundlage dafür, dass die
Bauleute bezahlt werden konnten; der heutigen Einsamkeit steht die spätantike
und frühbyzantinische Betriebsamkeit gegenüber. Damals schätzte man in dieser
Region die Kapitelle, deren Akanthusblätter so lang waren, dass der Wind sie
verwehen konnte.
Die Fundleere vieler Stätten
auf der Welt rührt daher, dass rührige Ausgräber die wichtigsten Gegenstände in
Museen überführt haben. Wenn man also am Ort nichts sieht, dann kann man sich
damit trösten, im Museum in ... , da kann ich das in aller Ruhe betrachten. Wer
solche Gedanken in Trysa hegt, wird grausam enttäuscht. Die ziemlich rabiat aus
dem quadratischen Mauergeviert herausgerissenen und dann wegen des leichteren
Transportes auch noch abgemeißelten Reliefplatten des Heroons dümpeln seit 123
Jahren in Kellern Wiener Museen vor sich hin. So unfähig sind die in Wien, dass
es ihnen in solch langer Zeit nicht gelingt, eine adäquate Ausstellung zustande
zu bringen. Adäquat heißt in diesem Zusammenhang auch, dass die Wegnahme sich
vor der Menschheit nur rechtfertigen lässt, wenn eben eine Vielzahl von
Menschen so in die Lage versetzt werden, sich die Beute zu betrachten.
Jüngst haben sie einem armen
Archäologen die Last auferlegt, sich mit türkischem und kakanischem
Ausgrabungsrecht zu befassen, mit dem schon vor Auftragserteilung feststehenden
Ergebnis, alles war damals in Ordnung. Auch die Bestechungen? Jedenfalls müsste
sich die Türkei die Schäbigkeit der osmanischen Zollbediensteten anrechnen
lassen. Danach wurde eine „tüchtige“ Altertumswissenschaftlerin daran gesetzt,
die Reliefs wieder einmal unter völlig neuen Gesichtspunkten zu publizieren.
Sehen wollen wir sie! Ausstellen sollt ihr sie! Alles andere ist Schmonzes
– und so ist die Nachwirkung des
Habsburgischen Kulturimperialismus ein fortdauerndes Verbrechen an der Kultur.
Daher muss man sich in Trysa
im Tal halten und dabei einen der schönsten Eichenhaine genießen, den es in der
Türkei gibt.
Was aussieht, wie aus Beton
gegossen, ist der aus dem Fels gehauene Ostteil der Basilika von Alacahisar. In
der zentralen Apsis des Trikonchos liegt
Erde, die vermaledeiten Raubgräber haben das Synthronon freigewühlt. Dabei
kamen Steine der Kuppel zum Vorschein. Der Zugriff auf die Lochstickerei der
damaligen Steinmetze ist offenbar. Noch 300 m entfernt vom Bauwerk lag ein beim
Abtransport abgebrochenes Teil eines derartig in Leichtigkeit verwandelten
Steines.
Glücklich kann sich der
türkische Archäologe schätzen, der eine hellenistische, gar römerzeitliche
Stätte ausgraben darf. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, die sich mit älteren
Resten der Vergangenheit beschäftigen, muss er nicht in die Ideologie der
gegenwärtigen Altertumswissenschaft der gegenwärtig dort wohnenden Völkerschaft
verfallen, er braucht nicht vom anatolischen Erbe herum zu sülzen. Peinlich
daran ist nur, dass eben auch europäische Ausgräber glauben, in den Chor
einstimmen zu müssen. Nicht nur Fernsehjournalisten haben die Schere im Kopf,
auch diese Wissenschaftler nehmen sich nicht die Freiheit zu denken und zu
schreiben. Aber, auch die beschädigte Volute strahlt Würde und Vollkommenheit
aus.
In der Website „Theatrum“,
die auch von Pantalone mit Bildern versorgt wird, war eine Kuhle des Tells zu
sehen, der Antiocheia bedeckt/bildet, den er seinerzeit genau abgegangen hatte.
Da war nie ein Theater gewesen! Also suchte er in Google Earth und fand am
Nordrand eine Stelle, die nach Theater „stank“. Als Pantalone mühselig (für das
Auto) dorthin gelangt war, gab es nichts zu erkennen, nichts zu fotografieren,
allenfalls konnte man etwas erahnen. Also streunte er nun weiter aus, Ergebnis:
Kein Theater entdeckt, aber ein Stadion gefunden. Es liegt auch am Nordrand der
Stätte, es schließt sich die Ebene an. Auf der Bergseite, der nördlichen, ist
das Stadion in guter griechischer Art mit seinen Sitzreihen auf den
ansteigenden Hügel platziert worden. Dagegen musste die Talseite mit
Schräggewölben a la Perge ausgestattet werden. In der Mitte die ehemalige Laufbahn,
die neuzeitlichst zu einer Olivenplantage umgewandelt wurde. Das Dornengestrüpp
ist sehr hoch, aber dieses Dornröschen des antiken Stadionbau musste erlöst
werden.
Das sind sie, die zuvor
einmal angesprochenen türkischen Viehgangln. Zwar fällt in vielen Gegenden der
Türkei im Jahresdurchschnitt die gleiche Regenmenge wie in Mitteleuropa, aber
eben nur im Durchschnitt. Also regnet es heftiger und vereinzelter, dazu die
stärkere Sonneneinstrahlung, eben ein etwas anderes Klima. Die importierte
Rindersorte musste natürlich stark milchgebend, ergo schwer sein. Der
kurzfristige Vorteil der üppigeren Milchabgabe korrespondiert mit der
fortschreitenden Erosion durch die breiten Kuhwege. Zudem ist die Hirtenschaft
auf das neuartige Hütematerial noch nicht eingestellt, dieser Kuhhirtin ist ihr
Vieh abhanden gekommen, zu versunken war sie in ihre Handarbeit. Schafe sind da
folg-, da genügsamer.
Das Theater von Stratonikeia
ist eines von vielen in Kleinasien. An kaum einem Bauwerk wie diesem kann man
so plastisch das Wüten des Erderschütterers Poseidon erkennen, die gesamte
rechte Seite ist „verworfen“. Oben aber krönt dieses liebliche Propylon „des
Theaters Rund“ als Übergang zum dahinter einst thronenden Tempel.
Auf der Fahrt nach Myndos
muss man die Bodrumhalbinsel durcheilen, dort sieht es genauso aus, wie man es
vor 40 Jahren verhindern wollte, keine spanische Sünde hielt die Türken davon
ab, auch sie verhunzten ihre Landschaft. So glaubt man denn, die Kehrseite der
touristischen Medaille zu erspähen, es ist aber keine Medaille sondern schale
Münze, auf beiden Seiten wölbt sich der gleiche Unrat hervor. Auf dem Bild
geschieht in Handarbeit, was sich bei uns in verbergenden Räumen vollzieht:
Mülltrennung; allerdings wohnen die Trenner nebst Familie gleich nebenan.
Im Grunde genommen müssten
die Archäologen Polyhistoren sein, zu vielfältig ist das, was man entdecken
könnte. Darum haben sie sich – in Deutschland – auch Jahrzehnte lang nur um
„Haupt- und Staatsaktionen“ gekümmert, Hauptsache es war Kunst. Selbst die
Ausgräber einer ergatterten Stätte können oder wollen nur zu geregelter Zeit am
Ort sein, so entgeht ihnen vieles. Wer Deutschland immer nur im Hochsommer
besucht, wird nie erfassen, was Schneefanggitter sind. In Priene gab es
unterhalb des Tempels einmal eine Quelle, die über die Jahrhunderte langsam
versiegte, nur in der regenreichen Zeit sondert sie noch Wasser ab, danach
können einige Wochen noch Pflanzen dort wachsen. Ein Frankfurter war offenherzig
genug, für ihn Neues aufzunehmen. Daher für ihn, aber auch für die
scherbenwaschende Gemahlin, die Blumen von besagter Stelle.
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