Samstag, 31. März 2012

Geschichte wiederholt sich

Die französische Königin Marie Antoinette war, das ist letztlich unstreitig, ein wenig lebensfremd. Ihr Hang zum Luxus wurde nur noch von ihrer Realitätsverleugnung übertroffen. So war es denn leicht, ihr im sogenannten Mehlkrieg eine Bemerkung anzudichten, die eben von ihr hätte stammen können, aber nicht stammte: Auf die Klage, das Volk habe kein Brot, soll sie gesagt haben „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie Brioche [ein feines Hefegebäck] essen.“ Also hat man ihr insoweit Unrecht angetan. Gebüßt hat sie für all ihre Gedankenlosigkeiten 1793.

Bevor wir uns der Wiederholung widmen, eine belehrende Zwischenbemerkung, dabei bezieht sich das Belehren nicht auf den Leser, sondern auf die Autorin der Parallele:

Die sich Sozialisten wähnenden Kleinbürger in der DDR erniedrigten Marx zum Hausgott, vom Zeus zum Laren. Da sie aber seine Werke herausgaben, sei daraus zitiert: Marx beginnt seine Schrift „Der 18te Brumaire des Louis Napoleon“ mit den Wörtern:

“Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Caussidière für Danton, Louis Blanc für Robespierre, die Montagne von 1848-1851 für die Montagne von 1793-1795, der Neffe für den Onkel. Und dieselbe Karikatur in den Umständen, unter denen die zweite Auflage des achtzehnten Brumaire herausgegeben wird!
Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen.“

Anzumerken bliebe noch, dass der Neffe zwar nicht im Mindesten so großartig wie sein Onkel war, jedoch kosteten seine Kriege weniger Tote und er hielt sich länger an der Macht.

Aber zurück zur Wiederholung. Eine gewisse Margot H. meint im fernen Chile zu den Erschossenen an der Mauer: „Die brauchten ja nicht über die Mauer zu klettern, um diese Dummheit mit dem Leben zu bezahlen.“ Parallel ist die Weltfremdheit, anders jedoch die Verantwortlichkeit der früheren Ministerin, war sie doch der Ursache des Todes näher als die Österreicherin dem Hunger der Untertanen. Unvergleichlich unverfroren ist die Chuzpe dieser Margot H. Als Erklärung mag der obige Satz von Marx dienen, der ihren Verdrängungsdruck erläutert:

„Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.“

Wenn die Margot H. wirklich an einer Zukunft des Sozialismus interessiert wäre, dann hielte sie von nun an bis zu ihrem Ende schlicht das Maul, ihm entfleucht nur der Gestank der verwesenden Totengräber des bisherigen Sozialismus.

Wenn sich Geschichtchen wiederholen, dann kann sich eine Farce in eine Tragödie verwandeln.

Montag, 19. März 2012

Sebah (12) und Bursa

„Von der frommen Handwerkerstadt zur modernen Großstadt mit Skiparadies“ so könnte der Untertitel lauten oder „Sanierung ohne Herz und Verstand“. Als Dottore (leider übrigens zusammen mit Pantalone) 1958 erstmals in Bursa war, da prägten Kupferschmiede und Ebenisten das Stadtbild. Die großen Han´s waren Handwerkerzentren, unten arbeiteten die Schmiede und andere gröbere Berufe, im Obergeschoss saßen die Schneider und Schuhmacher. Diese fertigten trotz des damals fest stehenden Gebrauches aller männlichen Türken, durch Heruntertreten des hinteren Teiles eines Schuhes diesen in einen „Schlappen“ zu verwandeln, normale Schuhe an, sogar mit Fersenverstärkung und Schnürung. In dem Mittelpunkt der Höfe stand jeweils ein Gebetsraum, meist auf Säulen, unten blieb eine Fläche zum Waschen. War der Bauzustand der Han´s auch miserabel, so glänzten die Gebetsräume, letztlich durch ihre alltägliche Nutzung. Damals wohnten jedoch etwas über 100.000 Menschen in der Stadt, heute sind es 20 Mal so viele.

Mit zunehmendem Alter wächst die Versuchung, vergangene Zeiten, soweit sie das eigene Erinnern umfasst, in einem besseren Licht zu sehen, besser als sie tatsächlich waren, besser als die gegenwärtigen Zeitläufte. [Mit „Umfassen“ ist das widerliche Wort vom „Bein halten“, üblicherweise beinhalten geschrieben, vermieden. Es kann immer durch das schon lange vorhandene Wort „enthalten“ ersetzt werden. Die mangelnde Abstraktionsfähigkeit bedingt das Unvermögen, das Verb von dem Substantiv lautmäßig zu trennen. Mag die Finale Handlungslehre es nie geschafft haben, auch die Fahrlässigkeit in ihr Korsett zu schnüren, aber mit der Ablehnung des Beinhaltens hatte der alte Welzel recht.] Auslassungen von Menschen, die auf mehrere Jahrzehnte als „Erinnerungsschatz“ zurück zu greifen pflegen, sind grundsätzlich anzuzweifeln. Zwar ist Irren menschlich, aber der alte Bloch wusste schon, dass Zweifeln menschlicher ist. Oder literarischer (nach Shaw): Manche Menschen halten das, was sie dreißig Jahre lang falsch gemacht haben, für Erfahrung. In dieser Weise möchten denn Pantalone und Dottore ihre Texte verstanden wissen.


Die Brücke über das Nilüfer-Flüsschen gibt es noch, sie ist jedoch nur noch ein Baudenkmal, etwas nördlich der breiten Ausfallstraße nach Westen. Sichtbar ist der Hüdavendigar-komplex, der ursprünglich das Grabmal von Murat I, eine Schule, einen Brunnen, die Moschee, eine Armenküche und ein Bad umfasste(!). Murat I herrschte schon über ein solch großes Gebiet, dass er die auf der Wanderung der Türken von Südsibirien nach Kleinasien in Persien aufgeschnappte Herrscherbezeichnung Hu(ü)davendigar annahm.


Nach der Schlachtordnung der Osmanen standen um das befestigte Lager des Herrschers (Sultansschanze) die Elitetruppen, an denen spätestens der gegnerische Angriff scheiterte. So auch auf dem Amselfeld 1389, in der Schlacht zwischen dem serbischen und osmanischen Heer. Je nach politischer Ansicht ist der danach erfolgte Tod von Murat I entweder eine Heldentat oder ein Meuchelmord. Ein serbischer Adliger gab vor, zum Islam konvertieren zu wollen, daher wurde er bis zum Sultan vorgelassen, dort aber erstach er ihn. Der leicht verderbliche Teil des Sultans wurde an Ort und Stelle beigesetzt, der maßgebliche Teil seiner Leiche in Bursa, also in Asien, bestattet, obwohl Murat I die Hauptstadt von dort nach Edirne verlegt hatte. (Man konnte seine Leiche aus religiösen Gründen nicht so zum Grab transportieren, wie dies mit der von Lord Nelson nach der Seeschlacht von Trafalgar geschah.)

Die geologische Situation Kleinasiens bedingt dort zahlreiche heiße Quellen. Eine liegt ganz in der Nähe, es ist die alte Thermalquelle, Eski Kapliska. Wahrscheinlich haben schon die Byzantiner dort gebadet, jedenfalls sind der Vorraum und das Badbecken von byzantinischen Säulen geprägt.


Dieses Bad ist erhalten geblieben, während die normalen Bäder der Türken, die Hamams, stetig verschwinden. Sie waren eine Stätte der Sauberkeit, des sozialen Kontaktes und auch dessen, was nun neudeutsch Wellness genannt wird. Die Badewanne in der eigenen Wohnung verleitet die Türken, das öffentliche Badhaus zu vernachlässigen. Bei dem letzten Besuch in Eski Kapliska war es wieder ein Ort der Begegnung, nun aber gehobener Art.


Etwas weiter zur Stadt hin liegt das Neue Thermalbad, Yeni Kapliska, dessen Kuppeln auf dem Bild sichtbar sind. Ob sich Sebah & Joallier mit der Kutsche, deren Silhouette wie im Scherenschnitt unter dem Baum sichtbar ist, nach dort haben bringen lassen?


Das Bad jedenfalls ist in seiner gesamten Substanz nur frühosmanisch, byzantinisches ist nicht verwendet oder nachgeahmt, den Baukörper „Kuppel“ hatten schon die Seldschuken adoptiert.


Das Bild des Armenischen Viertels berührt ein trauriges Kapitel osmanischer Geschichte, denn darüber kann man nichts erinnerungstrunken faseln, ohne an die gewaltsame Beseitigung der Armenier zu denken. Neuerdings gilt es als Rechtfertigung in der Türkei für die Vertreibung und Tötung der Armenier, diese hätten sich als „unsichere Kantonisten“ erwiesen und mit den Russen kollaboriert. Schon viel vorher gab es systematische Hetzjagden in Kleinasien auf Armenier durch aufgeputschte Jungtürken und ihre Anhänger. Wäre die Türkei wirklich die „Große Nation“, die zu sein sie vorgibt, es fiele ihr leicht, das Fehlverhalten von Nationalisten in der Zeit des Osmanischen Reiches zu erkennen, anzuerkennen und auszusprechen. Es wäre ein leichtes, sagen wir einmal, die Stätte Ani dem Staat Armenien als „Dauerleihgabe“ zu überlassen, dort gleichsam eine Internationale Zone zu schaffen. Zugleich wäre damit auch für die Armenier ein zumindest moralischer Zwang geschaffen, sich mit den Aserbeidschanern hinsichtlich der Enklave Berg Karabach zu arrangieren. Dadurch würden die Türken ein altes Volk achten und es zum gerechten Ausgleich mit ihren Brüdern, dem Turkvolk der Aserbeidschaner, veranlassen.


Das nächste Bild beweist die ununterbrochenen Versuche der offiziellen Mächte in der Türkei, die eigene Vergangenheit zu verleugnen unter gleichzeitiger Verwandlung der überkommenen Bausubstanz in ein Disneyland. Geht man heute die abgebildete Straße entlang, so stehen links Häuser, deren Obergeschosse mit dem Erdgeschoss fluchten, also der schöne Sägezahnaufbau ist vernichtet. Rechts hat man den als Restaurierung bezeichneten Neubau dazu benutzt, die Häuser um ein Geschoß aufzustocken. Alles ist auf „lebendiges Erbe“ getrimmt, es muss also neu aussehen, zugleich aber so, wie es nach der irrigen Vorstellung der Gestalter einmal gewesen war, es wurde fingierter, gefälschter, erfundener Mist. Die dort gemachte Aufnahme wird nicht gezeigt, zu schmerzlich ist die Wandlung.


Es bleibt zu hoffen, dass die Stadt Bursa dem Drang der Mächtigen weiter widersteht, den ansteigenden Ulu Daĝ zu besiedeln. So sahen nämlich die zum Berg hin aufsteigenden Viertel zur Zeit von Sebah & Joallier aus, also um 1894 ff.



Stimmt nicht! Das zweite Bild ist nicht von Sebah & Konsorten, sondern es stammt von Pantalone, der es zum Zwecke der Täuschung auf „Sebah“ umfärbte und den Telefonleitungsmast wegretuschierte. Als Pantalone 1958 die Aufnahme machte, hatte sich die alte Substanz des Stadtbildes in den 64 Jahren noch nicht so stark geändert, wie in den 54 Jahren seitdem.


Am Yer Kapi der Zitadelle kann man am gleichen Standpunkt auch heute noch eine vergleichbare Aufnahme machen, aber das Tor, die gesamte Mauer und die Ausmalung des ausgefüllten Rundbogens über dem Tor sehen aus wie neu. Am verwerflichsten ist dabei, dass der fast gänzlich verwitterte oder beschädigte Stein rechts am Ansatzpunkt des Bogens, der seinerzeit schon von den Erbauern des Tores, den Byzantinern, als Spolie aus einem antiken Bauwerk eingebaut wurde, gänzlich erneuert oder so verändert wurde, als hätte der antike Steinmetz gerade gestern ihn bearbeitet. Geschichte hat Materie, ist nicht nur Idee; die Dialektik des Schiffes von Theseus kann nicht durch „Plattmachen“ der Materie aufgehoben werden, sie wird dadurch ignoriert.


Bei der Betrachtung und Würdigung alter Bausubstanz muss man nicht in larmoyanten Konservatismus verfallen. Die im 19. Jahrhundert noch mit seitlichen Aufbauten überzogene Seti Başi Brücke verbindet die Altstadt mit den wachsenden Vorstädten. Um den heutigen Verkehrsfluss einigermaßen aufzunehmen, musste die Brücke ihre ursprünglich nutzbare Breite wiedererlangen, die Händleraufbauten mussten weichen. Traurig, aber einsichtig. Nur, jetzt wurde die Irgandi Brücke, die etwas nördlich den Gökdere überspannt, renoviert, sie ist nun eine neutürkische Brücke á la Seti Başi.


Der Blick über die am Hang liegende, sanft in die Ebene übergehende Stadt ist von großem Reiz. Inmitten der Altstadt ragt die Ulu Cami auf. Am linken Bildrand ist etwas oberhalb der Mitte eine Kirche zu erkennen, denn im Osmanischen Reich wohnten viele Griechen in Bursa. Deren Weggang, 1922 im zweiten Friedensvertrag geregelt, war wohl unvermeidlich, zu aufgewühlt waren damals die nationalen Emotionen. Geschadet hat der Wegzug dieses Bevölkerungsteiles der Stadt Bursa allemal.


Der Ula Cami merkt man an, dass zur Zeit ihrer Erbauung Konstantinopel noch nicht erobert war. Der Drang, die Kuppel der Hagia Sophia zu kopieren, hatte die Hirne der osmanischen Architekten noch nicht behext. So wurde denn ein Raum mit zwanzig Kuppel überdacht, die im Mittelschiff sind etwas höher.


Dadurch entsteht im Inneren ein seidiges Licht, das Plätschern des Brunnens gibt Zeugnis von einer der großartigsten Erfindung der muslimischen Architektur. Es ist die „vierte“ Dimension, die des Geräusches, fast immer das leichte Gurgeln und Zwitschern eines Wasserlaufes. Die aus der arabischen Hitze stammende Sehnsucht nach kühlem Wasser wird mehr akustisch als kleinklimatisch befriedigt. Die Räume der Alhambra sind nicht nur wegen der Verdunstung der kleinen künstlichen Bächlein auch bei Hochsommerhitze kühl, sondern der Körper des Besuchers schließt sich in seinem Gefühl der Erfahrung des Ohres an, Wasserkluckern bedeutet frische Kühle.


Früher lockte der Brunnen nicht nur die Gläubigen zur Waschung, auch die Buben nahmen an der Freude des laufenden Wassers teil. Die große Gabe Allahs, das fließende Wasser, war ein immerwährender Anreiz. Um den Brunnen damals zu betreiben, war eine Leitung aus einem der Bäche, die von Ulu Daĝ herabstürzen, zu dem Brunnen in der Moschee verlegt worden, es war ein Fließbrunnen, mehr Quelle als Brunnen. Ach, ihr dummen Renovierer, ihr habt eine Plexiglasumzäunung angebracht, diese und die Verbotsschilder verwehren den Kindern das Wasser Gottes. Man konnte es trinken. Heute kann es dann auch noch während des Gebetes abgestellt werden.


Zweimal die Türe der Grünen Türbe: Verträumt schaut der Junge aus dem Raum kommend in den Himmel. Die Türe wiederholt die Muster des Bauwerkes. Ihre heutige Nachfolgerin hätte genauso gestaltet sein können, aber die Meinung, nun etwas Zeitgerechtes zu machen, was dem Bauwerk zukommt, ist schlicht falsch. Bleibt zu hoffen, dass das Material Holz auch hier seine Hinfälligkeit erweist, in 50 Jahren kann dann eine würdigere Nachfolgerin sie ersetzen.



Wer in der Türkei nicht nur auf den Hauptstraßen reist und das Leben der Menschen auf dem Land beobachtet, kann neben anderem eins feststellen, die Türken haben ein unmittelbares Verhältnis zur Erde. Sie hocken, sie liegen auf ihr, ohne sich von ihr durch eine Decke zu trennen. Die türkische Sprache hat viele Wörter, die nur einsilbig sind, sie benennen die Dinge des einfachen Lebens, so die Erde mit „Yer“. Als unsere Fotografen das Pomar Baschi Cafe aufsuchten und dessen Besucher aufnahmen, da lagerten sie selbstverständlich auf der Erde, wie denn sonst. Da Google den Speicherplatz für solch einen Blog limitiert, sind alle Bilder meist auf ein Viertel ihre Pixeldimensionen verkleinert. So sind denn Einzelheiten mehr erahn- als sichtbar: Die sich als Zeybeks gebenden Herren in der Mitte, die durchschimmernden Häuser zwischen den Zweigen der Bäume.


Das nächste Bild stammt von Sebah senior, es ist als „alt“ daran erkennbar, dass die Minaretts der Ulu Cami noch nicht barock behelmt sind, wie auf den Ausnahmen des Sohnes. Im Vordergrund ist der damals schon beschädigte Pirinc-Han zu sehen, das Obergeschoss seines Nordwestteils war schon teilweise eingestürzt.


Auch 1958 war das so. In dem Hof des früheren Reishandelsplatzes waren störende Gebäude errichtet worden, aber Handwerker nutzten alles intensiv. Die Kuppeln hatten ihre Bleiabdeckung verloren, es waren Dächer darüber.


Heute sind die Handwerker verjagt, die türkische Jeunesse Dorée pflegt dort den Müßiggang, wobei sich die Frage stellt, hat sie Muße? Sie essen und trinken, lärmen und telefonieren, alles zugleich, sie halten das für Leben. So ist das in Bursa, genauso wie überall.


Den letzten Scham haben aber die Stadtsanierer noch nicht verloren, der polygonale Marmorsockel zeigt das. Dort erhob sich früher der Gebetsraum, der nun überflüssig geworden ist, denken sie! Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Verlust der Mitte, trotz Sedlmayr.


„Sag mal, Dottore, ich verstehe Dich nicht. Du gibst immer vor, seit Deinem 13. Lebensjahr Agnostiker zu sein, aber in diesem Post weinst Du ununterbrochen dem Verschwinden der Religion in Bursa nach.“

„Sieh mal, natürlich ist mir letztlich die Religion egal, ich habe mit Brecht in den Meti-Geschichten beschlossen, ich brauche sie nicht. Auch bin ich dem Islam doch gram, weil er die notwendige „Aufklärung“ nicht leistet, sogar die Ansätze dazu unterdrückt. Jedoch treten ohne eine Aufklärung in muslimischen Ländern nunmehr die Götzen des gegenwärtigen Sozial- und Wirtschaftssystems an die Stelle der Religion, und die sind schal und schädlich zugleich. Fromme muslimische Handwerker sind mir eben sympathischer als flinke Dienstleister mit scheinreligiösen Fetischen.“

„Was hast Du denn gegen mich und meine Bilder, die ich auf unserer Reise von 1958 gemacht habe?“

„Gegen die Bilder habe ich nichts!“

Gewidmet Hartwig Schmidt, dessen intellektueller Tanz um des Theseus´ Schiff mich faszinierte.

Samstag, 17. März 2012

Opfer und Täter


So lautet die Überschrift eines Artikels im Spiegel-Online. Sie gibt sicherlich richtig die Interessenslage der US-Amerikaner wieder. Es ist zu vermuten, dass der Soldat den Belastungen, die er sich durch seine Berufswahl aufgebürdet hatte, nicht gewachsen war. Nun muss nicht jedes „Ausflippen“ in Gewalt umgesetzt werden, dazu gibt es eine Grundstruktur, die so offenkundig sinnlose Gewaltausübung sorgsam von als sinnvoll angesehener Gewalttat unterscheidet. Doch ist dies sicherlich nur ein schmaler Pfad, der alltäglich nur mühsam und mit Anstrengung zu beschreiten ist.

Pantalone kannte einen liebevollen alten Mann, der schicksalshaft kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs als frischer Rekrut in Ostpreußen stationiert war. Dort wurde er in der Grundausbildung – wie leider üblich – von Unteroffizieren rabiat geschliffen. Nun kam der Krieg, der Einfall russischer Truppen geschah plötzlich, alle Soldaten, die greifbar waren, wurden an die Front „geworfen“. Dadurch musste von der wohlbegründeten Übung abgewichen werden, nie die Ausbilder mit den Ausgebildeten in den Krieg zu schicken. Und so erzählte denn dieser liebevolle Mann noch fünfzig Jahre später mit sichtbarer Befriedigung, dass die ersten Gefallenen seiner Kompanie die Unteroffiziere gewesen wären, allerdings seien sie nicht durch Schüsse von vorn getroffen worden. Wer Menschen dauerhaft dazu nötigt, dass sie Gewalt auszuüben, trägt schwere Verantwortung.

Nun ist dieser Amokläufer nicht im Lager herumgelaufen und hat andere Soldaten erschossen, sondern er ging in ein von den Landeskindern bewohntes Dorf, brach in Häuser ein und erschoss alles, was sich bewegte. Diese Auswahl hat ihren Grund in der ihm antrainierten Unterscheidung von Menschen mit unterschiedlichem Wert, also von Kameraden und anderen Landsleuten einerseits und those people andererseits. Da Pantalone Nietzsche sowieso nicht mag, ist es ihm relativ gleichgültig, ob dieser den Begriff vom „Untermenschen“ so verstanden hat, wie ihn die Nazis verwendeten, Tatsache ist jedoch, dass ein Gefühl von Überlegenheit eintritt, wenn man in einem Land stationiert ist, in dem man nichts, noch nicht einmal das Wasser, aus diesem Land nutzt. Das perfekte Vorgaukeln von Heimat in seiner verschwenderischen Üblichkeit, das in den Lagern sorgfältig praktiziert wird, nimmt jedem Lagerinsassen das Verständnis für die anderen Menschen der Umgebung. Dies ist eben letztlich der Grund dafür, dass die Vereinigten Staaten andere Völker nicht verstehen, sei es das vietnamesische, das irakische oder ein Volk aus Mittel- bzw. Südamerika.

Daher auch die in der Überschrift offenbar werdende Nabelschau. Amerika denkt nicht über die Opfer nach, was irgendwie wieder gut zu machen wäre, sondern sinniert über den Täter. Es mangelt dem gerne und leicht gewalttätigen Volk an Empathie. Amerika, du hast es nicht besser, du musst noch viel lernen und mit anderen so gnädig umgehen, wie du es mit deinem Leutnant William Calley machtest.

Gewidmet den namenlosen Opfern in Najib Yan.

Mittwoch, 14. März 2012

Testudo und das indonesische Polizeirecht

Die Griechen waren in ihren Heeren mit traditionellen Waffen ausgerüstet, trotz des legendären Bogenschusses von Odysseus durch 12 Äxte zählten dazu regulär nicht Bogenschützen; Fernwaffen – mit minderer Reichweite – waren nur Speere. Der vollwertige Krieger kämpfte in Schlachtreihen, nach deren Auflösung Mann gegen Mann. Ähnlich hielten es die Römer, Distanzwaffen hatten nur die Hilfstruppen, wie die Steinschleuderer von den Balearen.

Diese Art der Waffenverwendung beruhte auch auf der Vorstellung vom Bürger als Krieger, mochten auch jeweils später Berufsheere die Kriege bestreiten. Die einseitige Ausrichtung rächte sich in der Auseinandersetzung mit Heerscharen anderer Kulturen, die aus Asien kamen. Crassus erlitt gegen die Parther eine vernichtende Niederlage, die hatten nämlich reitende Bogenschützen, die – das Pferd nur mit den Knien lenkend – die Formationen der Römer umkreisten und dabei ununterbrochen Pfeile verschossen. Die römischen Legionäre behalfen sich mit der eingeübten Technik der Testudo (Schildkröte), wobei sie ihre langen und geraden Schilde benutzten, um sich nach vorne und nach oben abzudecken.


Obwohl die Parther die Schlacht von Carrhae gewonnen haben, schauten sie sich diese Technik ab, verwendeten sie selbst bei ihren Fußtruppen weiter, was zur Folge hatte, dass die Chinesen sie wiederum von ihnen (über die Seidenstraße, auf der nicht nur Handel getrieben wurde) lernten. Die so nach Ostasien gelangte Testudo haben diese indonesischen Polizisten allerdings nicht so richtig eingeübt, sie werden von dem Steinhagel überrascht und bilden einen chaotischen Haufen, auch haben ihre wütenden Gesichter keine abschreckende Wirkung.


Bei genauer Betrachtung fällt allerdings auf, dass der hinter den Polizisten tätige Fotograf sich nicht schützt, offenbar werfen die bösen Demonstranten nicht wirklich weit und gefährlich große Steine (grüner Pfeil).

Einen solch großen Stein hat jedoch der Polizist in der Mitte in der Hand, er will ihn offenbar alsbald werfen (roter Pfeil).

Ob in Indonesien das Steinewerfen zu den „polizeilichen Maßnahmen“ gehört, wird uns nur ein intimer Kenner des indonesischen Polizeirechts verraten können. Dort wie hier bedarf es jedoch einer immerwährenden Ausbildung der Polizisten, damit sie befähigt sind und bleiben, das Recht in der Form der öffentlich Sicherheit und Ordnung mit rechtlich zulässigen Mitteln durchzusetzen. Den Schutz unserer Rechte verlangen wir, aber den Büttel mögen wir nicht.



Nachtrag:

Aus Gründen, die Dottore nie und nimmer erahnen konnte, hat dieser Post Karriere gemacht, er wird am häufigsten aufgerufen. Darum sei ihm dieser Nachtrag gegönnt.


Die Reaktion, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, ist offenbar so verführerisch, dass sie Recht und durch Ausbildung erworbenes Wissen nicht immer handlungskonstitutiv macht. Hier ist es ein ägyptischer Ordnungshüter, vor dem ein von ihm soeben fortgeschleuderter Stein zu schweben scheint. Droht doch der Sandalenjunge sich eines lanzenartigen Gegenstands zu bemächtigen, der – als Sarissa eingesetzt – die Sicherheit unter der Schildkröte beeinträchtigen könnte. Löst sich die Testudo auf, dann allerdings hat die organisierte und entsprechend ausgerüstete Staatsmacht erhebliche Vorteile.


Hier in Pakistan weiß man ohne prophetische Gaben, dass der weißgekleidete Sandalenmann trotz seiner Zwei-Stöcke-Ausrüstung binnen weniger Sekunden erhebliche Nachteile erleiden wird. Zwar ist die Ausrüstung der Vier nicht ganz einheitlich – es gibt unterschiedliche Schilde und Helme, nur einer der Polizisten trägt Schienbeinschützer –, aber die gleichgeschaltete Entschlossenheit verleiht den vier Schlagstöcken eine Durchschlagskraft, deren sich der Störer nicht wirksam widersetzen kann. 1968ff. haben wir uns zuerst mit  Zeitungspapier gepanzert, bevor es eine förmliche Gegenausrüstung gab; es erscheint Dottore ausgeschlossen, dass der weiße Sandalenmann alsbald pakistanischer Außenminister wird.

Wiederum lohnt ein Blick in die Antike:


Diese Beinschiene aus Olympia ist formschöner als die modernen, mit Klettverschlüssen fixierten Schienbeinschützer, zudem widerstand sie dem Schwert. Aber, die Fähigkeit, korinthisches Erz zu schmieden, ist verlorengegangen. Die miefigen Schützer der Gegenwart werden daher auch nie als Trophäe überdauern.



Samstag, 3. März 2012

Sebah (11) und Konstantinopel

Konstantinupolis war durch große Mauern geschützt, die sog. Theodosianische Landmauer erstreckte sich vom Marmarameer bis zum Goldenen Horn, auf 5,7 Kilometer Länge hatte sie 96 Türme. An der Porta Aurea mündete die Via Egnatia zwischen den Türmen 9 und 10 in das Stadtgebiet; sie war die Pforte, durch die der triumphierende Kaiser in die Stadt ritt, was immer seltener wurde. Nach der Eroberung durch Mehmet II wurde hier die Festung Yedikule (Siebenturm) errichtet.


Für diese Festung wurden hinter der Landmauer drei neue Türme gebaut, die Türme 8 bis 11 der Landmauer wurden einbezogen, die drei Toröffnungen des Goldenen Tores zugemauert. Die Festung diente als Schatzhaus und Archiv, zudem war es bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder der Zwangsaufenthaltsort von Gesandten fremder Staaten, mit denen die Hohe Pforte Konflikte hatte, Völkerrecht nach Sultans Art.


Sowohl am Marmarameer als auch am Ufer zum Goldenen Horn erstreckten sich Mauern, die unliebsame Landungen verhinderten. Der letzte Turm der Seemauer am Marmarameer besteht in seiner unteren Hälfte aus Marmorspolien, an denen noch Dübellöcher sichtbar sind, die aus der Zeit der vorherigen Nutzung der Steine stammen, so ist ihm der Name Mermerkule sicher. Neben ihm erhebt sich Turm 1 der Landmauer, 1890 alles von Fischern und Fuhrunternehmern friedlich genutzt. Heute steht der Mermerkule isoliert an Land, zwischen ihm und Turm 1 tobt der Verkehr auf einer sechsspurigen Autobahn. Die Aufnahme zählt zu den „grünen“ Bildern, die Sebah & Joallier nach 1890 in und um Konstantinopel machten. Sie ist fototechnisch von Bedeutung, weil dort erstmals Wolken abgebildet sind, offenbar verwendeten sie eine neuartige Filmemulsion.


An der Nahtstelle zwischen der Landmauer und der Ummauerung der Vorortes Blachernae, an die sich wiederum die Mauer am Goldenen Horn anschließt, wurde zu einem nicht unstreitigen Zeitpunkt ein Palast errichtet, der Bau wird heute Tekfursaray genannt, übersetzt heißt das: Schloss des byzantinischen Fürsten. (Einen Nichtbyzantinisten erfüllt der Streit der Fachgelehrten über die Bauzeit [10. bis 14. Jahrhundert] mit stiller Genugtuung, muss er sich doch bei eigener, dann sich als falsch erweisender Zeitstellung anderer Bauwerke aus mittelbyzantinischer Zeit nicht mehr allzu sehr grämen!) Nach Umbauten noch vor 1453 hatte der Palast eine schäbige Karriere hinter sich bringen müssen: er diente als Menagerie des Sultans, danach als Fayencefabrik, anschließend als Glasfabrik, erst 1955 wird er wieder von den Um- und Einbauten befreit.


Der Ausbau von Byzantion in Konstantinupolis erforderte in Konkurrenz zu Rom auch einen Circus Maximus. So wurde noch unter Konstantin selbst das Hippodrom gebaut. Wer heute in die Tiefen der Gruben um die Obelisken und die Schlangensäule schaut, soll nicht annehmen, dies sei der Boden des Hippodroms in der Antike gewesen, er sieht ungefähr den Oberteil der breiten Mauer, die die Arena in zwei Läufe trennte, genannt Spina. Die Arena des Hippodroms liegt – je nach Standort – mindestens 7 m unterhalb der gegenwärtigen Laufebene. Auf der Spina wurden zum Schmuck und zur Glorifizierung des jeweiligen Herrschers besondere Gegenstände aufgestellt. Ein überall gern gesehenes Symbol männlichen Mächtigkeitsstrebens ist der ägyptische Obelisk, bemäntelnt bisweilen Kleopatras Nadel genannt. In den Metropolen des Westens steht meist einer der Bratenspieße. Der in Istanbul war ursprünglich höher, seine unsensible Kürzung kann man noch am oberen Bildrand erkennen, wo nun das untere Ende mitten durch die Hieroglyphen läuft.


Das Bild ist einerseits präzise, aber auch schlampig. Offenbar hatten Sebah & Joallier bei der Aufnahme das Vorderteil der Holzklappe mit fotografiert, denn der unscharfe Bereich unten Mitte wird von der gestochen scharfen Schrift durchzogen. Das ist Arbeiten nach dem Motto: Der Kunde merkt´s doch nicht! Der obere Sockel, auf dem die vier Kupferkuben stehen, die wiederum den Obelisken tragen, zeigt auf allen vier Seiten jeweils den Kaiser Theodosius. Erst 380 getauft, aber wohl fromm, setzte er aus eigener Machtvollkommenheit ohne jegliches Konzil das Bekenntnis von Nicaea für die gesamte Reichsbevölkerung als verbindlich fest, ikonografisch lässt er sich selbst aber als Viereinigkeit darstellen.


Auf dem unteren Sockel ist das Hippodrom mit der Spina dargestellt, der rote Pfeil zeigt auf die Schlangensäule, der grüne auf den Obelisken selbst. Die Figur rechts neben dem Obelisken ist nicht Herakles, da er sitzend wiedergegeben wurde, eine Position, die meist sein Vater innehatte. Jedenfalls war die Spina mit Figuren überreich verziert. Der Herakles fiel wie andere Bronzefiguren der Plünderung durch die Kreuzfahrer zum Opfer; Niketas Choniates schreibt darüber: „Aber auch den Standbildern und den anderen Kunstwerken des Hippodroms ersparten die Barbaren, denen jeder Schönheitssinn abging, nicht den Untergang, auch aus ihnen schlugen sie Münzen.“ Lediglich der Kunstverstand des greisen Dogen rettete die Quadriga, die nun heute (nach einem napoleonischen Ausflug nach Paris) auf (neuerdings in) San Marco steht.


Die Aufnahme (in der auf Pantalone überkommenen digitalen Version von 2327 x 3008 Pixel) ist genau genug, um auch die Tabula Ansata auszuschneiden und zu ver – bzw. zu ent –zerren. Proculus, der Sohn des Tatian, war Stadtpräfekt in Konstantinopel, ihm fiel die Aufgabe zu, den Obelisken auf der Spina errichten zu lassen. Die Tafel berichtet darüber einschließlich der Schwierigkeiten, die das mit sich brachte. Sein Name steht in einer Vertiefung. Wie sein Vater wurde er 392, also mit 32 Jahren, zum Tode verurteilt; Theodosius, vielleicht noch von dem Bußgang in Mailand beeindruckt, begnadigte ihn, aber diese Nachricht kam zu spät. 396 wurde er „rehabilitiert“, jedoch, um mit Schweyk zu sprechen, „um ihn ist´s kein Schad“, er war zuvor hauptsächlich durch seine Grausamkeit aufgefallen. Nach dem Urteil verfiel er der DAMNATIO MEMORIAE, alles an ihn Erinnernde wurde getilgt, so auch sein Name auf der Tafel. Nach 396 wurde er erneut dort eingemeißelt, nun ein wenig tiefer.


Die Schlangensäule ist wohl der ehrwürdigste Gegenstand in ganz Istanbul, auch der älteste, der nicht in der Neuzeit dorthin gebracht wurde. Ursprünglich stand die Säule in Delphi, sie war dort als Denkmal für den Sieg über die Perser im Jahre 479 vor Chr. aufgestellt worden. Herodot schreibt schon über sie (9,81): „Sie brachten also die Wertsachen zusammen und entnahmen ihnen den Zehnten für den Gott in Delphi, und von dem wurde der goldene Dreifuß im Heiligtum aufgestellt, der oben auf der dreiköpfigen Schlange aus Erz steht, dicht beim Altar; ...“. Damals war das Denkmal insgesamt wohl 10 m hoch. Der Baedecker des Altertums, Pausanias, sah zwar Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Chr. noch die Säule, aber den goldenen Dreifuß hatte sie schon verloren, im Dritten Heiligen Krieg war man unheilig mit ihr umgegangen: “Was an dem Weihegeschenk aus Bronze war, war auch zu meiner Zeit noch unversehrt; das Gold [des Dreifußes] aber haben die Führer der Phoker nicht ebenfalls übriggelassen.“ (Buch X, 13,9) Kaiser Konstantin ließ sie in Delphi demontieren und auf der Spina aufstellen. 1700 brachen – angeblich ohne erkennbaren Anlass – die drei Schlangenköpfe ab, das erhaltene Oberteil eines Schlangenkopfes kann im Archäologischen Museum bewundert werden. Die nun offene Säule wurde nun von den türkischen Besuchern mit geschickten Steinwürfen gefüllt, so heißt sie daher heute in der Landessprache Yɪlanlɪ Taș, was Steinschlange bedeutet.


Eine kleine Vielzahl ist für die Türken 40, kirk, wie eben die Vierzig Räuber in den Märchen von … Nacht, nun aber kommt die größere Vielzahl, das ist 1001, binbir, wie Binbirkilise oder eben die Zisterne Binbirdirek, obwohl nur 224 Säulen die Gewölbekuppeln tragen. Konstantinopel hatte eine Menge Zisternen, so konnte die Stadt auch den diversen Belagerungen trotzen. Nach 1453 diente die nun trockengefallene Zisterne als Seidenspinnerei, später wurde über ihr ein Palast für einen Wesir gebaut. Die Säulen sind 11,80 m hoch, der gesamte Raum fast 15 m. Die Grundfläche ist 64 m x 56,4 m. Was hindert den Leser daran, nun das Fassungsvermögen auszurechnen. Aber nützt ihm das?


Das Bild der „Hagia Sophia mit Hund“ ist eins der meistkopierten Bilder von Sebah sen. In Zeiten läppischen Urheberrechts wurden seine Abzüge genau abfotografiert und dann danach neue Abzüge angefertigt. Nach dem Brand des Ateliers und der Vernichtung der Originale haben dann auch Sebah & Joallier sich das väterliche Material so zunutze gemacht. Sie haben den Originalabzug allseits etwas beschnitten, dabei wurde der Baum links unschön halbiert. Der Hund liegt immer noch im Zentrum des Bildes, er ahnt noch nichts vom Schicksal seinesgleichen, die die Stadtverwaltung zu Tausenden einfangen und auf eine winzig kleine Insel bringen ließ. Der Hund ist eben im Islam ein unsauberes Tier.



Über die Hagia Sophia ist so viel geschrieben worden, daher hier nur einen Blick in das Innere, die nach 1453 eingebaute Loge.


Durch die Errungenschaften des 19. Jahrhunderts, den Eisenbahnbau, wurde die Kücük Aya Sofya beeinträchtigt. Unmittelbar führen an ihr die Eisenbahngeleise entlang. Sie gehört zu den oft zu gering erachteten Kleinodien in der Welt. Es ist die ehemalige Kirche, die den Märtyrern Sergios und Bakchos geweiht war. Unter Justinian wurde sie zusammen mit einer Basilika für die Apostel Petrus und Paulus errichtet, die schon lange verschwunden ist. In ein fast quadratisches Rechteck – nicht ganz rechtwinklig, unterschiedlich lange Seitenwände – ist ein Oktogon eingebaut, auch dieses nicht auf die Außenwände ausgerichtet, sondern ein wenig zu den Achsen des äußeren Mauerkranzes verdreht. Die Ausstattung ist vom Feinsten, im Erdgeschoss sog. Faltkapitelle, darüber ein breites Gebälk, im Obergeschoss Kämpferkapitelle mit Voluten.

Auf dem Gebälk werden der Erbauer samt Ehefrau überschwänglich gepriesen, der auf dem Bild sichtbare Teil der Inschrift [Σ wird um diese Zeit schon lange als C geschrieben] lautet: "(A)ΚΟΙΜΗΤΟΙΟ ΦΥΛΑΞΟΙ (ΚΑΙ ΚΡΑΤΟΣ) ΑΥΞΗΣΕΙΕ ΘΕΟΣΤΕΦΕΟΣ ΘΕΩΔΩΠΗΣ (ΗΣ ΝΟΟΣ) ΕΥΣΕΒΙΗΙ“; im Zusammenhang übersetzt: „des nimmermüden (Herrschers) behüten und die Herrschaft der von Gott gekrönten Theodora vermehren, deren Verstand von Frömmigkeit …“. Das ist im Grunde genommen in Stein gehauene Arschkriecherei, das ist es, was den negativen Begriff Byzantinismus in Westeuropa begründete. Gleichwohl, das Bauwerk ist allerliebst, ein wirklicher Vorläufer der Hagia Sophia, wie die Türken bei der Namensgebung sicher erkannten.


Die sog Verbrannte Säule ist nicht spektakulär, aber relativ alt. Sie besteht aus Säulentrommeln aus Porphyr, dem kaiserlichen Stein, weil für Konstantin errichtet. Viele Brände haben ihre Standfestigkeit beeinträchtigt, Eisenreifen versuchen die kaiserliche Pracht zu perpetuieren, Ummauerungen stützen den Bauwerkskern. Sic transit nomen urbis, sic transit splendor lapidum, sic transit gloria constantini.


Hans Albers hat unter der geheimen Anleitung von Erich Kästner aus dem Topkapı Sarayı seine filmische Geliebte befreit. Der Palast liegt auf der alten Akropolis von Byzantion, das wird fest vermutet, aber die heutigen Bauten verhindern eine Spatenforschung. Wenn man dort wohnen müsste, so würde Dottore in den Bagdadkiosk einziehen, ansonsten gefallen ihm nur die weiträumigen Küchen mit dem herrlichen grünen Geschirr. Die traditionelle Aufteilung in Selamlık, Empfangsräume, und Haremlık, Privaträume, mindern für abendländische Augen die einheitliche Betrachtung des Gesamtbauwerks, das dann noch seinen Namen von einer Batterie von Kanonen herleitet.


Der Basar war Ende der 1950er Jahre noch ein Ort, an dem man die Eigenartigkeiten orientalischer Handelsware bestaunen konnte; so wird Dottore nie die zwei Ansammlungen von Gebissen, sortiert nach Ober- und Unterkiefer, vergessen, die wohlfeil angeboten wurden. Die sich ändernden Zeiten machen immer andere Menschen zu Opfern ihrer Begehrlichkeit und der Verführung der Verkäufer. Waren es 1954 Nordeuropäer, denen auf dem Campo Santo zu Pisa Sonnenbrillen und echt goldene Uhren von italienischen Händlern angedreht werden sollten, so suchten schwarzafrikanischer Händler 1989 in Italienern ihre Opfer, um ihnen die Original-CDs günstig zu verscherbeln. Der gewachsene Wohlstand der Türken macht sie nun immer mehr zur Käuferschicht des Basars, wer will dann noch die Lederjacken und die Marken-T-shirts?


Wie schon aus Smyrna berichtet, waren die Albaner im Osmanischen Reich das Volk, das sich am besten durchlavierte. Die Albaner stellten sogar mehrere Ministerpräsidenten, also Großwesire. So nimmt es denn nicht wunder, dass ihre erfolgreichsten Mitglieder an einer schönen Stelle am Bosporus in einer Ansiedlung wohnten, Arnavutköy genannt, dort waren sie unter sich. Viel weiter in Richtung Schwarzes Meer liegt Tarabya, verballhornt aus Therapia, wo Sebah die Staatsyacht des Deutschen Kaiserreichs „Loreley“ (1) aufgenommen hatte.


Vorher aber liegen sich am Bosporus Anadolu Hisar und Rumeli Hisar gegenüber. Der Besitz Kleinasien erschien Mehmet sicher, die Burg ist daher auch nur klein. Obwohl zu dieser Zeit schon die Hauptstadt des osmanischen Staates in Europa lag, nämlich in Edirne, wollte Mehmet die Belagerung von Konstantinopel nicht beginnen, ohne die obligatorische Gegenburg gebaut zu haben. Seither verkörpert sie den Anspruch der Osmanen, auch in Europa Fuß gefasst zu haben.



Mit der Aufnahme von Anadolu Hisar haben wir die Fotografen Sebah und Konsorten aber erwischt. Es ist deutlich, dass sie faul und ungeschickt einen Abzug des Bildes verwendeten, um neue Abzüge zu erstellen. Das ist an der "doppelten" Beschriftung zu sehen.

Mio caro amico, Roberto Macellaio di Vienna, hat sich seinerzeit über den Klagefrauensarkophag ausgelassen, gleichsam sein Eintritt in das "Raich" und dessen Wissenschaft. Hoch sollen die Verlage leben, die nicht verramschen, daher ist sein Buch auch immer noch preiswert zu erwerben.


Plutarch schrieb vergleichend über Alexandros und Gaius Iulius Caesar, ich bevorzuge einen Vergleich zwischen den Werken „Alexanders Sarkophag“ und „Julia“, dem Früh- und dem Spätwerk, wobei Julia unvergleichlich besser wegkommt. Ihr liebliches Wesen vermag die Gerusia in Milet aufzufrischen.


Zum Sarkophag nur so viel: Intensive Falschfarbenaufnahmen haben die Bemalung des in Sidon verwendeten, dort aufgefundenen, im damaligen Osmanischen Reich in die Hauptstadt gebrachten Fleischfressers in Teilen erwiesen.

Obwohl die Farbigkeit der Antike seit weit über einhundert Jahren bekannt ist, wird die deutsche Archeo-ideo-logie immer noch nicht im tiefsten Innern mit der Buntigkeit und anderen Erkenntnissen fertig, die nicht mit überkommener Kunstansicht übereinstimmen, nicht von ungefähr ist das fahle Gipskabinett eine beliebte Ausbildungsstätte. Alberne Größe und laute Einfalt werden erst langsam überwunden. Das nicht an Kunst orientierte Nachdenken, beispielsweise über soziale Verhältnisse, die aus Hausruinen erschlossen werden können, wird sogleich als „Synthese des egalitären Geistes der 68er Jahre und der idealen Sicht des neuen Humanismus“ minimalisiert, lieber beschäftigen sich der Forschungsbeamten der Republik mit den aristokratischen Ausstülpungen der Antike, das Leben der normalen Menschen der damaligen Zeit ist ihnen egal.

Für Robert, seit der nächtlichen Diskussion unter dem umgestülpten Fischerboot am Hafen von Mykonos im August 1962 ein Freund.