Für Dottore ist Ephesos die Stadt, aus der Heraklit stammt, auch wenn man es der heute überlaufenen antiken Stätte nicht ansieht. Er, dem die Vielen zu viel waren, gehört zu den wenigen intelligenten Adligen; so kann man mit einem seiner Sätze immer wieder schwelgend zergehen: „Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es, und wir sind es nicht.“ Kontinuität und Wechsel, Dialektik und Logik sind unerklärt fassbar.
Wie in Pergamon war es in Ephesos ein Ingenieur, der die Ruinen aus ihrem Dornröschenschlaf weckte. Beim Bau der Eisenbahn von Izmir nach Aydin wurde der Ingenieur John Turtle Wood des Planens von Bahnhöfen überdrüssig und begann 1863, den Tempel der Artemis zu suchen. Aber auch ohne einen Herostratos II war von dem Weltwunder nicht mehr viel vorhanden und daher sichtbar, den Fluss Kaystros kann man schwerlich als Brandstifter bezeichnen, allerdings war er ein geschickter Schlammüberdecker. Also grub, besser wühlte, J.T. Wood überall dort, wo in sieben Stadien Entfernung der Koressoshafen gelegen hatte. Leider wusste man auch nicht mehr, wo der nun gewesen war. Schließlich siegte nach sechs Jahren britische Beharrlichkeit über die Sedimente, 1877 konnte Wood stolz sein Werk veröffentlichen: „Discoveries at Ephesus, including the site and remains of the Great Temple of Diana.“ Als Sebah und Joallier 1890 die Stätte aufsuchten, waren schon wieder Büsche am Fundort gewachsen.
Der Vordergrund zeigt die Kuhle der Artemisgrabung, darüber die Isa Bey Moschee, versetzt nach rechts den Platz, wo einst die Johannesbasilika stand, jede Religion hat sich hier manifestiert. Auf diesem Bild merkt man nach Pantalones fleißiger Retuschierarbeit kaum noch, dass dem Atelier Sebah der Techniker Antoine Laroche abhanden gekommen war, das Bild war voller „Punkte“. Diese waren stärker auf der rechten Bildhälfte verteilt. Sie waren dadurch entstanden, dass die benötigten Chemikalien nicht fein genug gemörsert worden waren, sich daher also ungleich verteilten, die groben Körner nahmen nicht am Entwicklungsprozess teil. Aber ein einfaches Wegretuschieren war das nicht, denn Punkte gibt es auf dieser Bildhälfte als Abbildung tatsächlich.
Nur wenige der „Chemiepunkte“ sind mit Zeiger gekennzeichnet, die rot umrandeten Bereiche sind Kuppeln des zum Komplex der Isa Bey Moschee gehörenden Hamams.
Die auf diesem Bild ersichtlichen großen Löcher in den Kuppeln waren einst mit runden „Glasbausteinen“ gefüllt, die spärliches Licht auf den Nabel durchließen, aber doch gut genug die Wärme isolierten.
1890 war ansonsten noch nicht viel der Erde entrissen worden, die Österreicher begannen das Unternehmen Ephesos, also die systematische Ausgrabung, erst 1895. Aber noch 1962 konnten die Bauern dort, wo sich heute das riesenteure Riesendach über den Hanghäusern erhebt, noch Tabak anbauen. Vor 120 Jahren sah es dort so aus:
Über den Namen der Ephesos umgebenden Berge und Hügel herrscht keine Einigkeit, am einfachsten ist es, die türkischen Namen zu verwenden, der hier von Sebah als Koressos bezeichnete Berg heißt Bülbüldag, Nachtigallenberg, ein viel zu schöner Name, um ihn fraglicher antiker Benennung zu opfern. Dabei hat die Stadt in ihrer langen Geschichte mehrmals ihren Platz gewechselt. Die bei den Hethitern Apasa genannte Ansiedlung lag vermutlich am Fuß des Ayasoluk-Tepe. Auch dieser Name verlangt eine Erklärung: In Westeuropa unterscheiden die Katholiken zwischen Johann „Baptist“ (der Täufer) und Johann „Evangelist“ (so hieß seinerzeit Kapfinger), der der Kunde nach in Ephesos gelebt hatte und dort starb. In der Ostkirche wird der von Gott redende (und schreibende) Apostel Johannes „Theo-logos“ genannt. Als Heiliger wird er kurz als Agios Theologos angerufen, g wurde als j ausgesprochen, th als englischer Laut, so konnten die Türken dies leicht zu „Ayasoluk“ verballhornen.
Jenes zuerst seldschukische, dann kurz osmanische Ayasoluk wurde von Timur, dem Lahmen, eingenommen, sein Erscheinen in Kleinasien gab Konstantinopel und seinen Rhomäern noch einen 50-jährigen Aufschub. Als Byzanz noch mächtiger war, hatte es den Hügel mit der Basilika befestigt,
wobei es sich anbot, die Trümmer der Antike zu verwenden, was damals üblich war. Auch der ganze Campo Santo in Pisa ist nicht aus dem Marmor des 50 km nördlich gelegenen Steinbruchgebietes von Carrara erbaut worden, sondern aus dem geraubten Marmor Roms.
Was im Torbogen des vorigen Bildes durchschien, war die byzantinisch-türkische Festung auf dem Hügel. Die jeweiligen Besitzer hatten auch ihre Gebetsstätten dort im engeren Mauerkranz gebaut, was den Byzantinern nichts gegen die Seldschuken, diesen nichts gegen die Mongolen nützte.
Zwischen Johannesbasilika und Artemistempel liegt die Isa Bey Cami, jahrhundertelang in Trümmern. Dabei ist sie sehr bemerkenswert, sie sieht aus, als stammte sie aus Syrien.
Vom Hügel aus konnte eben bis in die 80iger Jahre des vorigen Jahrhunderts in die Moschee blicken, im Hintergrund der Nachtigallenberg, über den die lysimachische Stadtmauer verläuft, rechts neben den Kuppeln sieht man die Wälle der Wood´schen Grabung.
Hier unterbricht Pantalone: „Ich habe von allen Bildern dies am liebsten aufbereitet, weil die beiden Kuppeln so herrlich an die Brüste einer 18-Jährigen erinnern.“ „Sei bloß still, du handelst Dir muslimische Vorwürfe über Gotteslästerung ein!“ „Au, ja, dann sage ich besser folgendes: Mir ist aus sicherer Quelle bekannt, dass Giacomo Casanova wegen seiner tatsächlichen Buße auf Schloß Dux in den Himmel aufgenommen wurde, zwar mit Bedenken, aber immerhin. Nun schaut der alte Schweinkerl von dort zur Erde, besonders gern sieht er die Kuppeln der Isa Bey Moschee. Ist es so gut?“ „Fahr auf keinen Fall nach Saudiarabien!“
Unter dem stehengebliebenen Minarett liegt das Tor zur Moschee.
Alles Alte ist in der Türkei von Vananana bedroht, nämlich Vandalismus, Anatolismus und Anastilismus.
Der Vandalismus ist kein türkisches, sondern ein allgemeines Phänomen, obwohl durch den wachsenden Reichtum der türkischen Oberschicht das Gewinnen von antiken Resten für die private Nippessammlung zugenommen hat, dies ist aber eher kein Vandalismus, sondern schlichte Gier.
Für die Griechen ging die Sonne morgens (wieder) über den kleinasiatischen Gestaden auf, ana tellein, also Anatolia. Keiner nimmt den Türken übel, dass sie viele Jahrhunderte von Jakutien bis nach Kleinasien brauchten, nur sie selber. Irgendwie wollen sie schon immer da gewesen sein. Diese vergorene Sehnsucht wird unter dem Begriff Anatolisches Erbe zusammengefasst, was den Vorteil hat, dass man dabei die antiken Griechen aussparen kann, wobei nämlich die gegenwärtigen Griechen (an der Küste saßen die Ionier, umgewandelt in Yunan, also ist Griechenland = Yunanistan) behaupten, ihre Vorfahren wären die kulturtragende Schicht in Kleinasien gewesen, worauf der Türke messerscharf schließt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Dass er dann einen griechischen Namen für seine Heimat okkupiert, das ist die immerwährende Ironie der Geschichte.
Unter Anastilosis versteht man die Wiederaufrichtung antiker Baureste, in der Charta von Venedig ist das Ausmaß geregelt. Ein Bauwerk ist jedoch für die Türken nur dann schön, wenn es neu ist, dem Adel der Geschichtsträchtigkeit stehen sie fremd gegenüber. Also wird alles Alte möglichst in einen fast neuwertigen Zustand gebracht, dazu aber später einmal viel mehr. Hier nur ist anzumerken, dass die gerötete Fläche ohne Not und ohne Hinweis auf den alten Zustand mit kufisch anmutender Marmorinkrustation überzogen wurde.
Bei den Antiken mag dieser Drang auch damit zusammenhängen, dass die Zuständigkeit für die Altertümer und den Tourismus in einem Ministerium ressortieren, ein Unding. Dies erklärt auch den Druck, den die türkische Antikenbehörde auf die ausländischen Archäologen und Bauforscher ausübt, das Theater sah einmal so aus:
2010 konnte man vom sog. Gefängnis des Paulus eine Cavea erblicken, die die Zerstörung der Jahrhunderte vergessen ließ, dabei haben doch die Österreicher die Celsusbibliothek so brav und kundig anastilosiert.
Aber wenden wir uns dem Ayasoluktepe wieder zu. Am Abhang steht noch eine kleinere Moschee, sie hat ein antikes Tor.
Das Aquaedukt ist nicht römisch, auch die Byzantiner und die Osmanen haben ihr Wasser über solche von ihnen selbst errichtete Bauwerke bezogen. Dies hier ist byzantinisch.
Trotz des Titels und der anderen Posts will Dottore nicht unterdrücken, dass Sebah nicht alles jeweils am besten machte. Seine Aufnahmen des Stadions haben den archivarischen Vorteil, dass er beide Enden der Zuschauertribünen aufgenommen hat, die andere ist hier nicht eingestellt.
Dottore neigt aber der Ansicht zu, dass die eines ihm namentlich nicht bekannten Fotografen die bessere des gleichen Objektes ist. Der von Sebah im Vordergrund platzierte Feigenbaum erläutert nichts, der Wind hat bei der langen Belichtungszeit die Blätter verwischt.
Dagegen ist das andere Bild klar und zeigt die Ruine genauer, man kann sogar aus den Pflanzen die Jahreszeit der Aufnahme erschließen: Der Riesenfenchel, ferula communis, ist noch nicht hochgeschossen, noch weit von Blühen entfernt. Es wird Anfang März sein. Dabei ist der Riesenfenchel eine gar zu klassische Pflanze, Prometheus brachte in dem getrockneten Mark des Stängels das Feuer auf die Erde, was wäre Dionysos ohne den Thyrsosstab? Also mag Dottore das zweite Bild lieber.
Pantalone meint noch: Es kommt noch Sebah und Smyrna, Konstantinopel, Bursa, Athen, Erechtheion und Griechenland allgemein, aber ich kann die Bilder nicht so schnell aufbereiten.
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