Nach gut einem Jahr Blog „Pantalone e Dottore“ wollen die Beiden ein Resümee ziehen:
Also am meisten gefragt sind Thonet und Hymne, dicht gefolgt von den Sebah-Artikeln. Deren Bilder, insbesondere das gereinigte der Straße in Kairo, sind überall wiederzufinden. Ungefähr pro Monat 400 Klicks hat Google vermerkt.
Schon zerfällt die Einigkeit der beiden. „Der immer so schlau tuende Dottore hat nämlich in seiner Dämlichkeit nicht oft genug Backups durchgeführt, nun sind ganz viele Entwürfe von Posts, auch von mir, mit dem Abkacken der Serverfestplatte nicht mehr greifbar“, schimpft Pantalone. „Aber, Du hättest doch auch einmal mich daran erinnern können!“ „Wenn jemand so arrogant und unnahbar ist wie Du, dann traut man sich kaum noch, an das Alltägliche und Selbstverständliche zu erinnern! Dein hochfahrendes Wesen hat das eben verhindert.“ „Also zum Ausgleich gibt es nun etwas mit vielen Bildern, die Du doch so gerne hast. Ich habe etwas zu Sebah und Pergamon zusammengestellt, auch ein Panorama von Dir will ich veröffentlichen!“ „Na, da bin ich gespannt.“
Die Reisefotografen des 19. Jahrhunderts nahmen das auf, was wahrscheinlich von ihren Kunden besucht und dann als Bild gekauft werden würde. Daher sind deren Bilder auch ein Dokument über die Erschließung und die Attraktivität der antiken Stätten. Seit 1865 bemühte sich der angelernte Straßenbauingenieur Carl Humann in Pergamon darum, das Gewerbe der Kalkbrenner einzuschränken. Da Marmor kristalliner Kalk ist, kann man aus ihm besonders schön den Baustoff Kalk herstellen. Errichtet man dazu seine Öfen dort, wo viel Marmor herumliegt, beispielsweise im Trajaneum der Akropolis, dann kommen irgendwelche Fremde und versauen einem die Arbeitsmöglichkeit. Hätte es solche „Fremden“, wie Humann einer war, nicht gegeben, unsere Museen wären erheblich leerer. Seit 1871 schickte er sukzessive Platten mit Reliefs nach Deutschland, später stellte sich heraus, es waren Teile des Pergamonaltares. Ab 1880 war also Pergamon für die Reisenden der Grande Tour interessant.
Allerdings war die Akropolis nun auch ein noch größerer und unübersichtlicherer Trümmerhaufen als zuvor, die Mühsal ihrer Besteigung unternahmen nur Liebhaber von Theatern, das sog. Griechische ist zu erkennen.
Heute ist das alles einfacher: Nun fährt man nicht mehr mit dem Bus oder der Taxe auf der zwischenzeitlich gebauten Straße nach oben, sondern mit der Seilbahn. Altertumsliebhaber, die darob den Kopf schütteln, sei in Erinnerung gerufen, dass der Drachenfels ab 1850 zuerst als Steinbruch erheblich an Substanz verlor, um nämlich das große Bauwerk in Köln von einem altehrwürdigen, allerdings in der Errichtung steckengebliebenen Zustand in einen überwiegend neugotisches Gebilde zu verwandeln. Der so zernagte Fels wurde 1883 mit einer Zahnradbahn benagelt. Was 1883 den Deutschen recht war, muss auch 2010 den Türken billig sein.
Der Blick von der leichten Anhöhe in der Nähe der Ulu Cami zeigt die Tabak-Köprü, die Tellerbrücke aus römischer Zeit, der Kenner sieht noch aufragende antike Reste im Häusergewirr. Eine weitere römische Brücke ist hier zu sehen, die Dreibogenbrücke, von der man allerdings nur zwei erblickt.
Die Besucher damals, und mit ihnen die Firma Sebah&Joallier im Jahre 1890, wandten sich lieber der Roten Halle zu, die nicht nur damals leicht christlich erzogene Betrachter dazu verleitet, in ihr eine riesige Kirche zu sehen. Sie war nicht einmal eine säkulare Basilika, sondern wurde im 2. Jahrhundert nach Chr. als Tempel gebaut in der typisch römischen Bauweise des Backsteinmauerwerkes. Deutlich erkennt man neben dem länglichen Hauptbau die beiden Rotunden.
Die Zeiten wurden schlechter, die griechisch-römische Gutwetterreligion musste gegen katastrophenfesteres eingetauscht werden. Genauso wie heute die Bilder von Sebah aus Ägypten Orientalisches vorgaukeln, genauso bedienten sich die Priester des ägyptischen Göttern geweihten Tempels der Gaukel- und Zauberkünste, verborgene Gänge und Stiegen durchziehen das Gebäude. Zu sehen sind hier allerdings schön die seitlichen Schubstreben, die nicht erst in der Gotik erfunden wurden; hier stützen sie die Temenosmauer gegen den Selleriefluß ab.
Beim genaueren Hinschauen entdeckt man die neuzeitlichen Bauten in dem Komplex, immer wieder lockte die Ruine Bausüchtige an, ca. 1950 fiel noch eine seitliche Exedra der Temenosmauer der Anlage der Otobüsleri zum Opfer.
Hier werkeln eifrige Handwerker vor der südlichen Rotunde. Der große Riss, der sich bis in das Kuppelgewölbe hineinzog, wurde aber weitgehend zur Stabilisierung ausgemauert.
Eifrig flicht Pantalone ein: „Ich habe von dem Jetztzustand ein Bild! Das kann doch auch hierhin.“ „Wenn wir alle Deine Bilder hier hereinnähmen, dann ginge das nur in Picasa, dort kannst Du das machen. Du kriegst schon Platz in diesem Blog, aber nicht hier!“ „Ach, Dottore, bist Du unerbittlich.“
Der letzte der Attaliden setzte Rom als Erben des Reiches ein, das klingt souverän, war aber sicherlich nur die rechtlich formvollendete Anerkennung der tatsächlichen Machtverhältnisse, jedenfalls verwandelte sich das hellenistische Pergamon rasch in eine römische Enklave. So statteten die Römer die Stadt mit den für sie typischen Bauwerken aus, großes Theater, Amphitheater und Zirkus, dessen Reste die ersten europäischen Reisenden noch sahen.
Hinter einem länglichen Hügel liegen in einem Tälchen die Ruinen des Amphitheaters über einem Bach. Mit dessen Wasser konnte man die Arena füllen und dort sogar Seeschlachten nachspielen. Das Bauteil rechts oberhalb des Bogens existiert nicht mehr, das zeigt auch, dass das äußere Mauerwerk nicht nur als „verlorene Schalung“ und ästhetischer Mantel bedeutend ist, sondern seine glatte Oberfläche schützt auch besser vor Verwitterung.
Wieder platzt Pantalone herein: „Was ist den der Unterschied zwischen Theater und Amphitheater, ist das nicht dasselbe? – Wenn ich schon sehe, wie Du die Augen verdrehst, es können doch nicht alle so gelehrt sein (Beiseite gesprochen: So gelehrt tun!) wie Du.“ „Also ein Theater ist eine halbrunde Schale, bei den Griechen in einen Hang geschmiegt. Weißt Du was eine Amphibie ist?“ „Na, ein Frosch, oder so.“ „Was kann der?“ „Hüpfen und quaken.“ „Nein, ich meine, wo lebt der?“ „Im Wasser und an Land.“ „Richtig, in beiden Bereichen kann er leben, amphi heißt im griechischen beide! Nimmt man also zwei Theater und stellt sie zusammen, dann ergibt es ein Rund, das Amphi-Theater ist entstanden, klar?“ „Aha.“
Noch heute sieht es dort so aus, wie auf dem Bild, die halbrunde Höhle unten ist der Durchgang des Baches, nach ungefähr 40 Metern und mit nassen Füßen ist man wieder im Freien.
Von dem Theater sind an und auf dem länglichen Hügel – Mezarliktepe – nur noch wenig Übereste vorhanden, diese Aufnahme kann man heute nicht wiederholen, auf der Aufnahmestelle steht ein Haus. Der ganze Hügel wurde durchwühlt, weil der damalige Ausgräber dort das Nikephorion vermutete. Die Pergamener waren nicht so anmaßend wie die Athener, die der Nike die Flügel nahmen, um sie so am Wegfliegen zu hindern. Aber in Athen hat das nicht geklappt, das Ende des Peloponnesischen Krieges zeigt das. In Pergamon ist nicht die Nike, sondern das ihr geweihte Heiligtum weggeflogen, man hat es bisher nicht gefunden. „Was, Dottore, meinst Du, wo es war?“ „Ich glaube, Boehringer und MüWi haben schon die richtige Ahnung gehabt, es lag wohl am Rand des Hügels über der Stadt. Aber nach zwei Zerstörungen wurde es beim Bau des Zirkus, des Theaters und der Via Tecta „recycelt“, Kalk wurde damals auf die gleiche Weise wie im 19. Jahrhundert gewonnen. Kleine Stücke könnte man also allenfalls im opus caementitium dieser Bauten finden. Eventuell Fundamente unter der Cavea des Theaters.“
Denn bei der Romanisierung von Pergamon wurde die Stadt in ein Heilbad für kränkelnde Flaneure und Müßiggänger verwandelt, es war danach eine Mischung aus „Lourdes und Bad Wörrishofen“. Um geschützt zwischen Kur und Kultur zu wandeln, lag zwischen dem Asklepieion und dem Theater eine lange, teilweise gedeckte Straße, die an dem Bogen oben endete. Die Wühlerei der 1960er Jahre hatte zur Folge, das der Hügel anschließend besiedelt wurde. Sozialdemokratische Kommunalpolitiker würden das nun eine „Problemzone“ nennen.
„Das stimmt, Dottore, denn als ich die Aufnahmen für das Panorama machte, wurde ich ununterbrochen von „aggressiv bettelnden“ Kindern bedrängt!“ „Aber, die Einzelbilder hätten doch nicht so unscharf und verwackelt sein dürfen.“ „Die haben sogar einen Stein geworfen, aber nicht nach mir, sondern auf die Kinder um mich herum, den Erwachsenen war das peinlich. Na, ja, das rot Umrandete deckt sich ungefähr mit dem Bild von Sebah.“
Offenbar stand Pantalone etwas höher und weiter links als seinerzeit Sebah&Joallier. Auf beiden Bildern ist am Rand des Hügels der Stumpf zu erkennen, der wohl einst den nördlichen Parodos begrenzte.
Wer also Römisches liebt, der sollte das Theater und das Amphitheater aufsuchen; zu den Lebensleistungen eines Reisenden heute zählt auch die Fähigkeit, soziale Missstände zu ertragen. Das tun wir sowieso alle, denn die täglich verhungernden 30 000 Kinder berühren uns kaum, da kann man auch solch eine Umgebung ertragen, auch wenn sie denn hautnah auftritt. Das Leben ist doch „Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung“.
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